Photo: regxzr regxzr from Flickr (CC BY 2.0)

Grüne Ökonomen stellen dem „fehlerhaften Markt“ gern die „makellose Politik“ entgegen, dem Eigeninteresse das Gemeinwohl. Aber Markt und Politik sind beide imperfekt, denn in beiden agieren Menschen. Wer von Umweltschutz spricht, darf von ökologischem Staatsversagen nicht schweigen.

Das Thema Umweltschutz steht aus gutem Grund ganz oben auf der Agenda des Koalitionsvertrags „Mehr Fortschritt wagen“ von SPD, Grünen und FDP. Nicht zuletzt die Katastrophe im Ahrtal zeigt, wie notwendig die Bekämpfung des Klimawandels und die Anpassung an seine Konsequenzen ist. Und auch Umweltziele, die nur indirekt mit dem Klimaschutz zu tun haben, wie etwa der Schutz der biologischen Vielfalt und der Artenschutz, stehen zu Recht oben auf der Prioritätenliste der neuen Bundesregierung.

Dafür setzen die Koalitionäre auf zentralstaatliche Politik: Der Ausbau der erneuerbaren Energien steht nun im „öffentlichen Interesse“, der Schutz der Moore ist im „öffentlichen Interesse“, und der Ausbau von Stromtrassen für den Transport grüner Energie liegt, Sie können es erraten: im „öffentlichen Interesse“. Politik und Bürokratie gerieren sich als unbestechliche ökologische Retter, doch auch sie sind nur Menschen und laufen Gefahr, umweltpolitische Hoffnungen zu enttäuschen.

Die umweltpolitischen Ziele der neuen Regierung folgen einer grünen politischen Ökonomie, die sich in zwei Sachen sehr sicher ist. Erstens: Individuen auf Märkten sind verantwortlich für die vielfältigen ökologischen Probleme, weil der Markt sie zu rationalen Egoisten macht.

Zweitens: Individuen in der Politik sind in der Lage, die vielfältigen ökologischen Probleme zu lösen. Die Transformationsforscherin Maja Göpel wird nicht müde, diesen Punkt in der öffentlichen Debatte zu wiederholen: Göpel sieht in realen Märkten den Homo Oeconomicus am Werk – den Menschen, der ausschließlich auf seinen eigenen Nutzen bedacht ist.

Dabei berücksichtigt dieser Öko-Bösewicht jedoch nicht die ökologischen Konsequenzen, die er verursacht und die von anderen Individuen mitgetragen werden müssen. Der Homo Oeconomicus, von Ökonomen ausschließlich als Modellannahme im Kontext theoretischer Diskussionen gedacht, erwacht in der grünen politischen Ökonomie zum Leben und verursacht eine ökologische Tragödie: Seine egoistische Rücksichtslosigkeit im Markt führt zur Zerstörung der ökologischen Lebensgrundlage.

Kaum ein Ökonom würde Göpel zustimmen, dass Menschen auf Märkten tatsächlich so handeln. Doch das ist für die grüne politische Ökonomie unerheblich. Denn für sie gilt: Problem erkannt, Problem gebannt. Der Markt ist bevölkert von soziopathischen Nutzenmaximierern, die die ökologischen Grundlagen eines guten Lebens mit ihren Industrietürmen kurz und klein schlagen.

Die Lösung ist ein starker Zentralstaat, der Individuen in die Schranken weist – notfalls auch so, dass es weh tut. Vorstellungen zentralstaatlicher Aktivität sind keine Grenzen gesetzt: von sinnvollen Ideen wie CO2-Steuern und Zertifikatshandel bis hin zu autoritären Ideen wie einer Postwachstumsökonomie und einer Hinwendung zu lokaler Kreislaufwirtschaft.

Doch misst die grüne politische Ökonomie hier mit zweierlei Maß. Denn die Politik, die den imperfekten Menschen regulieren soll, wird schließlich auch von imperfekten Menschen gemacht. Nicht so in ihren Köpfen: Kaum besteigt einer den Thron des Politischen, so offenbar die Annahme, wandelt sich der egozentrische Homo Oeconomicus zu einem wohlmeinenden und umfassend informierten Homo Oecologicus.

Die Umwelt, eben noch Opfer zerstörerischer Anreize im Markt, wird nun vom Menschen in der Politik gerettet. Wer sich jedoch solchen Doppelstandards hingibt, ist naiv. Denn nicht nur der Markt, sondern auch die Politik setzt Anreize – und nicht immer zum Guten.

Selbst wenn Politiker von Idealismus getrieben sind: Sie sind gefangen in einem System, in dem sie dadurch gewinnen, Interessen zu bedienen, die nicht unbedingt dem „öffentlichen Interesse“ entsprechen. Da ist weder wissenschaftliche Erkenntnis noch moralische Festigkeit handlungsleitend, sondern das, womit sich die eigenen Wähler und Mitglieder gebauchpinselt oder bedient fühlen. Unter Ökonomen heißt es oft: Zeig mir die Anreize für menschliches Handeln, und ich zeige Dir die Ergebnisse.

Konkret: Mit einem Ausstieg aus dem Ausstieg aus der Atomkraft würde Deutschland die Chance wahren, die Pariser Klimaschutzziele zu erreichen. Frankreich macht es vor. Doch der Reputationsverlust gegenüber einer Anti-Atom-Wählerschaft steht einer solchen Politik im Weg.

Mehr Wohnraum in der Stadt gibt Anreiz, in die ökologisch effizienteren Städte zu ziehen. Tokio macht es vor. Die urbanen Latte-Hipster hingegen setzen lieber auf eine restriktive Baupolitik, weil sie den Wertverfall ihrer städtischen Eigentumswohnung fürchten. Eine Abschaffung der Pendlerpauschale würde unnötigen Verkehr verhindern und klimafreundliche Anreize setzen. Hier wollen aber die Vorstadtbewohner ihre Pfründe nicht verlieren und kämpfen für den Erhalt der klimaschädlichen staatlichen Subvention.

In einer perfekten ökologischen Welt würden Menschen in der Politik immer für das ökologische Gemeinwohl einstehen. Doch genauso würden Menschen auf dem Markt immer für das ökologische Gemeinwohl einstehen, wenn die Welt perfekt wäre. In einer imperfekten Welt hingegen wird Vertrauen in die Gemeinwohlkapazität des Staates häufig enttäuscht. (Negative) Anreize sind in der Politik genauso real wie auf dem Markt.

Eine ehrliche grüne politische Ökonomie sollte daher nicht die makellose Politik mit dem fehlerhaften Markt vergleichen, sondern den imperfekten Markt mit der imperfekten Politik: Wer von Umweltschutz spricht, darf von ökologischem Staatsversagen nicht schweigen.

Als Kind der Generation Merkel freue ich mich auf einen politischen Aufbruch in Deutschland. Doch ist auch eine gehörige Portion umweltpolitischer Skepsis angebracht. Das Enttäuschungspotenzial der neuen Regierung ist groß. Besonders, wenn sich auf Basis der fragilen Doppelstandards der grünen politischen Ökonomie der Irrglaube breit macht, dass politische Anreize zu ökologischen Erfolgen führen. Fans der Umweltpolitik sei das ans Herz gelegt, wenn sie voller Begeisterung auf den Staat blicken, um „mehr Fortschritt zu wagen“.

Erstmals erschienen in der Welt.

9 Kommentare
  1. Ralf Becker
    Ralf Becker sagte:

    Unser vermeintlicher Markt ist in Wirklichkeit ein Debitismus,
    der einfach nur für eine immer schnellere Umverteilung von fleißig nach reich sorgt.

    Ich vertraue dem Markt nicht, weil es beispielsweise auch immer mehr Rüstungsexporte gibt.

    Nachhaltigkeitsforscherin Maja Göpel: Wir müssen Wirtschaftswachstum anders messen.

    In Wirklichkeit ist es ein Problem, dass die meisten von uns die fehlerhafte Schuldscheinlogik unseres Geldes nicht verstehen.
    Frau Göpel lässt es bei ihren Überlegungen auch fast völlig unberücksichtigt,
    wie Geld funktioniert.

    Sie behauptet etwa:
    „Ob das BIP dann weiter wächst oder schrumpft, sollte nicht Ziel, sondern empirisches Ergebnis dieses zukunftsorientierten Haushaltens sein.“

    Hierzu:
    Das BIP gibt nach offizieller Darstellung den Gesamtwert aller Waren und Dienstleistungen an usw.

    Hier gibt es aber das Problem, dass unser heutiges Fiatgeld sich gar nicht
    eignet um mit diesem Geldwerte abzubilden.
    Unser Geld ist vielmehr einfach nur ein Schneeballsystem mit immer mehr Schulden,
    die niemand jemals wieder zurückzahlen kann.

    Dass der Markt mit soziopathischen Nutzenmaximierern bevölkert ist,
    würde ich so nicht sagen.
    Keynes beschrieb den derzeitigen Kapitalismus sehr treffend wie folgt:
    „Der Kapitalismus basiert auf der merkwürdigen Überzeugung, dass widerwärtige Menschen aus widerwärtigen Motiven irgendwie für das allgemeine Wohl sorgen werden.“

    Dann handeln Menschen natürlich nicht nur fehlerhaft.

    Beispiel:
    taz, 29. 4. 2014
    Papierkonzern schützt Wälder
    Ein indonesischer Papierfabrikant verkündet die Wiederaufforstung einer Fläche, die viermal so groß wie das Saarland ist.

    Die Lösung sei nach Auffassung der Grünen ein starker Sozialstaat.

    Hier gibt es das Problem, dass ein einzelnes Land nichts machen kann.
    Die derzeitigen Probleme sind insofern gar nicht auf parlamentarischem Wege lösbar.

    Wir benötigen jedenfalls ein völlig anderes Wirtschaftssystem, das sehr viel
    besser als jetzt auf die Realwirtschaft abgestimmt ist.

    Dann sind die Grünen bestens mit der Hochfinanz vernetzt.
    Etwa Cem Özdemir ist in mehreren Bankenlobby-Clubs drin.
    Dann gibt es bei Frau Baerbock ihre besondere Nähe zum Weltwirtschaftsform WEF,
    das in Wirklichkeit der Club der großen Konzerne ist und eben auch
    zum ECFR des Investmentbankers George Soros.

    Man könnte es insofern behaupten, dass die Grünen das genaue Gegenteil einer
    Umweltpartei sind.

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  2. Claus Tigges
    Claus Tigges sagte:

    Dort, wo sich aufgrund von Nicht-Rivalität im Konsum (zB beim Gut „Luftverschmutzung“) kein Preis bilden kann, ist eine staatlich vorgegebene Verknappung durch eine Mengenbegrenzung sinnvoll und angemessen. Eine Internalisierung externer Effekte ist marktwirtschaftlich und liberal, weil durch die Preisbildung dem Verursacher die tatsächlichen Kosten seines Handelns aufgebürdet werden. Das Problem besteht darin, dass viele (linke) Politiker schon dann laut „Marktversagen!“ schreien (und staatliche Eingriffe fordern), wenn ihnen das Ergebnis marktwirtschaftlicher Prozesse nicht passt. Wo der Preis Knappheiten tatsächlich signalisiert, hat der Staat nichts zu suchen.

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    • Justus Enninga
      Justus Enninga sagte:

      Lieber Herr Tigges,
      ich stimme Ihnen in allem soweit zu. Der Staat und der Markt sind beide (theoretisch) in der Lage externe Effekte zu internalisieren. Der Fehler, der jedoch häufig gemacht wird, ist das mit zweierlei Maß gemessen wird. Es wird staaliche Internalisierung gefordert, weil Homo Oeconomicus es auf dem Markt nicht regelt. Während Homo Oeconomicus jedoch nicht in der Lage ist erfolgreich kollektiv auf dem Markt zu handeln, kann er das auf einmal in der Politik? Das bezweifle ich.

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  3. Herbert Hanselmann
    Herbert Hanselmann sagte:

    Das größte Problem ist die Einmischung der Politik auf falscher Basis. Wunschdenken und Ideologie statt Rationalität. Zwei Beispiele:
    Atomstrom (wie schon angeschnitten). Unzweifelhaft CO2-frei, aber unerwünscht. Wobei ich den Horror vor Unfällen als paranoid betrachte, aber die Endlagerfrage als ungelöst. Fukushima war einfach bescheuert aufgebaut und Tschernobyl war der falsche Reaktor. Also so richtig wohl ist mir bei Atom wegen der Lagerfrage nicht. Da wir aber das Problem sowieso haben, muss ich den Ausstieg als typischen Politikfehler betrachten (Merkel wegen Stimmenfang).
    Elektroautos: es wird nicht ein einziges Elektroauto benötigt, um den im Netz vorhandenen Grünstrom zu verbrauchen! Ergo muss die Ladeleistung zusätzlich erzeugt werden und wodurch wohl? Nix Strommix. CO2 wird mit der Elektroauto-Flut noch lange steigen, nicht fallen.

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    • Justus Enninga
      Justus Enninga sagte:

      Lieber Herr Hanselmann,

      da haben sie recht. Deshalb dürfte es zielbringender sein, auf Regulierungsinstrumente zu vertrauen, die den kleinteiligen Dirigismus des Staates minimieren. Im Rahmen eines ausgeweiteten Zertifikatehandels z.B. und angeschlossener Technologieoffenheit würden sich diejenigen Lösungen durchsetzen, die ökonomisch und ökologisch vielversprechend sind. Ob das Atomstrom, das E-Auto oder das Wassserstoff-Auto ist, entscheidet dann nicht ein politsicher Akteur, sondern Gewinn-und Verlustrechnungen auf marktwirtschaftlicher Basis.

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  4. Edward Köhler
    Edward Köhler sagte:

    Anmerkung am Rande: Die Überschwemmung im Ahrtal hatte mit Klimawandel wohl nichts zu tun, es gab in den Jahrhunderten vorher ähnliche Katastrophen dort, war sogar in der WELT nachzulesen. Passte aber natürlich gut ins Klima-Narrativ.
    Die neuen Atommeiler sind mit den alten, die aus der militärischen Forschung der 1940er Jahre abgeleitet sind, kaum vergleichbar und sollen sogar inhärent sicher sein. Forschung dazu findet aber nurmehr im Ausland statt, da hier untersagt. Dumm, dümmer, Deutschland. Das war mal deutlich anders.

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  5. René Maçon
    René Maçon sagte:

    „Nicht zuletzt die Katastrophe im Ahrtal zeigt, wie notwendig die Bekämpfung des Klimawandels und die Anpassung an seine Konsequenzen ist.“

    Historisch betrachtet, sind solche Überschwemmungen ihm Ahrtal nichts außergewöhnliches. Das hat absolut nichts mit Klimawandel zu tun! Einfach mal sachkundig machen! Traurig, dass die FDP nur noch grüne Narrative nachbetet.

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