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Heute jährt sich zum 800. Mal die Unterzeichnung der Magna Carta. Sie kann uns immer noch in unserem Verständnis von Freiheit, Rechtsstaat und Demokratie inspirieren. Vielleicht auch im Blick auf die von Großbritannien angestoßene Debatte über EU-Reformen.

Robin Hood lässt grüßen

Die Invasion Englands durch den Normannenherrscher Wilhelm im Jahr 1066 hatte die dortige Staatsorganisation grundlegend verändert. Vor allem König Heinrich II., der von 1154 bis 1189 regierte, baute in seiner für damalige Verhältnisse sehr langen Regierungszeit den Zentralstaat aus und führte eine Bürokratie ein, die die Kontrolle des Königs über die örtlichen Herrscher, die Barone, sichern sollte. Der berühmte Sheriff von Nottingham war ein solcher Bürokrat, der lokale Adlige und Bauern gleichermaßen drangsalierte. Aus der Geschichte um Robin Hood kennt man auch den Sohn Heinrichs II., König Johann Ohneland. Er war es, der vor 800 Jahren gezwungen wurde, seine Unterschrift unter die Magna Carta zu setzen.

Nach dem strengen Regiment seines Vaters und der eklatanten Misswirtschaft seines großen Bruders Richard Löwenherz sah sich Johann bei Herrschaftsantritt mit einem harschen Krieg in Frankreich konfrontiert. Dieser Krieg verschlang Unsummen und so erhöhte sich die Steuerlast von Jahr zu Jahr. Gleichzeitig kam es zu einer starken Inflation. Es kam der Punkt, an dem die Barone sich nicht mehr in der Lage sahen, diese Bürde zu schultern. Zumal sie von ihren eigenen Untertanen, an die viele der Lasten natürlich durchgereicht wurden, auch immer mehr Druck bekam. Robin Hood lässt grüßen.

Ein dauerhafter Garant gegen Willkür

Zentralstaat, Bürokratismus, hohe Steuern, Inflation – kommt einem irgendwie bekannt vor. Genau. Und vielleicht ist es auch keine ganz große Überraschung, dass in dem Land, dessen Bürger sich schon vor 800 Jahren dagegen gewehrt haben, auch heute der Widerstand relativ groß ist gegen solche Entwicklungen. Der Zufall will es, dass der derzeitige EU-Kommissionspräsident auch Johann (Jean-Claude) heißt – und in der Tat ja auch ein Ohneland ist. Doch abseits dieser anekdotischen Petitessen können wir tatsächlich an das Jahr 1215 anknüpfen, wenn wir darüber nachdenken, wie die Freiheit des Bürgers am besten gesichert werden kann.

Bereits im ersten Artikel des Dokuments wird der langfristige Gültigkeitscharakter festgeschrieben. König Johann unterschreibt es nicht als Person, sondern in seiner Funktion als Souverän. Er vererbt die Verpflichtung an seine Nachfahren. Es handelte sich also bei der Magna Carta nicht nur um einen Deal mit dem König. Vielmehr stand die Idee dahinter, eine schriftliche Verfassung zu etablieren, um einen dauerhaften Garanten gegen die Willkür der Herrschenden zu haben. Auch wenn in den folgenden Jahrhunderten die Magna Carta viel häufiger ignoriert als befolgt wurde, hielt sich die Idee eines auf Dauer angelegten Vertrags und inspirierte mehr als 400 Jahre später die britischen Vertragstheoretiker wie John Locke, die unser modernes Demokratieverständnis geprägt haben.

Die Wurzel der Bürgerrechte

Mehrere Artikel widmen sich der Frage der Besteuerung. Fortan sollte der König nicht mehr nach eigenem Gutdünken Steuern erheben dürfen. Das Schildgeld, eine Art Kopfsteuer, die wichtigste Finanzierungsquelle des Königs bei seinen Kriegen, durfte nur noch nach Zustimmung des „common counsel“ erhoben werden. Damit war der Grundstein gelegt für das Entstehen eines Parlaments im modernen Sinne. Fünfzig Jahre später, im Januar 1265, tritt dann auch zum ersten Mal ein englisches Parlament in Westminster zusammen. Fortan sollte der König sich genauer überlegen, ob eine Investition – in der Regel ein Krieg – wirklich nötig ist, und sollte gleichzeitig gezwungen sein, sich vor dem Parlament dafür zu rechtfertigen. Jahrhunderte später hallte der Ruf „No taxation withour representation“ aus den amerikanischen Kolonien wie ein Echo dieser Bestimmungen über den Atlantik.

Indem man dem königlichen Etat Fesseln anlegte, sollte dessen Willkür eingeschränkt werden. Der Willkür seiner Beamten setzte man klare rechtstaatliche Bestimmungen gegenüber. Es ging um die Herrschaft des Rechts, den Rule of Law. Um einen Prozess anzustrengen, sollte die Anklage allein nicht mehr ausreichen – „zuverlässige“ Zeugen waren zwingend nötig. Auch bestimmte das Dokument: „Kein freier Mann soll verhaftet, ins Gefängnis geworfen, enteignet, geächtet oder verbannt werden … außer aufgrund des rechtmäßigen Urteils seiner Standesgenossen oder aufgrund der Gesetze dieses Landes.“ Diese Bestimmungen waren wegweisend für die Geschichte der Bürgerrechte vom Habeas Corpus Act von 1679 über die Bill of Rights in der US-Verfassung bis hin zu all den Kämpfern gegen Tyrannen in unserer Zeit, in Syrien und China, in Venezuela und Russland.

Sogar die Personenfreizügigkeit und die Zollfreiheit, die wohl wichtigsten Errungenschaften der Europäischen Union wurden in der Magna Carta bereits für das Königreich England garantiert: „Alle Kaufleute sollen sicheres Geleite haben, nach England zu können und es zu verlassen, dort zu bleiben und durchzureisen, sowohl zu Land als zu Wasser; … zu kaufen und zu verkaufen, ohne alle bösen Zölle.“ [sic! „evil tolls“]

Aus der Geschichte Robin Hoods lernen

Die Magna Carta Libertatum, wie sie vollständig heißt, also die „Große Urkunde der Freiheiten“, sollte nicht lange überdauern. Viele der Adligen, die zur Zeit Johann Ohnelands die Opposition gebildet hatten, wurden bald wieder zu Komplizen des Königs. Ihre Nachfahren machten es nicht besser. Es bedurfte noch vieler hundert Jahre voller Unterdrückung und Krieg bis sich die Prinzipien der Rechtsstaatlichkeit und der Selbstbestimmung stärker durchsetzen konnten. Das schmälert allerdings nicht die Bedeutung des Dokuments. Denn auch wenn England 1215 nicht sofort von einer Despotie zu einer modernen Republik wurde, war der Same gelegt, die Idee in die Welt gekommen.

Diese Idee kann uns heute noch als Leitstern dienen. Kehren wir dafür noch einmal zurück zu Robin Hood. Und zwar unabhängig davon, ob man in ihm einen verklärten Kriminellen, einen Retter der Entrechteten oder einen Vorläufer von Che Guevara sieht. Robin Hood und seine Mitmenschen hätten alle mehr davon gehabt, wenn er eine Töpferei betrieben hätte und sein Sohn eine Schule in Nottingham aufgemacht hätte. Das war aber nicht möglich, weil sie in einem Land lebten, das gebeugt wurde von zu hoher Steuerlast und in dem fast alle Bewohner der Willkür von Beamten ausgesetzt waren.

Nun ist die Situation heute vielleicht nicht mehr ganz so dramatisch wie damals im Sherwood Forrest. Und trotzdem gilt auch heute noch: Hohe Steuern, immer mehr und immer willkürlichere Gesetze und ein aufgeblähter Staatsapparat führen nicht in die Freiheit und den Wohlstand. Sie sind vielmehr der Weg in den Sherwood Forrest. Das sollten die Verantwortlichen in der EU bedenken, wenn sie mit den Reformvorschlägen aus dem Land der Magna Carta konfrontiert werden. Möge die EU ein Ort sein, an dem Robin Hood ungehindert seinen Geschäften nachgehen kann – zum Nutzen aller!

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