Photo: National Gallery, London from Wikimedia Commons (CC 0)

Ein Zug rast aus einem dunklen und regnerischen Hintergrund in einen immer klareren Vordergrund hinein. Ein kleines Ruderboot, das träge in einem See herumdümpelt, bleibt im Hintergrund. Angetrieben wird der Zug von einem Kohleofen in der Lokomotive, der hell durch das Bild scheint. Will uns der Maler zeigen, dass er es nicht erwarten kann, möglichst schnell in eine bessere Zukunft zu fahren? 1844 malte der Brite William Turner das außergewöhnliche Gemälde „Rain, Steam and Speed“.  Also in der Hochphase der Zeit, die heute jedes Schulkind als die Industrielle Revolution kennt. Alles, was diese wichtige Epoche der Menschheitsgeschichte auszeichnet, findet man in diesem Bild: Wissenschaftliche, technische und kommerzielle Innovationen kommen zusammen, lassen die in konstanter Armut herumdümpelnde Gesellschaft der letzten Jahrhunderte hinter sich und brausen mit voller Kraft in eine helle und optimistische Zukunft.

Turners Gemälde ist fast 200 Jahre alt und doch vermissen viele von uns 2021 die Geschwindigkeit, mit der Turners Lokomotive in eine bessere Zukunft rast. Seit fast einem halben Jahr wissen wir um die besten Impfstoffe. Und doch treiben wir immer noch ziellos im Home-Office, bei Spaziergängen um den Block und bei Netflix-Abenden auf der Couch umher, anstatt echte Kollegen zu sehen, den Sportverein zu genießen und bei wilden Kneipenabenden zu feiern.

Im Gegensatz zu vielen seiner Zeitgenossen in der Romantik, die Fabriken und Zugtrassen in ihren Landschaftsgemälden bewusst mieden, versprüht Turner Hoffnung, dass eine bessere Zukunft durch technologische Innovation möglich ist. Wollen wir nicht bei der Erfindung des Impfstoffes apathisch stehen bleiben, sondern sie günstig, schnell und sicher verteilen, brauchen wir technologische Innovationen. Innovationen wie die Newcomsche Dampfmaschine, die Turners Lokomotive des Fortschritts antreibt.

Kooperation und Vertrauen statt Kommando und Kontrolle

Doch wie fördern wir Innovationen, die uns zügig in eine bessere Zukunft bringen? Der britische Publizist Matt Ridley beschäftigt sich in seinem aktuellen Buch „How Innovation Works“ mit genau dieser Frage. Dabei versteht er Innovationen als die Weiterentwicklung technischer Erfindungen hin zu Produkten, die günstig, schnell und sicher an möglichst viele Konsumenten vergeben werden können – eine nicht von der Hand zu weisende Parallele zur Produktion und Verteilung der Corona-Vakzine. Von Robert Habeck bis Jens Spahn – Politiker zeigen momentan genau das Gegenteil von dem, was Ridley als innovationsfördernd identifiziert: von wochenlangen Zulassungsverfahren für Impfstoffe, obwohl Mittel schon in mehreren Ländern ausführlichst getestet wurden, über den Vorschlag einer nationalstaatlichen Impfstoff-Notwirtschaft bis hin zur Forderung nach Zwangslizenzen, um Unternehmen endlich zur Impfstoffproduktion zu verpflichten.

Ridley zeigt anhand vieler Beispiele, dass genau das Gegenteil nötig ist: Innovationsfähigkeit braucht kein schwerfälliges und zentrales „Kommando und Kontrolle“. Sie braucht ein schnelles und dezentrales „Kooperation und Vertrauen“. So wie das Vertrauen auf dezentrale, internationale Kooperation zur schnellen Entwicklung mehrerer funktionsfähiger Impfstoffe führte, können wir auch berechtigt hoffen, dass uns durch diesen Prozess eine zügige, günstige und sichere Bereitstellung gelingt. Ridley zeigt, dass Innovationen nie im Kopf eines zentralen Planers entstehen. Von den ersten Lastschiffen über holländische Windmühlen bis hin zu amerikanischen Dampfschiffen: Die Innovationen der Vergangenheit waren selten das Ergebnis eines am Schreibtisch brütenden Genies, sondern immer Teamsport.

Teamsport – egal ob bei holländischen Windmühlen oder in einer Pandemie – braucht jedoch einen Regelrahmen, der erfolgreiche Kooperation und Vertrauen zulässt. Viel zu oft wird das erfolgreiche Spiel gehemmt durch hochkomplexe Bürokratie, die das Gründen von Unternehmen zum verwaltungsrechtlichen Spießrutenlauf macht; durch Zulassungsverfahren, die sich quälend in die Länge ziehen und gigantische Mengen Kapital verschlingen; Politiker, die über Zwang und Strafe statt über Anreize nachdenken. Stattdessen sollte man über mehr Freiheit für Unternehmen nachdenken, damit sie ihre Energie auf Innovation richten können statt auf das Gezerre mit Regulatoren. Anstelle einer Grundängstlichkeit vor dem Neuen würde uns eine Romantik des Fortschrittes gut tun, wie sie Turner so wunderschön illustriert hat. Gerade jetzt.

Ungewisse Zukunft, wahrscheinlicher Erfolg

Klar ist: dieser Weg verspricht kein (vor-)bestimmtes Ergebnis. Von Thomas Edison und der Erfindung der Glühbirne über die Wright Brüder und die Erfindung des Flugzeugs bis hin zu Google und Twitter – neue Innovationen, die Erfindungen günstig, schnell und sicher zu den Konsumenten bringen, waren selten genauso geplant. Beim Blick auf die Geschichte von Innovation können wir jedoch erkennen, dass dezentrale Kooperation und Vertrauen mit großer Wahrscheinlichkeit zu Erfolgen und Verbesserungen führen werden – wir wissen nur noch nicht wie und wo.

Schauen wir zum Abschluss noch einmal auf Turners Gemälde. Schnell übersieht man nämlich vor dem Zug eine weitere symbolträchtige Kleinigkeit: Ein Hase läuft auf den Schienen der dampfenden Lokomotive des Fortschritts wie in einem Wettrennen. 1844 symbolisierte dies den Erfolg des menschlichen Erfindergeistes über die Möglichkeiten der Natur. 2021 siegen wir nun auch langsam gegen das Corona-Virus. Doch wird es sich quälend und unnötig in die Länge ziehen, wenn wir Innovationen weiterhin durch einen starren Regelrahmen hemmen, der auf Kommando und Kontrolle statt auf Kooperation und Vertrauen setzt.

Gelingt es uns, Innovation freien Raum zu lassen, dann überholen wir das Virus nicht mit der Geschwindigkeit einer Dampflokomotive des 18. Jahrhunderts, sondern mit dem Speed eines Porsche 911 Jahrgang 2021.

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