Photo: Lfpelser from Wikimedia Commons (CC BY-SA 4.0)
Selbstständige und Unternehmer sind nicht notwendigerweise Freunde der Marktwirtschaft. Sie sind zwar Marktakteure, aber oft wollen sie nur die Chancen des Marktes nutzen, die Risiken aber möglichst ausschließen. Neue Wettbewerber werden nicht geschätzt, sondern lieber außen vorgelassen. Oft bündeln diese Unternehmer ihre Interessen, um schlagkräftiger gegenüber der Regierung und dem Parlament auftreten zu können. Dies führt zuweilen zu überhöhten Normen und Standards, die dann als Markteintrittsbarrieren dienen. Zusätzliche Anbieter können nur noch mit hohem Aufwand mitmachen. Die Folge ist: zusätzliche Angebote bleiben aus und die Preise bleiben hoch. Die Unternehmer, die drin sind, argumentieren mit der Qualität der Leistung, die der Kunde nicht ausreichend beurteilen könne.
Nicht nur von einigen Unternehmern wird so argumentiert. Es ist auch die Sprachregelung der institutionalisierten „Verbraucherschützer“. Sie glauben, dass es eine Informationsasymmetrie gibt, die dazu führt, dass nicht beide Vertragsparteien über das gleiche Wissen verfügen. Deshalb müsse der schwächere Vertragspartner, der Verbraucher, vom Staat geschützt werden. Viele Interessenvertreter verkennen dabei, dass in einer Marktwirtschaft nie beide Seiten über gleiche Informationen verfügen können. Der so genannte Verbraucher ist auch nicht immer der Schwächere. Er verändert mit seinem Kaufverhalten ganze Branchen. Die Versandhändler Quelle und Neckermann können ein Lied davon singen. Oft ist das Argument des Verbraucherschutzes nur vorgeschoben. Den zu schützenden Unternehmen dient es dazu, sich gegen quirlige Wettbewerber besser zu behaupten, und der Regierung dazu, die Bürger an die Hand zu nehmen. Vater Staat kümmert sich schon um die kleinen Bürgerlein.
Freier Wettbewerb ist anstrengend, senkt die Margen und macht zuweilen auch die Preise kaputt. Doch das ist gut für die Kunden und Konsumenten. Sie haben eine größere Auswahl zu niedrigeren Preisen. Eines der Kernmerkmale dieses freien Wettbewerbes ist die freie Berufswahl, die seit den Stein-Hardenbergschen Reformen von 1810 erst in Preußen und später in ganz Deutschland gilt. Sie wurde nach dem verlorenen Krieg gegen Napoleon eingeführt, weil der ökonomische Druck den preußischen Staat zu umfassenden Reformen zwang.
Nicht ganz so prekär wie im frühen 19. Jahrhundert war Anfang der 2000er Jahre die ökonomische Situation in Deutschland. Dennoch plagte die damalige rot-grüne Regierung unter Gerhard Schröder eine hohe Arbeitslosigkeit und wirtschaftliche Stagnation. Deutschland war der kranke Mann Europas. Die Agenda 2010 war die Antwort Schröders und seines Wirtschaftsministers Wolfgang Clement darauf. Vieles, was lange in der Wissenschaft und in regierungsnahen Beratergremien diskutiert und niedergeschrieben wurde, war plötzlich en vogue. Ein Thema, was über Jahrzehnte die Gemüter bewegte, war der Meisterzwang (großer Befähigungsnachweis) im Handwerk.
Handwerkskammern, Politiker und Interessenvertreter klammerten sich daran. Den Anstoß für die Änderung gab letztlich die EU. Der EuGH verwarf 2000 die damalige Handwerksordnung, da sie dem Grundsatz der Dienstleistungsfreiheit widersprach. Seit 2004 gilt ein reduziertes Verzeichnis der Gewerbe, die als „zulassungspflichtige Handwerke“ betrieben werden können. Sie sind in Anlage A der Handwerksordnung aufgeführt. Die 41 Berufe reichen von Brunnenbauer bis Vulkaniseur. Sie kennzeichnet ihre „Gefahrgeneigtheit“ und sie weisen eine hohe „Ausbildungsleistung“ aus. Frühere meisterpflichtige Gewerke wie Fliesenleger und Rolladenbauer sind in der Anlage B erfasst und benötigen keinen Meisterbrief zur Selbstständigkeit. Die Interessenvertreter des Handwerks wollen diese wieder dem Meisterzwang aussetzen, um sie vor günstiger Konkurrenz zu schützen.
Jetzt werden zusätzliche Kriterien diskutiert, um diese Berufsfelder in die Gruppe der geschützten Gewerke aufzunehmen. Der Verbraucher- und Umweltschutz, Energieeinsparung oder der „Erhalt des Kulturgutes“ werden dabei genannt. Und wieder trommeln die Verbände und Kammern dafür. Der Wirtschaftsminister und die Koalitionsparteien sind bereits auf ihrer Seite.
Doch es wäre der falsche Schritt. Stattdessen müsste eigentlich die Liste der 41 Gewerke überprüft werden, die nach wie vor einen großen Befähigungsnachweis für die Selbständigkeit benötigen. Deren Rückgang hat der Meisterzwang nicht aufgehalten. In manchen Regionen gibt es beispielsweise keinen einzigen Fleischer mehr, der selbst schlachtet. Es wird auch nicht mehr in entsprechender Anzahl ausgebildet, da nicht nur die Anzahl der Betriebe insgesamt rückläufig ist, sondern auch das Interesse junger Menschen Fleischer zu werden schwindet. Das kann man beklagen, jedoch hat der große Befähigungsnachweis daran nichts geändert. Heute ist, auch das kann man beklagen, die Fleischverarbeitung meist ein großindustrielles Gewerbe. Die Ursache ist nicht nur der internationale Wettbewerb, sondern auch die hohen Hygiene-, Umwelt- und Dokumentationsstandards, die viele selbständige Fleischer zur Aufgabe gezwungen haben. Man sagt, Handwerk habe goldenen Boden. Das stimmt sicherlich. Wer Handwerker im Baunebengewerbe sucht, kann ein Lied davon singen. Wahrscheinlich werden junge Handwerker in dieser Branche in wenigen Jahren ein wesentlich besseres Auskommen haben als viele der Bachelorabsolventen, die derzeit an den Hochschulen ausgebildet werden.
Die Stein-Hardenbergschen Reformen machten 1810 nicht nur den Weg frei für eine Gewerbefreiheit, sondern beseitigten auch den Meisterzwang für das Handwerk. Diese Reform war einer der entscheidenden Schritte für den ökonomischen Aufstieg Deutschlands Mitte und Ende des 19. Jahrhunderts. Daran sollten wir wieder anknüpfen.
Die aktuelle Kampagne des Zentralverbands des Deutschen Handwerks in Person seines Präsidenten und Malermeister Hans Peter Wollseifer zur Wiedereinführung des Meisterzwangs in vielen Handwerken kommentiert Jonas Kuckuk, Vorstand des Berufsverbands der unabhängigen Handwerkerinnen und Handwerker (BUH):
Monopolkommission für Zulassungsfreiheit im Handwerk
„Der BUH teilt die erneute Einschätzung der Monopolkomission, dass die Ausweitung der Meisterpflicht weder die handwerklich Qualität noch die Ausbildungsleistung in messbarer Weise fördert. Diese Einschätzung wird bereits von der umfassenden Studie der Friedrich-Ebert-Stiftung aus dem Jahr 2016 gestützt. Im Handwerk besteht ein Abwanderungs- aber kein Ausbildungsproblem! Weniger als 40% der ausgebildeten Handwerker verbleiben im Handwerk. Deshalb sollten die Arbeitsbedingungen verbessert und der Erwerb der Ausbildungsberechtigung gefördert werden.“
Bundesregierung: Meisterzwang verschärft Fachkräftemangel
Protest
„Besorgniserregend wären die Auswirkungen einer Wiederausweitung des Meisterzwangs auf den bereits vorhandenen Fachkräftemangel. Diese Sorge teilt auch die Bundesregierung [siehe: Antwort der Bundesregierung auf eine kleine Anfrage der Fraktion B’90/ Die Grünen im Bundestag, Drs.19/6095, Seite 32, Frage 33]. Umso mehr erstaunen mich ihre fortgesetzten Anstrengungen für eine Rückabwicklung der Handwerksreform von 2004.
Unterm Strich würde eine Wiederausweitung des Meisterzwangs vor allem den Fachkräftemangel weiter verschärfen. Der Maßstab für eine Rückabwicklung der vorsichtigen Liberalisierung der Handwerksordnung in 2004 sollte zuerst das Interesse der Verbraucher sein. Verbraucher können selbst entscheiden ob sie eine – mit dem vermeintlichen Gütesiegel des Meisterbriefs versehene – handwerkliche Leistung wählen und entsprechend honorieren möchten oder ob sie anderen Anbietern den Vorzug geben. Der Meisterbrief schützt Verbraucher nicht vor Pfuscharbeiten. Vor unangenehmen Überraschungen schützt das Gewährleistungsrecht. Aus Sicht des Verbrauchers gibt es zudem keine Erkenntnisse, die eine erneute Einschränkung der unternehmerischen Freiheit im Handwerk rechtfertigen würden: Die Prüfung einer Wiedereinführung der Meisterpflicht für 41 derzeit zulassungsfreie Handwerke ist deshalb schlicht überflüssig. Vielmehr stellt sich umgekehrt die Frage, warum der Meisterzwang zum Beispiel im Bäcker-, Maler- oder Friseurhandwerk nicht schon längst abgeschafft wurde.“
Wollseifer verunglimpft Kleinunternehmer
„Ärgerlich und nicht länger hinnehmbar sind die fortlaufenden Angriffe des Präsidenten des Zentralverbandes des Deutschen Handwerks (ZDH), Hans Peter Wollseifer, auf Soloselbstständige. Erst zu Jahresbeginn hatte Wollseifer Kleinunternehmer mit einem Umsatz unter 17.500 Euro – die durch das Gesetz von der Umsatzsteuer befreit sind – in die Nähe zu Betrügern gerückt. Die Behauptung sie seien unseriös und würden lediglich angeben dass ihre Umsätze gering seien, ist eine gezielte Diffamierungskampagne.
Die hart um ihre Existenz kämpfenden soloselbstständigen Handwerker empfinden es als Frechheit, wie sich Wollseifer seit Jahren dafür stark macht, ihnen den Boden unter den Füßen wegzuziehen. Dabei dürften Soloselbstständige die mit ihren Zwangsbeiträgen maßgeblich zur Finanzierung der Handwerksverbände beitragen, inzwischen mehr als 40 % der Unternehmen im Handwerk stellen.
Darauf, dass ihr Dachverband bessere steuerliche oder sozialversicherungsrechtliche Bedingungen für sie durchsetzt, warten sie hingegen vergeblich. Der ZDH-Präsident sieht sich hingegen dazu berufen Pseudobedrohungen, wie die Umsatzsteuerbefreiung für Kleinunternehmer, zu skandalisieren und auf eine Abschaffung zu drängen.
Grundsätzlich finde ich es bedenklich, wenn das organisierte Handwerk versucht mit hartnäckig verbreiteten wirtschaftspolitischen und statistischen Fake News den Zugang zum lukrativen Handwerksmarkt noch weiter zu verengen. Vielmehr wäre eine weitere Öffnung dringend notwendig.“