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Der Umgang der US-Börsenaufsicht SEC mit der Kryptobörse „Coinbase“ mutet an wie eine Passage aus Franz Kafkas Prozess. Regulierung wird zum Selbstzweck, der Angeklagte zum Ausgelieferten des Systems.

Wenn Bürokratie zum Selbstzweck wird

Vor dem Gesetz steht ein Türhüter. Zu diesem Türhüter kommt ein Mann vom Lande und bittet um Eintritt in das Gesetz. Aber der Türhüter sagt, daß er ihm jetzt den Eintritt nicht gewähren könne. Der Mann überlegt und fragt dann, ob er also später werde eintreten dürfen. »Es ist möglich«, sagt der Türhüter, »jetzt aber nicht.«

Die Türhüterparabel von Franz Kafka, die der Autor dem Angeklagten K. im bekannten Roman „Der Prozess“ vorträgt, steht sinnbildlich für eine ihrer ursprünglichen Aufgabe entfremdeten Verwaltung. Wie auch im Prozess steht ein ohnmächtiger und zugleich gutwilliger Bürger einem undurchsichtigen Rechtssystem gegenüber, das Regeln und deren Durchsetzung zum bloßen Selbstzweck macht. Und so stirbt „der Mann vom Lande“ am Ende der Parabel unverrichteter Dinge vor der Tür zum Gesetz, die sich daraufhin für immer schließt. Das Gleichnis ist eine Erzählung, die tiefes Unbehagen hervorruft bei dem Gefühl, einer allmächtigen Autorität auf Gedeih und Verderb ausgeliefert zu sein. Und sie wirkt wie eine Blaupause für den Kampf der US-Institutionen gegen die Kryptowirtschaft.

Die Blockchainwirtschaft kommt im Mainstream an

Diese Woche war wieder Bitcoin Pizza Day. Am 22. Mai 2010 wurde Bitcoin das erste Mal genutzt, um ein Produkt außerhalb der Blockchain zu kaufen. Eine Pizza für 10.000 Bitcoin. 13 Jahre später wäre diese Transaktion eine viertel Milliarde Euro wert. Bitcoin, Ether und Co. kommen immer mehr im Mainstream an und es hat sich eine Milliardenwirtschaft für digitale Wirtschaftsgüter entwickelt. Unter den vielen Unternehmen der noch jungen Blockchain-Wirtschaft fällt Coinbase als Akteur auf, der besonders um Zuverlässigkeit und Ernsthaftigkeit bemüht ist. Die größte US-Kryptobörse ist im traditionell knallhart regulierten Staat New York niedergelassen und seit 2021 an der Technologiebörse NASDAQ notiert. Das erfordert einen Grad an Compliance und Transparenz wie ihn auch die traditionellen amerikanischen Finanzinstitutionen an den Tag legen müssen. Dadurch wird Coinbase zum Gegenentwurf zur im letzten Oktober implodierten Kryptobörse „FTX“ der einstmaligen Lichtgestalt Sam Bankman-Fried. In dessen milliardenteurem Scherbenhaufen fanden Ermittler und Staatsanwälte über die letzten Monate ein wahres Sodom und Gomorrha. Man sollte meinen, die US-Regulierer, allen voran die Börsenaufsichtsbehörde SEC, würden sich glücklich schätzen ob eines so transparenten und um Compliance bemühten Unternehmens. Doch das Gegenteil ist der Fall. Die SEC hat Coinbase den Krieg erklärt und das in bester Kafka-Manier.

Godzilla gegen King Kong: Kampf der US-Regulierer

Die Europäischen Union hat mit der MiCA-Verordnung gerade einen großen Schritt in Richtung Rechtssicherheit für die Blockchain-Wirtschaft getan. Der Rechtsrahmen regelt Handel und Nutzung von Blockchain-basierten Werten und Genehmigungen für Krypto-Dienstleister. Ganz anders sieht das in den USA aus. Nicht nur, dass hier ein einheitlicher Rechtsrahmen für Krypto-Dienstleister in den Sternen steht. Die größten Finanzmarktregulierer des Landes, die Börsenaufsicht SEC und die Commodity Futures Trading Commission (CFTC), die die Rohstoffmärkte überwacht, streiten sich auch noch um Zuständigkeiten. Ein Kampf wie Godzilla gegen King Kong.

Im Mittelpunkt steht die Frage, ob Krypto-Werte, wie sie auf den Plattformen von Coinbase gehandelt werden können, Securities (Wertpapiere) oder Commodities (Handelswaren wie Rohstoffe) sind. Das ist nicht nur eine Frage der Zuständigkeit, sondern auch über die Regulierungsdichte. Der Wertpapierhandel in den USA ist der wohl am dichtesten regulierte Finanzmarkt der Welt und erfordert extremen Aufwand. Die SEC in Gestalt ihres Vorsitzenden Gary Gensler ist sich allerdings selbst nicht so sicher welche Kryptowerte sie als Wertpapiere klassifizieren kann. So stand dieser kürzlich den amerikanischen Abgeordneten in einer Ausschussanhörung mehr Rede als Antwort und wich auf zentrale Fragen immer wieder aus. Auch auf Nachfrage konnte Gensler nicht eindeutig sagen, ob die nach Marktkapitalisierung weltweit zweigrößte Kryptowährung Ethereum laut Einschätzung der SEC ein Wertpapier sei und damit unter ihre Jurisdiktion falle. Als Antwort gab es für die Abgeordnete, deren verfassungsgemäße Aufgabe es ist, die SEC zu kontrollieren, lediglich ein ausweichendes „Das kommt auf die Umstände an“. Doch nun wird es kafkaesk im eigentlichen Sinne.

Kein Einlass ins Gesetz

Denn anstatt in diesem regulatorischen Durcheinander die Füße still zu halten bis Regeln und Zuständigkeit vom Gesetzgeber geklärt werden, geht Genslers SEC aufs Ganze und verklagt jedes Krypto-Unternehmen, das nicht bei Drei auf den Bäumen ist. So verlangt die SEC z.B. von Coinbase nicht nur, dass das Unternehmen eine Wertpapierhandelslizenz beantragt. Im März flatterte bei Coinbase auch noch eine so genannte „Wells Notice“ ein. Die formale Ankündigung einer Anklage wegen des unrechtmäßigen Handels mit Wertpapieren. Diese soll den betreffenden Unternehmen die Möglichkeit geben, eine Antwort an die SEC vorzubereiten. Doch sieht sich die SEC außer Stande, Coinbase mitzuteilen, welche der 250 dort gehandelten Kryptowährungen sie denn als Wertpapier ansieht. Man könnte behaupten, die SEC wisse das selbst noch nicht so genau.

Das ist nicht die einzige Parallele zu Kafkas Dystopie. Denn bereits im Juli letzten Jahres, zu einer Zeit als der Serienbetrüger Sam Bank Fried noch Termine mit Gensler und Biden absolvierte, schickte Coinbase der SEC eine tatsächliche Bitte um „Einlass“ ins Gesetz. Auf 32 Seiten bat Coinbase die SEC um eindeutige Regeln für den Handel mit Kryptowährungen und formulierte sogar vierzig konkrete Fragen, deren Klärung Coinbase die Beantragung der SEC-Lizenz ermöglichen könnten. Die Antwort: Stille. Ganz wie das „Es ist möglich, jetzt aber nicht“ des Türhüters. Im Mai dieses Jahres versuchte Coinbase dann, die SEC vor Gericht dazu zu zwingen, auf die Bitte um Regulierung zu antworten. Darauf erwiderte die SEC, dass Regulierung ihre Zeit dauere (Jahre), es keine Eile gäbe, und in der Zwischenzeit die bestehende Regulierung durchgesetzt würde. Unklar bleibt was genau damit gemeint ist.

Die SEC handelt genau wie die pervertierte Bürokratie im „Prozess“ nur noch zum Selbstzweck und auf Basis von Regeln, die sie nur selbst ahnt, und die sie den Angeklagten selbst auf Nachfrage nicht mitteilt. Dabei hat sie aber auch noch große Teile von Politik und Öffentlichkeit auf ihrer Seite, weil sie und andere vermeintliche Verbraucherschutz-Institutionen über Jahre hinweg erfolgreich den Mythos vom Kriminellen-Geld und Schneeballsystem Krypto verbreitet haben.

Blockchain könnte für den Staat eine riesige Chance sein

Was die SEC und die hinter ihr stehenden politischen Akteure übersehen: Eine sinnvoll regulierte Blockchain-Wirtschaft wäre eine kolossale Chance für den Staat. Einerseits lechzen Finanzunternehmen der Kryptowirtschaft geradezu nach Regulierung. Denn nur die würde es ermöglichen, Zugang zum Billionenmarkt der Renten- und Indexfonds zu erhalten. Die astronomische Menge an Kapital, die auf diesen Märkten für Investitionen in Bitcoin und Co. bereitstünde, setzt einen unschlagbaren Anreiz, sich den Regeln des Staates zu fügen. Aber Blockchain ist noch viel mehr als Krypto. Es ist das Versprechen auf minimale Transaktionskosten und maximale Transparenz. Die Blockchain könnte dabei helfen, die taumelnden demokratischen Institutionen des Westens wiederzubeleben z.B. mit einfachen und unfälschbaren Wahlen. Sie könnte Verwaltungen bürgerfreundlich machen, Gerichte entlasten und das globale Geldsystem um eine verlässliche Alternative erweitern. Doch dazu braucht diese faszinierende Technologie Einlass ins Gesetz.