Photo: Nick Loyless from Wikimedia Commons  (CC BY 2.0 DEED)

“Rein agitatorische, wichtigtuerische Propaganda”. So kommentierte der Metro Chef Steffen Greubel kürzlich eine Studie des Zentrums für europäische Wirtschaftsforschung (ZEW), welche sich dafür stark machte, den während der Corona-Pandemie eingeführten verringerten Mehrwehrsteuersatz für Gastronomiebetriebe wieder zu normalisieren. Selbst die sonst so zerstrittene Ökonomenzunft war sich in diesem Thema relativ einig: Mit dem Ende der Pandemie erlischt auch die Begründung für die geringere Besteuerung. Der Protest der Gastro-Lobby fand jedoch Anklang: Am 14. November forderte die FDP-Bundestagsfraktion ohne nennenswerte Begründung oder Verweis auf andere Studien, die reduzierte Mehrwehrsteuer in der Gastronomie beizubehalten.

Diese Diskrepanz zwischen wissenschaftlichen Einschätzungen und politischen Entscheidungen ist auch der Inhalt eines neuen Gutachtens des paneuropäischen Netzwerks EPICENTER. Aus der Perspektive von zehn europäischen Ländern werden die nationalen Herausforderungen aktueller evidenzbasierter Politik in jeweils vier Themenblöcken betrachtet. Prometheus hat die deutsche Perspektive beigetragen. Eine evidenzbasierte Politik, die individuelle Freiheiten respektiert und aktuelle Erkenntnisse aus der Wissenschaft berücksichtigt, ist der Grundstein für ein prosperierendes Deutschland. Anhand der Bereiche der Energie-, Industrie-, Bildungs-, und Lifestylepolitik wird in dem Gutachten exemplarisch dargelegt, wie evidenzbasiert die Maßnahmen der deutschen Politik sind. Zudem werden die Maßnahmen auch nach ihrer Robustheit beurteilt. Politische Maßnahmen sind robust, wenn diese auch dann funktionieren, wenn Menschen in der Gesellschaft keine vollständigen Informationen haben und nicht immer altruistisch handeln. Robuste Politik ist somit auch schwerer von Interessengruppen beeinflussbar.

In der Energiepolitik verschleppen temporäre Subventionen des Strompreises wie der Industriestrompreis notwendige Maßnahmen für Forschung, Entwicklung und Investition in erneuerbare Energieformen. Anstatt einzelne Branchen oder Unternehmen zu fördern, gilt es, die staatlichen Investitionen in die gesamte Energieinfrastruktur zu erhöhen. Dank des technologischen Fortschritts sind staatliche Subventionen für die Stromerzeugung erneuerbarer Energien wie Solar- und Windenergie nicht mehr notwendig. Erst kürzlich wurden 12,6 Milliarden Euro geboten für das Recht, 7GW durch offshore-windparks in der Nordsee generieren. Der private Business-Case für erneuerbare Energien ist seit Langem schon positiv, weshalb staatliche Investitionen kaum noch gebraucht werden. Die Transport- und Speicherinfrastruktur hingegen muss in den kommenden Jahren stark ausgebaut werden, was auch staatliche Investitionen erfordert.

Für die Ausweitung des Stromangebots in Deutschland ist zusätzlich eine Beschleunigung zahlreicher Planungsverfahren wie bereits im Erneuerbare-Energien-Gesetz vorgesehen begrüßenswert. Der Planungs- und Genehmigungsprozess der Südlink-Trasse dauerte beispielsweise zehn Jahre, auch weil sich immer wieder Initiativen fanden, die den Bau der Trasse boykottierten. Verkürzt man den Konsultationszeitraum der Interessengruppen kann man sowohl den Interessenausgleich zwischen verschiedenen Parteien wahren als auch effizienter planen. Aus den Best-Practice-Beispielen anderer europäischer Länder mit geringerem Strompreis lässt sich ebenso ableiten, dass ein Wiedereinstieg in die Atomkraft zumindest in Betracht gezogen werden sollte.

In der Industriepolitik sollten die Maßnahmen breit gefächert sein. Anstatt einzelne Unternehmen zu bevorzugen, sollte der Wettbewerb innerhalb einer Branche mittels breiter Strukturmaßnahmen gesteigert werden. Als Klimaschutz getarnte Milliardensubventionen an Chiphersteller in Dresden und Magdeburg sind teure industriepolitische Sonderwege ohne großen Nutzen. Des Weiteren muss evaluiert werden, ob monetäre Subventionen bei Zukunftstechnologien stets der beste Weg sind. Insbesondere in Zeiten der gestiegenen Zinsen und der somit steigenden Kosten der Staatsverschuldungen haben andere Möglichkeiten der Förderung zusätzlich an Attraktivität gewonnen. Der Net Zero Industrial Act der EU zeigt beispielsweise, dass auch der Zugang zu beschleunigten bürokratischen Entscheidungsverfahren oder verbesserte Abschreibungsregeln als industriepolitische Maßnahmen fungieren können.

In der Bildungspolitik sollte man von der Idee eines zentralstaatlich gesteuerten Bildungssystems abrücken. Das mittelmäßige Abschneiden Deutschlands in vielen internationalen Vergleichen demonstriert den Handlungsbedarf. In einer evidenzbasierten Schulpolitik bietet der Staat die Rahmenfinanzierung, belässt aber die didaktischen, pädagogischen und inhaltlichen Entscheidungen bei der Schule. Ein praktisches Model der Implementierung bietet beispielsweise Schweden, wo die Eltern mittels Bildungsgutscheinen über die Schulwahl ihrer Kinder entscheiden können.

In Fragen der Lifestyle-Regulierungen sollte man sich bei der Besteuerung von Alkohol der effizienten Prävention schädlichen Alkoholkonsums widmen, während man fiskalische Betrachtungen nicht außer Acht lässt. Ein Steuersystem, welches alkoholische Produkte auf Basis der Kaufpräferenzen von Konsumenten mit schädlichen Konsumverhalten besteuert, wird dem Ziel der Prävention von schädlichem Alkoholkonsum besser gerecht als eine pauschale Mengensteuer. Zusätzlich sollte sich die Besteuerung von neuartigen Tabakprodukten stärker an der tatsächlichen Schädlichkeit dieser Produkte orientieren.

Auf Basis dieser Betrachtungen ist zu konstatieren, dass Deutschland in vielen Bereichen politische Vorschläge nicht auf Basis empirischer Evidenz trifft. Die hier skizzierten Maßnahmen sind nur einige exemplarisch genannte Vorschläge hin zu einer evidenzbasierteren Politik. Grundsätzlich bleibt somit zu hoffen, dass die zukünftigen politischen Debatten sowohl die Erkenntnisse aktueller empirischer Forschung als auch die robuste Ausgestaltung dieser in politischen Maßnahmen stärker zur Kenntnis nehmen.

Lesen Sie das gesamte Gutachten hier.