Photo: Jnzl’s Photos from flickr (CC BY 2.0)
Von Dr. Alexander Fink, Universität Leipzig, Senior Fellow des IREF – Institute for Research in Economic and Fiscal Issues und Kalle Kappner, Promotionsstudent an der Humboldt-Universität zu Berlin, Research Fellow bei IREF, Fackelträger von Prometheus.
Je stärker sich China zukünftig weiter in Richtung des marktwirtschaftlich-kapitalistischen Erfolgsrezeptes des Westens entwickelt, desto eher wird es bezüglich des materiellen Wohlstandes aufholen können, aber desto weniger wird es zu einem Wettstreit der Wirtschaftssysteme kommen.
Chinesische Staatsfonds haben die deutsche Wirtschaft als lohnendes Investitionsobjekt identifiziert. Der chinesische Staat investiert eifrig in deutsche Unternehmen, vorzugsweise in solche mit Spitzentechnologie. Gleichzeitig bestehen für westliche Unternehmen im chinesischen Markt beträchtliche Hürden. Angesichts des wachsenden Einflusses chinesischer Investoren und des starken Wirtschaftswachstums Chinas schlägt der Bundesverband der Deutschen Industrie nun Alarm und beschwört einen neuen Systemwettbewerb herauf.
Die Politik hat die Hürden für auf dem deutschen Markt aktive chinesische Staatsfonds bereits angehoben. Die Rechtfertigung: China sei keine Marktwirtschaft und chinesische Unternehmen könnten daher auch keinen ungehinderten Zugang zu den Märkten anderer Länder mit ihrer auf ungehinderten Wettbewerb privater Unternehmen ausgelegten Ordnung beanspruchen.
Ist China marktwirtschaftlich und kapitalistisch? Nein, trotz zahlreicher Reformen ist China heute keine kapitalistische Marktwirtschaft. Ein neuer Wettbewerb der Wirtschaftsordnungen auf Augenhöhe droht indes nicht, da Chinas Aufholjagd von der sukzessiven Annäherung an das westliche Modell abhängt.
Marktwirtschaft und Kapitalismus: Komplementär, nicht identisch
Eine kapitalistische Wirtschaft ist eine, in der Kapital privat gehalten und profitorientiert eingesetzt wird. In einer sozialistischen Wirtschaft wird Kapital dagegen gemeinschaftlich gehalten und nicht profitorientiert eingesetzt.
Eine Marktwirtschaft ist ein Wirtschaftssystem, in dem die Allokation von Produktionsfaktoren und Gütern dezentral über einen freien Preismechanismus erfolgt. In der Planwirtschaft geschieht dies dagegen durch einen übergeordneten und verbindlichen Plan ohne Raum für Preissignale.
Aufgrund ihrer gemeinsamer Erfolgsgeschichte sind wir es gewohnt, Marktwirtschaft und Kapitalismus als unzertrennlich anzusehen, so wie Planwirtschaft und Sozialismus aufgrund ihres gemeinsamen Scheiterns als unzertrennlich gelten. Jedoch gab es theoretische Ansätze und praktische Versuche, die darauf abzielten, Märkte in sozialistischen Systemen einzuspannen (Jugoslawiens „sozialistische Marktwirtschaft“), oder Märkte in durch privaten Kapitalbesitz geprägten Wirtschaftssystemen auszuschalten (autoritärer Korporatismus der Zwischenkriegszeit). Marktwirtschaft und Kapitalismus können daher eher als Komplemente, denn als Synonyme begriffen werden.
Wie schwer es vielen Beobachtern fällt, das chinesische Wirtschaftsmodell in diese Kategorien einzuordnen, ist an den oft blumigen Charakterisierungen zu erkennen, etwa als „Staatskapitalismus“ oder „Sozialismus mit chinesischer Prägung“. Solche Begriffe drücken aus, dass das chinesische Wirtschaftsmodell möglicherweise weder den westlichen kapitalistischen Marktwirtschaften gleicht noch den sozialistischen Planwirtschaften der Nachkriegsjahrzehnte. Eine sorgfältige Analyse sollte die Frage, ob China eine Marktwirtschaft ist, daher nicht nur von der Verteilung des Kapitalbesitzes zwischen Staat und Privatpersonen abhängig machen, sondern von der Rolle von Wettbewerb, Dezentralisierung und Verwendung des Preismechanismuses.
Chinas Wirtschaftsmodell: Rapider Wandel seit Mao…
Bis in die 70er Jahre hinein konnte das chinesische Wirtschaftssystem eindeutig als sozialistische Planwirtschaft eingeordnet werden, die sich vom sowjetischen Pendant hauptsächlich hinsichtlich eines etwas stärkeren Gewichts auf dezentrale Koordination im Rahmen des übergeordneten Plans unterschied. Nach dem Tod Maos setzte die offizielle Wirtschaftspolitik jedoch zunehmend auf Öffnung und Reformen und entfernte sich zunehmend von den älteren, marxistischen Idealen. So wurde der unter Mao geschlossene Aktienmarkt mit zentraler Börse in Shanghai wieder eröffnet – auch für Privatpersonen. Staatsunternehmen durften ihre Gewinne nun behalten und reinvestieren, statt sie in einen gemeinsamen landesweiten Fonds abzugeben.
Seit den 70er Jahren hat sich das chinesische Wirtschaftsmodell jedoch weitaus stärker gewandelt als die offizielle Reformpolitik vorgibt. Ronald Coase und Ning Wang beschreiben vier „marginale Revolutionen“, die die Rolle des Privatsektors gestärkt haben: (1) Die weitgehende Privatisierung, also Entkollektivierung der Landwirtschaft; (2) Die Zulassung von dezentral durch Dorfgemeinschaften gehaltenen und gesteuerten Unternehmen, die den zentralisierten Staatskonzernen trotz Nachteilen im offiziellen Planverfahren Konkurrenz machen; (3) Wachsende selbstständige Beschäftigung in den Städten; (4) Die Etablierung von Sonderwirtschaftszonen (Special Economic Zones), in denen Unternehmen weitaus freier agieren können.
Während die Kommunistische Partei offiziell weiterhin am Marxismus festhält und Chinas beeindruckendes Wirtschaftswachstum vor allem auf erfolgreiche Planung und effiziente Staatsunternehmen zurückführt, spricht viel dafür, dass die genannten „marginalen Revolutionen“ der eigentliche Wachstumsmotor sind.
… doch weder kapitalistisch noch marktwirtschaftlich
Wenngleich die chinesische Wirtschaftsordnung heute mehr marktwirtschaftliche Elemente aufweist als unter Mao, weicht sie doch in vielerlei Hinsicht vom westlichen System ab. So hält der chinesische Staat einen weitaus größeren Anteil der Unternehmenals dies in westliche Staaten üblich ist. Darüber hinaus nutzt er seine Anteile um von der Profitorientierung abweichende Ziele zu verfolgen, etwa Technologieimport und politischen Einfluss. Auch formal private Unternehmen sind eng mit der Politik verbunden und werden zu strategischen Zielen eingesetzt, wenngleich die Mechanismen intransparent und für Außenseiter schwer nachvollziehbar sind. Als „kapitalistisch“ kann China damit wohl kaum gelten, insbesondere hinsichtlich außenwirtschaftlicher Beziehungen.
Während in einer wachsenden Zahl von Branchen Wettbewerb zwischen mehreren, oft regional definierten Anbietern zugelassen wird, ist der Marktein- und -austritt stark reguliert. Das spüren insbesondere westliche Unternehmen, die – von wenigen Branchen abgesehen – grundsätzlich nur im Rahmen von Joint Ventures auf dem chinesischen Markt operieren dürfen. Preiskontrollen, Subventionen und andere Formen der Industriepolitik sind in westlichen Marktwirtschaften zwar nicht unbekannt, in der chinesischen Wirtschaft aber nicht nur verbreiteter, sondern werden ordnungspolitisch auch nicht problematisiert.
Der Arbeitsmarkt wird zudem gesetzlich stark reglementiert. So dürfen große Teile der chinesischen Bevölkerung nicht frei im Land umherziehen, also zwischen verschiedenen regionalen Arbeitsmärkten wählen, sondern sind ihre Heimatprovinz gebunden. Während die Möglichkeiten zur Humankapitalbildung auch in westlichen Ländern von der Herkunft abhängen, sind diese in China für weite Teile der Bevölkerung offiziell eingeschränkt. Eine „Marktwirtschaft“ ist China nicht.
Ein neuer Systemwettbewerb droht nicht
China ist auch nach 40 Jahren Reform- und Öffnungspolitik keine kapitalistische Marktwirtschaft. Wie die Entwicklung seit den 70ern illustriert, hat die punktuelle Stärkung kapitalistischer und marktwirtschaftlicher Elemente die materielle Situation der Chinesen deutlich verbessert, auch wenn das kaufkraftbereinigte BIP pro Kopf heute noch immer nur etwa einen Drittel des deutschen Wertes ausmacht.
Doch wenn Chinas Aufholjagd weitergehen soll, wird die Parteiführung nicht um substantielle marktwirtschaftliche Reformen umhinkommen – inklusive einer Öffnung des noch am stärksten regulierten Bereichs, des Marktes für Ideen, der auch die Demokratisierung der Ein-Parteien-Diktatur begünstigen wird. Der Sprung vom Schwellenland zur entwickelten Wirtschaft mit hohem Durchschnittseinkommen ist bisher nur Ländern gelungen, die das staatliche Engagement in der Wirtschaft deutlich abgebaut haben. Es spricht wenig dafür, dass China einen anderen Weg wird beschreiten können.
Je stärker sich China zukünftig weiter in Richtung des marktwirtschaftlich-kapitalistischen Erfolgsrezeptes des Westens entwickelt, desto eher wird es bezüglich des materiellen Wohlstandes aufholen können, aber desto weniger wird es zu einem Wettstreit der Wirtschaftssysteme kommen. Kommen die Reformanstrengungen in China hingegen zum Ende, wird das chinesische Wirtschaftssystem zwar stark vom westlichen abweichen, doch das durchschnittliche materielle Wohlstandsniveau Chinas wird weiterhin deutlich hinter dem in westlichen Ländern zurückbleiben.
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