Photo: Pete Markham from Flickr (CC BY-SA 2.0)

Auf Wikipedia wird „Lobbypedia“ wie eine seriöse Quelle behandelt. Bei einer Google-Suche erscheint die Seite in der Regel weit oben. „Die sind gegen Lobbyisten, die müssen gut sein.“ Nein: hier werden in bester Verschwörungsmanier Mutmaßungen, Banalitäten und Zufälle zu vermeintlichen Fakten zusammengewürfelt.

Pappkameraden basteln

Breitbart und der KOPP-Verlag sind mitnichten die Einzigen, die eine eigene Wirklichkeit erschaffen möchten, die sich ihrer Weltsicht anpasst. Auch bei Organisationen wie Campact werden gerne mal so lange unwiderlegbare, aber banale Fakten mit irgendwelchen Spekulationen zusammengerührt und mit einer düsteren Soße übergossen bis der ideale Pappkamerad steht, den man der eigenen Anhängerschaft zum Abschuss freigeben kann. Seit gut zehn Jahren spielt im Internet der Verein „Lobbycontrol“ eine immer größere Rolle, weil er verantwortlich zeichnet für die Seite „Lobbypedia“, die verheißt, Licht in das Dunkel der vielen beängstigenden Netzwerke und Hinterzimmer-Verbindungen zu bringen. Was tatsächlich geschieht: Unliebsamen politischen Gegnern tritt man nicht mit Argumenten in einem Diskurs entgegen, sondern man versucht, sie zu diskreditieren, indem man ihnen finstere Machenschaften unterstellt. Das ist das schlimmste Gift für eine offene und demokratische Gesellschaft.

Die Autoren auf dem Portal arbeiten vorwiegend mit dem Instrument der Sippenhaft. Ein wesentlicher Teil der Artikel besteht in der Regel in ausführlichsten Aufzählungen von Personen und Institutionen, die in irgendeinem Verhältnis zum Artikelgegenstand stehen. Dadurch soll offenbar der Eindruck entstehen, hier seien tiefe Netzwerke zugange, die auf den unterschiedlichsten Ebenen miteinander verwoben sind. Verzichtet wird allerdings meist darauf, diese Verbindungen zu erklären. Das Englische kennt für ein solches Vorgehen den Begriff „guilt by association“. Es ist eine Variante des sogenannten „ad hominem-Arguments“, des persönlichen Angriffs. Selbst im ansonsten wenig zimperlichen politischen Geschäft sind derlei Diskussionsmethoden zurecht verpönt. Es ist ein billiger Ausweg, wenn man die sachliche Debatte scheut. Und es ist unanständig. Es war gut, dass die Diskussion um persönliche Umstände des SPD-Kanzlerkandidaten bald wieder verstummt ist (er bietet ja auch ansonsten genug Anlass zur Kritik …). Und es ist richtig, dass es Menschen empört, wenn Präsident Trump seinen Amtsvorgänger einen „bad (or sick) guy“ nennt.

NWO: Neoliberale Weltordnung

Man kennt das alles: es ist Teil des klassischen Arsenals von Verschwörungstheoretikern. Da wird insinuiert und gemunkelt. Da werden Tatsachen so selektiv dargestellt, dass schon klar ist, wie der Leser etwas zu bewerten hat – ohne, dass es je so aufgeschrieben wurde. Da wird mit besorgter Miene und wissendem Blick der eigene Wissensvorsprung bekundet. Auch wenn Lobbypedia von sich selber natürlich behauptet, keine Spekulationen aufzustellen, stammen ihre Leitfragen doch aus dem traditionellen Repertoire der KOPP-Autoren: „Wer ist mit wem vernetzt? (Beziehungen, Seilschaften, Netzwerke etc.)“, „Wem nützt es? Wem schadet es?“, „Warum ist das wem wichtig? (dahinter liegende Interessen)“. Viele dieser Fragen lassen sich vernünftigerweise überhaupt nicht beantworten, hinterlassen aber auch unbeantwortet einen faden Nachgeschmack. Auch unbewiesene Vorwürfe bleiben irgendwie kleben.

Wie sieht es nun auf der inhaltlichen Seite aus? Der Hauptfeind von Lobbypedia ist der „Neoliberalismus“. Gleich zu Beginn des entsprechenden Artikels wird dieser erst einmal mit „Neokonservatismus“ gleichgesetzt: Damit hat man über die Hintertür auch noch Dick Cheney und Donald Rumsfeld in das feindliche Boot geschmuggelt – sehr praktisch, wenn auch inhaltlich blödsinnig. Es wird nicht besser, wenn behauptet wird, das Weltbild des Neoliberalismus sei „sozialdarwinistisch (der Egoismus liegt in den Genen)“. Anschließend wird ausführlich begründet, dass ja auch wissenschaftliche Studien zeigen würden, „dass Kooperation sich als die optimale Strategie erweist“. Ja, genau darauf beruht die gesamte Theorie von Denkern wie Adam Smith, Ludwig von Mises oder Friedrich August von Hayek … Es gibt ernstzunehmende und substantielle Kritik an Denkern des Neoliberalismus. Der Blick in die Quellen des Artikels zeigt: es wurde fast ausschließlich aus der eigenen Blase zitiert.

Die Zerstörung des öffentlichen Diskurses

Es ist hier (noch) nicht der Ort, um den – im Vergleich zu den anderen tatsächlich einmal ausführlicheren und mit Begründungen versehenen – Artikel auseinanderzunehmen (wer ihn lesen möchte, er findet sich hier). An dieser Stelle nur noch das Resümee des Artikels, das kommentarlos zitiert sein soll:

So lange sich Wirtschaftskrisen und ihre Auswirkungen in Grenzen hielten, wurden die offensichtlichen Schwächen der neoliberalen Sichtweise in der Öffentlichkeit kaum erörtert, weil sie den Interessen mächtiger Lobbygruppen entsprach, die über erheblichen Einfluss in den Medien sowie in vielen wirtschaftspolitischen Institutionen verfügen (Sachverständigenrat, Bundesbank, Wirtschaftsforschungsinstitute, Beiräte von Ministerien). Die Welt-Finanzkrise hat jedoch das Scheitern der neoliberalen Doktrin offenbart. Ob jedoch der neoliberale Zeitgeist von einer neuen Ideologie abgelöst wird, ist jedoch umstritten.

Saubere Argumentationen, klare Belege, differenzierte Darstellungen gehören offenbar nicht zum Instrumentenkasten der selbsternannten Sittenpolizei. Stattdessen werden Ansichten und Personen verunglimpft und pauschal als käuflich und korrupt dargestellt. Es ist dieselbe Attitüde, mit der rechte und linke Populisten in den letzten Jahren ihre pauschale Eliten-Kritik geübt haben. Wer nicht in ihr Weltbild passt, muss böswillig oder zumindest gekauft sein. So zerstört man den öffentlichen Diskurs.

Den „Neoliberalen“ zuhören anstatt sie zu bekämpfen

Es ist schließlich bemerkenswert, dass nur die Arbeit von vermeintlich oder tatsächlich „neoliberalen“ Akteuren von Lobbypedia unter die Lupe genommen wird. Es gibt keine Artikel über die Deutsche Umwelthilfe (DUH), Attac oder Campact (von denen Lobbycontrol im vergangenen Jahr 50.000 Euro erhalten hat), obwohl auch diese natürlich Sonderinteressen vertreten und auf den politischen Prozess Einfluss zu nehmen versuchen – zum Teil, wie die DUH, mit handfesten Profitinteressen. Wer der Ideologie der Macher von Lobbycontrol entspricht, genießt offenbar Immunität. Objektivität sieht anders aus. Es geht nicht um Transparenz und eine Stärkung der Demokratie – es geht um die eigene Agenda. Das ist legitim, aber nur unter zwei Voraussetzungen: Man muss darauf verzichten, sich mit der Aura der Objektivität zu umgeben. Und man muss Argumente austauschen und nicht Gegner diskreditieren.

Ein letzter Hinweis an die Macher der Seite: Die bedeutendsten Theorien zum Eindämmen von Lobbyismus stammen aus den Federn klassischer „Neoliberaler“ wie Friedrich August von Hayek, James M. Buchanan, Gordon Tullock, Mancur Olson, Gary Becker und William Niskanen. Und eines der zentralen Anliegen der deutschen „Neoliberalen“ nach dem Krieg, also von Leuten wie Walter Eucken und Ludwig Erhard, war die Bekämpfung des korporatistischen Systems, in dem Wirtschaft und Staat ungesund miteinander verquickt sind, und das aus ihrer Sicht den Sieg des Nationalsozialismus befördert hatte. Wer gegen Lobbyisten kämpfen will, und erreichen möchte, „dass das Wohl der Allgemeinheit vor den Profit-Interessen Einzelner steht“, sollte den „Neoliberalen“ zuhören anstatt sie zu bekämpfen.

3 Kommentare
  1. gogo49
    gogo49 sagte:

    Haben sie bei Lobycontrol auch die „Erneuerbaren“ auf dem Schirm? Das ist die aggressivste, verführerischste, skrupelloseste Lobby die ich kenne.

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  2. Alfred Reimann
    Alfred Reimann sagte:

    Ganz unrecht haben sie nicht mit den Überproduktions- u. Kreditkrisen etc. nicht!

    Wann erkennen die Liberalen, ich bin einer von ihnen, dass Arbeitslosigkeit u. Überproduktion die gleichen Wurzeln haben? Der Kapitalismus, auch freier Markt genannt, ist die Methode von möglichst viel Freiheit und Eigentumsschutz für das Individuum. Diese Methode hat den Mangel in Überfluss verwandelt, eine Jahrtausende alte Geisel der Menschheit weitgehend beseitigt.

    Wie jede Methode und jedes Medikament das wirkt, hat sie natürlich Nebenwirkungen. Diese können oder wollen viele Liberale leider nicht sehen.
    Kommt dann noch das Unverständniss für die Funktion von (ungedecktem) Staatsgeld dazu, beruhend auf Erfahrungen von 1923. 1948 u. 1989 verständlich, aber nicht zielführend, weil völlig andere Ursachen und globale Bedingungen herrschten. Kann über eine sinnvolle Nutzung beider Phänomene kaum nachgedacht werden. Dazu kommt, das Geldschöpfung nur als Kreditgeldschöpfung gedacht wird.

    Das man Geld, als „Öffentliches Gut“, aus dem Nichts schöpft, macht ein Notenbank-Grundeinkommen möglich, gleich u. gerecht für alle EU-Bürger.
    Wer erbringt denn die Leistung, die dem Geld die wesentliche Kaufkraft verleiht, wenn nicht jeder Bürger?

    Der Anpassungsprozess der Produktion an die reale Nachfrage könnte wesentlich weniger leidvoll und zeitlich gedehnt werden. Es gibt so viele Ideen dazu, die leider nicht von den Freiheitsfreunden ausreichend diskutiert werden nach meiner Meinung.

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