Photo: Hubert Berberich from Wikimedia Commons (CC BY 2.5)

Stell Dir vor: 150 Jahre Deutschland – und keiner geht hin. Die erste Hälfte der Geschichte des Staates, der jetzt Geburtstag feiert, zeitigte beispiellose Katastrophen, weshalb selbst ohne Pandemie keiner so recht in Feierlaune wäre. Erinnern sollte man sich jedoch an manche Traditionen, die in jener Zeit fast ausgemerzt wurden.

Ein Fundament aus Eisen und Blut

Man hätte es ahnen können. Eine Woche nachdem er zum preußischen Ministerpräsident ernannt worden war, rief Otto von Bismarck im September 1862 den Abgeordneten zu: „Nicht auf Preußens Liberalismus sieht Deutschland, sondern auf seine Macht; Bayern, Württemberg, Baden mögen dem Liberalismus indulgieren, darum wird ihnen doch keiner Preußens Rolle anweisen; Preußen muß seine Kraft zusammenfassen und zusammenhalten auf den günstigen Augenblick, der schon einige Male verpaßt ist; Preußens Grenzen nach den Wiener Verträgen sind zu einem gesunden Staatsleben nicht günstig; nicht durch Reden oder Majoritätsbeschlüsse werden die großen Fragen der Zeit entschieden – das ist der große Fehler von 1848 und 1849 gewesen – sondern durch Eisen und Blut.“ Mit gnadenloser Konsequenz verfolgte der faktische Herrscher des Landes diese Strategie in den 28 Jahren, in denen er die Geschicke Preußens und dann Deutschlands bestimmte.

Preußen, das sich gerne als aufgeklärtes und modernes Staatswesen präsentierte, war seit der Mitte des 18. Jahrhunderts ein auf Expansion ausgerichteter Akteur, der auf die Macht der Stiefel, Bajonette und Kanonen vertraute. Durch Kriege in Schlesien und gewaltsame Annexionen in Polen vergrößerte Friedrich II. sein Herrschaftsgebiet um über 60 Prozent. Sein Nachfolger filetierte mit Russland und Österreich zusammen den Rest der Adelsrepublik Polen-Litauen, die lange ein Leuchtturm der Freiheit in Europa gewesen war. In der Säkularisation und beim Wiener Kongress dehnte sich Preußen nach Westen aus, indem es sich das Rheinland und Westfalen einverleibte. Mit Bismarcks Auftreten sollte sich dann der Weg bereiten für das Deutsche Reich Preußischer Nation. In landestypischer Tradition zettelte der Kanzler drei Kriege an – mit Dänemark; mit Österreich, den Süddeutschen Staaten, Hannover und Sachsen; und schließlich mit Frankreich. Letzterer war ein barbarisches Gemetzel mit über 183.000 Toten und 233.000 Verwundeten in sechs Monaten. 40.000 Pariser Zivilisten starben an Hunger, Kälte und Seuchen. Innenpolitisch festigte der „Eiserne Kanzler“ die preußische Vormacht durch die Verfolgung der katholischen Kirche und der Sozialdemokratie sowie die Verstaatlichung der verschiedensten Lebensbereiche. Das ist das Fundament, auf dem Deutschland errichtet wurde. Man muss froh sein, dass das keiner feiern will.

In einer globalisierten Welt ist der Kleinstaat im Vorteil

Das Deutsche Reich Preußischer Nation war ein geschichtsloses Gebilde, das mit vielerlei Traditionen brach, die bis dahin Staatlichkeit und Gesellschaft in den Gebieten des Heiligen Römischen Reiches geprägt hatten. Dazu gehört ganz besonders der Föderalismus und das damit verbundene stark ausgeprägte lokale Selbstbewusstsein. Diese „Kleinstaaterei“ war schon länger vielen national gesinnten Menschen ein Dorn im Auge. Das spielte Preußen in die Hände, das kein Interesse daran hatte, im neuen Reich regionale Sonderinteressen groß werden zu lassen. Mit Deutschtümelei verbrämte Folklore sollte das Bedürfnis nach Identität befriedigen: von Helgoland zum Alpenrand, Rhein- und Rhönromantik, Hermanns-Denkmal und Kyffhäuser. Auf dem Papier war das Reich ein föderaler Staat und die „Clausula antiborussica“ sollte in der Verfassung den Einfluss Preußens beschränken. In der Realität aber war die Dominanz des bismarckschen und später wilhelminischen Staates offensichtlich: da hatten weder Bayern noch besetzte Rheinländer was zu melden, von Hamburg, Braunschweig oder gar Elsass-Lothringen ganz zu schweigen.

Zwar haben die Eltern des Grundgesetzes föderalen und subsidiären Elementen wieder sehr viel mehr Raum zugestanden, aber hier sind in den letzten Jahrzehnten vielerlei Kompetenzen aus Bequemlichkeit an die zentralstaatliche Gewalt zurückgeflossen. Eine Rückbesinnung auf das Erbe der oft beschworenen „teutschen Libertät“ kann gerade in einer Zeit geboten sein, in der die Suche nach Identität durch den Wegfall traditioneller Zugehörigkeiten immer drängender wird. Warum sollten Berlin, Hamburg und Bremen die einzigen bundesstaatlichen Städte sein? Köln mit seiner 2000 Jahre alten Tradition hätte ein höheres BIP als Thüringen und vier weitere Bundesländer. Frankfurt, viele Jahrhunderte lang freie Reichsstadt und Ort des ersten deutschen Parlaments, wurde 1866 von Preußen annektiert, könnte aber problemlos auf eigenen Füßen stehen. Ebenso das stetig wachsende Leipzig, das eine lange Tradition als Handelsstadt hat. Und auch Städte wie Nürnberg und Dortmund können nicht nur auf die Geschichte verweisen, sondern zeigen auch in der Gegenwart ihre Dynamik. Die Wirtschaftskraft einzelner Länderteile würde ein eigenständiges Existieren problemlos ermöglichen: Westfalen kann mit Hessen mithalten und Baden mit Sachsen und Thüringen zusammen. Die dynamische Vielfältigkeit der Städte und Landschaften in Deutschland auch politisch zu stärken, würde unserem Land in einer globalisierten Welt sehr viel mehr Resilienz ermöglichen. Im 21. Jahrhundert ist Flexibilität und Pluralismus das beste Mittel, um zugleich rasch auf Innovation reagieren zu können und dabei dennoch Zugehörigkeitsgefühl zu vermitteln.

Das deutsche Herz schlägt für Vater Staat

Zu den Freiheitsräumen, die der Großmannssucht und Allgegenwart des Deutschen Reiches Preußischer Nation am nachhaltigsten zum Opfer fielen, gehört die Fülle an zivilgesellschaftlicher Selbstorganisation, die hierzulande im 19. Jahrhundert entstanden war. Die von den Liberalen unterstützten Genossenschaften wurden durch Bismarcks Verstaatlichungsfuror ebenso marginalisiert wie sozialdemokratische Gewerkschaften und die für Katholiken bedeutsame Schulfreiheit. Das Ideal des Kanzlers war ein korporatistisch organisierter Zentralstaat mit einer hochmodernisierten Bürokratie. Er hatte verstanden, dass er dafür die Unterstützung einer breiten Masse bedurfte, die er sichern wollte, indem der Staat in allen möglichen Lebensbereichen als fürsorglicher Kümmerer in Erscheinung treten sollte: „Mein Gedanke war, die arbeitenden Klassen zu gewinnen, oder soll ich sagen zu bestechen, den Staat als soziale Einrichtung anzusehen, die ihretwegen besteht und für ihr Wohl sorgen möchte.“ Wie gut ihm das in kürzester Zeit gelang, kann man daran erkennen, wie sich auch im privaten Bereich der Familie eine auf den Patriarchen ausgerichtete „Bürgerlichkeit“ als Standard durchsetzte. Die Entfernung zu dem Verständnis, das die freiheitlichen Revolutionäre von 1848 vom emanzipierten und freien Bürger hatten, hätte kaum größer sein können.

Die Liebe der Deutschen zu ihrem Vater Staat ist zweifellos älter als 150 Jahre. Und doch war der Einfluss des durch Eisen und Blut gewonnenen Reiches dazu angetan, bestehende Prägungen noch einmal massiv zu verstärken. Die Zuneigung, die man einst dem Landesvater Graf Günther in Sondershausen oder Abt Roman in Kempten entgegengebracht hatte, wurde nun auf den ehrwürdigen Greis Kaiser Wilhelm im fernen Berlin übertragen. Der deutsche Nationalstaat war ein heldenhafter Wächter nach außen und nach innen ein Kümmerer, der für jede Herausforderung eine Antwort parat hatte. Nicht zuletzt, weil er nach der deutschen Totalkatastrophe 1933 bis 1945 geläutert und zivilisiert auftrat, vermochte der deutsche Staat in Form der Bundesrepublik auf dem Gebiet der (reichlich umfassenden) Daseinsvorsorge an den bismarckschen Überstaat anzuknüpfen. Die Krise im Zusammenhang mit der derzeitigen Pandemie führt uns freilich vor Augen, wie brüchig dieses Versprechen ist: Während Medizinstudenten in Windeseile in Berliner Kunstgalerien hocheffiziente Schnelltestzentren hochziehen, können die Regierungen ihre nachgeordneten Behörden noch nicht einmal vom Faxgerät abbringen. Und dennoch wollen immer mehr junge Menschen ihr Dasein lieber in Amtsstuben fristen. Selbst eklatante Ineffizienzen vermögen der von Bismarck angestoßenen Korruption nicht den Garaus zu machen.

Deutschland ist mehr

150 Jahre nach Ausrufung des Deutschen Reiches fällt die Bilanz nicht gut aus. Und das obwohl die unsagbaren Schrecken, in denen die erste Hälfte dieser Zeit kumulierte – von Giftgasangriffen in Flandern bis zu den Vernichtungslagern in Osteuropa –, auf unglaubliche Weise durch eine friedliebende Bundesrepublik in das Reich der Vergangenheit verwiesen wurden. Trotzdem wirken die Verwerfungen erheblich nach, die sich durch das Eisen und Blut-Reich in unserem Land ergeben haben: im verlorengegangenen Selbstbewusstsein der Städte und Regionen wie in einer flügellahmen Zivilgesellschaft und natürlich in unreflektierter Staatsgläubigkeit.

Erzählungen prägen unser Verhalten. Wie wir das Geschehene interpretieren, hat enormen Einfluss darauf, wie wir aktuelle Fragen beurteilen und entscheiden. Wer sich ein offenes und freiheitliches Deutschland wünscht, muss deshalb auch ein Interesse daran haben, jene Seiten unserer Geschichte stark zu machen, die ein anderes Erbe transportieren als jenes, das den Weg zu zwei der größten Katastrophen der Menschheitsgeschichte bahnte. Erzählen wir wieder mehr über die Städte, deren Luft bekanntlich frei macht und denen es gelang, gewaltige Mengen an Menschen zu integrieren. Setzen wir uns auseinander mit den stolzen Landstrichen, deren jahrhundertelang geformte Eigenarten immer noch den Menschen Heimat bieten, die als Mittelstand das Rückgrat unserer Gesellschaft bilden. Seien wir aufmerksam, wenn Debatten wie die über die Rolle des Hauses Hohenzollern einmal wieder eindrücklich belegen, was der englische Historiker Lord Acton feststellte: „Geschichte ist kein von unschuldiger Hand geknüpftes Netz.“ Der Bundespräsident hat gutgetan, im Schloss Bellevue einen Raum nach dem Freiheitskämpfer Robert Blum zu benennen. Geben wir auch anderen großen Vorkämpfern der freien und offenen Gesellschaft in Deutschland mehr Raum: Menschen wie der Frauenrechtlerin Louise Otto-Peters oder den beiden zentralen Bismarck-Antipoden Ludwig Windthorst und Eugen Richter, von dem Bismarck sagte: „Der Herr Abgeordnete Richter will immer das Gegenteil von dem, was die Regierung will.“ Reißen wir die geistigen Denkmäler von Bismarck und Kaiser Wilhelm nieder. Und erzählen wir die Geschichte eines Landes, in dem Vielfalt und Unternehmergeist immer schon zentrale bürgerliche Werte waren – lange vor 1871.

6 Kommentare
  1. Benedikt Koehler
    Benedikt Koehler sagte:

    Man sollte aber nicht vergessen, mit dem Kaiserreich kam ein Wirtschaftswunder.Ohne Kaiserreich hätte es noch lange gedauert, bis man in ganz Deutschland verbindliche Masse und Gewichte, Abschaffung von Zollschranken, ein einheitliches bürgerliches Gesetzbuch, etc., eingeführt hätte, Massnahmen, ohne die ein einheitlicher Markt und die daraus folgenden Skaleneffekten nicht möglich waren.

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  2. Peter Triller
    Peter Triller sagte:

    Die Deutschen und wohl auch die meisten deutschen Liberalen haben ein gestörtes Verhältnis zur eignen Nation. Schon die Reichsgründung wäre missraten, da sie nicht mit revolutionärem Blut wie in England, Frankreich oder den USA sondern von oben durch eine blutigen Krieg unter Führung eines autoritären Preußens erfolgte und musste so fast zwangsläufig in der Katastrophe von Auschwitz enden. Daher wird hier auch eine Art liberales Cancel Culture empfohlen.
    Ich halte das für grundfalsch, ohne deshalb Bismarck oder Preußen-Fan zu sein.
    1. Die Verfassung des kaiserlichen Reichs war immerhin ein weiterer Schritt weg vom Gottesgnadentum und Absolutismus in Richtung freiheitlicher Verfassung, z.B. mit einem allgemeinen und gleichen Wahlrecht (wenn auch damals nur für Männer). Die Weimarer Verfassung hat mit dem Feudalismus dann endgültig gebrochen. Das Grundgesetz, insb. mit seinen ersten 20 Artikeln stellt einen weiteren Evolutionsschritt einer humanen und freiheitlichen Gesellschaft dar, wenn auch direktdemokratische Rechte im Gegensatz zur Weimarer Verfassung den Bürgern wieder vorenthalten werden. Es besteht aus dieser Genesis der Verfassungen kein Grund die eigne Nationalgeschichte zu verleugnen. Allein deshalb sollte dieser Tag gefeiert, zumindest an ihn offiziell erinnert werden.
    2. Der Nationalstaat ist bislang der einzig funktionierende Rahmen, um eine freie Gesellschaft bzw. individuelle Freiheit zu ermöglichen, sofern sich ihre Bürger zu diesem Rahmen bekennen und sich mit ihm identifizieren. Das ist gerade heute wichtig, wo der liberale und demokratische Nationalstaat durch machttechnokratische und globalistisch aufgestellte Eliten mit heuchlerischen Phrasen von Weltoffenheit und Diversität in Frage gestellt wird. Ein Bekenntnis zu ihm und damit auch zum deutschen Nationalstaat ist heute daher nötiger denn je, wenn wir ernsthaft an Freiheit interessiert sind.
    3. Auf die geschichtliche Bewertung der Schuldfrage im 1. Weltkrieg gehe ich hier mal nicht ein, an der deutschen Schuld am 2. Weltkrieg und diesen unsäglichen und bis heute nicht nachvollziehbare Gräuel des 2. Weltkriegs gibt es aber keinerlei Zweifel. Der nationale Sozialismus war in der Tat nur mit dieser unglaublichen Staatshörigkeit der Deutschen denkbar. Diese Tradition hat eine lange Geschichte, die aber weit vor der Reichsgründung begann. Es ist aber nicht nur eine schlechte Tradition der Deutschen, es ist auch ein Versagen des politisch organisierten Liberalismus in Deutschland, dem es bis heute nicht nur nicht gelingt, dagegen erfolgreich anzukämpfen, sondern der sich dem autoritären Zeitgeist immer wieder opportunistisch unterordnet: damals durch Zustimmung zum Ermächtigungsgesetz und heute wieder den massivsten Grundrechtseinschränkungen seit Gründung der Bundesrepublik gar nicht oder nur halbherzig entgegenstellt. Hier ist doch bitte mehr Selbstkritik gefordert als sich selbst feiernde Sätze.

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    • Dirk W. Kühne
      Dirk W. Kühne sagte:

      Wer hat denn hier ein „gestörtes“ Verhältnis zum Nationalstaat? Wer verleugnet denn hier den deutsche Nationalgeschichte? Jedenfalls nicht der Autor Clemens Schneider. Dass bisher der Nationalstaat der einzig funktionierende Rahmen für eine freie Gesellschaft und individueller Freiheit sei, kann allerdings sehr einfach wiederlegt werden: Die Schweiz ist kein Nationalstaat, sondern ein Viel- zumindest Mehrvölkerstaat. Belgien ebenfalls, wobei es hier fraglich ist, ob der Zusammenschluss sinnvoll war und ist. Lichtenstein lässt sich eher mit einem ehemaligen deutschen Fürstentum vergleichen, als mit einem Nationalstaat etc. etc.
      Der Nationalstaat ist ein Modell es 17. und 18. Jahrhunderts. War er damals sinnvoll? Vielleicht. Wären ohne ihn Kriege verhindert oder zumindest verringert worden? Möglicherweise. Das „Was wäre wenn?“ in der Geschichte ist höchst interessant, aber genauso höchst spekulativ. Was wir wissen ist: Es gibt politische Gebilde, die keine Nationalstaaten sind und trotzdem einigermaßen gut funktionieren, jedenfalls nicht schlechter als der deutsche Nationalstaat. Was wir ebenfalls wissen: Die Globalisierung hat bereits vor der Reichsgründung Fahrt aufgenommen, ganz ohne deutschen Nationalstaat. Und was wir auch wissen: Nationalstaaten (wie auch Deutschland) neigen dazu, zunehmend zentralistischer zu werden und sich Aufgaben anzumaßen, die dem Individuum zustehen. Um eine liberale Demokratie zu entwickeln und zu halten, benötigen wir weder einen Reichskanzler Bismarck noch einen Bundeskanzler Bismarck.

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  3. Walter Pfluger
    Walter Pfluger sagte:

    Sehr geehrter Herr Schneider,
    Sie scheinen ein recht krämerischer deutscher „Idiot“ zu sein.
    wie haben Frankreich und UK ihre Geschichte geschrieben?
    Deutschland sollte zwischen seinen Misthöfen vegetieren?
    Frankreich ist bis heute nicht „demokratisch“.
    UK ein „kingdom“.
    Die deutschen haben sich filettieren lassen.
    Die Folgen erleben wir bis heute, mit einer Pastorentochter als Vollstreckerin der Abschaffung „Deutschlands“ und seiner „Demokratie“.
    Bravo!

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  4. Smity
    Smity sagte:

    Es bleibt dabei, dass das Kaiserreich vor allem ein homogener Raum war, der eine kulturelle Einheit herstellte und das wurde eben nicht durch Laberei hergestellt, sondern Bismarck. Gibt es diese kulturelle Einheit nicht, so wie eher heute, gibt es stets weitere Kosten, daher ist alles andere entweder in der selben Tradition, die erfolgsversprechend ist oder eben Pseudo-Kapitalismus und sonst eben nur Pseudo-Autonomie. Gerade auf die europäischen Nachbarn bezogen.

    Wenn Kosten für das Gleiche steigen, nennt man das auch Inflation, denn es gibt nichts für umsonst und zich Formen, die für Inflation stehen, nicht nur die verkürzte Geldmengenausweitung. Das Kaiserreich hat die Inflation unten gehalten, und Deutschland entwickelt unter den auch sich entwickelnden Freiheitsrechten. In Sachen Wirtschaft bzw. individueller Freiheit rein auf das ökonomische gemünzt, war das Kaiserreich ebenfalls nicht schlecht, hat aber gerade die Ausweitung bürgerlicher Freiheiten begrenzt und damit Macht aus Machtgesichtspunkten konzentriert. Gegen diese alten Strukturen entstand AUCH das Dritte Reich, denn es gab neue Modelle militaristischer, ziviler und wohlfahrtlicher Art, während vor allem die Putschisten von 1918 und 1919 gegen das Reich bekämpft wurden.

    Sinnvoll sind vor allem die multilateralen Organisationen und internationalen Standards, die ein Absinken Deutschlands – sei es auch durch eigenen Größenwahn – verhindern. Dieser Eigenweg, den man in der Vergangenheit gegangen ist, ist und bleibt gefährlich. Nicht nur wegen der Selbstüberschätzung, sondern durchaus positiven, kooperativen Elementen für die individuelle Freiheit der breiteren Gesellschaft.

    Einzig kulturerhaltend muss man also sein, damit die Freiheit fließt.

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  5. Walter Pfluger
    Walter Pfluger sagte:

    Sehr geehrter Herr Schneider,
    ich möchte mich bei Ihnen für meinen bösen Kommentar entschuldigen.
    Das war nicht gut und sollte so auch nicht stehenbleiben.
    Es tut mir also leid, wenn ich Sie beleidigt habe.
    Dennoch möchte ich mir eine kurze Bemerkung erlauben, die wenigstens im Ansatz erklärt, weshalb mich die Wut gepackt hat.
    Einmal deshalb, weil wir es bis heute nicht geschafft habe, unsere eigene Geschichte zu schreiben. Bis heute verwenden wir die Narrative der anderen. Die deutsche Geschichtsschreibung selbst spiegelt also unsere „deutsche Geschichte“, die ja nur i n kurzen Perioden als „selbständig“ angesehen werden kann.
    Wie Sie wissen, gibt es seiet einigen Jahrzehnten britische Geschichtswissenschaftler, die den Mut haben, die Geschichte der Deutschen „objektiv“ umzuschreiben. In Deutschland kenn ich solche bisher Menschen nicht, oder nur am Rande.
    Der andere wichtige Punkt ist der, dass es die wichtige Aufgabe gewesen wäre, Deutschland dabei zu helfen, seinen Weg in die Mitte Europas zu finden. Dazu war die Zeit von grossen Kurfürsten bis zu Bismarck sicher die wichtigste. Man konnte Hoffnung haben, dass es uns gelingen würde.
    Wenn wir auf die „deutsche Geschichte“ aus der Perspektive des Jahres 2300 zurückschauen, dann werden wir sehen, dass es dieses Land „Deutschland“ im Grunde gar nie wirklich gegeben hat. Es war eine Chimäre, entstanden aus einer gemeinsam geübten Sprache und grossartigen kulturellen und wissenschaftlichen Beiträgen zur Entwicklung Europas und der Welt.
    Unsere „glücklichen Zeiten“ waren immer die zwischen den Kriegen, die letzte zwischen 1954 und 1994.
    Jetzt sind wir dabei uns selbst aufzulösen, in Europa. Dieser Prozess ist nicht mehr umzukehren, nicht auf friedlichem Wege.
    Und wieder haben wir unser „Schicksal“ von außen bestimmen lassen.
    Als Fazit müssen wir also feststellen: dieses Land hat seine Mitte nie gefunden. Es hat also nie existiert, ausser in der Vorstellung einzelner Menschen.
    Diese Menschen, in deren Vorstellung Deutschland existiert hat, können ganz grob in drei Gruppen eingeteilt werden. Einmal sind da seine Feinde, oder Gegner, die politisch immer alles darangesetzt haben, dass dieses Land „Deutschland“ nicht selbständig existieren würde. Dann gibt es die Gruppe der Bewunderer, oder derer, die uns wenigstens Achtung entgegengebracht haben. Die wichtigste Gruppe dieser Menschen war wohl die der Juden, die bei uns und mitten unter uns gelebt haben. Es ist also eine besonders traurige Ironie, genauer gesagt eine Tragödie, dass wir Deutschen diese Menschen in grosser Zahl getötet und den Rest vertrieben haben. Die dritte Gruppe sind wir „Deutschen“, die versucht haben, diesem Land zu einem ehrenhaften Platz in der Mitte Europa zu verhelfen.
    Zu zeigen, warum uns dies nicht gelingen wollte, das wäre die Aufgabe einer konstruktiven europäischen Geschichtsschreibung. Diese Geschichtsschreibung würde auch den anderen Ländern Europas zeigen, in welchen Wahn- und Traumbildern sie gelebt haben und immer wieder leben. In diesem Sinne ist es wohl auch kein Zufall, dass damit begonnen wird, die „objektive“ Geschichtsschreibung zu „Deutschland“ von Großbritannien aus zu schreiben. In einer nicht zu fernen Zukunft von 100 oder 200 Jahren werden wir verstehen, dass die Verhinderung der „Bildung der Mitte“ das grosse Versagen der europäischen Mächte war.
    Sehr geehrter Herr Schneider, Sie werden jetzt, so hoffe ich, besser meine Gründe für meinen kurzen Wutausbruch verstehen.
    Es tut mir weh, wenn ich durch Europa reise und die Aufgaben sehe, denen wir uns heute wieder nicht stellen, weil wir einer Geschichte von Traumbildern verfallen sind, aus der wir nur ganz langsam aufzuwachen scheinen.
    Ich grüsse Sie ganz herzlich und danke für Ihr großmütiges Nachsehen.
    Herzlichen Gruss
    Walter Pfluger

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