Photo: Wagner T. Cassimiro „Aranha“ from Flickr (CC BY 2.0 DEED)

Mit einem Paukenschlag hat am 15. November das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe die Schuldenbremse im Grundgesetz wieder in den Blickpunkt gerückt. Seitdem wird über den Sinn dieser Beschränkung wieder ausgiebig diskutiert. Die einen sind für eine Lockerung, um Investitionen des Staates stärker ermöglichen zu können. Selbst der Wissenschaftliche Beirat beim Bundeswirtschaftsminister hat dies jetzt vorgeschlagen, indem er eine „Goldene Regel Plus“ einführen will, die Nettoinvestitionen des Staates von der Schuldenbremse ausnehmen soll. Alle Neuinvestitionen des Staates, die die wirtschaftliche Substanz des Staates erweitern, sollen darunter fallen, allerdings weder marode Schultoiletten noch kaputte Autobahnbrücken. Die fiskalpolitischen Falken, so der Vorwurf der Kritiker, betrachten die Schuldenbremse als Fetisch, der fast gottähnlich angebetet werde. Soweit würde ich als Katholik nicht gehen!

Um tiefer in das Thema einzudringen, ist es vielleicht von Nutzen, über den Tellerrand hinauszublicken. Die Schuldenbremse, die der Gesetzgeber 2009 in Artikel 115 des Grundgesetzes schrieb, hatte ein Vorbild: unser Nachbarland, die Schweiz. 2001 wurde in einer Volksabstimmung die Schuldenbremse in die Schweizer Verfassung geschrieben. 85 Prozent stimmten damals zu. Seit 2003 wird sie seitdem mit großem Erfolg angewandt. Von 2003 bis 2019 fiel die Schuldenquote der Schweiz von 25,3 auf 13,5 Prozent. Ähnlich wie in Deutschland ermöglicht die Schweizer Schuldenbremse eine Aussetzung in einer schweren Rezession oder einer Naturkatastrophe. Dies geschah, wie bei uns auch, während der Corona-Pandemie. Der Schuldenstand stieg in dieser Zeit auf 15,6 % zum Bruttoinlandsprodukt (2022).

Der wesentliche Unterschied zu unserer Schuldenbremse ist, dass die Schweiz keinen strukturellen Verschuldungsspielraum hat. Einnahmen und Ausgaben müssen ausgeglichen sein. Deutschland kennt auf Bundesebene hingegen eine zulässige Nettokreditaufnahme von bis zu 0,35 Prozent zum BIP. Die Schweiz hat also eine noch restriktivere Schuldenbremse als Deutschland. War und ist dies zum Nachteil für unser Nachbarland?

Nein, im Gegenteil. Die Schweiz steht bei allen ökonomischen Rahmendaten besser da als Deutschland. Die Staatsquote beträgt nur 32,2 Prozent (Deutschland 49,8 %), die Inflation ist mit 1,4 Prozent niedriger (Deutschland 3,2 %), das reale Wachstum ist langfristig höher, aktuell liegt es bei 0,3 Prozent (Deutschland -0,1 Prozent). Das Bruttoinlandsprodukt liegt mit 93.720 US-Dollar fast doppelt so hoch wie hierzulande (Deutschland 50.795 US-Dollar nominal).

Die Schweiz ist nicht nur ein Standort für Finanzdienstleistungen wie Banken und Versicherungen, sondern auch ein Land der Tüftler und Denker. Die Patenanmeldungen sind pro Kopf die höchsten der Welt (Schweiz: 966 pro 1 Mio. Einwohner, Deutschland 819). Wir fallen jedoch seit Jahren zurück. In der Schweiz sitzen große Chemieunternehmen genauso wie Hidden Champions im Maschinen- und Anlagenbau.

Selbst bei den Investitionen des Staates glänzt unser Nachbarland. Pro Kopf investiert der Schweizer Staat viermal so viel in seine Schieneninfrastruktur (Schweiz 450 Euro, Deutschland 114 Euro). Ein Verspätungsdesaster wie in Deutschland kennt man bei der Schweizer Bahn nicht. Sie ist bekannt für ihre Pünktlichkeit.

Nicht alles kann man mit einer Regel im Grundgesetz oder einer Verfassung erklären. Vieles ist auch Ergebnis einer kulturellen Entwicklung oder eines gesellschaftlichen Konsens. Die Schweiz war halt immer sparsam. Dennoch ist für mich eines klar: Eine Lockerung der Schuldengrenze löst nicht mehr Probleme, sondern schafft neue. Daher halte ich es mit dem ehemaligen Bundeswirtschaftsminister Otto Graf Lambsdorff, der bei der Einführung der Schuldenbremse 2009 sagte: „Der Staat hat nicht das Recht, anders als seine Bürger zu wirtschaften. Es ist seine Pflicht als Sachverwalter des Allgemeinwohls, bei einer Krise auch Ausgaben zu senken. Sonst wirtschaftet er nicht für die Bürger, sondern gegen sie.“