Photo: Günter Hentschel from Flickr (CC BY-ND 2.0 DEED)

Vielleicht lesen einige von Ihnen unseren neuen Artikel gern am Freitag im Zug auf dem Weg nach Hause, ins Wochenende. Heute ist das sicher nicht so, denn die Gewerkschaft Deutscher Lokomotivführer, die GDL, streikt das zweite Mal in vier Wochen, und die Züge stehen still. Viele Stimmen in der öffentlichen Debatte geben dem Gewerkschaftsführer Claus Weselsky die Schuld dafür. Aber wie könnte ein einzelner Mann ein ganzes Land lahmlegen?

Züge sind Teil der kritischen Infrastruktur und somit von enorm großer Bedeutung. Das Ausfallen von Güterzügen kostet die Wirtschaft Millionen; bereits ein 24-Stunden Streik führt laut der Deutschen Bahn dazu, dass Kraftwerke und kritische Produktionsstätten nicht oder nur verzögert beliefert werden können. Auch der ausbleibende Personentransport belastet die Wirtschaft, denn Pendler haben oft keine andere Möglichkeit als Zuhause zu bleiben und fallen im Betrieb aus. Doch insgesamt trifft es wohl die am härtesten, die vulnerabel sind, wie Menschen mit Behinderung oder Menschen, die finanziell auf die gebuchte Zugreise angewiesen sind.

Bei diesen Konsequenzen sind öffentliche Aufschreie vorprogrammiert: Das Streikrecht müsse verschärft werden, die GDL solle abgeschafft werden oder jemand solle doch bitte Claus Weselsky verklagen. Leider triff keine der Forderungen den Kern des Problems, welcher in der Zentralisierung von Macht liegt. Diese Machtzentralisierung geschieht auf drei unabhängigen Ebenen, die bei dem Streik der GDL jedoch zusammenlaufen.

Die erste Ebene des Problems ist die Deutsche Bahn selbst. Sie ist ein „Aktienunternehmen“, dessen Anteile zu 100 Prozent dem deutschen Staat gehören und das mit etwa 8 Milliarden Euro jährlich subventioniert wird. Gegen diesen finanziellen Rückhalt und die zusätzlich belastende deutsche Bürokratie kommt kaum eine Konkurrenz an. Das Ergebnis ist, dass die Deutschen Bahn im Fernverkehr nahezu eine Monopolstellung hat, und dass das Unternehmen aufgrund fehlenden Wettbewerbs zu wenig Druck hat, sich zu verbessern. Die Deutsche Bahn hat wenig Anreiz, das Unternehmen effizienter zu gestalten – was die Kunden zu spüren bekommen.

Die zweite Ebene ist die Gesetzeslage für Gewerkschaften in Deutschland. 2015 wurde das Tarifeinheitsgesetz erneut eingeführt. Es sieht vor, dass bei kollidierenden Tarifverträgen in einem Betrieb nur der Tarifvertrag derjenigen Gewerkschaft angewandt wird, die mehr Mitglieder hat. Das fördert die Monopolstellung einzelner Gewerkschaften und gibt ihnen die Macht, Bereiche kritischer Infrastruktur vollkommen lahmzulegen, während dies mit mehreren kleinen Gewerkschaften nicht möglich wäre. Zusätzlich führt das Gesetz zu einem Überbietungswettbewerb in Betrieben mit mehreren Gewerkschaften – so auch bei der Deutschen Bahn.

Kritik an dem Gesetz kommt auch vom Vorsitzenden der zweitgrößten Gewerkschaft Deutschlands, Verdi-Chef Frank Werneke. „Das Tarifeinheitsgesetz gibt den Arbeitgebern die Möglichkeit, Gewerkschaften gegeneinander auszuspielen, verschärft damit den Konkurrenzkampf zwischen Gewerkschaften und trägt so zur Eskalation von Auseinandersetzungen bei. Es gehört ersatzlos gestrichen“ heißt es in einer Pressemitteilung.

Zu guter Letzt ist die GDL, wie jede Institution, anfällig für Machtkämpfe und egoistische Inszenierungen einzelner Personen auf Kosten anderer. Aus welchen Gründen die Führungsriege der GDL, insbesondere ihr Vorsitzender Weselsky, genau handelt, können Außenstehende nur mutmaßen. Doch innerhalb der GDL bildete sich bereits 2013 eine Opposition gegen den eigenen Vorsitzenden. Die „Initiative für Rechtstaatlichkeit und Demokratie in der GDL“ um den ehemaligen Vorsitzenden Manfred Schell warf Weselsky vor, Posten nach eigenem Gutdünken zu verteilen, unliebsame Amtsinhaber zu entfernen und nur das eigene Ego im Blick zu haben. Mit seinem Führungsstil und seiner Kompromisslosigkeit schade Weselsky der GDL, sagte die Opposition und fordert offen den Rücktritt des Chefs.

Die aktuellen Streiks der GDL sind ein Produkt aus verschiedenen Faktoren, und so wie es verschiedene Probleme gibt, lassen sich auch verschiedene Lösungsvorschläge erdenken. Die Privatisierung der Deutschen Bahn wäre ein Anfang und in dem Zusammenhang auch die Liberalisierung des Fernverkehrs durch Abbau der Bürokratie für Zugbetreiber und Wettbewerb auf der Schiene. Des Weiteren könnte man wieder Tarifpluralismus und einen gesunden Wettbewerb der Gewerkschaften ermöglichen, indem das Tarifeinheitsgesetz wieder gekippt wird.

Die internen Strukturen der GDL zu verändern, wird nicht möglich sein. Doch gerade dieser Fall zeigt, wie wichtig es ist, Monopole zu verhindern. Wenn eine Institution einmal zentralisiert über Macht verfügt, ist es viel zu einfach für einen einzelnen Menschen, das Leben vieler Menschen negativ zu beeinflussen.