Im Januar lag die offiziell ausgewiesene Inflationsrate bei minus 0,3 Prozent. Schon warnen die Ersten vor einem andauernden Rückgang des Preisniveaus der Waren und Dienstleistungen. Das Gespenst der Deflation wird an die Wand gemalt. Erinnerungen an 1929 werden wach, als während der Weltwirtschaftskrise die Preise auf breiter Front gesunken sind, Unternehmen zusammenbrachen und Arbeitslosigkeit zum Massenphänomen wurde. Bis heute wird diese Geschichte immer wieder erzählt. EZB-Präsident Mario Draghi greift sie dankbar auf. Denn seine Politik des Gelddruckens kann er nur aufrechterhalten, wenn er diese Geschichte wieder und wieder erzählt.
Doch wie so häufig sind Draghis Erzählungen nur ein Teil der Wahrheit. In Wirklichkeit ging der Depression 1929 eine lange Phase der Inflation voraus und die Weltwirtschaftskrise war Höhepunkt und Korrektur zugleich. Nicht ohne Grund spricht man von den „Goldenen Zwanzigern“. Die Zwanziger Jahre des vorangegangen Jahrhunderts waren nicht „golden“ deshalb, weil die Menschen so zufrieden waren, sondern weil sie wegen der hohen Inflation ihr Geld sofort wieder ausgeben mussten und deshalb dem Konsumrausch frönten. Die Preise stiegen auf breiter Front. Erst 1929 war die Party am Ende.
Die Ursache der Geld- und Vermögensvernichtung war, wie der amerikanische Ökonom Robert Murphy herausfand, die Geldpolitik der amerikanischen Notenbank Fed. 1924 stellte die Fed dem Banksystem nach einem Wirtschaftseinbruch 500 Millionen Dollar an neuen Krediten zur Verfügung, was zu einer Kreditexpansion von vier Milliarden Dollar führte. Zwischen 1924 und 1929 stieg die umlaufende Geldmenge in Amerika von 44,5 auf über 55 Milliarden Dollar. Nicht nur die Kosumgüterpreise galoppierten, sondern auch die Aktien- und Immobilienwerte stiegen und stiegen. Erst als die Investoren nicht mehr an immer weiter steigende Preise an den Vermögensgütermärkten glaubten, platzte die Blase am schwarzen Freitag 1929 und die Depression als besonders schlimme Form der Deflation vernichtete diese ganzen Scheinvermögen.
Heute haben wir in Teilen die gleiche Ursache und die gleichen Symptome. Zwischen 1998 und bis zum Ausbruch der Bankenkrise 2007 wuchs die Geldmenge im Euroraum um 130 Prozent und die Kreditmenge sogar um 160 Prozent. Lediglich ein Wachstum von 20 Prozent war das bescheidene Ergebnis. Diese von der EZB initiierte Ausweitung der Geld- und Kreditmenge führte zu einem Anstieg der Vermögensgüterpreise. Insbesondere die Immobilienpreise in Südeuropa explodierten. Als die Blase platze, saßen die Banken auf den faulen Immobilienkrediten, da die Häuslebauer sie nicht mehr finanzieren konnten. Jetzt belasten diese Kredite die Banken-Bilanzen und hindern sie, neue Kredite zu vergeben.
Deshalb geht Mario Draghi in den Keller und schmeißt die Druckerpresse an, um Inflation zu produzieren. Das wird ihm auch gelingen. Denn er kann so viel Geld „drucken“, wie er will. Und irgendwann kommt die Inflation wie der Ketchup aus der Flasche.
Draghi will verhindern, dass die Korrektur stattfindet. Doch eigentlich ist sie notwendig, denn sie ist eine Entwicklung zum Gesunden. Die Übertreibung durch die Geldexpansion an den Immobilien- und Aktienmärkten ist der ungesunde Zustand. Wer die Krankheit verlängert oder das Fieber erhöht, löst das Problem nicht, sondern verschlimmert die Grippe solange, bis sie zur Lungenentzündung ausartet. Diese Lungenentzündung ist gleichzeitig auch noch ansteckend. Denn andere Notenbanken werden es der EZB nachmachen, weil sie Wettbewerbsnachteile für ihre Industrie befürchten. Auch sie werden krank.
Doch der geringe Preisanstieg hat noch eine andere Ursache. Der Ölpreis fällt und fällt – Fracking sei dank. Eigentlich sollten wir uns darüber freuen. Denn letztlich heißt es nur, dass wir mehr Waren und Dienstleistungen für unser Geld bekommen. Wieso soll das schlecht sein? Der niedrige Ölpreis ermöglicht Bürgern und Unternehmen ihr Geld für andere Zwecke einzusetzen. Es ist ein Konjunkturprogramm für uns alle – quasi die nötige Entlastung, die uns die jetzige Bundesregierung bei der Kalten Progression vorenthält.
Dieser Beitrag erschien zuerst in der Fuldaer Zeitung am 31. Januar 2015.
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