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Wenn wir nach Antworten auf ethische Probleme suchen, sind bisweilen nicht diejenigen die richtigen, die sich am besten anfühlen. Im Mittelpunkt der Lösungsversuche darf nicht unser Wohlbefinden stehen, sondern eine tatsächliche Verbesserung der Lage von Menschen in Not.

Der Unternehmer, das Monstrum

Die Näherin in Bangladesch und der Bauarbeiter in Katar müssen unter entsetzlichen Bedingungen schuften. Keiner kann das wollen. Vor unserem inneren Auge erscheinen die Bilder von dem Fabrikeinsturz in Sabhar, bei dem 1.135 Menschen getötet wurden, und von zusammengepferchten Gastarbeitern in Behelfscontainern im Wüstensand. Es ist der blanke Horror. Der Fall in Sabhar muss mit aller Härte des Rechtsstaats verfolgt werden. Und wo die Gefahr systemisch ist, wie etwa in den arabischen Ländern, muss Druck ausgeübt werden hin zu einer systemischen Veränderung. Aber nicht in allen Fällen haben wir es mit Straftaten oder politisch gewollten Unterdrückungs- und Ausbeutungssystemen zu tun.

Ein banalisierter Vulgär-Marxismus hat dazu beigetragen, dass sich in vielen Köpfen eine Einteilung der Welt in zwei Gruppen durchgesetzt hat: gute Arbeiter und böse Unternehmer. Das mischt sich dann gerne noch mit einer Portion kulturellen Überlegenheitsgefühls, das davon ausgeht, dass unsere westlichen Werte und unsere Moral an der Spitze des Fortschritts stehen. Und schon wird der Unternehmer aus Vietnam, Sambia oder Guatemala von unserem Unterbewusstsein zu einem Monstrum stilisiert. So unbestreitbar es ist, dass solche Monstren existieren – so unfair ist es, pauschal jeden Unternehmer zu einem solchen zu stilisieren.

Arbeitsschutz hilft nicht jedem

Auch Unternehmer können nicht im luftleeren Raum arbeiten und müssen mit den Umständen und Ressourcen wirtschaften, die ihnen gerade zur Verfügung stehen. Sie haben beschränkte finanzielle Mittel und stehen in Konkurrenz zu anderen. Wenn sie die Arbeitszeit beschränken, werden die T-Shirts teurer und die Abnehmer wechseln zum Konkurrenten. Das gleiche gilt, wenn sie die Fabrik so ausbauen, dass jeder Arbeiter ein Mindestmaß an Platz hat. Den Nutzen zieht der Nachbar-Fabrikant, der seine Ware nach China exportiert, wo Arbeitsschutz so wichtig ist wie der Sack Reis, der dort umfällt. Aus Sicht der westlichen Länder mit ihren enorm hohen Arbeits-, Sozial-, Umwelt- und Gesundheitsstandards wirken die Zustände in vielen nicht-westlichen Ländern verstörend. Doch die Ursache ist oft nicht die Boshaftigkeit der Unternehmer, sondern die faktischen Umstände. Und der Preis, sich diesen zu widersetzen, kann oft eine Unternehmenspleite sein. Die ist dann nicht nur für den Unternehmer ein Problem, sondern auch für all seine Angestellten und deren Familien.

Wenn zweifellos wohlmeinende Aktivisten aus westlichen Ländern versuchen, die Arbeitsstandards zu exportieren, die hierzulande inzwischen gelten, unterliegen sie einem gefährlichen Irrtum. Wir in Deutschland etwa haben viele Jahrzehnte, wenn nicht Jahrhunderte, gebraucht, um diese Standards zu entwickeln und zu etablieren. Dafür brauchte man die Herausbildung von Unternehmenskulturen und einen breiten öffentlichen Diskurs. Vor allem aber braucht man dafür Wohlstand. Je höher der Wohlstand eines Landes, umso leichter wird es für Arbeiterinnen und Arbeiter, sich zu behaupten. Und je höher das Lohnniveau desto besser auch die Arbeitsbedingungen. Höhere Löhne und bessere Bedingungen sind teuer und mithin auf Wohlstand angewiesen.

Gute Ergebnisse statt guter Gefühle

Als George W. Bush im Jahr 2003 den Angriff auf den Irak befahl, stand dahinter auch die Vorstellung, dem Land endlich die Segnungen der freiheitlichen Demokratie bringen zu können, und so Frieden und Fortschritt in der Region zu verbreiten. Einer ähnlichen, wenn auch unblutigeren, Fehleinschätzung unterliegen diejenigen, die heute versuchen, in Indien und Madagaskar das Recht auf bezahlten Urlaub und maximale Arbeitszeiten zu etablieren. Das sind Errungenschaften, die eben errungen werden wollen – und nicht herbeigezaubert werden können. Und selbst wenn sie in irgendeinem Gesetz stehen, ändert das oft gar nichts für die Menschen vor Ort. Das ist keine angenehme Erkenntnis. Und man könnte leicht in den Verdacht des Zynismus geraten. In diesen Verdacht könnten freilich auch jene kommen, die womöglich in Kauf nehmen, dass eine Umsetzung westlicher Arbeitsstandards dazu führt, dass Fabriken schließen müssen, und Menschen ohne Arbeit und Auskommen dastehen.

Wenn man wirklich helfen möchte, muss man vor allem dafür sorgen, dass das Wirtschaftswachstum anhält. Denn Wohlstand ist die Voraussetzung für Unabhängigkeit. Wohlstand ermöglicht es, das eigene Gehalt in Bildung zu investieren anstatt nur in das nackte Überleben. Wohlstand erweitert das Set an Chancen. Wer wirklich helfen möchte, muss sich dafür einsetzen, dass alle ökonomischen Voraussetzungen in diesen Ländern besser werden: durch Bekämpfung von Korruption wie durch Öffnung von Märkten, durch eine kluge Migrationspolitik wie durch den Abbau von Bürokratie, durch Investorenschutz wie durch Eigentumsrechte. Seit etwa einem Jahrzehnt mühen sich immer mehr Menschen um solche Lösungen, die wirklich helfen, unter dem Schlagwort des „effektiven Altruismus“.

Es fühlt sich gut an, für die Arbeitsstandards weltweit zu kämpfen. Aber von unserem Wohlgefühl hat kein einzelner Arbeiter in ärmeren Regionen auch nur irgendetwas. Es hilft ihr und ihm nichts, wenn wir uns als Helden fühlen, die auf der richtigen Seite stehen. Stattdessen müssen wir uns einsetzen für kluge und evidenzbasierte Maßnahmen. Weniger Seelenbalsam für uns, mehr effektive Lösungen für diejenigen, denen es nicht so gut geht wie uns. Der Verzicht auf dieses gute Gefühl ist möglicherweise ein viel bedeutungsvolleres Opfer als viele Stunden Freiwilligenarbeit.

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