Photo: Marion S. Trikosko from Wikimedia Commons (CC 0)

Von Alexander Kobuss, Research Fellow bei Prometheus Oktober 2021 – Februar 2022. Alexander hält einen Master of Education in den Fächern Geschichte und Sozialwissenschaften von der Universität zu Köln. Aktuell promoviert er zur Geschichte der sozialen Marktwirtschaft und untersucht dabei vor allem die Gründungszeit der Bundesrepublik. Seine geförderte Masterarbeit beschäftigte sich mit der Rezeption der sozialen Marktwirtschaft in Großbritannien.

Die 1970er Jahre waren eine turbulente Zeit. Sie waren die Zeit hervorragender Disco-Klassiker von ABBA oder Boney M, aber auch ein Jahrzehnt politischer Umbrüche. Das „Krisenjahrzehnt“ war gekennzeichnet durch Ereignisse wie den Krieg in Vietnam, die Watergate-Affäre, Ölkrisen, den Nordirland-Konflikt und die sogenannte Stagflation. Letztere traf ganz besonders Großbritannien, bedeutete nachhaltigen Konflikt in der britischen Politik und brachte die Idee der sozialen Markwtirtschaft über den Ärmelkanal.

Nach Ende des zweiten Weltkrieges entwickelte sich im britischen Parlamentarismus der post war consensus. Die konservative Tory- und die linke Labour-Partei kamen überein, dass ein starker Staat die Wirtschaft in die richtigen Bahnen lenken müsse. Nach Jahren des kontinuierlichen Ausbaus des Wohlfahrtsstaates zeigte die Stagflation der 1970er – eine Mischung auf hoher Inflation und ökonomischer Stagnation – die negativen Konsequenzen des staatsfreundlichen Konsenses auf. Lähmende Bürokratie, niedriges Wachstum und hohe Inflation schadeten dem Wohlstand der britischen Bevölkerung. Die wenigen Profiteure des consensus waren gut organisierte Gruppen, die ihre Gewerkschafts- und Geschäftsinteressen gegen den den ökonomischen Fortschritt des Landes ausspielten.

Seinen Höhepunkt fand das ökonomische Krisenjahrzehnt im Winter of Disconent. Eine Winterrezession in den Jahren 1978/79 wurde von so schweren Streiks der Gewerkschaften begleitet, dass Krankenhäuser wochenlang stillstanden, der Abfall nicht entsorgt und die Toten nicht begraben wurden. Dies bereitete den Boden für ein politisches Erdbeben: 1979 wurde Margaret Thatcher mit dem Versprechen liberaler ökonomischer Reformen zur ersten weiblichen Premierministerin Großbritanniens gewählt. Während Thatchers Wahl in die Geschichtsbücher einging, wurde eine spannende Debatte weitestgehend vergessen: die Auseinandersetzung der Tories mit dem deutschen Konzept der sozialen Marktwirtschaft.

Spuren einer Debatte um politische Kommunikation

Ausgangspunkt dieser Debatte ist das 1975 veröffentlichte Pamphlet „Why Britain needs a social market economy“ des Politikers Keith Joseph. In dem, vom konservativen Think-Tank Centre for Policy Studies publizierten Papier, legte Joseph dar, dass die deutsche Volkswirtschaft deutlich besser mit den Krisen der 1970er Jahre umging als die britische. Daher sei es an der Zeit, sich an dem deutschen Konzept der sozialen Marktwirtschaft zu orientieren. Dabei war es den Tories wichtig, die Prinzipien der freien Marktwirtschaft wie zum Beispiel eine konsequente Liberalisierung der britischen Wirtschaft nicht nur inhaltlich, sondern auch rhetorisch attraktiv zu machen.

Thatcher hingegen war kein Freund eines Begriffs, der dem Sozialismus auch nur phonetisch ähnlich klang. Ihr konsequenter Widerstand gegen eine Anbiederung an alles was an den postwar consensus erinnerte, zeigt sich auch bei einem Treffen mit einer Gruppe von one nation conservatives, die sich wirtschaftspolitisch in Krisenzeiten nicht allzu weit vom consensus entfernen wollten. Ähnlich wie in ihrer Reaktion auf die soziale Marktwirtschaft soll Thatcher schroff reagiert, aus ihrer Handtasche das Buch „Die Verfassung der Freiheit“ des liberalen Ökonomie-Nobelpreisträgers F.A. Hayek gezogen und gesagt haben: „this is what we believe!“ In ihren Memoiren schrieb sie, dass der Begriff soziale Marktwirtschaft genauso schnell im parteiinternen Diskurs aufkam wie er auch wieder „leise vergessen“ wurde.

Das kurze Aufleben der „social market economy“

Thatcher sollte Recht behalten. Ohne den Begriff sicherte sie sich überzeugend ihre erste Wiederwahl und brachte die gesamte Partei hinter ihre konsequentere Position. Thatchers Erdrutschsieg wurde auch durch die Spaltung der Labour Partei begünstigt, aus der sich die moderate Social Democratic Party (SDP) ausgründete. Die SDP, im Bündnis mit den Liberalen, erzielte bei der Wahl 1982 einen Achtungserfolg mit 25% der Gesamtstimmen. Zwar war es nicht genug, um mit den Tories unter Thatcher mitzuhalten, aber es reichte, um einen bekannten Begriff wieder in den politischen Diskurs einzubringen: die social market economy. SDP und Liberale orientierten sich diesmal nicht an den Gründungvätern der sozialen Marktwirtschaft, sondern an den Erfolgen der sozialliberalen Koalition in Deutschland zur gleichen Zeit. Der SDP gelang es aber nicht, den Begriff mit einem konkreten wirtschaftspolitischen Programm zu füllen. Nachdem Thatcher auch ihre zweite Wiederwahl sicherte, versank die SDP in der politischen Bedeutungslosigkeit, fusionierte mit den Liberalen zu den Liberal Democrats und der Begriff der sozialen Marktwirtschaft scheiterte erneut.

Immer wieder sollten sich später Intellektuelle an dem Konzept versuchen. Doch das deutsche Konzept der sozialen Marktwirtschaft konnte sich nie in Großbritannien durchsetzen. So blieb die social market economy eine Fußnote im Ringen um gute politische Kommunikation in der Ära Thatcher.