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Eine bessere Welt ist möglich – das zeigt die Geschichte der Menschheit. Selbst in dunklen Zeiten. Ein wesentliches Element dafür, dass die Welt besser geworden ist, war die Bereitschaft von Menschen, ein Wagnis einzugehen. Auch ein Wagnis der Vorstellungskraft.

Grenzübertretungen für eine bessere Welt

Werner von Siemens, Melitta Bentz, Konrad Zuse – die Originalität und Kreativität dieser Menschen war überwältigend. Sie haben das Leben von Menschen verändert, haben am Aufbau einer besseren Welt mitgewirkt. Entscheidend für diesen Erfolg war, dass sie das Unerhörte mit Begeisterung in Angriff nahmen. Sie setzten sich hinweg über das, was jeder tat und dachte. Auf der Außenseite waren sie kreuzbrave, biedere Menschen, aber in ihnen pochte das Herz des Rebellen. Der Status Quo machte sie unruhig. Dadurch wurden sie zur Avantgarde ihrer Zeit.

Genau solche Eigenschaften finden sich aber nicht nur bei Tüftlern und Unternehmerinnen. Auch die großen gesellschaftlichen und politischen Veränderungen sind erst so zustande gekommen, dass es Menschen gab, die sich hinweggesetzt haben über das Sagbare und oft auch über das scheinbar Denkbare. Beispielsweise Sebastian Franck (1499-1542), ein Theologe der Reformation, der bei Katholiken wie Protestanten gleichermaßen aneckte, weil er an ihren Grundfesten rüttelte. In einer Zeit als jede Religion in Europa mit einem Wahrheitsanspruch auftrat, der sich auch in Autoritätsansprüche übersetzte, warf er als einer der ersten die Frage auf, wie Glaube und Macht überhaupt miteinander bestehen können. Als sich sogar protestantische Richtungen untereinander aus religiösen Gründen bis aufs Blut verfolgten, äußerte Franck den Gedanken, dass womöglich auch „Türken und Heiden“, die noch niemals von Jesus Christus gehört hatten, durch ihre richtige Lebensführung mit Christen vor Gott gleichzustellen seien. Das sind Ansichten, die uns heute recht unkontrovers erscheinen und doch noch vor wenigen Jahrzehnten in unseren Breitengraden noch heftig diskutiert wurden.

Im Klein-Klein des Status Quo

Sehr viel früher noch als Franck finden wir die athenischen Staatstheoretiker, die unweit des absolutistischen Großreiches Persien ein System zur Selbstorganisation gesellschaftlicher Prozesse entwickelten, das auf Kooperation und Ausgleich basierte anstatt auf Kommando und Autorität. Nichts von den rechtsstaatlichen und demokratischen Institutionen, die Solon, Kleisthenes und Perikles für ihre Stadt erarbeiteten, war nur wenige Jahrzehnte vorher oder wenige dutzend Kilometer weiter weg überhaupt vorstellbar. Vieles, was uns heute im Zusammenleben so normal vorkommt, dass wir es überhaupt nicht mehr bewusst wahrnehmen, war lange Zeit nicht einmal im Bereich des Denkmöglichen – zumindest für die allermeisten Menschen.

Wir Menschen sind überwiegend gefangen im Status Quo. Wir können uns keine andere Welt vorstellen, so wie Menschen vor zweihundert Jahren nicht die Kapazitäten hatten, vor ihrem inneren Auge ein seit 77 Jahren vom Krieg verschontes Europa erstehen zu lassen, in dem alle Menschen gleichzeitig über einen Gegenstand, der kleiner ist als ein Gebetbuch, erfahren können, dass die vom Volk gewählte serbische Regierungschefin mit ihrer Ehefrau fliegend in der irischen Hauptstadt angekommen ist. Und weil wir uns nur den Status Quo vorstellen können, sind wir meist damit beschäftigt, auch nur am Status Quo herumzufrickeln. Dazu kommt noch die Angewohnheit, den Status Quo als eine Art Endziel menschlicher Entwicklung zu behandeln. Es ist eine sonderbare Mischung aus konservativer Veränderungsaversion und ahistorischem Überlegenheitsgefühl.

Man wird in kommenden Zeiten den Kopf über uns schütteln

Doch wenn wir einmal von unserer eigenen konkreten Situation herausgehen und aus der Vogelperspektive auf die Geschichte blicken, dann werden wir rasch merken, dass der Stauts Quo früherer Zeiten aus heutiger Sicht zum Teil zutiefst erschütternd war: von der Sklaverei zur Kindstötung, von der Unmöglichkeit weiter Bevölkerungsgruppen Eigentum zu besitzen zur totalen Rechtlosigkeit der Frau. All das war mal ein Status Quo. All das wurde von Menschen als bestmöglicher Zustand gesehen, an dem höchstens ein klein bisschen optimiert werden müsse. All diese Zustände sind überwunden worden, weil Menschen bereit waren, gegen den Status Quo anzudenken und an zu experimentieren. Oder in den Worten Friedrich August von Hayeks: „Wir müssen zugeben, dass die moderne Zivilisation weitgehend dadurch möglich wurde, dass man den darüber empörten Moralisten kein Gehör schenkte.“

Die Ausweitung der freien Gesellschaft erfordert unsere Originalität und Kreativität. Sicher, der Status Quo hat schon viel zu bieten. Und zwar vor allem, weil das Vorhergehende überwunden wurde. Weil vor uns Menschen unzufrieden wurden und sich getraut haben, zu hinterfragen und neue Ideen zu entwickeln. Unerhörte. Verpönte. Gefährliche. Vor uns liegen heute noch unvorstellbare Freiheitsräume, fantastische Möglichkeiten der Entfaltung! Man wird eines Tages auf unsere Zeit zurückblicken und den Kopf schütteln, vor allem über diejenigen, die sich zufriedengegeben haben. Der Mensch ist noch zu viel mehr fähig als wir heute sehen und uns vorstellen können. Damit das aber möglich wird, müssen wir unsere Fantasie in Gang bringen. Eines Tages wird vieles nicht mehr nötig sein, was wir heute noch an freiheitsbeschränkenden Maßnahmen und Instrumenten haben. Der Weg von den Pharaonen und mesopotamischen Priesterkönigen zu unseren freien Gesellschaften kann uns zuversichtlich stimmen, dass unsere Träume einer besseren und freieren Welt nicht am Status Quo zerschellen müssen, denn wir sind nicht am Ende der Geschichte, sondern mittendrin – und jeder kann dazu beitragen, dass deren Weg zu mehr Frieden und Freiheit führt.

1 Antwort
  1. Dr.med. Olaf Ganschow
    Dr.med. Olaf Ganschow sagte:

    Wie wahr, wie wahr.
    „Fantasie ist wichtiger als Wissen, denn Wissen ist begrenz.“ Albert Einstein
    Aber trotzdem wollen die errungenen Freiheiten und Erkenntnisse verteidigt werden. Sie sind kein Selbstläufer – siehe Krieg in der Ukraine.

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