Photo: Andreas Praefcke from Wikimedia Commons (CC BY 3.0)
Der Fiskus Baden-Württembergs macht seine Bürger zu Hilfssheriffs. Das setzt dem immer zügelloser agierenden Steuerstaat die Krone auf und offenbart tiefgreifendes Staatsversagen.
Vom Zuschauer zum Hobby-Steuerfahnder
Der Fiskus ist außer Rand und Band: Mit allen Mitteln geht es den Steuersündern in Deutschland so richtig an den Kragen. Der Staat fletscht seine Zähne und kann sich dabei des Applauses der breiten Öffentlichkeit sicher sein. Die Finanzämter und ihre obersten Dienstherren, die Landesfinanzminister, können sich schließlich mit dem Fang von so manchem großen Fisch brüsten: Vom ehemaligen Post-Chef Klaus Zumwinkel, zu dessen Verhaftung gleich noch ein paar Kamerateams eingeladen wurden, bis zu Uli Hoeneß, dessen Privatleben in seiner Strafsache mit Genuss öffentlich zerfleddert wurde. War der brave Steuerzahler bis dato zum Zugucken verdammt – vorausgesetzt natürlich er konnte nicht mit gestohlenen Steuerdaten aufwarten – wird nun ganz einfach jedermann zum Hobby-Steuerfahnder. Dem „anonymen Hinweisgebersystem für Finanzämter“ des Landes Baden-Württemberg sei Dank.
Die Kleingartenordnung wird zum Rechtsstaatsprinzip erhoben
Hinter dem furchtbar deutschen Wort „Hinweisgebersystem“ verbirgt sich nichts anderes als der Aufruf des Staates an seine Bürger zur gegenseitigen Bespitzelung und Anschwärzung. Damit appelliert der Fiskus nicht nur an die ausgeprägten Mitmach-Instinkte der 80 Millionen deutschen Bundestrainer und Bild-Leserreporter. Er erhebt die Kleingartenordnung zum Rechtsstaatsprinzip. Doch es geht hier nicht um die Einhaltung der Kehrwoche, sondern um das grundlegende Verhältnis zwischen Staat und Bürger. Schließlich ist die Gesetzmäßigkeit der Verwaltung und der Strafverfolgungsbehörden eine der größten und am härtesten erkämpften Errungenschaften der deutschen Rechtsgeschichte. Verwaltungs- sowie Polizei- und Ordnungsrecht setzen dem Handeln von Verwaltungsbeamten, Staatsanwälten und ihren Ermittlungsbehörden enge und wohl überlegte Grenzen. Eine gute Staatsgewalt will geachtet aber nicht gefürchtet werden, und hält sich an ihre eigenen Regeln.
Spätestens mit dem massenhaften und fortdauernden Ankauf von illegal erlangten Steuerdaten führt der Staat diese Prinzipien ad absurdum. Er macht sich damit selbst zum Hehler von persönlichen Daten der Bürger, die er eigentlich schützen sollte. Es ist skurril, dass diese Praxis in einem fetischistisch auf Datenschutz bedachten Land mittlerweile niemanden mehr hinter dem Ofen hervorlockt. Wenn der Steuerstaat nun seine Bürger massenhaft zu Hilfssheriffs macht, fördert er damit nicht nur Missgunst und Neid zum eigenen Vorteil. Er umgeht kurzerhand die lästige Gesetzmäßigkeit von Verwaltung und Strafverfolgung. Schließlich sind die Bürger-Steuerfahnder weder an die strengen Regeln gebunden, die das Verhältnis zwischen Staat und Bürger regeln, noch müssen sie teuer ausgebildet oder gar bezahlt werden.
Denunziantentum: Eine Praxis, die vor allem in autoritären Regimen populär ist
Wer sich dabei an die dunklen Epochen deutscher Geschichte erinnert fühlt, liegt nicht ganz falsch. Gerade in autoritären Regimen ist das Fördern von Denunziantentum besonders populär. Immer dann, wenn Staaten sich der Gefolgschaft ihrer Bürger unsicher sein müssen, wird der Bürger – oder in dem Fall eher: Untertan – in die Erhaltung der Ordnung einbezogen. Die Gesetzestreue wird von dem, was sie eigentlich ist, kurzerhand zur obersten Moral erhoben. Damit wird eine Gesetzesverletzung wie Steuerhinterziehung, die eigentlich keine Opfer kennt, kurzerhand zur Straftat an der Gemeinschaft. Und deren Verfolgung damit zu einem Zweck, der alle Mittel heiligt. Das war bei der Flucht aus der DDR nicht anders und auch nicht bei nazi-kritischen Stimmen in Hitler-Deutschland.
Wer die Nazi-Keule schwingt, muss die Relationen im Blick behalten. Eine Gleichsetzung von Hobby-Steuerfahndern mit Stasi und Gestapo würde deren Opfer verhöhnen. Gleichwohl greift der Fiskus hier in einen Instrumentenkasten, der dem deutschen Staat eigentlich auf alle Zeiten verschlossen bleiben sollte.
Und er misst mit zweierlei Maß: Während auf der Einnahmenseite der Steuerbetrüger zum Schwerverbrecher hochstilisiert wird, ist Steuerverschwendung nicht einmal ein Kavaliersdelikt, sondern politischer Alltag. Warum aber sollte das Vorenthalten von Geld eine schwere Tat wider das Gemeinwohl sein, während die aberwitzige Mittelverschwendung, die alljährlich von Bundesrechnungshof und Schwarzbuch des Bundes der Steuerzahler illustriert wird, achselzuckend hingenommen wird?
Steuerhinterziehung ist Symptom von Staatsversagen
Anstatt fahrlässig die Grenzen zwischen Moral und Gesetzestreue zu verwischen, sollte der Staat besser einmal selbst Ursachenforschung betreiben. Denn das zügellose Gebaren der Finanzämter ist vor allem ein Zeichen hoffnungsloser Hilflosigkeit. Die Finanzbeamten müssen Regeln durchsetzen, die das Regelungssubjekt (hier: der Bürger) zum größten Teil nicht versteht und deren Befolgung nur mit sehr, sehr viel Aufwand überprüfbar ist. Gleichzeitig unterstützt das selbstherrliche Gebaren des Staates und seiner Vertreter nicht gerade die Zahlungsmoral des Steuerzahlers. In den letzten 30 Jahren waren die bereinigten Ausgaben des Bundes genau viermal rückläufig. Gleichzeitig stiegen die Ausgaben des Staates seit 1990 um knapp 187 Prozent.
Dieses Missverhältnis von Steuergehorsam und Ausgabenmoral ist nicht neu. Bereits 2014 schrieben die FAZ-Journalisten Rainer Hank und Winand von Petersdorff-Campen:
Politiker nehmen Wahlergebnisse als eine Art Blankoscheck zum Lenken der Gesellschaft. Die Ausgaben im Einzelnen müssen sie nicht mehr begründen. Um die Einnahmen zu sichern, rufen sie Staatsanwälte und Moral zur Hilfe.
Muss der Staat auf diese Weise Gehorsam mit Gewalt einfordern, ist das ein klares Symptom von Staatsversagen. Der Ausweg wäre eine radikale Vereinfachung des Steuersystems verbunden mit einem ernst gemeinten Ansatz zur Ausgabenreduzierung. So könnte beispielsweise eine umfassende Konsumsteuer alle (!) anderen Steuern ersetzen und gleichzeitig Steuerbetrug fast unmöglich machen. Dafür aber bräuchte es die Selbsterkenntnis des Staates, denn die ist bekanntlich der erste Schritt zur Besserung.
„Der Staat“ soll bitte allen Zahnarztkindern das Studium der Zahnmedizin kostenlos anbieten, hochbezahlte Lufthansa-Mitarbeiter mit 9 Milliarden Euro retten, kostenlos 100 Millionen Impfdosen verabreichen, mit 50 Milliarden Euro pro Jahr völlig sinnlos den Kunden Russland bedrohen, durch die Beihilfe 80! Prozent der Einnahmen der Privaten Krankenversicherungen bezahlen – aber Steuern sollen Staatsversagen sein.
Sehr klug. Sehr liberal.
Übrigens ist der größte Posten der Steuermittelverschwendung nie im Schwarzbuch enthalten: Die 65 Milliarden (es waren schon 80) jährlicher Zuschuss zur gesetzlichen Rentenversicherung, damit Beamte und Wohlhabende nicht einzahlen müssen, sondern die Versicherung von Niedrigverdienern durch Niedrigverdiener geleistet werden muss, was nie funktionieren kann. Jede Versicherung, auch die von der FDP so geliebte Private Krankenversicherung, lebt von der Verteilung von Risiken. Wenn nur Studenten und Angestellte sich privat versichern würden, nicht aber Beamte, wäre die Versicherung sofort zahlungsunfähig.