Photo: Claus Rebler from Flickr (CC BY-SA 2.0)

Der Europa-Parlamentarier Alexander Graf Lambsdorff hat gerade vor der Freigabe der Griechenland-Kredite durch die EU-Finanzminister gewarnt: „In Wahrheit ist Athens Reformprogramm ein Papiertiger.“ Seit Beginn der Finanzhilfen seien 74 Prozent der mit den europäischen Partnern vereinbarten Reformen nicht durchgeführt worden, gibt sich jetzt der EU-Abgeordnete überzeugt. Er plädierte wie sein Parteivorsitzender Christian Lindner für einen Austritt Griechenlands aus dem Euro.

Darauf hinzuweisen war und ist notwendig, bekommt man doch gelegentlich den Eindruck vermittelt, die Situation für Griechenland und für den Euro-Club habe sich seit 2010 wesentlich verbessert und das Erpressungspotential der überschuldeten Staaten und Banken in Europa habe abgenommen. Deshalb ist die Kritik an Finanzminister Schäuble und damit auch an den Regierungsparteien in Berlin sehr berechtigt. Machen es sich die Finanzminister im Euro-Club doch sehr einfach. Erneut werden die Dinge auf die lange Bank geschoben, Beruhigungspillen verteilt und din Reformbereitschaft der griechischen Regierung verklärt.

Und wie 2010 versuchen diese Schönredner wieder, über wichtige zeitliche Hürden zu springen. Die eine Hürde ist das Brexit-Referendum in Großbritannien am 23. Juni. Auf der Insel steht es Spitz auf Knopf, da will man in Brüssel keine negativen Schwingungen erzeugen. Das zweite Datum ist die Bundestagswahl in Deutschland im September 2017. Ein Schuldenschnitt, wie auch immer er aussehen mag, will man als deutscher Finanzminister nicht verantworten. Deshalb verschiebt man diese Frage auf das Jahr 2018. Wichtig ist für alle Beteiligten, Griechenland aus den Schlagzeilen zu halten.

Mit einer Schuldenquote von 180 Prozent zur Wirtschaftsleistung hat Griechenland einen neuen Höchststand in seiner Euro-Geschichte erreicht. 315 Milliarden Euro an Staatsschulden tragen heute nicht mehr Banken, Versicherungen und Fonds, sondern faktisch zu 100 Prozent der Euro-Club, die EZB und der IWF. Jetzt ist die drohende Ansteckungsgefahr für die europäischen Banken zwar gemindert, aber nunmehr bürgt der Steuerzahler für diese uneinbringlichen Forderungen. Die Retter von damals halten sich zugute, dass die Zinsspreads zwischen Griechenland und den übrigen Schuldenstaaten zugenommen hätten. Bis auf Portugal haben alle Euro-Staaten inzwischen Renditen von 10-jährigen Staatsanleihen von unter 2 Prozent, viele sogar unter 1 Prozent. Lediglich Portugal liegt bei fast 4 Prozent, wogegen Griechenland bei rund 7 Prozent liegt..

Die Ansteckungsgefahr ist jedoch gegenüber 2010 nicht gemindert, vielmehr hat sie sich erhöht. Die Zinsspreads sind kein Indikator einer abnehmenden Gefahr in einer Zeit, in der die EZB jeden Monat für 80 Milliarden Euro überwiegend Staatsanleihen aufkauft. Diese Maßnahme dient einzig und alleine dem Ziel, die Zinsen und Renditen der Staatsanleihen zu drücken. Das Volumen ist dabei gar nicht entscheidend. Entscheidend ist der Wille Mario Draghis, den er in den Worten „whatever it takes“ zum Ausdruck gebracht hat. Die Anleihenmärkte sind wahrscheinlich noch nie in den vergangenen 60 Jahren in dieser Weise manipuliert worden.

Die Ansteckung aller Länder in der Eurozone findet derzeit an anderer Stelle statt. Regierungen werden nicht nur in Griechenland hinweggefegt, sondern auch in Spanien und Portugal. Etablierte Parteistrukturen gelten nicht mehr, siehe Österreich und Frankreich. Selbst in Deutschland ist es nicht mehr weit, bis die Union erstmalig in Umfragen unter die 30 Prozent-Hürde fällt. Die andere Volkspartei, die SPD, muss sich daran gewöhnen, unter 20 Prozent taxiert zu werden. Das so oft apostrophierte Verursacherprinzip gilt im Euro-Club nicht. Recht wird bis zur Unkenntlichkeit verbogen. Deshalb dürfen sich die Regierungen nicht wundern, wenn ihre Politik des Zeitgewinns durch Rechtsbeugung sich ein Ventil sucht. Griechenlands Weg muss ein Weg außerhalb des Euro-Korsetts sein. Für alle Beteiligten wäre dies besser – für Griechenland und die restlichen Euro-Staaten.

Sollte Griechenland den Euro-Club verlassen, hieße das nicht, dass der Euro in Griechenland verschwindet. Es bestünde sogar die Möglichkeit, den Bürgern Griechenlands die Wahl zu lassen, welche Währung sie nutzen. Hierfür ist nicht sehr viel notwendig. Im ersten Schritt müsste die EZB den griechischen Banken den Zugang zur EZB und dessen Zentralbankgeld kappen. Anschließend würde dann die griechische Regierung eine neue Währung in Umlauf bringen und die Bankkonten darauf umstellen. Das Euro-Bargeld würde weiter seine Funktion als Zahlungsmittel behalten. In einem klassischen Parallelwährungsraum würde normalerweise dann das schlechte Geld das gute Geld verdrängen. Die neue Drachme würde in einen Abwertungssog gegenüber dem Euro geraten. Alle Menschen in Griechenland würden versuchen, die relativ schlechtere Drachme in den relativ besseren Euro umzutauschen. Der Euro würde gehortet und die neue Drachme würde möglichst schnell ausgegeben oder getauscht.

Dieser als „Greshamsche Gesetz“ bezeichnete Zusammenhang kann eigentlich nur dadurch vermieden werden, dass der griechische Staat kein gesetzliches Zahlungsmittel definiert und keinen Wechselkurs über die eigene Notenbank zu bestimmen versucht, sondern das Zahlungsmittel und deren Verwendung dem Markt überläßt. Daher ist nicht ein klassisches Parallelwährungskonzept die Antwort, sondern ein Vielwährungskonzept aus unterschiedlichen Währungen, die je nach Verwendung unterschiedliche Vor- und Nachteile haben können. Das Grundprinzip dieses Vielwährungskonzeptes lautet: Nur wenn jeder Bürger jeder Zeit die Möglichkeit hat, sein schlechtes Geld in gutes Geld umzutauschen, entsteht eine Geldordnung, die dauerhaft Vertrauen schafft. Dieses Währungskonzept würde nicht von der Willkür der Regierung oder einer Zentralbank abhängig sein, sondern vom Vertrauen jedes Einzelnen.

Erstmals erschienen bei Tichys Einblick.

3 Kommentare
  1. Incamas SRL
    Incamas SRL sagte:

    Die EU strebt zu schnell nach einem Superstaat – noch dazu am Volk vorbei und entgegen jeder historisch-kulturellen Grundlage. Falls deshalb die EU zerfiele, wäre es Brüssels Schuld. Das ist die Aussage von Donald Tusk. Der EU-Ratspräsident kritisiert seine Kollegen scharf und fordert „eine ergebnisoffene Diskussion über die Zukunft der EU.“ Tusk geißelte das EU-Establishment dafür, „eine Utopie Europas ohne Nationalstaaten“ voranzutreiben. Diese bewege sich gegen den Lauf der europäischen Geschichte und stoße auf eine tiefgehende, kulturelle Gegenströmung, die man nicht mehr als illegitimen, rechtsextremen Populismus abtun könne.

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  2. Martin Pescheck
    Martin Pescheck sagte:

    Ich freue mich ja über die jetzigen Erkenntnisse von Graf Lambsdorff; aber gerade er hätte so deutlich wie jetzt viel früher aktiv werden können und müssen.

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  3. Incamas SRL
    Incamas SRL sagte:

    Denn eines hat EZB-Präsident Mario Draghi bei seiner jüngsten Pressekonferenz wieder einmal deutlich gemacht: Mit ihm wird es keine Rückkehr zu einer wenigstens halbwegs seriösen Geldpolitik geben. Dass auch die verantwortungslose Staatsschuldenpolitik weitergehen wird, hat EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker verkündet, indem die Kommission die Geltung des Stabilitätspakts für Frankreich um ein weiteres Jahr ausgesetzt hat. Sein lachhaftes, ja unverschämtes Argument: „Weil es Frankreich ist.“

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