Photo: KAS-ACDP/Peter Bouserath from Wikimedia Commons (CC-BY-SA 3.0 DE)

Von Dr. Alexander Fink, Universität Leipzig, Senior Fellow des IREF – Institute for Research in Economic and Fiscal Issues, und Kalle Kappner, Promotionsstudent an der Humboldt-Universität zu Berlin, Research Fellow bei IREF, Fackelträger von Prometheus.

Im Herbst 2021 findet voraussichtlich die nächste Bundestagswahl statt. Zu diesem Zeitpunkt wird Angela Merkel 16 Jahre Kanzlerin gewesen sein. Zwar strebt sie – anders als seinerzeit Helmut Kohl – keine weitere Amtsperiode an. Dennoch bietet ihre für Regierungschefs in westlichen Demokratien ungewöhnlich lange Amtszeit Anlass zur Reflektion über die Vor- und Nachteile eines regelmäßigen Austauschs politischer Führungskräfte.

Die Möglichkeit, Regierungen per Wahl friedlich auszutauschen, gehört zu den wichtigsten Errungenschaften der Demokratie. Durch die regelmäßige Ablösung der Regierung – so die Hoffnung – wird der Entstehung ineffizienter und korrupter Strukturen vorgebeugt und Regierungen haben einen zusätzlichen Anreiz, im Sinne der Bürger zu handeln.

Empirische Forschungsergebnisse deuten jedoch darauf hin, dass häufige Regierungswechsel mit substantiellen Kosten einhergehen. Politiker verspüren geringere Anreize zur Umsetzung langfristiger politischer Projekte und Wähler können diese in geringerem Maße belohnen. Gesetzliche Amtszeitbeschränkungen sind daher kritisch zu bewerten. Dem in internationalen Umfragen regelmäßig geäußerten Wunsch nach mehr demokratischer Mitbestimmung per Wahl sollte stattdessen mittels Dezentralisierung und Ausbau des Föderalismus entsprochen werden. So könnten Wähler Entscheidungsträger mit eng begrenzten Aufgabenbereichen besser entsprechend ihrer Leistung im Amt halten oder ihnen den Laufpass geben.

Demokratien: Möglichkeit regelmäßiger Regierungswechsel

Weltweit sind viele Menschen zunehmend unzufrieden mit der Ausgestaltung demokratischer Systeme. Dennoch ist das Vertrauen in den Nutzen regelmäßig stattfindender Wahlen weiterhin hoch: In einer aktuellen Umfrage in 34 Ländern auf allen bewohnten Kontinenten geben rund zwei Drittel der Befragten an, regelmäßige Wahlen seien wichtig, da sie ihnen ein Mitspracherecht sicherten.

Demokratietheoretische Überlegungen stützen diese Einschätzung: Regelmäßige Wahlen erlauben den Bürgern, ihre politischen Wünsche zu kommunizieren, entsprechend handelnde Regierungen zu belohnen und zuwiderhandelnde Regierungen auszutauschen. Politiker werden motiviert, die Präferenzen der Bürger zu berücksichtigen und die Bildung ineffizienter und korrupter Strukturen zu vermeiden. Die Forschung zeigt, dass Regierungswechsel nicht nur direkt das politische Personal austauschen, sondern auch umfangreiche Personalwechsel in der Verwaltung nach sich ziehen.

Solche Anreizeffekte beugen der Aushöhlung anderer wünschenswerter, grundsätzlich von Wahlen unabhängiger Merkmale der Demokratie, etwa der Rechtsstaatlichkeit sowie dem Schutz von Eigentums- und individuellen Freiheitsrechten, vor. Die Möglichkeit, Regierungen durch regelmäßige Wahlen auszutauschen, trägt somit zum Erfolg demokratischer Staaten bei.

Häufigere Regierungswechsel durch Amtszeitbeschränkung?

Wahlen können, müssen aber nicht zum Austausch einer Regierung führen. In Deutschland beispielsweise fanden seit dem Zweiten Weltkrieg 19 Bundestagswahlen statt, doch die Anzahl der Bundeskanzler und entsprechender Kabinettneugestaltungen ist deutlich geringer. Den meisten Regierungen gelang es, mindestens einmal wiedergewählt zu werden.

Manche Beobachter sehen darin ein Problem. Um regelmäßige Regierungswechsel zusätzlich anzuregen, empfehlen sie gesetzliche Amtszeitbeschränkungen wie beispielsweise in Frankreich, wo der Staatspräsident maximal zwei aufeinanderfolgende Amtsperioden à fünf Jahre regieren darf. In Deutschland gibt es derzeit kaum Amtszeitbegrenzungen – sie betreffen auf Bundesebene nur den repräsentativ agierenden Bundespräsidenten. Ein Vorstoß, die Amtszeit des bayerischen Ministerpräsidenten zu begrenzen, scheiterte zuletzt 2018.

Häufige Regierungswechsel bergen Kosten

Gegen die Forcierung häufigerer Regierungswechsel spricht, dass diese Nachteile haben. Wenn die Auswirkungen politischer Entscheidungen erst mit einiger Verzögerung wahrnehmbar werden und sich nur mangelhaft den tatsächlich Verantwortlichen zuordnen lassen, schaffen häufige Regierungswechsel Fehlanreize für Politiker und Wähler. Politiker werden veranlasst, stärker in Projekte mit kurzfristig sichtbaren Vorteilen zu investieren und Projekte, deren Vorteile sich erst langfristig einstellen, zu vernachlässigen. Denn sie werden garantiert nicht mehr regieren, wenn die von ihnen initiierten Projekte in ferner Zukunft Früchte tragen.

Die empirische Forschung dokumentiert zahlreiche Hinweise darauf, dass derartige Anreizverzerrungen tatsächlich nachteilige Wirkungen entfalten. In US-Bundesstaaten führt eine höhere Regierungswechselfrequenz zu höheren Steuern und Staatsausgaben, vermehrten Transfers an untergeordnete Verwaltungsebenen, höheren Staatsschulden und geringerem Wirtschaftswachstum. Ähnliche Befunde gibt es auch in anderen Kontexten, z.B. für Indiens Bundesstaaten und italienische Städte. Abweichende Befunde gibt es für portugiesische Kommunen.

Opportunistisches Verhalten scheinen auch internationale Kreditgeber zu befürchten, die Anleihen von Staaten mit häufigeren Regierungswechseln und gesetzlichen Amtszeitbeschränkungen geringer bewerten. Anhand brasilianischer Daten wird sichtbar, dass der durch Regierungswechsel angeregte Austausch politischer und höherer Beamter kurzfristig negative Effekte haben kann und Wiederwahlbeschränkungen den Anreiz zu korruptem Handeln potenziell erhöhen.

Wahlmöglichkeit stärken, nicht Frequenz erhöhen

In Deutschland und vielen anderen europäischen Ländern gibt es bisher kaum Amtszeitbeschränkungen. Folglich gibt es wenig belastbare Einschätzungen der Auswirkungen häufiger Regierungswechsel in diesen Ländern. Die Anreize für Politiker und Wähler in den USA und den europäischen Demokratien unterscheiden sich jedoch kaum. So deutet viel darauf hin, dass Amtszeitbeschränkungen auch in Deutschland Nachteile mit sich zögen.

Intensiver politischer Wettbewerb ist wünschenswert. Doch ähnlich wie sich marktwirtschaftlicher Wettbewerb nicht zwingend durch häufige Pleiten und große Gewinnschwankungen bei etablierten Unternehmen bemerkbar machen muss, muss intensiver politischer Wettbewerb nicht zwingend zu häufigen Regierungswechseln führen. Wichtig ist die prinzipielle Möglichkeit, die Regierenden auszutauschen, nicht die Häufigkeit mit der ein Austausch tatsächlich vollzogen wird.

Um den politischen Einfluss der Bürger zu stärken und den politischen Wettbewerb anzuregen, stehen zahlreiche Möglichkeiten abseits von Amtszeitbeschränkungen zur Verfügung. Dazu gehört die Verlagerung der Entscheidungsfindung auf untergeordnete Ebenen, also eine Stärkung des Föderalismus.

Erstmals erschienen bei IREF.

1 Antwort
  1. Ernst Mohnike
    Ernst Mohnike sagte:

    Wenn ich denn den Beitrag der beiden Autoren dahingehend richtig verstehe, dass sie sich u.a. aus Kostengründen gegen eine Begrenzung der Amtszeit – in diesem Fall der/des Bundeskanzlers – aussprechen, dann sei hiermit heftigst protestiert. Nicht erst die letzte Amtsperiode Adenauers war eine bleierne Zeit, die man selbst als 16-jähriger spüren konnte, und es gab nicht umsonst eine Woge der Sympathie für die Liberalen mit dem schönen Erich, der die Abwahl Adenauers versprach. Nicht im Ernst kann jemand behaupten, dass die letzten beiden Perioden Merkel der deutschen Republik irgendeinen innovativen Impuls gebracht haben. Die Frau war schon vor der letzten Wahl „verbraucht“ und es ist nur gut gewesen, dass sich die LIndner-FDP dieser insgesamt verschlissenen CDU verweigert hat. Aus guten Gründen ist die Amtszeit der US-Präsidenten nach 1945 auch gesetzlich verankert auf zwei Perioden beschränkt worden. Die „Lichtgestalt“ Obama wäre bei einer dritten Periode jedenfalls auch auf Zwergenmaß geschrumpft.

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