Photo: Ms Salo from Flickr (CC BY 2.0)
Nach Brexit und Trump ging in den letzten Monaten häufiger ein erleichterter Seufzer durch Europa: Österreich, die Niederlande, Frankreich und auch Großbritannien vor einem Monat schienen zu zeigen: der Trend ist aufgehalten. Eine neue Studie deutet an: so sicher ist das noch nicht.
Nachhaltiger und beständiger Erfolg für die Populisten
Die Studie, die von unseren schwedischen Partnern, der Denkfabrik Timbro, verantwortet und von dem europaweiten Netzwerk Epicenter vorgestellt wurde, kommt zu dem Schluss, dass populistisch-autoritäre Parteien über die letzten knapp vierzig Jahre in Europa einen konstanten Zuwachs erfahren. Sechs Kriterien machen sie aus, die diese Politiker, Parteien und Bewegungen ausmachen – unabhängig davon, ob sie sich auf der rechten oder linken Seite des Spektrums einordnen: Selbstdarstellung als Kämpfer gegen eine korrupte und verfilzte Elite. Unzufriedenheit mit den bisweilen langwierigen Prozessen und unbefriedigenden Ergebnissen eines Rechtsstaats. Die Forderung nach mehr direkter Beteiligung des Volkes. Der Ruf nach dem starken Staat – als Polizei- und Militärstaat auf der rechten Seite; in der Forderung nach Verstaatlichung auf der linken. Starke Vorbehalte gegenüber EU, Zuwanderung, Globalisierung, Freihandel und der NATO. Und eine revolutionäre Terminologie, die grundlegende Veränderungen fordert.
Der anhaltende Zuwachs an Wählerstimmen hat sich in den letzten anderthalb Jahrzehnten exponentiell gesteigert. So ist innerhalb der EU der Stimmenanteil der sich selbst als Anti-Establishment bezeichnenden Parteien seit der Krise 2007/08 von etwa 10 % auf fast 20 % gestiegen. Und in der Tat: in Österreich hat fast die Hälfte der Wähler für den FPÖ-Kandidaten gestimmt; in den Niederlanden haben Geert Wilders Partei und einige ähnliche Kleinparteien noch einmal zugelegt. In Frankreich haben Le Pen und Melenchon im ersten Wahlgang der Präsidentenwahl über 40 % der Stimmen geholt, bei der Parlamentswahl hatten sie gemeinsam im ersten Wahlgang mehr Stimmen als die Bewegung von Macron. Und in Großbritannien hat die Labourpartei unter dem Linkspopulisten Jeremy Corbyn bei der Wahl 3,5 Millionen Stimmen hinzugewinnen können.
Die gemäßigten Pragmatiker verlieren an Boden
Die stärksten Verlierer dieses Trends sind die beiden großen politischen Bewegungen der Nachkriegs- bzw. Nachwendezeit: Konservative und Christdemokraten haben in den letzten zwanzig Jahren europaweit 4,7 Prozent der Wähler eingebüßt, Sozialdemokraten 4,1 Prozent, während die liberalen Kräfte erstaunlicherweise ziemlich gleichgeblieben sind. Autoritäre Populisten haben sich allerdings von 7,9 auf 15,4 Prozent hochgearbeitet und nehmen derzeit rund 17,5 Prozent der Sitze in allen europäischen Parlamenten ein. In neun Staaten sind sie an Regierungen beteiligt. International sind sie immer besser vernetzt, wobei vor allem die russische Regierung eine Schlüsselstellung bei der Förderung einnimmt – rechts wie links.
In den meisten europäischen Ländern ist die Front gegenüber diesen aufkommenden Strömungen noch relativ klar: Von Podemos in Spanien und Cinque Stelle in Italien bis zum Front National und Geert Wilders. Allerdings gibt es eben auch Fälle wie die Labour Party, die von linken Populisten gekapert wurde, oder die SPÖ, die sich vorsichtig der FPÖ öffnet. Ob Einbinden oder Ausschließen die richtige Methode ist – keiner weiß es so recht. Die große Gefahr beim Ausschließen wird oft zusammengefasst unter dem Begriff „österreichische Verhältnisse“. Wenn die einzige Option große und immer größere Koalitionen sind, schrumpft in der Regel die Mitte immer mehr zusammen. Am Ende müssen etwa wie in Sachsen-Anhalt CDU, SPD und Grüne eine Koalition bilden, um linke und rechte Populisten von der Macht fernzuhalten. Der fehlende politische Wettbewerb zwischen den zwei bis vier Hauptströmungen der Mitte führt zu einem dauernden Zuwachs für die Parteien am Rand.
Sie saugen Hoffnung aus den Menschen wie Vampire
Schon vor neun Jahren hat Obama und zuletzt Macron versucht, sich den Bedrohungen der Mitte entgegenzustellen, indem sie einer Atmosphäre der Verzweiflung, Angst und Wut eine Botschaft der Hoffnung gegenüberstellten. In den USA kann man jetzt die Bilanz ziehen, dass Obamas Versprechen von „Hope“ und „Change“ wesentlich den Boden bereitet hat dafür, dass acht Jahre später ein irrlichternder Populist mit offensichtlich unhaltbaren Heilsversprechen ihm im Amt nachfolgen konnte. Es bleibt sehr zu hoffen, dass es Macron nicht ähnlich gehen wird. Ein grundlegendes Problem an dieser Strategie ist, dass man ein klassisches Mittel der Populisten verwendet, um sie zu schlagen – ihnen dabei aber in der Regel eher den Boden bereitet. Die Botschaft „Wir lösen die Probleme für Dich“ kann dann doch von populistischen Politikern glaubhafter vermittelt werden als von Pragmatikern und Zentristen.
Die größte Schwachstelle der Populisten – das haben Politiker wie Obama und Macron durchaus richtig erkannt – ist, dass sie davon leben, dass sie den Menschen wie Vampire die Hoffnung aussaugen: Wilders, der die Islam-Apokalypse an die Wand malt; Trump, der vom „amerikanischen Gemetzel“ spricht; Corbyn, Iglesias und Melenchon, die Horrorszenarien von Ausbeutung und Verarmung zeichnen. Ihr politisches Geschäftsmodell funktioniert am besten, wenn die Menschen hoffnungslos werden. Darum ist wohl wirklich die einzige (mühsame und langwierige) Antwort auf Populisten, den Menschen wieder reale Hoffnung zu geben statt ihre Hoffnung zu zerstören, um sich selbst als Heilsbringer zu inszenieren. Dass der Populismus in unserem Land (noch) nicht so stark ist, kann auch daran liegen, dass vor 14 Jahren ein deutscher Bundeskanzler gegen starken und populistischen Widerstand in den eigenen Reihen eine reale Veränderung in Gang gesetzt hat. Wo die Politik solchen Mut nicht aufbringt, schlägt bald die Stunde der Populisten-Vampire. Gegen die hilft kein Knoblauch, sondern nur die klare Botschaft der Selbstverantwortung: „Du schaffst das!“
Dein Kommentar
An Diskussion beteiligen?Hinterlasse uns Deinen Kommentar!