Von Prof. Roland Vaubel, Professor für Volkswirtschaftslehre und Politische Ökonomie an der Universität Mannheim.

Als in Griechenland die neue Regierung gewählt wurde, spielte Wolfgang Schäuble zunächst den unnachgiebigen Zuchtmeister. Die subventionierten Kredite würden nur dann weiter gezahlt, wenn sich Griechenland strikt an die vereinbarten Bedingungen halte. Davon ist nicht mehr die Rede. Stattdessen hat die neue griechische Regierung ihre wirtschaftspolitischen Absichten mitgeteilt und die Eurogruppe nach einigem Hin und Her zugestimmt. Die bisherigen Einsparungsziele gelten nicht mehr – sie sind „flexibilisiert“ worden. Die griechischen Absichtserklärungen sind vage. Giannis Varoufakis, der griechische Finanzminister, preist ihre „produktive Undeutlichkeit“. Es werden schöne Ziele genannt – „die Korruption, die Steuerhinterziehung und den Schmuggel bekämpfen“ –, aber keine konkreten Maßnahmen, mit denen diese Ziele erreicht werden können und sollen. Wie sollte es möglich sein, diese Missstände jetzt zu beseitigen, nachdem sie in den letzten 180 Jahren nicht beseitigt werden konnten? Es handelt sich um leere Versprechungen – Luftbuchungen, und die Beteiligten wissen es. Weshalb lässt sich Wolfgang Schäuble darauf ein?

Die meisten Kommentatoren meinen, Schäuble gebe nach, weil er Griechenland um jeden Preis im Euro halten wolle. Diese Vermutung traf im Jahr 2010, als der „Bail-out“ begann, sicher zu. Aber heute ist die Lage anders. Deutschland und die anderen Euroländer haben dem griechischen Staat in den letzten Jahren riesige Summen geliehen, und die EZB hat griechische Staatsanleihen gekauft und erhebliche Nettoforderungen gegenüber der griechischen Zentralbank erworben. Schäuble hat stets erklärt, die deutschen Steuerzahler würden ihr Geld zurück erhalten. Das Schlimmste, was ihm passieren kann, ist daher, dass sich die neue griechische Regierung für zahlungsunfähig erklärt – so wie es viele Regierungen (auch griechische) vor ihr getan haben. Die Fiktion der Rückzahlbarkeit muss um jeden Preis aufrecht erhalten werden. Hier ist Schäubles empfindlichste Stelle – seine Achillesferse.

Die neue griechische Regierung hat ihren Wählern versprochen, dass sie nicht aus dem Euro aussteigen will. Die überwältigende Mehrheit der Griechen will trotz allem in der Währungsunion bleiben. Aber Varoufakis betont bei jeder sich bietenden Gelegenheit, dass Griechenland ohne weitere Kredite zahlungsunfähig ist. „Ich bin der Finanzminister eines bankrotten Staates“, sagt er. Er hat Recht, und er kann nichts dafür. Bereits einen Tag nach der Verlängerung des Hilfspaketes forderte er erneut eine Umschuldung. Schäuble erklärte noch am selben Tag, er sei „fassungslos“. Die Drohung, dass sich Griechenland für zahlungsunfähig erklärt, schwebt wie ein Damoklesschwert über seinem Kopf.

Noch aus einem anderen Grund ist die griechische Verhandlungsposition gut. Griechenland hat mittlerweile in seinem Staatshaushalt einen „Primärüberschuss“ erzielt. Das bedeutet: die neue griechische Regierung kann – wenn man von der Bedienung der Schulden absieht – ihre Ausgaben problemlos finanzieren. Sie ist nicht darauf angewiesen, am Kapitalmarkt Geld aufzunehmen (was schwierig wäre) oder zusätzliche subventionierte Kredite von den anderen Euro-Staaten zu erhalten. Das ist eine neue Situation.

Ende April soll überprüft werden, ob die griechische Regierung ihre Zusagen eingehalten hat. Zunächst wird die ehemalige Troika, die aus Europäischer Kommission, EZB und IWF besteht, aber nicht mehr als „Troika“ bezeichnet werden darf, einen Bericht anfertigen. Die Interessenlage der Kommission und der EZB ist klar: bloß keinen Eklat, und keine Abschreibungen auf die griechischen Staatsanleihen, die die EZB gekauft hat. Die Entscheidung liegt bei den Finanzministern. Die meisten sind so erpressbar wie Schäuble selbst. Ganz gleich, ob die griechische Regierung ihr Zusagen einhält oder nicht, es wird bei der Verlängerung des Hilfsprogramms bleiben. Nach Ablauf des Programms Ende Juni benötigt Griechenland den nächsten billigen Kredit. Auch er wird gewährt werden, und auch er wird wohl nicht der letzte sein.

Aus dem Euro wird Griechenland nur dann ausscheiden, wenn die EZB den Geldhahn zudreht, weil die griechischen Banken keine hinreichenden Sicherheiten bieten können. Dann hat die griechische Regierung keine andere Wahl, und sie kann die Verantwortung der EZB zuschieben. Die EZB hat im Februar bereitwillig die Notfallkreditlinie für die griechische Regierung erweitert, um die Kapitalflucht aus Griechenland zu finanzieren. Die EZB hat kein Interesse daran, dass Griechenland austritt und ihr geldpolitischer Herrschaftsbereich schrumpft. EZB-Präsident Mario Draghi wird alles tun, um Griechenland in der Währungsunion zu halten – genau wie sein Vorgänger Jean-Claude Trichet im Mai 2010.

Photo: blu-news.org from Flickr

4 Kommentare
  1. Harald Schmidt
    Harald Schmidt sagte:

    Griechenland beutet den Rest der Eurozone ganz einfach aus. Nachdem die reichen Griechen schon vor langem mit ihrem Geld das Land verlassen haben, tun dies jetzt mit Hilfe der Notkredite der EZB die übrigen Griechen, die noch Bankguthaben haben, auch. Es gibt keine Solidarität der Griechen mit ihrem Staat und dem armen Teil der Bevölkerung. Das ist die traurige Wahrheit. Natürlich wünscht man der neuen Regierung Erfolg bei der Einsammlung der hinterzogenen und vermiedenen Steuern, die auf ausländischen Konten liegen. Wenn sich aber in den 4 Monaten bis Juni 2015 nicht konkret zeigt, daß gesetzgeberisch eindeutige Maßnahmen erfolgt sind, die zu deutlich erhöhten Steuereinnahmen von den reichen griechischen Staatsbürgern führen, dann ist jeder weitere Kredit der Steuerzahler oder auch Notkredit der EZB verlorenes Steuergeld. Das Interesse der großen Mehrheit der Steuerzahler in der Euro-Währungsunion liegt somit eindeutig darin, an Griechenland dann keine weiteren Kredite mehr zu vergeben. Eine einseitige Erklärung der griechischen Regierung, sie sei zahlungsunfähig, würde dann rechtlich nicht automatisch die bestehenden Forderungen an Griechenland löschen. Über deren Ausgleich wäre in den Folgejahren ohne jeden Schuldenschnitt zu verhandeln. Es gilt nach wie vor der ökonomisch richtige Sachverhalt, daß Griechenland mit einer eigenen Währung am besten aus der hausgemachten Krise herauskäme.

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  2. Roland Vaubel
    Roland Vaubel sagte:

    Herr Schmidt, das ist zu juristisch argumentiert. Wovor sich Schäuble fürchtet, ist, dass die griechische Regierung – da sie zahlungsunfähig ist – ihre Schulden einseitig löscht oder Gespräche über die Höhe eines Schuldenschnitts anbietet.

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