Photo: Annie Spratt from Unsplash (CC 0)

Wenn in Deutschland über Extremismus von Links und Rechts diskutiert wird, dann kommt schnell die Hufeisentheorie ins Spiel. Beide Pole des politischen Spektrums bilden dabei die Enden des Hufeisens, die einander zugeneigt sind. Zwischen beiden Polen, also am runden Teil des Hufeisens, wird die politische Mitte verortet. Wie beim Hufeisen sind sich beide Extremismen eigentlich näher als sie es zugeben wollen oder ihnen lieb ist. Der kürzlich wieder in die Diskussion gekommene „Flügel“ der AfD etwa. Oder die vom Verfassungsschutz beobachtete „Antikapitalistische Linke“, zu der sich auch Barbara Borchardt bekennt, frisch gewähltes Mitglied des Landesverfassungsgerichts Mecklenburg-Vorpommern. Beide wollen ihre Sicht auf den Staat und die Gesellschaft mit illegitimen Mitteln durchsetzen. Beide schätzen nicht das Individuum, sondern glauben an das Kollektiv. Der Einzelne verstehe das große Ganze nicht: die „völkischen“ Interessen, das ausbeuterische System oder den drohenden Weltuntergang. Daher müsse er zu seinem Glück gezwungen werden. Bei den Extremisten geschieht dies im Zweifel sogar mit Gewalt gegen Personen und Sachen – in ihren Augen ganz legitim.

Doch wenn man sich von den Entartungen des politischen Extremismus einmal entfernt und sich auf das Feld der verfassungskonformen Politik macht, dann trifft das Bild vom Hufeisen nicht mehr zu. Hier machen viele den Fehler, in einer Geraden zu denken: Rechts die Kulturkämpfer und Konservativen, links die Klassenkämpfer und Progressiven – und auf der geometrischen Mitte der Geraden dann die Liberalen.

Dieses Bild ist falsch. Es ist grundfalsch. Denn eigentlich sind die politischen Grundströmungen eher in einem Dreiecksverhältnis zu denken. Je nach Zeit und Thema bewegen sich die Konservativen dann etwa näher in Richtung der Sozialisten oder die Liberalen und Konservativen driften aufeinander zu. Der entscheidende Punkt in dem Bild vom Dreieck ist, dass die Liberalen sich nicht dadurch definieren, dass sie eine Art Mittelweg oder Kompromiss zwischen Rechts und Links darstellen. Sie sind vielmehr eine eigenständige Kraft, die nicht gezwungen ist, ihre Position durch den Abstand zu den anderen zu klären.

Dieses Bild stammt ursprünglich von Friedrich August von Hayek. Der Nobelpreisträger hat dies im Nachwort seines lesenswerten Buches „Die Verfassung der Freiheit“ beschrieben. Darin begründet er, warum er sich als Liberaler und nicht als Konservativer sieht. Hayek meinte dabei diese Zuordnung nicht parteipolitisch, sondern sozialphilosophisch.

Er geht mit den Konservativen hart ins Gericht. Sie seien immer ängstlich gegenüber Neuem, während der liberale Standpunkt auf Mut und Zuversicht beruhe. Der Liberale strebe nach Veränderung, auch wenn er nicht voraussagen könne, wohin diese Veränderung führe. „Der Konservative fühlt sich nur sicher und zufrieden, wenn er gewiss sein kann, dass eine höhere Weisheit die Veränderung beobachtet und überwacht und, wenn er weiß, dass eine Behörde den Auftrag hat, die Veränderung ‚in Ordnung‘ zu halten.“ Deshalb verklären die Konservativen auch gerne die Vergangenheit. Sie liegt schon hinter uns und die Gefahren und Unwägbarkeiten sind bekannt.

Der Liberale kann jedoch durchaus gleiche Werte vertreten wie der Konservative, sei es in Religionsfragen oder in der Bedeutung der Rolle der Familie. So kann der Liberale Mitglied der „konservativen“ katholischen Kirche sein, sein Leben in einer „klassischen“ Familie, aus Mann, Frau und Kindern führen und im Privaten „traditionelle“ Werte vertreten. Was den Liberalen vom Konservativen unterscheidet, ist jedoch, dass der Liberale diese Werte und Überzeugungen nicht anderen oktroyieren will. Der Liberale grenzt sich von anderen dadurch ab, dass er die Freiheit liebt und skeptisch ist, wenn andere sie beschneiden wollen. Daher kämpft der Liberale gegen die Übermacht „einer“ Regierung, während der Konservative gegen die Übermacht „dieser“ Regierung kämpft. Auch der Sozialist kämpft gegen „diese“ Regierung. Was ihn vom Konservativen unterscheidet, ist, dass er eine andere meint. Sie wollen beide die Übermacht „dieser“ Regierung überwinden, um selbst die jeweils andere Übermacht sein zu können.

Der Liberale setzt dagegen auf Machtbegrenzung durch Machtteilung. Ihm ist die Übermacht des Staates zuwider. Er glaubt, dass sie begrenzt werden muss, um den Missbrauch besser verhindern zu können. Deshalb setzen Liberale auf den Wettbewerbsföderalismus, auf Gewaltenteilung, die Gleichheit vor dem Recht und auf die kapitalistische Marktwirtschaft, weil sie glauben, dass sich so am besten der Einzelne mit seinen Wünschen, Träumen und Lebenszielen verwirklichen kann. Und auch wenn das nicht das dezidierte Ziel des Einzelnen sein muss: nur dadurch entstehen Ordnungen, von denen alle profitieren.

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