Photo: Nicolas Hoizey from Unsplash (CC 0)

Es gab früher Zeiten, da hat sich in diesem Land noch etwas bewegt. Die Jüngeren werden sich nicht mehr daran erinnert, weil es schon so lange her ist. Aber bei den Menschen, die in den 1980er Jahren und früher politisch sozialisiert wurden, ist es vielleicht noch im Langzeitgedächtnis abgespeichert.

Es war die Zeit der Agenda 2010. Heute blicken viele Sozialdemokraten mit Gram auf diese Zeit, Anfang der 2000er Jahre. Trug die damalige Wirtschaftspolitik der Regierung Schröder doch entscheidend dazu bei, dass die Sozialdemokratie sich anschließend gespalten hat, und der damalige SPD-Vorsitzende Oskar Lafontaine zur Linkspartei wechselte. Die verbliebenen Sozialdemokraten machen diese Regierungszeit bis heute für den Beginn ihres Niedergangs verantwortlich. Daher verteidigen nur noch wenige die damalige Wirtschaftspolitik. Im Gegenteil versucht die SPD seitdem, die Reformen von damals möglichst rückgängig zu machen, und hofft so, ihre verunsicherten Wähler wieder zurückzugewinnen. Doch strategisch machen die Sozis damit einen schweren Fehler. Sie haben nicht nur die unter Gerhard Schröder neu gewonnenen Wähler enttäuscht, sondern sie können die verloren gegangenen nicht wieder zurückgewinnen. Am linken Rand gibt es mit den Grünen und insbesondere der Linkspartei politische Alternativen, deren Glaube an den allumfassenden Sozialstaat von der SPD nicht überboten werden kann – insbesondere nicht in der Regierung.

Dabei war diese Zeit sehr erfolgreich, und von den in diesen Jahren geschaffenen Rahmenbedingungen, profitiert Deutschland noch heute. Die Flexibilität des Arbeitsmarktes durch die Zeitarbeit, die Abschaffung des Arbeitslosengeldes II und die Entrümpelung der Handwerksordnung, ermöglichte frischen Wind am Arbeitsmarkt und für Existenzgründer. Das Beschäftigungswunder, das Deutschland heute erlebt, hat seine Basis in der Agenda 2010. Wahrscheinlich ist das mangelnde Bekenntnis der Sozialdemokraten zu dieser Wirtschaftspolitik ihr heutiges Problem. Die SPD war immer dann stark, wenn es ihr gelungen ist, auch die Mitte der Gesellschaft zu erreichen. Also diejenigen, die den Sozialstaat mitfinanzieren.

Gerhard Schröder war die Inkarnation eines Aufsteigers sozialdemokratischer Prägung. In ärmlichen Verhältnissen im lippischen Kalletal aufgewachsen, hat er sich über den zweiten Bildungsweg erst zum Rechtsanwalt und später zum Bundeskanzler hochgeboxt. Die Geschichte, dass er als junger Sozialdemokrat vor dem Gitter des Kanzleramtes stand, daran rüttelte und sagte: „Da will ich rein“, war bezeichnend für seinen Ehrgeiz. Müsste man eine sozialdemokratische Biographie erfinden, wäre Gerhard Schröders Werdegang idealtypisch. Und auch sein Wirtschaftsminister Wolfgang Clement entsprach diesem Typus des Sozialdemokraten, der weit in bürgerlich liberale Milieus hinein vermittelbar war.

Heute hat die Sozialdemokratie keine Gerhard Schröders und Wolfgang Clements mehr. Das ist ihr Problem und womöglich ihr Untergang. Die SPD wäre allerdings nicht die erste sozialdemokratische Partei in Europa, die sich aus diesem Grund marginalisiert.

Jetzt haben Koalitionspolitiker aus Union und SPD vorgeschlagen, die Reformen aus der Agenda-Zeit beim Meisterzwang in der Handwerksordnung wieder rückgängig zu machen. Clement hatte damals die Meisterpflicht von 94 auf 41 Gewerke gesenkt und auf „gefahrgeneigte“ Tätigkeiten beschränkt. Schon das war damals ein Kompromiss, den die Monopolkommission der Bundesregierung seit vielen Jahren kritisiert. Wolle man als Gesetzgeber die Qualität einer Dienstleistung von staatlicher Seite sichern, dann genüge es nicht, einmal den Befähigungsnachweis zu erbringen, sondern man müsse dann schon regelmäßig Aus- und Weiterbildungsmaßnahmen verpflichtend einführen. Und auch die Privilegierung des Marktzugangs mit der Ausbildungsleistung zu begründen, sei ein politisch-korporatistischer Ansatz. Selbständige Handwerksbetriebe vor einem intensiven Wettbewerb zu schützen, sei dadurch nicht gerechtfertigt. Insbesondere über die Handwerkskammer und ihre Mitwirkungsmöglichkeiten dort erhielten die Handwerker selbst die Kontrolle über den Marktzutritt, und damit die Intensität des Wettbewerbs in ihrem Sektor. Nach Auffassung der Monopolkommission sind solche Übereinkünfte zu Lasten Dritter abzulehnen.

Es ist daher nicht verwunderlich, dass der Zentralverband des Handwerks den Vorstoß begrüßt und dies sogar als wichtigen Beitrag für den Verbraucherschutz bezeichnet. Immer dann, wenn betroffene Anbieter oder Berufsverbände von Verbraucherschutz reden, ist Vorsicht an der Bahnsteigkante geboten. Meist ist das Argument vorgeschoben, um unter sich bleiben zu können. Wer auch morgen noch einen Fliesenleger und andere Handwerker zu akzeptablen Preisen beauftragen will, sollte sich für die Abschaffung des Meisterzwangs auch bei anderen Gewerken einsetzen. Ein Wolfgang Clement würde das tun. Ein Peter Altmaier wohl nicht. Das macht den Unterschied aus zwischen Reden und Handeln, gestern und heute.

Erstmals erschienen bei Tichys Einblick.

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