Photo: Andrea Leopardi from Unsplash (CC 0)

Das Problem des Liberalismus? Friedrich August von Hayek brachte es vor 70 Jahren auf den Punkt: „Nachdem die wesentlichen Forderungen des liberalen Programms erfüllt waren, vernachlässigten die liberalen Denker die Fortbildung der philosophischen Grundlagen; der Liberalismus hörte damit auf, ein lebendiges Problem zu sein, das zu geistiger Arbeit reizte.“

Erlösung von der Mühsal der Selbstverantwortung

Die Zahl der ideologischen Großprojekte, die derzeit weltweit in Angriff genommen werden, ist bemerkenswert. Nach den pragmatischen 90er Jahren und ihrem gemütlich desinteressierten Optimismus haben linke und rechte Kräfte ideologisch ordentlich aufgerüstet – flankiert durch islamistischen Terrorismus, Finanzkrise und Flucht und Migration. „Yes, we can“ ist nicht mehr das Versprechen, dass jeder einzelne Bürger sein Leben verbessern kann, ist nicht mehr gekoppelt an das Vertrauen auf technologischen und ökonomischen Fortschritt, an den offenherzigen Blick auf eine bessere Zukunft. „Yes, we can“ ist jetzt das Versprechen der Politik an die Gesellschaft geworden, die Verheißung: „Wir kümmern uns – Du kannst Dich zurücklehnen.“

Ja, wir können Euch vor Miet-Haien und Internetgiganten bewahren. Ja, wir können Euch Bürger ohne Eure eigene Anstrengung zu einem gesunden Lebensstil bringen. Ja, wir können ein Land oder einen Kontinent wieder groß machen und die Kontrolle zurückgewinnen, Ja, wir können durch Industriepolitik und einen europaweiten Sozialstaat den Status quo erhalten. Der neue Ungeist, der hier weht, verheißt die Erlösung von der Mühsal eines selbstverantwortlichen Lebens. Natürlich wird das nie so formuliert. Im Zweifel nutzt man die Rhetorik der Freiheit, um Menschen in die freiwillige Abhängigkeit zu locken: Geht es nicht darum, Menschen aus den Fängen der profitorientierten Werbung zu befreien? Ist nicht die Loslösung von internationalen Verbindungen (TTIP, EU, Migrationspakt) ein Akt der Befreiung? Nein. Am Ende des Tages laufen all diese Verheißungen auf ein Mehr an Staat und ein Weniger an Individuum hinaus: von Trump bis Corbyn, von Seehofer bis Habeck.

Das Buddenbrooks-Problem des Liberalismus

Der Erfolg dieser neuen Politikergeneration, die sich weltweit rapide ausbreitet, ist vielleicht – wieder einmal – dem großen Erfolg des Liberalismus geschuldet. Liberale Ideen haben den Eisernen Vorhang zerschmettert. Liberale Ideen haben die weltweite Wohlstands- und Technikexplosion ermöglicht. Liberale Ideen haben den Boden dafür bereitet, dass Serbien eine lesbische Premierministerin hat. Unsere Welt ist so anders – und in vielerlei Hinsicht so unglaublich viel besser als vor 100, 50 oder auch nur 25 Jahren. Je mehr Siege für die Freiheit errungen wurden, umso gleichgültiger wurden aber viele Liberale. Dabei wurden sie auch geistig fett und unbeweglich. Sie setzten sich keine großen Ziele mehr und verpassten ein Training nach dem nächsten. Die Ideologen auf der linken und rechten Seite hingegen übten fleißig weiter, setzten sich hohe Ziele, standen jeden Morgen auf und bauten durch konsequente Disziplin ihre dynamischen Fähigkeiten aus.

Neben dem Entsetzen über die Entwicklungen der letzten Jahre haben viele Liberale nichts mehr zu bieten. Sie verfügen selten über eine umfassende Vision für eine Gesellschaft: während die anderen die schöne neue Welt im Angebot haben, wirken sie oft wie verbitterte Nörgler, die an Kleinigkeiten laborieren. Es ist ihnen kaum gelungen, das Konzept der Freiheit attraktiver zu machen als das Sicherheitsversprechen, das von Mauern und Wohlfahrtsstaaten ausgeht. Sie sind meist sprachlos, wenn sie nach Antworten auf Bedrohungen der Umwelt gefragt werden. Sie neigen dazu, auf Fragen von morgen Antworten von vorgestern zu geben. Sie sind oft zu den Verwaltern des eigenen Erfolgs geworden wie jene berühmte dritte Generation, die das verschleudert, was die erste Generation aufgebaut und die zweite erhalten hat. Es ist das Buddenbrooks-Problem des Liberalismus.

Liberaler Radikalismus statt Bürokraten-Mentalität

Die eingangs zitierte Feststellung von Hayek zeigt, dass dies nicht das erste Mal ist, dass dem Liberalismus ein solches Problem begegnet. Auch der strahlende Triumph freiheitlicher Ideen im 19. Jahrhundert wurde beerdigt von den Bürokraten des Liberalismus, die nur noch das bereits Errungene verwalteten und keine Energie mehr aufbrachten, neue Ideen zu entwickeln und für sie zu kämpfen. Ähnliches können wir auch im Blick auf die emanzipatorischen Bewegungen der 60er und 70er Jahre beobachten: Deren „Nachfahren“ sind heute vorwiegend damit beschäftigt, unliebsame Vorträge an Universitäten zu verhindern, komplizierte Quotenregelungen zu ersinnen und ritualisierte Aufschreie zu inszenieren, die so authentisch sind wie die Indianerkostüme, die sie beim Kindergeburtstag verbieten wollen.

Der Liberalismus in all seinen Spielarten – vom marktwirtschaftlichen über den bürgerrechtlichen bis hin zum emanzipatorischen – muss aus seiner Lethargie ausbrechen und daran arbeiten, seine alte Strahlkraft wiederzugewinnen. Er muss, in den Worten Hayeks, „ein lebendiges Problem“ werden, „das zu geistiger Arbeit reizt“. Das erreicht man aber nur, indem man Ideen präsentiert, die Menschen wirklich begeistern können. Indem man eine langfristige Vision davon anbietet, wie diese Welt in Zukunft aussehen soll. Hayek spricht von einer „liberalen Utopie“, ja von einem „liberalen Radikalismus“. Visionen präsentieren heutzutage Leute wie Stephen Bannon und David Graeber und eine wachsende Zahl ihrer politischen Gefolgschaft, und nicht die Liberalen. Der Liberalismus war aber immer dann am schlagkräftigsten, wenn er solche Visionen präsentieren konnte: Bei der Freihandelsbewegung im frühen 19. Jahrhundert, bei der Frauenemanzipation in dessen zweiter Hälfte, im Aufbäumen gegen Faschismus und Bolschewismus oder im lautstarken Ruf nach Reformen um die Jahrtausendwende. Der reiche Ideenschatz, aus dem man schöpfen und den man weiterentwickeln kann (und muss!), ist vorhanden. Jetzt kommt es darauf an, dass Freunde der Freiheit ihre Bürokratensessel verlassen und sich wieder auf die Marathon-Strecke begeben. Die Geschichte hat gezeigt: wann immer Liberale diese Herausforderung angenommen haben, waren sie am Ende siegreich – zum Besten aller Menschen.

Die Zitate von Hayek stammen aus seinem vor genau 70 Jahren erschienenen, sehr lesenswerten Artikel „Die Intellektuellen und der Sozialismus“.

Prometheus veröffentlicht heute in Kooperation mit den Students for Liberty Deutschland das „Freiheitslexikon“, in dem Denker und Themen des Liberalismus in leicht lesbaren Artikeln vorgestellt werden.

1 Antwort
  1. Kerlin, Jörn
    Kerlin, Jörn sagte:

    Die Frage den Liberalismus zum Erfolg zu führen hängt sehr eng mit der Frage „hat die Demokratie eine Zukunft“ zusammen. Liberalismus mit Selbstbestimmung und Eigenverantwortung, dem Respekt vor Eigentum, die Reduzierung der Staatsverwaltung auf Rechtswahrung und Sicherheit.
    In dem jetzigen Gefüge ist der Weg der Demokratie zum Sozialismus vorgezeichnet. Das ergibt allein das Stimmenverhältnis in der Bevölkerung, wobei die Mehrheit bereits von den sozialen Futtertrögen der Amtierenden abhängig ist. Diese Sozialromantiker haben nicht verstanden, dass der Kapitalismus, der den länderübergreifenden Dialog hochhält, mit seinen wirtschaftlichen Erfolgen für Wohlstand und Sicherheit gesorgt hat, eine andere Bilanz vorweist als der gescheiterte Kommunismus und seine Sozialistischen Nachfolger.
    Auf meiner obersten Wunschliste steht „Liberalismus“ und die damit verbundene Freiheit des Einzelnen. Dabei ist die Richtschnur nicht Friedrich August von Hayek sondern Ludwig Eder von Mises. Hayek hat sich seine Adelung durch die Briten mit dem Verrat an seinem Lehrer Mises und Carl Menger erkauft. Deshalb steht ihm auch der Nobelpreis nicht wirklich zu.
    Es muss eine sehr breite Aufklärung geben, die dieses korrupte System der hiesigen Politik offenlegt. Dem Wähler klarmacht, dass alle sozialen Leistungen letztlich von ihm erarbeitet werden müssen und wir brauchen eine neu Greta, die der Jugend klarmacht, dass unsere falsche sozialistische Politik der CDU/CSU in den vergangenen 25 Jahren der jungen Generation unbezahlbare Bürden auflastet.
    Dazu hat Dr. Daniel Stelter mit seinem Blog-Beitrag Anfang April einen ersten Versuch gestartet. Dabei zeigt er Greta auf, wo das wirkliche Übel der Zukunft unserer Jugend zu suchen ist. Aber Greta hat sich vermutlich bereits an Herrn Habeck verkauft, der ihre Auftritte lanciert hat.
    Marathon ja aber bitte gemeinsam auch mit Greta und „Friday for Future“, denn die sind am Ende die Leidtragenden.

    Antworten

Dein Kommentar

An Diskussion beteiligen?
Hinterlasse uns Deinen Kommentar!

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert