Bild: Will Folsom von Flickr (CC BY 2.0)

Von Prof. Roland Vaubel, emeritierter Professor für Volkswirtschaftslehre und Politische Ökonomie an der Universität Mannheim

Es ist leicht, sich Bedingungen vorzustellen, unter denen eine europäische Einlagensicherung effizient wäre. Aber selbst Versicherungstheoretiker sollten erkennen, dass wir diese Bedingungen in der Eurozone nicht bekommen werden. Die Verhandlungsstrategie der Bundesregierung ist daher brandgefährlich.

 Die Staats- und Regierungschefs der Eurozone haben im Juni beschlossen: “Vor Ende des Jahres … sollte mit der Ausarbeitung eines Fahrplans für die Aufnahme politischer Verhandlungen über das Europäische Einlagensicherungssystem begonnen werden.” Vorausgegangen war eine Erklärung, in der 154 Wirtschaftsprofessoren vor der gemeinsamen Einlagensicherung (EDIS) warnten: “ Wenn die Einlagensicherung wie geplant vergemeinschaftet wird, werden auch die Kosten der Fehler sozialisiert, die Banken und Regierungen in der Vergangenheit begangen haben” (FAZ, 22.05.18). Die Professoren raten davon ab, auf diese Weise “Anreize für wirtschaftliches Fehlverhalten zu schaffen”.

Tatsächlich sind “die Kosten der Fehler” von Bank zu Bank und von Land zu Land sehr verschieden. Besonders deutlich werden die Unterschiede, wenn man den Anteil der notleidenden an den gesamten Krediten betrachtet. Beschränken wir uns auf die Euro-Länder, denn EDIS ist ein Projekt für die Eurozone. Am höchsten ist der Anteil der notleidenden Kredite in Griechenland (46,9 %), Zypern (33,4 %), Portugal (15,5 %) und Italien (12,2 %), am niedrigsten in Luxemburg (0,7 %), Finnland (1,4 %), Estland (2,0 %), den Niederlanden und Deutschland (beide 2,3 %). (Fußnote?:) Diese Zahlen beziehen sich auf das zweite Quartal 2017 und entstammen einem Dokument der Europäischen Kommission (KOM(2018)37), welches als Quelle die Europäische Zentralbank (EZB) nennt. Die EZB berichtet aber auf ihrer Website nur noch EU-Durchschnitte. Sie weisen einen leicht sinkenden Trend auf. An den Unterschieden zwischen den Ländern dürfte sich nicht viel geändert haben.

Risikogerechte Beiträge?

Um effizient zu sein müsste EDIS von den einzelnen Banken risikogerechte Versicherungsbeiträge erheben. Wie würden die Beiträge berechnet? Die EZB nimmt an, dass die EDIS-Beiträge nach der Methode kalkuliert würden, die die Europäische Bankenaufsichtsbehörde (EBA) den nationalen Einlagensicherungssystemen vorschreibt (ECB Occasional Paper 208, April 2018). Es gibt aber noch eine andere Methode – die des Single Resolution Fund (SRF), der für die Restrukturierung und Abwicklung maroder Banken zuständig ist. Die EZB-Studie zeigt, dass die EBA-Methode den Risikounterschieden stärker Rechnung trägt als die SRF-Methode, und sie unterstellt wie selbstverständlich, dass EDIS die EBA-Methode anwenden würde. Damit ist aber nicht zu rechnen, denn EDIS wäre wie der SRF eine Institution der Eurozone, während EBA für die gesamte EU zuständig ist. In der Eurozone sind die Mehrheitsverhältnisse anders als in der gesamten EU. Deshalb ist davon auszugehen, dass man für EDIS die SRF-Methode wählen würde.

Der Beitrag einer Bank zum SRF hängt von zwei Faktoren ab: dem Umfang der zu versichernden Einlagen und einem Risiko(anpassungs)multiplikator, der von einem Dutzend Risikoindikatoren abhängt. Dabei geht es um Kapitalquoten, Liquiditätsquoten, Verschuldungsquoten, Handelsbestände, außerbilanzielle Positionen, Derivate usw. Einen Risikoindikator “Anteil der notleidenden Kredite” oder etwas Vergleichbares gibt es nicht. Das ist erstaunlich, denn die Studie der EZB belegt, dass die Wahrscheinlichkeit, in Schwierigkeiten zu geraten, unter anderem signifikant vom Anteil der notleidenden Kredite in den Büchern der betreffenden Bank abhängt. Nur dann, wenn die Bank den Wert des Kredits berichtigt und entsprechende Rückstellungen bildet, wirkt sich der notleidende Kredit auf die Kapitalquoten und damit indirekt auf den Risikomultiplikator aus. Damit verschwindet der Kredit jedoch auch aus der Bilanz und aus der Statistik der notleidenden Kredite.

Bei der Berechnung des Risikomultiplikators fehlt ein weiterer wichtiger Risikoindikator: der Anteil der Anleihen überschuldeter Staaten – insbesondere des eigenen Staates – am Portefeuille der Bank. Anleihen der EU-Staaten gelten als risikolos, sind es aber nicht – wie der griechische Schuldenschnitt zeigt.

Problematisch ist nicht nur die Auswahl der Risikoindikatoren, sondern auch ihre Verwertung in der Kalkulation des Risikomultiplikators.

Zum einen werden nicht die tatsächlichen Werte der einzelnen Indikatoren verwendet und ggf. normalisiert, sondern Rangziffern gebildet. Für jeden Indikator werden die Banken in eine Rangfolge gebracht. Dann wird für jede Bank über alle Indikatoren ein gewichteter Durchschnitt ihrer Rangziffern berechnet. Dieses Verfahren begünstigt Banken in Ländern, die – wie Griechenland, Zypern, Portugal und Italien – sehr stark vom Mittelwert der Eurozone abweichen, und benachteiligt Banken in Ländern, die – wie Luxemburg, Finnland, Estland, die Niederlande und Deutschland – dem Mittelwert viel näher sind.

Zum anderen wird die Spannweite des gewichteten Risikomultiplikators künstlich beschränkt. Der größtmögliche Wert wird mit 1,5 festgesetzt, der geringstmögliche mit 0,8. Das bedeutet, dass der Risikomultiplikator für die Banken der höchsten Risikoklasse noch nicht einmal doppelt so hoch sein darf wie für die niedrigste Risikoklasse. In der Einlagenversicherung der USA (FDIC) kann die höchste Risikokomponente das 18-fache der niedrigsten sein. Der Anteil der notleidenden Kredite war – wie unsere Zahlen zeigen –  in Griechenland 67-mal höher als in Luxemburg. Vergleicht man nicht Länderdurchschnitte, sondern die einzelnen Banken in der Eurozone, so ist die Spanne zwischen dem höchsten und dem niedrigsten Anteil offensichtlich noch viel größer.

Fazit: Die Auswahl und die mangelnde Verwertung der Risikoindikatoren haben zur Folge, dass die soliden Banken die unsoliden subventionieren. Das schwächt den Anreiz, übermäßige Risiken zu vermeiden und gefährdet die Finanzmarktstabilität.

Nicht nur Abbau der Altlasten

Die Deutschen wollen nicht für die notleidenden Kredite in anderen Ländern aufkommen. Deshalb fordert die Bundesregierung, dass die europäische Einlagensicherung erst dann eingeführt werden soll, wenn die “Altlasten” bereinigt sind. Das Kriterium wäre also, dass sich die von der EZB berichteten Anteile der notleidenden Kredite innerhalb der Eurozone auf niedrigem Niveau angeglichen haben müssen. Paris und Brüssel sind auf die deutsche Forderung eingegangen und wollen dieses Kriterium nun in einem “Fahrplan” festschreiben. Davon ist abzuraten, denn die Statistik der notleidenden Kredite ist manipulationsanfällig. Dafür gibt es zwei Gründe.

  1. Ob ein Kredit notleidend ist oder nicht, ist eine Ermessensentscheidung. Das gilt für die einzelne Bank, aber auch für die Aufsichtsbehörde. Gemäß den Bestimmungen ist ein Kredit als notleidend einzustufen, wenn der Kreditnehmer mit seinen Zahlungsverpflichtungen mehr als 90 Tage im Rückstand ist oder wenn es unwahrscheinlich ist, dass er seinen Zahlungsverpflichtungen nachkommen kann. Was hier wahrscheinlich oder unwahrscheinlich ist, kann nur subjektiv entschieden werden. Der Banker hat kein Interesse daran, Kredite als notleidend auszuweisen. Zum einen gibt er damit zu, dass er bei der Kreditvergabe einen Fehler gemacht hat. Zum anderen erfordert die Bereinigung des als notleidend ausgewiesenen Kredits Rückstellungen, die zu Lasten des Kapitals gehen und eine Rekapitalisierung notwendig machen können. Damit der Kreditnehmer nicht in Rückstand gerät, kann ihm die Bank zusätzliche Kredite geben, die er dann für den Schuldendienst einsetzt.

Banker und nationale Aufsichtsbehörden haben außerdem einen Anreiz, Kredite nicht als notleidend einzustufen, wenn davon in Zukunft die Einführung der gemeinsamen Einlagensicherung abhängt, auf die man die Kosten der Schieflage abwälzen kann.

  1. Selbst wenn die Altlasten tatsächlich bereinigt würden, wäre das kein Schutz vor neuen Belastungen. Die großen Unterschiede zwischen den Risiken der Banken sind Folge eines symmetrischen Schocks – der Finanzmarktkrise von 2008. Aber die verschiedenen Länder der Eurozone haben aus politischen und strukturellen Gründen unterschiedlich darauf reagiert. Das wäre beim nächsten globalen Schock nicht anders.

Symmetrische Schocks erfordern keine gemeinsame Versicherung, denn bei symmetrischen Schocks sind die Risiken nicht diversifiziert. Asymmetrische Schocks in einzelnen Ländern beruhen dagegen in der Regel auf wirtschaftspolitischen Fehlern dieser Länder. Die Folgekosten solcher Fehler sollten nicht sozialisiert werden, denn damit würde man falsche Anreize setzen.

Es ist leicht, sich Bedingungen vorzustellen, unter denen eine europäische Einlagensicherung effizient wäre. Aber selbst Versicherungstheoretiker sollten erkennen, dass wir diese Bedingungen in der Eurozone nicht bekommen werden. Die Verhandlungsstrategie der Bundesregierung ist daher brandgefährlich.

Erstmals erschienen in der Zeitschrift der Schutzgemeinschaft der Kapitalanleger.

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