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Der Entscheid des Verfassungsgerichts zum Ampel-Haushalt schlägt hohe Wellen. Zu Recht: Denn der Haushalt war Betrug an der Öffentlichkeit. Der ungebremsten Staatsverschuldung muss endlich ein Ende bereitet werden.

Der Nachtragshaushalt war Betrug an der Öffentlichkeit

Die jüngste Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zur Verfassungswidrigkeit des 60 Milliarden umfassenden Nachtragshaushaltes aus dem Jahr 2021 ist ein Entscheid, den vermutlich viele Generationen zukünftiger Jura-Studenten als Paradebeispiel für eine erfolgreiche Normenkontrollklage behandeln werden. Aus politischer Sicht offenbaren die 62 Seiten aus Karlsruhe den Gründungsfehler, an dem die aktuelle Regierung von Anbeginn leidet. Anstatt im Sinne des Kompromisses auf Ansprüche zu verzichten, sollte jede Partei möglichst viel abbekommen vom Haushaltskuchen. Um das zu finanzieren, wurde in aller Öffentlichkeit geschummelt. Das Gericht machte nun mehr als deutlich, dass die von der Regierung dargelegten Gründe zur Umwidmung des Corona-Sondervermögens in eines zur Klimatransformation fadenscheinig waren. Politisch betrachtet ist das weder bedauernswerter Fehler noch Versehen. Es ist schlicht ein dreister Betrug an der Öffentlichkeit.

Eine kurze Geschichte der Warnung vor Staatsverschuldung

Dass der Staat sich verschuldet, ist nichts neues. Und das Ausmaß auch nicht. Die Entstehungsgeschichte des britischen Empires beispielsweise ist eng verknüpft mit der Entwicklung des englischen Staates zum kreditfähigen Gläubiger. Ebenso wenig neu ist die Kritik am Konzept der Staatsverschuldung. David Hume beispielsweise widmete den öffentlichen Finanzen ein ganzes Essay „Of Public Credit“ und kommt zum Schluss: „entweder muss die Nation den öffentlichen Kredit zerstören, oder der öffentliche Kredit wird die Nation zerstören“. Hume war klar, dass die Möglichkeit zur Staatsverschuldung zu dem Problem führen würde, das wir heute als „Moral Hazard“ kennen. Demnach gehen politische Entscheidungsträger verantwortungslos mit den öffentlichen Finanzen um, da ja stets die Möglichkeit zur Kreditaufnahme besteht, für die sie persönlich nicht haften.

Zahlreiche von der Aufklärung beeinflusste Philosophen und Intellektuelle des ausgehenden 18. und frühen 19. Jahrhunderts sahen das ähnlich wie Hume. Aus der Erfahrung der absoluten Monarchie mit unbeschränktem Staatshandeln waren sie strikt gegen die Aufnahme von oder zumindest für eine Begrenzung der Staatsverschuldung. Und ihre Argumente könnten kaum aktueller sein.

So war Kant der Ansicht, die strukturelle Staatsverschuldung begünstige Kriege. Adam Smith und David Ricardo beobachteten, dass der Staat mit den Kreditmitteln unrentable Arbeit erhalte. Der erfolgreiche Geschäftsmann Ricardo geißelte regelmäßig Staatsverschuldung in seinen Reden als britischer Abgeordneter. Die frühen US-Präsidenten Thomas Jefferson und James Madison schließlich waren sich einig, dass Staatsverschuldung eine große Generationenungerechtigkeit darstelle. So schrieben Jefferson and Madison: „Keine Generation darf mehr Schulden aufnehmen, als sie während der Zeit ihrer Existenz zurückzahlen kann“.

Diese Denker und Politiker stehen heute in hohem Ansehen, aber orientieren will man sich doch nicht an ihnen. Die Staatsverschuldung entwickelte sich trotz ihrer Einwände in den letzten 200 Jahren bis auf wenige Ausnahmen nahezu ungebremst.

Überschuldet wie Schlecker, betrügerisch wie Enron

Die anhaltende massive Schuldenaufnahme hat viel mit dem kriegerischen 20. Jahrhundert zu tun. Schließlich mussten Zerstörung und Wiederaufbau nach zwei Weltkriegen finanziert werden. Aber das erklärt nicht alles. Zusätzlich wuchsen expansive Sozialstaaten heran. Die Zentralbanken erhielten das Mandat dafür, die Geldschöpfung von jedweder Hinterlegung zu entkoppeln. Und der Keynesianismus normalisierte die Staatsverschuldung als zyklischen Abschnitt gesunden Staatshandelns.

Mit Folgen:

Für das kommende Jahr prognostiziert das US-Finanzministerium Verbindlichkeiten allein für die Bedienung von Zinsen in Höhe von 76 Milliarden US-Dollar. Das macht die Zinslast zum drittgrößten Posten noch vor der Gesundheitsversorgung. Aber es gibt keinen Grund für deutsche Überheblichkeit. Im Bundeshaushalt für das Jahr 2024 sind sage und schreibe 36,7 Milliarden Euro für die Bundesschuld reserviert. Ebenfalls der drittgrößte Posten nach dem Etat der Sozial- und Verteidigungsministerien. In nicht mal zwei Jahren bringt der deutsche Steuerzahler also an Zinszahlungen auf, was jetzt die Regierung in Schieflage bringt. Zahlen, die bei jedem privaten Unternehmen den Insolvenzverwalter auf den Plan rufen würden – und die Staatsanwaltschaft gleich mit wegen des Vorwurfs der Insolvenzverschleppung.

Doch auch das ist nur die Spitze des Eisbergs. Das wahre Ausmaß des öffentlichen Bankrotts wird dem Steuerzahler und Wähler noch verschwiegen. Schließlich vergibt der deutsche Staat eifrig Renten- und Pensionsansprüche, die in die Billionen gehen, an seine stetig alternde Bevölkerung – und Wählerschaft. Einer der einflussreichsten aktuellen Kritiker von Staatsverschuldung, der US-Ökonom Niall Ferguson, nennt die Art und Weise, wie westliche Staaten heute haushalten, „um es ganz offen zu sagen, betrügerisch. Es gibt keine regelmäßig veröffentlichten und genauen offiziellen Bilanzen. Riesige Verbindlichkeiten werden einfach verschwiegen. Nicht einmal auf die aktuellen Einnahmen- und Ausgabenerklärungen kann man sich verlassen. Kein seriöses Unternehmen kann auf diese Art und Weise weiterarbeiten. Das letzte Unternehmen, das derart irreführende Jahresabschlüsse veröffentlichte, war Enron.“ Man mag heute hinzufügen: Oder die insolvente Krypto-Börse FTX.

Die Schuldenbremse wäre der erste Schritt

Womit wir wieder bei Bundeskanzler Scholz und seiner Regierung wären. Denn die Schuldenbremse mit Verfassungsrang ist der erste Schritt in die richtige Richtung – und global anerkanntes Vorbild. In einem freiheitlich-demokratischen Rechtsstaat muss der primäre Wert von Verfassungen darin bestehen, die kurzfristigen Bedürfnisse einer Bevölkerung (und ihrer Vertreter) den langfristigen Erfordernissen unterzuordnen. Und genau darum geht es bei der Schuldenbremse. Die noch ungeborenen oder unmündigen Generationen müssen vor der Gier der aktuell Entscheidenden geschützt werden. Und Politikern muss Verantwortung für die Verwaltung der öffentlichen Kassen eingeimpft werden. Wenn sie den Staat ausweiten wollen, dann müssen sie dem Wähler wenigstens die richtige und transparente Rechnung dafür präsentieren. Selbst wenn das Steuererhöhungen bedeutet. Ehrlicher wären die allemal.

Wenn nun also eine Regierung eine Notlage konstruiert, um ebenjene verfassungsrechtlich verankerte Schuldenbremse auszuhebeln, dann ist das Betrug an der Öffentlichkeit. Dass die angeführte „Notlage“ zur Umwidmung der Corona-Schulden konstruiert war, verdeutlicht die Regierungserklärung des Bundeskanzlers, in der er den Bürgern verspricht, an ihrem Alltag werde sich nichts ändern. Beides zugleich geht allerdings nicht. Entweder das Land befindet sich in einer unmittelbaren Notlage – oder die Bürger spüren die „fehlenden“ 60 Milliarden nicht.

Statt nun eifrig nach neuen Notlagen zu forschen, um die Schuldenbremse dauerhaft auszuhebeln, sollten sich die politisch Verantwortlichen ein Beispiel an jenen nehmen, die sie regieren. Jede Familie, jedes Unternehmen versucht etwas für schwierige Zeiten zurückzulegen. Warum nicht, anstatt Schulden auf magische Weise in „Vermögen“ zu verzaubern, ein echtes Sondervermögen für die Bewältigung von Notlagen aufbauen? Denn wie David Ricardo sagte: „Was in jeder privaten Familie Klugheit ist, kann in einem großen Königreich kaum Torheit sein.“