Das Grundgesetz regelt es in Artikel 38 Absatz 1, Satz 2 sehr klar: Sie (die Abgeordneten) sind Vertreter des ganzen Volkes, an Aufträge und Weisungen nicht gebunden und nur ihrem Gewissen unterworfen.
Doch da fängt das Problem an. Abgeordnete des Deutschen Bundestages sind keine freischaffenden Künstler, sondern meist tief eingebunden in ihre jeweilige Partei- und/oder Fraktionsstruktur. Viele davon haben ihren Beruf aufgegeben oder hatten nie einen. Das führt bei Abstimmungen im Parlament zwangsläufig zu intensiven Abwägungsfragen mit dem eigenen Gewissen. Denn allen Abgeordneten ist eines bewusst: Die Legislaturperiode dauert maximal vier Jahre. Danach werden die Karten neu gemischt. Man will sich erneut von der eigenen Partei aufstellen lassen, muss sich gegen innerparteilichen Wettbewerber durchsetzen und der Wähler hat dann auch noch ein Wörtchen mitzureden.
Deshalb erzeugt unser Parteiensystem häufig den gleichen Typus Abgeordneter. Oft sind es Menschen, die schon sehr früh in die Jugendorganisation der jeweiligen Partei eingetreten sind, kommunalpolitische Erfahrungen gesammelt haben – und irgendwann ergab sich die Möglichkeit, für den Landtag oder den Bundestag zu kandidieren. Wenn man in der Zwischenzeit noch berufliche Erfahrung gesammelt hat, schadet das nicht, es ist aber auch nicht notwendig. Am liebsten sind den Partei- und Fraktionsspitzen Abgeordnete, die gut ausgebildet und einigermaßen intelligent sind, die Partei aus dem Effeff kennen und gerade ein kleines Häuschen für die junge Familie gebaut haben, das sie möglichst noch viele Jahre abbezahlen müssen – das diszipliniert im Zweifel.
Quereinsteiger in der deutschen Politik haben es sehr schwer. Sie schaffen es meist nicht, sich im innerparteilichen Vorauswahlverfahren gegen die Strippenzieher durchzusetzen. Und gelingt es dennoch einmal jemandem, dann scheitert er spätestens an den noch intensiveren Strippenziehern in der Fraktion. Auch wenn ich selbst ein Kind dieser Entwicklung bin, macht dies mir zunehmend Sorge. Denn wenn in unserer parlamentarischen Demokratie der Zweck alle Mittel heiligt, das Parlament nicht mehr der Ort der Kontroverse, sondern nur noch das Plenum der Verkündung von Partei- und Fraktionsmeinungen ist, dann gibt es in entscheidenden Momenten keine Widerstandskraft gegenüber einer Regierung, die das Recht mit Füßen tritt. Der Kompass geht verloren, weil man an die nächste Listenaufstellung oder an die nächste Wahlkreisversammlung denkt. Und das lässt eine Partei- und Fraktionsspitze die „Abweichler“ spüren. Dies geschieht erst subtil, indem der Querulant nicht mehr als Redner von der Fraktion nominiert wird oder bei der Pöstchenvergabe unberücksichtigt bleibt. Wenn es doller wird, dann wird man in der Fraktionssitzung zur Sau gemacht, es wird getuschelt und intrigiert, was das Zeug hält. Wer dies durchstehen will, braucht ein dickes Fell und Unterstützung an anderer Stelle.
Trotz dieser Rahmenbedingungen gibt es eine ganze Reihe von „Selbstdenkern“ im Parlament. Peter Danckert von der SPD war so einer. Selbst Hans-Christian Ströbele von den Grünen kann man das unterstellen. Aber auch Klaus-Peter Willsch, Wolfgang Bosbach und Peter Gauweiler sind von diesem Schlag. Letzterer hat durch seine Klagen vor dem Bundesverfassungsgericht mehr für die parlamentarische Demokratie erreicht als Hundertschaften von Abgeordneten, die blindlings ihrer Parteispitze gefolgt sind. Deshalb ist es ein Weckruf an alle, wenn Bosbach im Zuge der Abstimmung über die Verlängerung der Griechenland-Hilfe über einen Rückzug aus der Politik laut nachdenkt. Er wolle nicht immer die Kuh sein, die quer im Stall steht, so der CDU-Mann. So sehr man das Gefühl teilen mag, so sehr verkennt der Rheinländer seine Wirkung in der Öffentlichkeit. Er gibt vielen Bürgern eine Stimme, die sich enttäuscht abwenden, resignieren oder politisch heimatlos sind. Das werden leider immer mehr Menschen in diesem Land. Und er verändert die Politik mehr als er glaubt. Die Regierung spürt seinen Atem im Nacken.
Finanzminister Wolfgang Schäuble fürchtet jede Abstimmung zur „Euro-Rettung“ im Parlament. Jedes Mal eine öffentliche Nabelschau, jedes Mal eine kritische Berichterstattung. Und jedes Mal haben Abgeordnete wie Bosbach, Gauweiler und Willsch die Möglichkeit, den Willen und die Entschlossenheit gegen die fortwährende Verschwendung von Steuergeldern und die Beugung des Rechts anzugehen. Sie bilden damit eine wichtige Gegenmacht zur Willkür der Regierenden. Der große britische Liberale des 19. Jahrhunderts, Lord Acton, warnte Zeit seines Lebens vor zu viel Machtkonzentration. Er brachte seine Skepsis mit dem Satz auf den Punkt: Macht hat die Tendenz zu korrumpieren, absolute Macht korrumpiert absolut.
Dieser Beitrag erschien zuerst am 28. Februar 2015 in der Fuldaer Zeitung.
Photo: Papiertrümmer from Flickr
Schäuble wäre ein Grexit lieber. Heute hat er wohl erstmals mit einem Rücktritt gedroht. Er wolle nicht gegen seine eigene Überzeugung handeln.
Schäuble hat es jedenfalls erstmals eingeräumt,, dass er und Angela Merkel nicht derselben Meinung sind, was die Euro-Rettung in Griechenland betrifft.
CDU-Generalsekretär Peter Tauber übt jedenfalls ständig Druck auf die Gegner der Griechenland-Hilfen in der Unionsfraktion aus und fordert diese regelmäßig auf, ihre Haltung zu überdenken und sich nicht auf ein „Nein“ festzulegen.
Wer also selbst denkt, der muss sich vermutlich deutlich irren.
Es gibt also ständigen Druck auf Abweichler: Die Euro-Rettung vergiftet das Klima in der Union
Insgesamt habe ich jedenfalls den Eindruck, dass bei der CDU keine inhaltliche
Arbeit geleistet wird. Das erinnert alles schon sehr stark an eine Drückerkolonne.
Und nicht selten stoße ich auf die Überlegung: Wer regiert unsere Republik?
Warum konnte es für Peer Steinbrück ohnehin nicht akzeptabel sein,
mit der Linken eine Koalition einzugehen? Wird unsere Republik in
Wirklichkeit vom Kapital und von Wirtschaftsbossen regiert?
In diesem Zusammenhang muss man es sich auch überlegen, warum Tauber das „Ja“ für die korrektere Entscheidung hält.
Was würde passieren, wenn Griechenland nicht gerettet wird?
Jedenfalls scheint Island die Euro-Krise gut gemeistert zu haben.
Bürger versuchten Geld von den Banken zu holen. Zahlreiche Banken gingen bankrott.
Der Druck der Straße war so groß, dass der damalige Premierminister beschloß die Banken NICHT zu retten!
in einem Artikel aus 2011 lese ich:
Wolfgang Bosbach hat in den vergangenen Tagen mehrfach seinen Unmut darüber geäußert, dass er mit üblen Worten beleidigt worden sei,
Die Epoch Times schreibt:
Wegen Grexit-Idee: USA legen Schäuble und Gabriel Rücktritt nahe
Genauso wie in Deutschland sind die großen Parteien in den USA ein wenig zu wirtschaftsnah.
Die USA haben trotzdem insofern recht, weil ein Grexit gefährlich wäre.
Soll sich aber das Spielchen jetzt ganz einfach fortsetzen und ständig ein Milliardengrab für die Steuerzahler geschaufelt werden, damit sich an dem Firmenbesitz der Parteispender nichts ändert?
Aber was müsste man tun, damit die Bombe entschärft wird?
Dafür fehlt unserer Regierung eindeutig die Kompetenz.
Im Zusammenhang mit dem Austritt von Bernd Lucke aus der AfD:
CDU will keine enttäuschten AfDler aufnehmen.
Befürchtet die CDU es, dass es dann noch mehr Abweichler in den eigenen Reihen geben könnte?
Die Abweichler in der CDU, was das Abstimmverhalten zur Euro-Rettung betrifft,.werden ungeachtet dessen immer mehr.