Foto: Boston City Archives from Flickr (CC BY 2.0)

Alle vier Wochen befassen sich Dilara Wiemann und Alexander Albrecht in „The Argument“ auf dem Boden freiheitlicher Überzeugungen, aber aus kontroversen Blickwinkeln mit unterschiedlichen Themen. Im Englischen steht Argument sowohl für die Auseinandersetzung als auch für die rationale und logisch begründete Aussage – also letztlich für Erkenntnisgewinn. Und um den soll es in dieser Kolumne gehen!


Alexander Albrecht: Wider den Monopolpopulismus

Dilara Wiemann: Pro market statt pro business: Für einen freien, digitalen Wettbewerb


Wider den Monopolpopulismus
Von Alexander Albrecht

Die Deutschen lieben Regulierungen. Und sie hassen Monopole. Alle großen Softwareunternehmen, ob Google, Facebook oder Apple, haben Marktmacht und gehören deshalb reguliert. Im Englischen gibt es für diese Einschätzung der Stammtischwettbewerbsökonomen den schönen Begriff „Monopolpopulismus“, oder auch „Monopol-Hipster“. Alles was neu, trendy und digital ist, ist ein Monopol und gehört deshalb reguliert oder gar zerschlagen. Wenn man jedoch anstatt der Marktstruktur die Konsumentenwohlfahrt als Eingriffskriterium der Wettbewerbspolitik verwendet, ergibt sich ein differenziertes Bild.

In ihrem akribischen Fokus, Marktmacht präventiv zu verhindern, übersehen Monopolpopulisten, dass die Lebensdauer der meisten Technologie-Giganten erstaunlich kurz ist. Die am meisten gedownloadete App im Jahr 2020 und im Jahr 2021 war die chinesische Video App TikTok, die erst im Jahr 2016 gegründet wurde. Plattformen wie Napster, MySpace, Internet Explorer, ICQ, Google Plus oder MSN Messenger galten vor gerade einmal 15 Jahren einst als unsinkbare Technologiegiganten, bis der Markt über sie hinwegfegte. Während der Pandemie verlor das seit Jahren am geschäftlichen Kommunikationssoftwaremarkt etablierte Unternehmen Skype fast seinen über Jahre hinweg mühsam erarbeiteten Marktanteil an Zoom, Microsoft Teams oder Cisco Webex. Und die noch vor kurzem äußerst beliebten Plattformen wie Clubhouse und Snapchat befinden sich schon wieder auf dem absteigenden Ast. Anders als in der populären Debatte suggeriert wird, ist auch der digitale Plattformmarkt äußerst dynamisch. Wer sich mit Monopolmärkten beschäftigen will, sollte eher einen Blick in traditionsreiche Branchen wie die Agrar- oder Zigarettenindustrie werfen.

Desweiteren liefert die Existenz eines Monopolisten noch keine hinreichende Begründung für regulatorische Eingriffe. Der vor 100 Jahren geborene Ökonom William J. Baumol stellte 1988 zusammen mit John Panzar und Robert Willig die Theorie der bestreitbaren Märkte auf. Laut Baumol besteht in der Existenz von natürlichen Monopolen in Märkten mit starken positiven Skaleneffekten, wie diese beispielsweise in der Plattformökonomie vorliegen, kein Marktversagen. Denn gerade in ebensolchen Märkten ziehen hohe Gewinne die Aufmerksamkeit von Kartellbehörden und Mitbewerbern auf sich, weshalb Monopolgewinne nur selten tatsächlich realisiert werden. Vielmehr zwingt der ‚unsichtbare‘ Wettbewerb auch Monopolisten auf bestreitbaren Märkten dazu, zu Preisen knapp über dem Wettbewerbspreis anzubieten und technisch effizient zu produzieren. Demnach ist die entscheidende Frage nicht, ob bestimmte Digitalkonzerne eine Monopolstellung haben, sondern ob die digitalen Märkte, auf denen sie operieren, auch bestreitbar sind. Nur wenn die Stellung von Monopolisten nicht bestreitbar ist, können Unternehmen auch Monopolpreise realisieren, was zu Einbußen der Konsumentenwohlfahrt führt. Während des globalen Ausfalls von Facebook, Instagram und WhatsApp im Oktober 2021 konnte man gut sehen, wie bestreitbar der Markt einiger Tech-Giganten doch ist. Während der sechsstündigen technischen Panne tauschten die Menschen sich einfach weiter über Twitter, Slack, Discord, Google Talk, iMessage, Signal und Telegram weiter aus.

Auf die Frage, was die Politik denn zur Bekämpfung von Monopolen tun könnte, liefert Baumol zwei Antworten. Da die Politik nur schlecht das Angebot an Unternehmern in der Gesellschaft steuern kann, sollte man sich erstens darauf spezialisieren, Unternehmertum in ‚produktive‘ Bahnen zu lenken. Erst wenn für Unternehmer Erfindergeist und Innovation relativ zur Klüngelei um Gunst und Geld der Politik an Wert gewinnen, werden die Investitionen der großen Unternehmen wieder in Forschung und Entwicklung fließen, was dem Wettbewerb in der Branche zugutekommt. Zweitens sollte die Politik beurteilen, ob und wo Markteintritte von Konkurrenten durch Monopolisten aktiv behindert werden. Solch marktschädigendes Verhalten gälte es dann tatsächlich zu sanktionieren.

Insofern ist es sinnvoll, die tatsächlichen Einbußen der Konsumentenwohlfahrt als Kriterium für regulatorische Eingriffe in Monopolmärkten zu verwenden. Monopolisten, welche auf bestreitbaren Märkten agieren, präventiv zerschlagen zu wollen, schadet der Konsumentenwohlfahrt und setzt auch negative Anreize. Die Debatte um die richtige Regulation würde deshalb davon profitieren, wenn Gesetzgeber und Public Intellectuals endlich damit aufhören würden, jedes internationale Digitalunternehmen mit mehr als 50 Millionen Euro jährlichem Umsatz als Monopolist zu brandmarken. Einer konsumentenorientierten Wettbewerbspolitik erweist eine solche Rhetorik nämlich einen Bärendienst.


Pro market statt pro business: Für einen freien, digitalen Wettbewerb
Von Dilara Wiemann

Kürzlich rief mir eine Universitätsvorlesung wieder die grundlegende Definition von Märkten in Erinnerung: Der Markt als Zuteilungsmechanismus und als Institution des freiwilligen Austausches zwischen den teilnehmenden Parteien. Marktakteure begeben sich also nur dann in einen Austausch miteinander, wenn Sie einen persönlichen Vorteil erwarten. Dementsprechend gehen Ökonomen davon aus, dass freie Märkte die knappen Ressourcen so effizient zuteilen, dass sie die soziale Wohlfahrt maximieren.

Heute haben wir es vielfach mit digitalen Märkten zu tun, auf die so manch klassische Definition nicht mehr anwendbar ist. Dabei scheiden sich die (liberalen) Geister, ob Konzerne wie Alphabet (Google), Facebook und Co. Fluch oder Segen für die Konsumenten sind. Auch die Politik diskutiert derzeit heiß über stärkere Regulierung und schrecken vor dem Kampfbegriff der Zerschlagung nicht zurück. Als Resultat wird der Digital Markes Act der Europäischen Union, der ab 2023 in Kraft treten soll, die Big Tech stärker ins Visier nehmen.

Meinem Kollegen Alexander Albrecht sind derartige Regulierungsregime zuwider. An dieser Stelle möchte ich daher auf zwei Punkte seiner Argumentation eingehen: Alexander plädiert dafür, dass die Wettbewerbshüter „anstatt der Marktstruktur die Konsumentenwohlfahrt als Eingriffskriterium“ nutzen sollten. Allein die Existenz eines Monopols liefere zudem „noch keine hinreichende Begründung für regulatorische Eingriffe“.

Das klingt zuerst plausibel. Ein Blick in die Vergangenheit und Gegenwart des europäischen Wettbewerbs zeigt aber: Die Konsumentenwohlfahrt ist bereits vorherrschendes Eingriffskriterium des europäischen Wettbewerbsrechts. Diese Herangehensweise wird unter dem Konzept des „More Economic Approach“ (MEA) zusammenfasst. Die normative Basis des MEA rückt die Konsumentenwohlfahrt als maßgeblichen Standard in den Fokus jeder regulativen Entscheidung.

Dies unterbindet pauschale Entscheidungen und zwingt die europäischen Wettbewerbshüter stattdessen, Geschäftsmodelle genauestens unter die Lupe zu nehmen – immer unter dem Gesichtspunkt, ob eine bestimmte Geschäftspraxis negative Auswirkungen für die Konsumenten nach sich zieht. Dementsprechend wird die bloße Existenz eines Monopols auch gar nicht als alleinige Begründung für einen staatlichen Eingriff angeführt, um auf die Argumente meines Kollegen zurückzukommen. Denn im Verdachtsfall untersuchen die Wettbewerbshüter stattdessen genauestens die wettbewerblichen Auswirkungen eines Unternehmens. Entlang der normativen Leitlinien des Konsumentenwohlfahrt-Standards wird dabei abgewogen, ob die negativen Effekte für die Konsumenten die Wohlfahrtsgewinne übersteigen.

Anstelle regulatorischer Eingriffe plädiert Alexander dafür, dass der Erfindergeist der Unternehmer gefördert werden sollte. Diese Aussage unterschreibe ich gerne. Allerdings können die neuen digitalen Geschäftspraktiken potenziell Unternehmertum und Innovationskraft behindern. Die großen Digitalkonzerne wie Amazon oder Alphabet (Google) sind bekannt dafür, dass sie kleinere Anbieter im Rahmen sogenannter Killer Acquisitions aus dem Markt verdrängen oder gar nicht erst eintreten lassen. Aus diesem Grund beschreiben die europäischen Wettbewerbshüter diese großen Digitalkonzernen auch als Gatekeeper: An den Gatekeepern kommt kein Unternehmen vorbei, das in ein digitales Ökosystem eintreten oder dort bestehen will. Die Gatekeeper besetzen den Zugang zu den riesigen Datenmengen, also der entscheidenden Ressource, um im digitalen Wettbewerb zu bestehen. Mit diesen Verhaltensweisen unterdrücken sie Innovationen und die Entstehung von neuen Geschäftsmodellen.

Dass diese Marktmacht der Gatekeeper sich negativ auf für die Konsumenten auswirken kann, zeigt ein Beispiel aus dem Suchmaschinen-Markt: Auch wenn den Nutzern kein monetärer Preis für die Nutzung der Google Suchmaschine in Rechnung gestellt wird, bezahlen sie mit ihren Daten und ihrer Aufmerksamkeit. Da Google den Markt der Suchmaschinen beherrscht (in Europa hat Google einen Marktanteil von 98%), zapft Google mehr private Daten an als es das in einem Markt mit vielen Wettbewerbern könnte. Denn als monopolistisches Unternehmen kann es schließlich höhere Preise verlangen als im freien Wettbewerb. Das gilt analog auch für die klassischen Monopole, nur dass Google in diesem Fall den Preis in Form von persönlichen Daten setzt. Nicht zuletzt seit Skandalen wie Cambridge Analytica oder Passwort-Leaks sollte jedem klar sein, dass unsere Daten langsam, aber sicher zu den wertvollsten Gütern werden. Das gilt insbesondere dann, wenn verschiedene Daten aus unterschiedlichen Quellen zu individuellen Nutzerprofilen verknüpft werden können. Nutzer sind oft schlecht darüber informiert, was mit ihren Daten passiert – es droht der Verlust der Privatsphäre. Darüber hinaus kann Google durch seine Marktmacht auch die Preise für die Werbetreibenden selbst setzen. Langfristig zahlen damit die Händler also höhere Preise, die sie wiederum an ihre Endkunden weitergeben. Dies stellt einen weiteren Fall von missbräuchlichem Verhalten (überhöhte Preise) dar. Dieser geht zulasten der Konsumenten und ist nach europäischem Wettbewerbsrecht untersagt.

Die ökonomische Theorie zeigt außerdem auf, dass Marktmacht zur sinkenden Qualität eines Produktes führen kann. Bleiben wir beim Google-Suchmaschinen-Beispiel: Auch wenn die Google-Suche zumeist hochgelobt wird: Da Google den Suchmaschinen-Markt beherrscht, kann dies zulasten der Qualität der Suchergebnisse gehen. Es gibt viele Beispiele, die aufzeigen, dass Google nicht die objektiv „besten“, also relevantesten Suchergebnisse ausgibt, sondern nur solche, für die durch andere Unternehmen am meisten gezahlt wurde. Das ist unlauterer Wettbewerb und schlicht unfair gegenüber kleineren und potenziell innovativeren Unternehmen. Selbst wenn ein junger Innovator ein besseres Produkt entwickelt, hat er keine Chance: Denn nicht das beste Produkt erscheint oben in der Google-Suche, sondern das des finanzkräftigsten Wettbewerbers. Das beschneidet Innovationsanreize, was wiederum zulasten der Konsumenten geht.

Eine pauschale Antwort auf die Frage wie wir mit den neuen Herausforderungen des digitalen Wettbewerbs umgehen, habe auch ich nicht. Nicht alle europäischen Vorstöße rund um den Digital Markets Act halte ich für der Weisheit letzter Schluss. Aus meiner Sicht ist es jedoch wichtig, dass das Wohl des Konsumenten im Fokus bleibt – da stimme ich mit meinem Kollegen Alexander überein. Dann muss es aber heißen pro market anstatt pro business. Im Zweifel sollten wir nicht die Stellung einiger quasi-monopolistischer Konzerne verteidigen, sondern immer den freien Markt und so das Wohl der Konsumenten maximieren.

5 Kommentare
  1. Maximilian Erlneier
    Maximilian Erlneier sagte:

    „in der Plattformökonomie ……, kein Marktversagen. Denn gerade in ebensolchen Märkten ziehen hohe Gewinne die Aufmerksamkeit von Kartellbehörden und Mitbewerbern auf sich, weshalb Monopolgewinne nur selten tatsächlich realisiert werden.“
    MIT VERLAUB, das ist Blödsinn!! Market Cap von z.B. Facebook ist in 10 Jahren von ca. 50 Mrd. auf eine Billion gestiegen. Kann man kaum als n u r ordentliche Gewinnmarge erklären!!!

    Vielmehr zwingt der ‚unsichtbare‘ Wettbewerb auch Monopolisten auf bestreitbaren Märkten dazu, zu Preisen knapp über dem Wettbewerbspreis anzubieten und technisch effizient zu produzieren. Demnach ist die entscheidende Frage nicht, ob bestimmte Digitalkonzerne eine Monopolstellung haben, sondern ob die digitalen Märkte, auf denen sie operieren, auch bestreitbar sind. Nur wenn die Stellung von Monopolisten nicht bestreitbar ist, können Unternehmen auch Monopolpreise realisieren, was zu Einbußen der Konsumentenwohlfahrt“
    RICHTIG !!! DIE MARKTMACHT VON GOOGLE mit über 90% Marktanteil ist nicht mehr bestreitbar!!

    Mit Verlaub, da hat Herr Alexander Albrecht viel Stuß verzapft uns sollte sich mal in der „Freíburger Schule“
    umschauen. Monopole brauchen einen Wettbewerbsrahmen, sonst sind sie leider nur an ihrem Gewinn und nicht am Wohl der Konsumenten orientiert.
    ERFREULICH der Artikel von Dilara Wiedmann!!!

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    • Alexander Albrecht
      Alexander Albrecht sagte:

      Lieber Herr Erlneier,

      Warum sollte ein Marktanteil von Google von über 98% ein Kriterium für einen Eingriff sein? Es steht jedem Konsumenten frei, mit 2 Klicks sich andere Suchmaschiene ändern. Wenn Sie Bing, Yahoo oder DuckDuckGo für bessere Suchmaschienen halten, zwingt sie keiner bei Google zu bleiben. Ihr Argument, dass der Markt nicht bestreitbar ist, ist also nicht einschlägig.
      Das wirklich schlagkräftige Argument macht Dilara mit den Killer Acquisitions & Verbundvorteilen. Die empirischen Evidenz für erster sind dünn. Es gibt Sie wohl in Pharmamärkten mit höheren R&D Kosten. Bezweifle aber, dass diese auch in Digitalmärkten existieren.
      Verbundvorteile mag es geben, aber auch diese sind kein hinreichendes Kriterium für einen Eingriff. Warum sollten Verbundvorteile bei Google einen negative Anreiz für andere Anbieter darstellen, selber an ihren Produktschnittstellen zu feilen?

      Viele Grüße
      Alexander Albrecht

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  2. Claus Eisgruber
    Claus Eisgruber sagte:

    Im Economist vom 15.1. war zum Thema ein interessanter Artikel.

    Ist es tatsächlich hinreichend beim Wettbewerbsrecht nur auf die „Konsumentenwohlfahrt“ zu schauen? Schließlich bringen nicht nur „Monopole“ (=Ein Anbieter, viele Nachfrager) sondern auch „Monopsone“ (=Viele Anbieter, ein Nachfrager) Wettbewerb durcheinander. Man kann schon argumentieren, dass große Digitalkonzerne Monopsonmacht ausüben z.B. apple oder Google play bei Entwicklern von Applikationen. Auch auf dem Arbeitsmarkt für bestimmte Berufe üben diese Firmen Monopsonmacht aus.

    Es kostet nichts von einem Computer-Programm eine weitere Kopie zu machen und eine Vertriebs-Plattform wie Amazon oder Ebay wird immer attraktiver je mehr an ihr Teil nehmen. Schiere Größe ist daher bei IT-Firmen nichts Schlechtes, sondern unvermeidbar, wenn man aus der Technologie den größten Nutzen ziehen will. Google maps nutzt Echtzeit-Nutzerdaten, um die aktuelle Auslastung von Straßen zu ermitteln. So aktualisieren die abhängig von der Verkehrslage Routen-Empfehlung. Das funktioniert um so besser je mehr google maps nutzen, was eine Monopolisierung auf dem Markt für Navis verursacht. Kaum einer nutzt heute noch Navis von „tomtom“. Andererseits ist es doch eine wunderbare Sache, dass es heute so was wie google maps gibt. Vor 30 Jahren gab es ein sauteueres Bundesforschungsprogramm „Telematik“, die in ihren kühnsten Visionen sowas wie google maps zu entwickeln erhofften. Außer Spesen ist es damals aber nix gewesen. Die google Leute machen das gerade so als ein business von vielen. Die verdienen auch noch ein Haufen Geld damit.

    Monopsonmacht üben keineswegs nur amerikanische „Digitalkonzerne“ aus. Jeder „Wald und Wiesen Steuerberater“ weis genau, wenn Frau Müller nur bei ihm eine Teilzeitstelle annehmen kann. Würde sie für mehr Gehalt im Nachbardorf anheuern, dann wäre sie nachmittags nicht rechtzeitig wenn die Kita zu macht. Jeder Gewerbetreibende nutzt – oft durchaus charmant – sein Wissen über die Vorlieben und Zwänge seiner Beschäftigten, um deren Gehälter zu drücken. Das kann man so oder so sehen: Viele Firmen gibt es nur deshalb, weil deren Chef in dieser Hinsicht geschickt ist.

    Gerade kleine Gewerbetreibende häufen auch Konsumentendaten an und nutzen die raffinierter als das Amazon & Co. mit Ihrer geballten IT je schaffen werden. Bei uns im Dorf bin ich treuer Kunde einer Bäckerei, den eine Portugiesin betreibt. Wenn ich komme, liegt schon die Tüte mit den richtigen Brötchen bereit, weil sie genau weis was ihr Kunde will. Habe ich meinen Geldbeutel vergessen, kann ich beim nächsten mal bezahlen. Sie weis genau über meine Bonität Bescheid, obwohl sie vermutlich den Begriff „Bonität“ gar nicht kennt. Mein morgendliches „bom dia“ erwidert sie mit einem lächelnden „bom dia como vai“. Unsere portugiesische Bäckerin behält natürlich das Wissen über die Vorlieben ihrer Kunden für sich. Sie ist der „Gatekeeper“ ihrer Kundendatenbank. Ein neuer – vielleicht innovativerer – Bäckerladen hätte es bei uns im Dorf schwer.

    Ich möchte hier also schon ein Stück weit Standpunkte von Frau Wiemann relativieren. Nicht nur die großen Digitalkonzerne nutzen Marktmacht als „Gatekeeper“, Viel hinterhältiger sind die vielen kleinen Geschäfte in der Provinz. In der Summe machen die mehr Umsatz als Amazon & Co.

    Gruß
    Claus Eisgruber

    Antworten
  3. Ralf Becker
    Ralf Becker sagte:

    Wikipedia beschreibt den Markt wie folgt:
    Der Begriff Markt (von lateinisch mercatus ‚Handel‘, zu lateinisch merx ‚Ware‘) bezeichnet allgemeinsprachlich einen Ort, an dem Waren regelmäßig auf einem meist zentralen Platz gehandelt werden.

    Was die Marktmacht betrifft, muss man es verstehen, welcher Fehler im Geldsystem das Entstehen der Marktmacht überhaupt ermöglicht.
    Hier müsste man sich zunächst gedanklich mit Fragen beschäftigen wie z.B.:
    – was ist Geld?
    – wie entsteht Geld?
    – welche Unterschiede gibt es, wenn eine Einzelperson oder wenn der Staat Zahlungen abwickelt?
    – wo etwa „versteckt“ der Staat seine vielen Schulden?
    – Welche Auswirkungen haben immer weiter ansteigende Staatsschulden?
    usw.

    Der Fehler unseres Geldes ist der Umstand, dass die klassischen Geldfunktionen Wertspeicher und Tausch- oder Zahlungsmittel so nicht zutreffen.

    Beim heutigen Fiatgeld gibt es eben gerade keine Schnittstelle zwischen Real- und Finanzwirtschaft und daher kann Geld strenggenommen auch keine Geldwerte speichern.
    Wenn jemand spart, dann funktioniert dies nur, wenn es Dritte gibt, die letztlich bei einer Bank irgendwelche Kredite aufgenommen haben.
    Außerdem ist Geld in Wirklichkeit auch kein Tauschmittel, weil die Art der Geldentstehung als Schuld bei einer Bank dafür spricht, dass Geld ursprünglich für eine Art „Bezahlen mit Schuldscheinen“ gedacht gewesen ist.

    Die Bundesregierung versucht es grundsätzlich schon, dass sie auf eine Begrenzung der Marktmacht der Digitalkonzerne hinwirkt.

    Es gibt auch Diskussionen darüber, wie man das Internet verändern müsste, um das Problem mit der Marktmacht der Digitalkonzerne zu lösen.

    Beispiel:

    Berliner Zeitung, 8.10.2021
    Zur Marktmacht der Digitalkonzerne: Ein anderes Internet ist möglich

    Es müsste jedenfalls eine sehr viel breitere Diskussion darüber geben, wie wir die Wirtschaft anders denken könnten und was wir überhaupt mit der Wirtschaft erreichen wollen.

    Antworten
  4. Antonia
    Antonia sagte:

    Das stimmt so nicht ganz. Die marktbeherrschende Stellung ist im europäischen + deutschen Wettbewerbsrecht nicht verboten, sondern nur ihr Missbrauch (Art. 102 I AEUV, §19 I GWB). Ob ein Unternehmen als marktbeherrschend zu klassifizieren ist, stellt richtigerweise eine normative Frage dar, jedoch keine, die bereits über den Missbrauch entscheidet. Facebook besitzt eine solche marktbeherrschende Stellung. Das ergibt sich u.a. aus dem – auch ökonomisch anerkannten – Bedarfsmarktkonzept (Facebook, ≠ Insta ≠ Twitter etc.). Die sechsstündige Panne bei Meta letztes Jahr hat nur gezeigt, dass Multi-Homing besteht, jedoch noch nicht, dass Facebook tatsächlich durch ein vergleichbares Substitut ersetzt werden könnte. (s. FB-Fall, BGH Beschluss v. 23.6.2020, KVR 69/19)

    Des Weiteren ist der MEA im Rahmen digitaler Märkte nicht wirkungsvoll, weil es meist keine quantitativ gut erfassbaren negativen Wohlfahrtsbeeinträchtigungen für die Konsument:innen gibt. Daher ist eine Abkehr vom MEA und eine Rückkehr zur wettbewerbsprozessorientierten Sicht v.a. seitens der DG Comp seit Margrethe Vestager bemerkbar. Dies erlaubt u.a. auch auf die Bestreitbarkeit der Märkte zu schauen und das WettbR in der Digitalwirtschaft nicht leerlaufen zu lassen. Der Google Shopping- oder der Facebook-Fall s.o. zeigen prominent die Wirkungsweise dieser Ansicht.

    Der DMA reagiert auf diese Rechtsprechung und verbietet u.a. wettbewerbsverzerrendes/ausbeutendes Verhalten. Das entlastet u.u. auch mitgliedstaatliche Gerichte. Damit etabliert die Kommission m.M.n. wirkungsvoll Spielregeln für die neue Datenwirtschaft – ohne große Digitalkonzerne zu verteufeln oder zu „zerschlagen“. Sie wird vielmehr ihrer Aufgabe als Wettbewerbshüterin gerecht: schützt Verbraucherrechte und gleichzeitig den unverfälschten Wettbewerb.

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