Photo: EU2017EE Estonian Presidency from Flickr (CC BY 2.0)
Emmanuel Macron ist ein mutiger Mann. Nicht erst seit der Gründung seiner Bewegung „En Marche!“ im April 2016 zeigt der französische Präsident, dass er vorangehen will. Seine Rede an der Sorbonne am Dienstag unterstreicht dies auch. Macron zu fassen ist dabei nicht so einfach. Das unterscheidet ihn vom EU-Kommissionspräsidenten Jean-Claude Juncker. Der repräsentiert die alte EU, die sich nicht hinterfragt, sondern die notwendigen Korrekturen hinausschiebt und einfach weitermacht wie bisher, nur schneller und entschiedener.
Juncker geht es lediglich um mehr Macht zu Lasten der Mitgliedsstaaten und ihrer Regierungen. Dabei er hat die Bodenhaftung längst verloren. Denn niemand kommt derzeit ernsthaft auf die Idee, den Schengenraum in Richtung Balkan zu erweitern. Niemand kommt derzeit auf die Idee, alle EU-Länder in den Euro zu nötigen. Fast niemand, außer Jean-Claude Juncker. Er ist die personifizierte Glaubwürdigkeitskrise der Union. Dabei wären jetzt mutige Reformen angezeigt. Diese müssen aber nicht zu einem plumpen weiteren Zentralismus in Richtung Brüssel führen, sondern einer intelligenten Agenda folgen.
Diese muss lauten, Europas Vielfalt ist seine Stärke. Dabei gilt: es gibt Bereiche, die auf europäischer Ebene eventuell besser geregelt und entschieden werden können als in den Mitgliedsstaaten. Und, es gibt Bereiche, die wesentlich besser vor Ort abschließend entschieden werden können – oft sogar noch unter der Ebene der Mitgliedsstaaten. Dabei ist jeder Organisation die Tendenz zu mehr Zentralismus inhärent. Die Machtverteilung durch einen Ordnungsrahmen ist daher in jedem politischen System notwendig. Auch in Deutschland gibt es bekanntlich immer stärkere Zentralismus-Bestrebungen. Die Kommunen spüren das zugunsten der Länder, und die Länder zugunsten des Bundes. Warum soll es auf EU-Ebene wesentlich anders sein?
Dennoch ist die Machtverteilung in der EU nicht so resilient gegen weitere Verschiebungen wie bei uns oder in vielen Mitgliedsstaaten. Die Ursache liegt in der mangenden Legitimation der EU und seiner Organe. Es gibt Defizite in der Demokratie, beim Rechtsstaat und bei der marktwirtschaftlichen Ordnung: Nicht jede Stimme zählt bei der Wahl zum EU-Parlament gleich. Parteien haben keine einheitlichen Wahlvorschläge, das EU-Parlament kontrolliert die Kommission nicht wirklich. Und eine europäische Öffentlichkeit in Form von Medien existiert nur rudimentär.
Macrons Vorschläge zielen zum Teil darauf, dies zu ändern. Das ist sehr begrüßenswert. Aber leider springt er in vielen Bereichen zu kurz, in anderen zu lang und in wieder anderen gar nicht. Gut ist, die Außengrenzen des Schengenraums gemeinsam zu sichern und dies auch gemeinsam zu finanzieren. Es ist eine Gemeinschaftsaufgabe, den gemeinsamen Markt und die Freizügigkeit von Waren, Dienstleistungen, Kapital und Personen innerhalb dieses Marktes zu erhalten und auszubauen.
Auch über die rechtliche Ermöglichung gemeinsamer länderübergreifende Parteilisten zur Wahl zum EU-Parlament könnte man nachdenken. Die Reduzierung der EU-Kommission auf 15 Mitglieder ist ohnehin sinnvoll. Ein solider Ordnungsrahmen für den europäischen Energiemarkt ist eh überfällig, die Subvention der Landwirtschaft ohnehin antiquiert und eine stärkere Zusammenarbeit in der Außen- und Sicherheitspolitik sind ebenfalls wichtig Impulse, die Macron gesetzt hat.
Doch ist es wirklich sinnvoll, den Zivilschutz auf europäischer Ebene zu bündeln, um Naturkatastrophen zu bekämpfen? Wäre es nicht sinnvoll, Organisationen in den Regionen und den Mitgliedssaaten dafür aufzubauen? In Deutschland haben sich die meist ehrenamtlichen Feuerwehren und das Technische Hilfswerk doch bewährt. Und ist es wirklich sinnvoll eine einheitliche Unternehmensteuer zu haben? Ja, das Argument mit Google und Amazon ist immer wieder dankbar. Doch ist es sinnvoll, dass die Slowakei das deutsche Körperschaftsteuerrecht übernimmt oder unsere Gewerbesteuer? Nein, es würde kleine und mittlere Unternehmen in vielen Staaten Europas überfordern. Wachstumsschwäche wäre die Folge, wo eigentlich Wachstumsimpulse notwendig wären. Ganz abgesehen davon, dass im Bereich von Steuern Wettbewerb auch für eine Disziplinierung staatlicher Behörden und der Politik sorgen kann. Auch die immer wiederkehrende Diskussion um die Finanztransaktionsteuer ist in diesen Debatten so etwas wie die eierlegende Wollmilchsau. Erst vor kurzem hat Macron selbst den Versuch einiger EU-Staaten ausgebremst, weil er keine falschen Signale für den Finanzstandort Paris aussenden wollte, um Finanzdienstleister von London an die Seine zu locken.
Kreide gefressen hat der junge Präsident auch bei seiner Forderung nach einem Euro-Budget und einem Euro-Parlament. Doch seine Absicht ist auch hier klar: Er will einen neuen Umverteilungsmechanismus schaffen. Während in Deutschland der Länderfinanzausgleich richtigerweise abgeschafft wurde, soll er jetzt auf Euro-Ebene wiederkommen. Die Einlagensicherung soll deutsche Sparer für Bankenschieflagen in Spanien, Italien und anderswo haften lassen. Die hohe Arbeitslosigkeit soll durch eine europäische Arbeitslosenversicherung bekämpft werden. Zentralismus ist nicht immer die Lösung, sondern sehr häufig das Problem. Immer dann, wenn Risiko und Verantwortung auseinanderfallen, kommt es zu Mitnahmeeffekten, Umverteilung und Missbrauch. Man muss Macron dankbar für seine Vorschläge sein, denn dadurch hat er die Debatte eröffnet. Bis zum 55. Jubiläums des Elysée-Vertrages am 22. Januar ist noch genügend Zeit, darauf mit einem Vorschlag eines Europas der Vielfalt in Freundschaft zu antworten.
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