Photo: Katrin Gilger from Flickr (CC BY-SA 2.0)

Der britische Finanzminister George Osborne hat nach der Brexit-Entscheidung angekündigt, dass Großbritannien die Unternehmensteuern senken werde, um die Attraktivität des Standortes auf der Insel zu erhöhen. Schon sprechen die Ersten von Steuerdumping und einem Wettbewerb nach unten, der ruinös für die jeweiligen Staatsfinanzen sei.

Doch mit dem Vorstoß Osbornes wird ein wesentlicher Vorteil des Brexits für Großbritannien deutlich. Sie gewinnen erheblich an Souveränität hinzu. Gerade das war ein entscheidendes Argument der Brexit-Befürworter. Die bisherige Entwicklung in der EU geht seit Jahren in die entgegengesetzte Richtung. Dort hält man einen Systemwettbewerb für grundfalsch. Dort will man die Unterschiede in den Steuersystemen, in den Sozialsystemen und in der Fiskalpolitik nivellieren. Seit Jahren versucht die EU-Kommission als Vorstufe die Mehrwertsteuersätze zu harmonisieren und die Bemessungsgrundlage für die Unternehmensteuern anzugleichen, um später mit einheitlichen Steuersätzen gänzlich die Unterschiede abzuschaffen.

Als Begründung wird dafür gerne das Bild des Rosinenpickens verwandt. Dahinter steckt der Vorwurf, dass sich hier Einzelne zu Lasten der Solidargemeinschaft bereichern würden. Auch Angela Merkel verwendet dieses gängige Bild, wenn sie den Briten zuruft: „Wir werden sicherstellen, dass die Verhandlungen nicht nach dem Prinzip der Rosinenpickerei geführt werden.“ Egal ob die Briten Mitglied der EU sind oder nicht, wollen sie in den Binnenmarkt exportieren, dann müssen sie die wettbewerbsfeindlichen Regeln akzeptieren, oder sie bleiben draußen vor der Tür. So die einfache Logik der Kanzlerin.

Deshalb stellt sich auch Jean-Claude Juncker nicht selbst in Frage, sondern zieht aus dem Brexit-Votum den Schluss, die Europäische Union müsse nun noch intensiver und noch schneller die Zentralisierung vorantreiben und die letzten Reste eines Wettbewerbs der Ideen beseitigen. Manche meinen schon, Juncker habe den Schuss nicht gehört. Aber vielleicht kann er auch nicht anders in seinem schwankenden Elfenbeinturm.

Doch der Wettbewerb der Systeme ist gut für alle Teilnehmer, denn Fehler werden viel früher erkannt als ohne ihn. Das Herausgreifen von Vorteilen und deren Stärkung ist ebenfalls gut und richtig. Auch hier findet ein Lernprozess aller anderen statt. Sie können sich plötzlich an den Besten orientieren und ihnen nacheifern. Plötzlich werden alle zu Rosinenpickern. Die Marktwirtschaft ist im Grunde eine Ordnung des Rosinenpickens. Jeder Unternehmer und jeder Kunde macht tagein tagaus nichts anderes, als Vorteile für sich zu suchen. Warum sollte in einer auf Freiwilligkeit basierenden Ordnung jemand von sich aus bewusst Chancen auslassen und dafür Strafen in Kauf nehmen? Gerade im Steuerrecht basiert vieles auch auf Tradition und Praktikabilität. Warum soll die Slowakei zum Beispiel unser kompliziertes Unternehmensteuerrecht übernehmen müssen? Dort gibt es eine andere Steuertradition als in Deutschland. Schon in Deutschland schaffen es die Finanzbehörden und erst Recht die Unternehmen nicht, das komplizierte Unternehmensteuerrecht zu administrieren. Wie wäre dies in der Slowakei, Rumänien oder Griechenland?

Rosinen picken ist gut und richtig. Aus dieser eigensinnigen Ordnung erwächst nämlich der Fortschritt. Denn Staaten zwingt dieser Systemwettbewerb zu Anpassungen, die sonst nie stattfinden würden. Der Systemwettbewerb diszipliniert den Staat in seinem sonst ungebremsten Wachstum. Denn anders als Unternehmen haben Regierungen und Staaten in der Regel keinen Konjunkturverlauf, der Umsätze steigen und mal wieder einbrechen lässt. Staaten und Regierungen können immer aus dem Vollen schöpfen. Ihre „Umsätze“, die Steuern, steigen von Jahr zu Jahr.

Wenn es schlecht läuft, stagnieren sie vielleicht mal, aber schon im nächsten Jahr steigen sie meist wieder. Deshalb unterliegen Regierungen und Staaten nur selten einem wirklichen Reformdruck. Und wenn dies doch mal der Fall ist, haben sich die Probleme über viele Jahre und Jahrzehnte aufgestaut und können dann häufig nicht mehr mit einfachen Korrekturen bewältigt werden. Die Situation Griechenlands, aber auch Italiens und Spaniens sind gute Beispiele dafür. Wer das Rosinenpicken verhindert, will letztlich, dass es allen gleich schlecht geht. Stattdessen ist es eine Hauptaufgabe des Wettbewerbs, zu zeigen, welche Pläne falsch sind. Osbornes Initiative für niedrige Steuern entfacht diesen Wettbewerb neu – vielleicht dann auch wieder in der Rest-EU. Die Hoffnung stirbt bekanntlich zuletzt.

Erstmals veröffentlicht bei Tichys Einblick.

3 Kommentare
  1. Ralf Becker
    Ralf Becker sagte:

    Beim jetzigen Nationalstaatenprinzip setzen die Einzelstaaten quasi meistens auf eine „starke Wirtschaft“, wem auch immer diese nützt und die öffentlichen Schulden werden niemals getilgt, sondern stets bequem umgeschuldet. Dadurch erhöht sich die Geldmenge immer mehr und es gibt ein sog. „schuldenbasiertes Wachstum“.
    Die Staaten entledigen sich ihrer Schulden also sehr bequem und für das dumme Wahlvolk zum Glück fast gar nicht erkennbar mit immer schnelleren Geldmengenausweitungen, womit der Kleinsparer letztlich immer mehr enteignet wird und mit denen man zum Glück der Wirtschaft gute Standortbedingungen anbieten kann.
    Und die CDU wirbt mit folgenden Slogans für sich: „das Triple erreicht“, „Exporte ausgeweitet“, „Neuverschuldung gestoppt“. Aber bei dieser Partei findet man fast gar keine Diskussions-Foren, was mich doch ein wenig zweifeln lässt, dass das auch nur annähernd eine demokratische Partei ist. Selbst das P ist schon ein wenig gelogen, weil diese Partei eine reine Lobbyistentruppe ist.

    Wenn aber bei einem Ökonomie-System doch die Reichen immer schneller reich werden und die Ärmsten zum Schulden machen gezwungen sind, dann müsste man doch denken, dass der Volkswirtschaft dann doch irgendwann mal das Geld ausgeht. Aber eben gerade dies ist nicht der Fall.

    Wenn kein Geld mehr da ist, dann macht der Staat eben Schulden und die Banken können wieder umso leichter neues Geld in den Geldkreislauf pumpen.

    Allerdings dürfte ich das Wort „Geldkreislauf“ eigentlich nicht verwenden, weil es diesen gar nicht gibt.
    Statt dessen gibt es eine selten rücksichtslose Verarmungspolitik und auch der britische Finanzminister hat die neoliberalen Rezepte bislang noch nicht als falsch entlarvt.

    Zum Thema „gewollte Verarmungspolitik“ gibt es wohl auch ein youtube-Video von Dirk Müller.

    Ich lese es jetzt jedenfalls gerade wieder in der Neuen Westfälischen (NW):
    NRW-Kommunen drücken 62 Milliarden Euro Schulden

    Wenn wir jetzt aber auf unseren Bankenirrsinn verzichten würden, dann wüssten wir es auch nicht so richtig, wie ein faires Geldsystem funktioneren könnte.

    Es stellen sich dann Fragen wie:
    – wer sollte Geld schöpfen dürfen?
    – wie kann ich es verhindern, dass Geld- und Gütermenge zu stark auseinanderdriften?
    – wie kann man eine sinnlose Ausbeutung der Ressourcen verhindern?
    – können wir eine Klimakatastrophe noch entgehen?
    – WE ARE DESTROYING THE WORLD – OH YES; BUT IT TURNS OUT THAT IT IS VERY PROFITABLE

    – wie kann ich die Zunahme der weltweiten Ungleichheit abbremsen?
    (62 Personen gehört die halbe Welt und das geht so nicht!)

    – sollten Banken Eigengeschäfte machen dürfen?
    – ist es sinnvoll, dass Banken zocken?
    – wie bekomme ich mehr Preislenkung ins Sozialwesen?

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