Photo: KylaBorg from Flickr (CC BY 2.0)

Liebe britische Freunde,

wenn Ihr im Sommer über den Brexit entscheidet, dann geschieht dies aus einer Stimmung der Verärgerung und Resignation über die Entwicklung der Europäischen Union heraus. Es stimmt: die EU ist in keiner guten Verfassung. Sie wird ihrem eigenen Anspruch, den sie im Jahr 2000 in der Lissabon-Strategie formuliert hat, nicht gerecht. Sie wollte „ein Vorbild für den wirtschaftlichen, sozialen und ökologischen Fortschritt in der Welt sein“. 16 Jahre später ist die Bilanz niederschmetternd.

Die Gesamtverschuldung der Mitgliedsstaaten der EU war noch nie so hoch, das Wachstum lahmt und die Arbeitslosigkeit im Süden Europas ist besorgniserregend. Die Reaktion der Funktionäre auf diese Entwicklung ist noch mehr Zentralismus, noch mehr Planwirtschaft und noch mehr Gängelung des Einzelnen. Offensichtlich wird diese Entwicklung bei der Euro- und Flüchtlingskrise. Der Ursprung beider Krisen ist der gleiche. Die EU ist keine Rechtsgemeinschaft. Europäische Verträge sind Schönwetter-Recht. Bei Wind und Wetter werden sie gebrochen, geschleift und umgedeutet.

Zentralplanerische Projekte nahmen historisch sehr oft diese Entwicklung. Die Mitgliedsstaaten in Osteuropa können ein Lied davon singen, aber auch Großbritannien selbst ging diesen Weg vom Zweiten Weltkrieg bis Ende der 1970er Jahre. Erst die Eiserne Lady Thatcher beendete dieses sozialistische Experiment. Thatchers Weg war steinig und hart, aber erfolgreich.

Es ist sicherlich so, dass das, was Premierminister Cameron beim Europäischen Rat verhandelt hat, im Ergebnis sehr bescheiden ist. Ja, Ihr könnt in den nächsten Jahren EU-Ausländer von Sozialleistungen ausschließen. Okay, auch die Aufsicht über Eure Banken und Versicherungen könnt ihr behalten. Und ihr bekräftigt nochmals, dass Ihr NIE, NIE, NIE den Euro einführen werdet. Ja, Cameron ging in die Verhandlungen wie ein adrenalingeschwängerter Boxer und kam mit zwei blauen Augen aus dem nächtlichen Fight. Und als er nach Hause kam, verpasste ihm sein Parteifreund Boris Johnson noch einen Leberhaken obendrauf. Das tat weh.

Vielleicht hätte er den anderen Regierungschefs, wie einst Maggy Thatcher bei anderer Gelegenheit, Hayeks „Verfassung der Freiheit“ auf den Tisch knallen und sagen sollen: „This is what we believe“ und anschließend vorübergehend den Verhandlungstisch verlassen müssen. Vielleicht hätte er zuvor in der EU Allianzen für eine grundlegende Überarbeitung der Verträge schließen müssen. Vielleicht wären die osteuropäischen Staaten dafür Verbündete gewesen, vielleicht sogar auch Deutschland, die Niederlande oder die skandinavischen Staaten. Doch schon ein gewisser Peer Steinbrück sagte einmal: „Hätte, hätte, hätte Fahrradkette“.

Klar ist: entscheidet Ihr Euch für den Brexit, dann überlasst Ihr weite Teile Europas dem Zentralismus, der Planwirtschaft und dem Paternalismus. Bei aller Distanz zum Festland ist die Tradition Großbritanniens eine andere. Großbritannien hat über Jahrhunderte den Rest Europas immer wieder befruchtet und inspiriert.

Großbritannien steht nicht nur für die große Rechtstradition der Magna Charta und der Bill of Rights, die die Herrschaft des Rechts über die der Herrschenden stellte. Aus Großbritannien stammen bedeutende Vordenker der Freiheit wie John Locke, David Hume oder Adam Ferguson. Wahrscheinlich gibt es wenig so eindrucksvolle literarische Monumente über die Freiheit wie John Stuart Mills „On Liberty“. Und in Großbritannien wurde Bahnbrechendes über Marktwirtschaft und Freihandel formuliert. Männern wie Adam Smith und David Ricardo stehen für diese große Tradition.

Als Adam Smith sein Buch „Der Wohlstand der Nationen“ 1776 veröffentlichte und energisch für den Freihandel eintrat, hat keiner, nicht einmal Smith selbst, daran geglaubt, dass die Zeit des Merkantilismus in absehbarer Zeit zu Ende gehen würde. Und dennoch verbreite sich rund 70 Jahre später, aus England kommend, eine Freihandelsbewegung in Europa und in der Welt, die heute noch Grundlage für unser aller Wohlstand ist. Richard Cobden und John Bright haben den ganzen Kontinent inspiriert.

Liebe britische Freude,

lassen Sie den Rest in Europa nicht im Stich. Inspirieren Sie, provozieren Sie und verändern Sie Europa weiterhin. Der Rückzug wäre ein falsches Signal und würde die Europäische Union noch stärker den Zentralstaatlern und Geldausgebern überlassen. Das würde letztlich auch Großbritannien schaden. Denn ein Rest-Europa, das noch weiter zurückfällt, weil es nicht auf Marktwirtschaft, Recht und Freiheit setzt, schadet mittelbar auch Großbritannien. Es würde innerhalb der EU zu einer Achsenverschiebung in Richtung Südeuropa führen. Länder mit einer noch einigermaßen ausgeprägten marktwirtschaftlichen Ausrichtung wie die baltischen Staaten, die Niederlande und abgeschwächt auch Deutschland, würden weiter an den Rand gedrängt. Länder mit einer zentralistischen Tradition wie Frankreich und Netto-Profiteure wie Italien und Spanien würden in Verbindung mit der Bürokratie in Brüssel noch stärker den Kurs bestimmen. Einen Kurs, dem Sie mittelbar auch auf ökonomischer wie regulatorischer Ebene ausgeliefert wären – und zwar ohne, dass Sie noch echten Einfluss ausübern könnten. Das wäre fatal.

Liebe britische Freunde,

stimmen Sie für den Verbleib in der EU. Überlassen Sie den Rest Europas nicht den Planern und Technokraten, sondern sorgen Sie mit anderen Freunden der Freiheit für Veränderungen. Um es mit dem Deutsch-Briten Lord Dahrendorf zu sagen: „Europa muss Rechtsstaat und Demokratie verkörpern, pflegen und garantieren: sonst ist es der Mühe nicht wert.“

Erstmals erschienen auf Tichys Einblick.

 

3 Kommentare
  1. Karl
    Karl sagte:

    Das ist doch eher eigennützig gedacht. Klar steht Deutschland möglichwerweise noch einsamer da, wenn die Briten die EU verlassen sollten. Es wäre aber nur recht und billig, die Sache mehr von der britischen Seite, also aus dem Blickwinkel britischer Interessen zu sehen. Und wenn man mal zur Kenntnis nimmt, was Cameron in den Verhandlungen mit der EU erreicht hat, dann kann man den Briten guten Gewissens nur empfehlen, die EU so schnell wie möglich zu verlassen. Wer keinen Zentralstaat will, der hat innerhalb des EU-Verbands keine Chance, das haben die Verhandlungen gezeigt (und Jucker implizit noch einmal bekräftigt), die nur mit winzig kleinen Alibi-Zugeständnissen für die Briten endeten.
    Vielleicht ist die dringend nötige Reform der EU nur noch durch Knalleffekte zu erreichen. Ein erster könnte der Austritt der Briten aus dem immer zentralistischer und planwirtschaftlicher agierenden Verband sein, ein Austritt zumal aufgrund des Bürgerwillens einer souveränen Nation. Ich jedenfalls würde mir dieses Ergebnis wünschen. Zum Vorteil Europas.

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    • Bernhard Hönl
      Bernhard Hönl sagte:

      GB nur zu, raus, aus dieser hoch kriminellem EU.
      Herr Schäffler, ich dachte Sie sind ein Liberaler und Befürworter der „Austrians“. Wie können Sie dann schreiben dass die Briten in der EU bleiben sollen?
      In einer nicht gewählten, völlig irrationalen Gemeinschaft, die kaum ein Mensch will, außer den Kommissaren und den Funktionären.
      Planwirtschaft pur, die den Menschen schadet nur!
      Herr Schäffler, hab ich mich bei Ihnen so getäuscht?
      Sind Sie doch auch nur ein „Systemler“?….

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  2. Peter Triller
    Peter Triller sagte:

    Wir stehen zur Eigenverantwortung, daher liegt es in der Verantwortung der Briten zu entscheiden, ob sie in dieser EU verbleiben wollen oder nicht. Sie tragen NICHT die Verantwortung für die Fehlentwicklungen in den EU Staaten und sollten daher folgerichtig, sich nicht um uns arme Restliberalen in den halbsozialistischen Staaten des Festlands moralisch vor den Karren spannen lassen. Ich glaube auch, dass ein Knalleffekt wichtiger wäre als das weitere Herumdoktern an einer Fehlkonstruktion. Ein Brexit wird entweder ein großes Umdenken auslösen oder das Konstrukt ist überhaupt nicht mehr zu retten. Ich sehe daher das Brexit mehr als Chance denn als Bedrohung.

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