Photo: Hans Sandreuter from Wikimedia Commons (CC BY-SA 3.0)

Von Prof. Roland Vaubel, emeritierter Professor für Volkswirtschaftslehre und Politische Ökonomie an der Universität Mannheim.

Die beiden Alpenländer Schweiz und Österreich haben ganz ähnliche geographische Voraussetzungen. Sie sind auch im wesentlichen von denselben Stämmen (Alemannen und Kelten) besiedelt worden. Selbst die Bevölkerungszahl ist fast die gleiche (Österreich 8,7 Mill., Schweiz 8,3 Mill.). Politisch sind sie jedoch sehr verschiedene Wege gegangen. Die Schweiz wurde zum Hort der Freiheit, Österreich zu einem Hauptgegner der Liberalisierung in Europa. Weshalb?

Obwohl der von mir behauptete Unterschied wahrscheinlich keiner Belege bedarf, will ich ihn zunächst anhand historischer Beispiele verdeutlichen und erst danach versuchen, ihn zu erklären.

Dass die Freiheit in Österreich nicht den gleichen Rang einnimmt wie in der Schweiz, erwies sich in zweierlei Hinsicht: bei der Religionsfreiheit und bei der politischen Freiheit.

Es ist bekannt, dass die Habsburger – ausgenommen Maximilian II. (1562-76) – die Reformation bekämpften, während es in der Schweiz mit Zwingli in Zürich und Calvin in Genf zwei führende Reformatoren gab. Zwar verweigerten nicht nur die Habsburger, sondern auch die meisten schweizerischen Kantone bis ins späte 18. Jahrhundert die Freiheit der Religion. Aber zur Eidgenossenschaft gehörten protestantische wie katholische Kantone, zwischen denen man wandern konnte – in einigen Gebieten entschied sogar die Gemeinde über die gemeinsame Religionszugehörigkeit. Es ist überliefert, dass die Berner zeitweise Katholiken vertrieben und die Schwyzer Protestanten, aber systematisch verfolgt wurde von Katholiken wie von Protestanten nur die Sekte der (Wieder-)Täufer – in Zürich bis ins 18. Jahrhundert. Besonders intolerant war man gegenüber Sektierern in Genf, das allerdings erst 1815 in die Eidgenossenschaft aufgenommen wurde. Dort verbrannte man 1553 auf Calvins Geheiß Michael Servetius, weil er die Dreifaltigkeit ablehnte. Es wird berichtet, dass um 1530 in Zürich ein Täufer ertränkt wurde, aber zur selben Zeit tötete man in Österreich etwa 600 Täufer. In Wien verbrannte man 1528 Balthasar Huber, in Innsbruck 1536 Jakob Hutter – beide führende Täufer.

Unter Rudolf II., dem in Spanien erzogenen Sohn Maximilians II., wurden 1577 in Wien alle protestantischen Gottesdienste verboten, die Prediger vertrieben und die protestantischen Schulen geschlossen. Ferdinand II. (1619-37), dessen religiöser Intoleranz der Ausbruch des Dreißigjährigen Krieges zuzuschreiben ist, stellte die protestantischen Adligen vor die Wahl, entweder katholisch zu werden oder Österreich zu verlassen. In Böhmen ließ er zunächst die protestantischen Pfarrer vertreiben (1623), dann den evangelischen Gottesdienst verbieten (1624) und schließlich alle Protestanten ausweisen (1627).

Von dem eingeschränkten Schutz, den der Westfälische Frieden religiösen Minderheiten im Reich gewährte, hatten sich die Habsburger ausdrücklich ausgenommen. Noch in den Jahren 1752-55 organisierte Kaiserin Maria Theresia in Österreich eine groß angelegte Protestantenverfolgung. “Religionskommissare” verhörten Verdächtige, Denunzianten wurden reich belohnt. Die, die sich weigerten abzuschwören, kamen an den Pranger und ins “Konversionshaus” (Zuchthaus), ihre Kinder ins Waisenhaus. 3.000 halsstarrige Protestanten wurden aus Österreich nach Siebenbürgen und Ungarn deportiert.

Vorausgegangen war 1744 die Ausweisung von mehr als 10.000 Juden aus Prag, dann aus Böhmen. In der Schweiz wurden nach dem Mittelalter keine Juden mehr verfolgt. Sie waren fast alle 1348, als die Pest in Europa wütete, des Landes verwiesen worden. In Preussen förderte Friedrich der Große, Maria Theresias großer Gegenspieler, ab 1750 die “Hofjuden”.

Was die politische Freiheit angeht, schälte sich der Unterschied zwischen Österreich und der Schweiz besonders im 18. und 19. Jahrhundert heraus. In fast allen Landesteilen der Schweiz – im 18. Jahrhundert mit Ausnahme von Genf[i] — wurden Liberale geduldet. Es galt Meinungs- Presse- und Versammlungsfreiheit, und der Staat respektierte das Briefgeheimnis. Österreich dagegen entwickelte sich unter Joseph II. (1765-90), Leopold II. (1790-1804) und Franz II. (1804-35) allmählich zum Polizeistaat. Ab 1815 ging Fürst Metternich im Auftrag des Kaisers mit äußerster Schärfe gegen “liberale Umtriebe” und Unabhängigkeitsbestrebungen vor. Wer verdächtig erschien, wurde von der Geheimpolizei bespitzelt (selbst im Ausland); Briefe wurden abgefangen und erbrochen; willkürliche Verhaftungen waren an der Tagesordnung; liberale Professoren wurden vom Dienst suspendiert. Alle Druckwerke bis 300 Bögen (Seiten), insbesondere alle Presseerzeugnisse, unterlagen der Vorzensur, längere der Nachzensur. Die Encyclopedia Britannica schreibt über Franz II.: “He was denounced by liberals throughout Europe as a tyrant. … The fortress prison of the Spielberg … made so many martyrs to freedom”.

Die liberale Verfassung von 1848 wurde 1851 wieder einkassiert, und Kaiser Franz Joseph setzte die scharfe Verfolgung der Liberalen bis 1866 fort: “Acts of repression and severity amounting to cruelty were perpetrated in his name, and the responsibility for them must lie with him, since he claimed the right to autocracy”.[ii]

Dass die Freiheit in der Schweiz mehr zählt als in Österreich, ist noch heute leicht zu erkennen. Im Economic Freedom Index der Heritage Foundation (Washington) belegt die Schweiz den vierten Platz, Österreich Platz 31. Die Staatsquote beträgt in der Schweiz 34 Prozent, in Österreich über 49 Prozent. Der Stimmenanteil, den linke Parteien im Durchschnitt seit 1970 bei den Wahlen zur ersten Kammer des Bundesparlaments erzielt haben, beläuft sich in der Schweiz auf knapp 30 Prozent, in Österreich auf über 45 Prozent. In vierzig der fünfzig Jahre stellte die SPÖ den Bundeskanzler.

Doch nun zur Erklärung: weshalb haben sich Österreich und die Schweiz so unterschiedlich entwickelt? Von David Hume (1742) und Charles Montesquieu (1748) stammt die These, dass die Entstehung von Freiheit letztlich eine Frage der Geographie ist: Freiheit gedeiht nur dort, wo die geographischen Bedingungen die Zentralisierung der Politik erheblich erschweren. Aber in welcher Hinsicht war die Geographie der beiden Alpenländer denn so verschieden?

In beiden Ländern verhinderten die Berge die Entstehung eines Zentralstaats nach französischem Muster, wie sehr sich auch einige Habsburger (vor allem Maximilian I., Ferdinand I., Maria Theresia und Franz Joseph) darum bemühten. In Österreich sind die Alpen – insbesondere die Gebirgspässe – niedriger als in der Schweiz. Österreich war dadurch Italien stärker zugewandt als die Schweiz. Die guten Verkehrswege nach Italien erleichterten den Schulterschluss mit dem Papst und die Aufrechterhaltung norditalienischer Besitzungen.

Aber entscheidend war ein anderer geographischer Unterschied: während die Schweiz im Westen der Alpen eingezwängt war, konnte Österreich nach Osten expandieren. Die Schweiz war eingezwängt, weil sie im Westen einen stets mächtigen Nachbarn hatte: Frankreich. Das französische Sprachgebiet war – aufgrund seiner natürlichen Grenzen im Norden, Westen und Süden – bereits im 15. Jahrhundert dauerhaft unter einer Herrschaft vereinigt worden. Frankreich ließ keine große Expansion der Schweiz zu. Es war im Gegenteil zu Zeiten eine Quelle der Bedrohung. Nur von Frankreich wurde die Schweiz vorübergehend besetzt und kontrolliert (1798-1814). Frankreich verhinderte auch, dass die Eigenossenschaft über das Tessin hinaus nach Italien expandieren konnte. Die schwere Niederlage des schweizerischen Heeres gegen ein französisches 1515 bei Marigniano (Lombardei) gilt weithin als Schlüsselerlebnis für die schweizerische Neutralitätspolitik, die allerdings erst 1815 festgeschrieben wurde.

Die Eidgenossenschaft konnte nur in den Bergen wachsen, und da war nicht viel Platz. Die Habsburger dagegen hatten die Möglichkeit, ihren eigenen Herrschaftsbereich außerhalb des Hochgebirges weit nach Osten auszudehnen. Dabei kam ihnen die Geographie auch in Gestalt der schiffbaren Donau zur Hilfe.  Schon 1526 fielen Ungarn (mit der Slowakei und dem größten Teil Kroatiens) und Böhmen (mit Mähren, Schlesien und der Lausitz) als Personalunionen an die Habsburger.[iii] Die Ressourcen der habsburgischen Ostgebiete versetzten Österreich in die Lage, seine Rivalen bei deutschen Kaiserwahlen und bei lukrativen Heiratsanträgen auszustechen und ihre Machtbasis immer weiter zu vergrößern. Als Kaiser waren die Habsburger an der Einheit der Religion und der autoritäreren Variante des Christentums interessiert. In Wien, der reich dekorierten Hauptstadt des Großstaats, entstand eine höfische Hochkultur – zu Lasten des restlichen Imperiums.

Zeitweise – von 1529 bis 1686 – hatte auch die Donaumonarchie einen mächtigen und bedrohlichen Nachbarn: die Türken. Um seine Ostkolonien und Wien gegen die Türken zu verteidigen und den habsburgischen Vielvölkerstaat zusammenzuhalten, benötigte Österreich ein großes stehendes Heer. In der Schweiz reichte ein Milizheer, das ganz auf Defensive eingestellt war. Die Habsburger wollten herrschen, die Schweizer ihre Unabhängigkeit und Freiheit – beide Teil des Selbstbestimmungsrechts – verteidigen, auch und schon früh gegen die Habsburger.

Das habsburgische Österreich entstand nicht – wie die Schweiz – durch Sezession, sondern durch einen Staatsstreich. Rudolf I., der erste Habsburger auf deutschem Thron, usurpierte 1276 den Großteil des heutigen Österreichs (ohne Tirol, das erst 1490 dazu kam) und erklärte ihn 1282 zu habsburgischen Erblanden. Ohne Staatsstreich wäre Österreich schwer zu bekommen gewesen, denn das Hochgebirge schützte Österreich und die Schweiz vor Eroberungsversuchen. Im Gegensatz zu Österreich war die schweizerische Eidgenossenschaft ein freiwilliger Zusammenschluss lokaler Gemeinwesen. Das Habsburgerreich wurde von oben geschmiedet, die schweizerische Konföderation von unten. Das prägt die Menschen.

Da die Kantone freiwillig beitraten, konnten sie sich – trotz des von den Protestanten gewonnenen Bürgerkriegs von 1847 – ein hohes Maß an politischer Selbständigkeit bewahren. Die Vielfalt der Institutionen bot den Menschen Vergleichs- und Wahlmöglichkeiten. Der Wettbewerb der Kantone um Investoren und Steuerzahler hielt die Politiker tendenziell davon ab, den Bürgern Vorschriften zu machen und die Steuern zu erhöhen. Schon David Hume (1742) hat die These vertreten, dass die Nachbarschaft mehrerer unabhängiger, aber miteinander verbundener Gemeinwesen die Macht der Obrigkeit beschränkt.

Viele, aber bei weitem nicht alle Kantone praktizierten von Anfang an eine Form der direkten Demokratie. Auch das hat mit der Geographie zu tun. In einem zerklüfteten Land bietet es sich an, politische Entscheidungen vor Ort zu treffen. Auf lokaler Ebene funktionieren Volksabstimmungen am besten, denn dort wissen die Bürger in der Regel, worum es geht. Auch die direkte Demokratie schützt die Bürger vor den Regierenden, aber sie schützt nur die Mehrheit, nicht Minderheiten und den Einzelnen. Ohne die Wahlmöglichkeiten, die der Wettbewerb der Kantone dem Einzelnen bietet, könnte die direkte Demokratie die Freiheit gefährden. Auf der Ebene der gesamten Eidgenossenschaft gibt es Volksabstimmungen erst seit 1848 (über die Bundesverfassung); über einfache Gesetze können die Schweizer seit 1874 abstimmen. Die freiheitliche Entwicklung, die schon lange zuvor in der gesamten Schweiz einsetzte, kann man damit nicht erklären.

Wo Freiheit ist, strömen Freiheitsliebende hinzu – besonders solche, die in ihrem Heimatland verfolgt werden. Die neutrale Schweiz wurde im Lauf der Geschichte zur Fluchtburg der Verfolgten aus aller Herren Länder – vor allem aus den Nachbarländern. Dadurch hat der schweizerische Liberalismus zusätzliche Impulse erhalten.

[i] Das Genfer Patriziat verfolgte Liberale. Micheli du Crest (1734), Jean Lui de Lolme (1770) und Etienne Pierre Dumont (1783) mussten fliehen. Pierre Fatio wurde 1707 hingerichtet. Im 19. Jahrhundert wurden die Liberalen in Genf jedoch zur stärksten Partei.

[ii] Ebenfalls aus der Encyclopedia Britannica.

[iii] Die Ehe, die dies möglich machte, wurde 1515 geschlossen und im Vorgriff auf den Gebietsgewinn – z. B. die slowakischen Silberminen – von den Fuggern finanziert. Ein Kredit der Fugger war dann auch 1519 dafür verantwortlich, dass Karl V. zum Kaiser gewählt wurde.

Erstmals erschienen bei Wirtschaftliche Freiheit – Das ordnungspolitische Journal.

2 Kommentare
  1. Becker Ralf
    Becker Ralf sagte:

    Selbst wenn die Schweiz eine direkte Demokratie hat, haben die weltweiten Nationalstaaten doch keine Kontrolle über das Geld.

    Es ist zudem problematisch, dass der Finanzsektor in der Schweiz dort die drittgrößte Stütze der Wirtschaft ist.

    Dann war die Schweiz im Zweiten Weltkrieg Hitlers wichtigster Hehler.

    Ferner war eine wichtige Schlüsselfigur im Zweiten Weltkrieg, Allen W. Dulles, seinerzeit Chef des amerikanischen Geheimdienstes in der Schweiz.

    Dann macht es mir auch Sorgen, dass jetzt zwei besonders wichtige Politikerinnen in Schlüsselpositionen, Frau U. von der Leyen und Frau K. K. beide als Verteidigungsministerinnen Erfahrungen sammeln oder gesammelt haben. Die Rüstungsausgaben explodieren zudem immer schneller und dem Bundestag fehlt die Kompetenz, um die Gründe dafür zu erkennen.

    Die CDU/ CSU und auch die ÖVP stellen doch nur mit Parteispenden und mit der besseren Medienpräsenz, aber ganz sicher nicht mit funktionierenden Inhalten die Regierung.

    Außerdem explodieren doch jetzt genauso wie vor dem Zweiten Weltkrieg die weltweiten Schulden immer schneller.

    Antworten
  2. Christof
    Christof sagte:

    „Der Wettbewerb der Kantone um Investoren und Steuerzahler“. Das genau hat auch den Erfolg der EG (bzw EWG) einst ausgemacht. Und eben auch den der Schweiz.
    Was in Deutschland niemand weiß: jeder Schweizer exportiert -obwohl oder weil nicht In der EU! und trotz starkem Franken!- fast doppelt so viel als jeder Deutsche, obwohl sich die Deutschen so gerne für „Exportweltmeister“ halten.
    Die EU (gegründet 1993 in Maastricht, existiert erst seit 01.01.1994) lehnt Wettbewerb und Freiheit strikt ab und hat juristisch die EG sogar ausdrücklich deshalb abgeschafft (seit 2009 gibt es die einst so erfolgreiche EG per Dekret (Nizza/Lissabon) nicht mehr). Die EU folgt also dem monopolistisch-zentralistisch-sozialistischen Modell Österreichs, nicht dem freiheitlich-marktwirtschaftlichen Modell der Schweiz.
    Sollten EU und Schweiz ihren Kurs beibehalten, ist klar, wer der Gewinner sein wird und wer die Verlierer: die EU-Staaten!

    Antworten

Dein Kommentar

An Diskussion beteiligen?
Hinterlasse uns Deinen Kommentar!

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert