Photo: Gordon Tarpley from Flickr (CC BY 2.0)
Der Fall Intel zeigt: Die Industriepolitik erlebt ein Revival. Anstatt die Produktionsfaktoren für alle zu verbessern, greift die Politik wieder zu Protektionismus und Subventionen.
Die Industriepolitik ist endgültig zurück. Der US-Chiphersteller Intel erhält die astronomische Förderung von 10 Milliarden Euro für den Bau von zwei Fertigungswerken in der Nähe von Magdeburg. Wohl gemerkt kreditfinanziert und auf Kosten der Steuerzahler. Damit überweist jeder einzelne der 82,3 Millionen Deutschen Intel ungefragt 120 Euro. Und selbst wenn es wirklich zur Ansiedelung von insgesamt 10.000 Arbeitsplätzen (inklusive Zulieferern) käme, kostete jeder einzelne dieser Jobs eine Million Euro. Wohlgemerkt in einer Branche, die bereits heute unter Fachkräftemangel leidet. Begründet wird die Megasubvention mit Industriepolitik. Man müsse sich unabhängig machen von asiatischen Zulieferern und gleichzeitig den USA die Stirn bieten. Wurden Subventionen und wirtschaftlicher Protektionismus bis vor einigen Jahren noch als überkommene Mittel einer fehlgeschlagenen Wirtschaftspolitik wahrgenommen, sind sie nun wieder en vogue. Wie das finstere Imperium im Star Wars Universum schlagen nun auch die vormals besiegten Truppen der galaktischen Industriepolitik zurück. Und wie das Imperium beruht auch die Industriepolitik vor allem auf zentralisierter Kontrolle begründet durch Missgunst und Angst.
Alle wollen Airbus, alle bekommen Quaero, EPI und Gaia-X
Missgunst ist der Ausgangspunkt jeder industriepolitische Maßnahme seit dem frühen Merkantilismus: „Die haben etwas, was wir nicht haben. Die sollen nicht von uns profitieren. Wir sollten das haben.“
In den Diskursen übernimmt der Flugzeughersteller Airbus für europäische Wirtschaftsminister die argumentative Funktion, die der Wiederaufbau Deutschlands nach dem Zweiten Weltkrieg für interventionistische US-Politiker einnimmt. Denn letztlich waren sowohl der Erfolg von Airbus als auch die rasche Rückkehr Deutschlands in den Kreis der Zivilisation einmalige Glücksfälle, die nicht Ergebnis von politischem Genius und herausragender Vorhersagefähigkeit waren. Ebenso bedrückend wie die Liste gescheiterter Demokratisierungs-Versuche der USA nach dem Vorbild Deutschlands (Vietnam, Afghanistan, Irak) ist die Liste jüngster industriepolitischer Vollkatastrophen in Europa. Die transnationale Gründungsgeschichte von Airbus gilt bis heute als leuchtendes Beispiel erfolgreicher Industriepolitik. Doch was kam danach? Kennen Sie „Quaero“, das europäische Google? EPI, das europäische Mastercard? Oder Gaia-X, das europäische Amazon Web Services? Milliardengräber überambitionierter Bürokraten, die es für ein Erfolgskonzept halten, amerikanische Unternehmen mit Steuergeld nachzubauen.
Die falschen Lehren aus der Krise
Mit den wirtschaftlichen Auswirkungen von Corona und des russischen Krieges in der Ukraine kommt ein weiteres wirkmächtiges Instrument: Angst. „Wir verlieren die Kontrolle über Schlüsselindustrien. Wir dürfen uns nicht den Chinesen ausliefern. Die haben uns in der Hand.“
Die Krisen der letzten Jahre haben gezeigt, dass die globalisierten Lieferketten anfällig sind für externe Disruptionen. Allerdings werden daraus die falschen Lehren gezogen. Aufgabe der Politik wäre es jetzt, menschenverachtenden Despoten mit Selbstbewusstsein und größerer diplomatischer Standhaftigkeit zu begegnen. Eine Übung, in der die aktuelle Regierung im Hinblick auf China erneut krachend versagt. Als böte nicht die jüngste Parteigeschichte des aktuellen Kanzlers genug Anhaltspunkte dafür, wie man es eben nicht machen sollte. Keinesfalls jedoch ist es die Aufgabe der Politik, für Lieferkettensicherheit zu sorgen. Solche Fragen sind Teil der unternehmerischen Kalkulation. Firmen, die ihre Produktionen ins Ausland verlagern, müssen die Risiken durch fremde Rechtssysteme, lange Lieferketten, und unberechenbare Regime in ihre Kosten-Nutzen-Abwägung mit einberechnen. Da gab es mit Sicherheit vor Corona und Russland zu viel Naivität. Die Lehren daraus müssen allerdings die Unternehmen selbst ziehen und nicht der Staat. Und überhaupt: man sollte die Ausmaße der Disruptionen mit den tatsächlichen Folgen abgleichen. Eine globale Pandemie ausgelöst durch einen neuartigen Virus und der Überfall eines bedeutenden Landes im Vorgarten der NATO durch eine Atommacht, die auch noch für über die Hälfte der deutschen Gasversorgung verantwortlich war: Dafür war die globalisierte Wirtschaft doch erstaunlich resilient. Wirkliche Knappheit, nicht anekdotische à la ausverkauftes Toilettenpapier, gab es am Ende kaum.
Wir machen das mit den Fähnchen
In der Begründung der Intel-Subvention vermischen die politisch Handelnden beide Narrative, um ihren scheinbaren Coup noch größer wirken zu lassen. Angst vor einer politischen Destabilisierung der asiatischen Chip-Zentren wird verbunden mit Missgunst gegenüber den USA und Ärger über ihr galaktisches Subventionsprogramm „Inflation Reduction Act“. Hoffentlich fällt nur keinem auf, dass Intel bereits heute auch in Irland und Israel produziert …
Eigentlich sollte es mittlerweile Allgemeinwissen sein, wie schädlich Protektionismus ist und wie ineffizient auf Subventionen basierende Industriepolitik. Diese Instrumente bevorteilen die wenigen mit direktem Zugang zur Politik auf Kosten der vielen. Sie verzerren Märkte und führen zu Überkonsum und Produktion von Gütern, die ansonsten keinen Abnehmer fänden. Sie machen Unternehmen abhängig von Steuergeldern und schüren Erwartungen auf immer weitere Unterstützungen. Sie machen den Staat erpressbar und den Wettbewerb ungerecht. Sie beruhen auf einer fatalen Anmaßung von Wissen und verhindern natürliche Innovation.
Doch am Ende sind Angst und Missgunst eben stärkere Motive als dröge wirtschaftliche Zusammenhänge.
Dabei liegen die Industriepolitiker in ihrer Problemidentifikation nicht mal falsch. Der Industriestandort Deutschland ist offensichtlich für viele nicht mehr attraktiv. Anstatt für die wenigen politisch Erwählten wie Magedburg sollten die Rahmenbedingungen für alle verbessert werden. Ansätze gäbe es genug: Das deutsche Arbeitsrecht ist in seiner Starrheit strangulierend. Löhne sind zwar eigentlich niedriger als beispielweise in den USA, doch Lohnnebenkosten und geringe Wochenarbeitszeiten machen Arbeitskraft teuer. Der Arbeitsmarkt ist leergefegt, der Bildungsstand häufig ungenügend. Die Steuern sind hoch, dafür ist die Bürokratie analog und quälend langsam. Verkehrswege sind überlastet, Mobilfunknetze löchrig. Und ein Freihandelsabkommen mit dem wichtigsten Verbündeten auf der anderen Seite des Atlantiks liegt seit Jahren auf Eis.
Es gäbe so viele sinnvolle Felder, auf denen sich Regierungen beweisen könnten. Doch am Ende greift die Politik dann doch zu den althergebrachten Fähnchen aus der bekannten Sparkassen-Werbung.
Bleibt zu hoffen, dass die Star Wars Analogie nicht nur eine Zustandsbeschreibung, sondern auch ein Zukunftsversprechen ist. Denn früher oder später sollten sich Dezentralisierung und (unternehmerische) Freiheit durchsetzen. Dafür bräuchte es Rebellen.