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Was tun gegen den langsamen demografischen Tod in strukturschwachen Bundesländern? Ein Blick in die USA zeigt, wie föderaler Steuerwettbewerb Brandenburg und Co. neu beleben könnte.

Ich fühl mich Brandenburg

„Lassen Sie die Seele baumeln in Mecklenburg! Kommen Sie zu uns, die meisten von uns sind eh nicht mehr hier!“ singt Rainald Grebe, bekannt für seine Lieder über die ostdeutschen Bundesländer. Oder „Da steh‘n drei Nazis auf dem Hügel und finden keinen zum Verprügeln – in Brandenburg. Ich fühl mich heut so leer. Ich fühl mich Brandenburg.“ Folgt man den Bevölkerungsprognosen des Statistischen Bundesamtes haben Bundesländer mit besonders vielen „strukturschwachen“ Regionen, also mit wenig Wirtschaftskraft und schlechter Verkehrsanbindung, ein großes Problem: Sie sterben aus. Metropolregionen wie Hamburg, Berlin und München werden auch in den nächsten Jahrzehnten weiter wachsen, während in Südthüringen und der Lausitz langsam die Lichter ausgehen. Der Staat kämpft verzweifelt an gegen Überalterung und Verödung mit Förderprogrammen und Infrastrukturprojekten. Im Bemühen um die im Grundgesetz angestrebten „gleichwertigen Lebensverhältnisse“ wird eifrig umverteilt. Von Stadt nach Land, von Ost nach West, von Süd nach Nord. Dabei kommt die Gießkanne der staatlichen Daseinsvorsorge stets mindestens 20 Jahre zu spät. Ein Blick in die USA zeigt, es gäbe ein schnell umsetzbares und probates Gegenmittel: Föderaler Steuerwettbewerb.

Das nächste amerikanische Wirtschaftswunder

Seit fast einem Jahrhundert dominieren die Vereinigten Staaten die Welt(wirtschaft). Einst waren es Ford und General Electric, heute sind es Amazon, Alphabet und Apple. Gerne wird der US-Wirtschaft ein Ende ihrer Hegemonie vorhergesagt, wie in diesem Spiegel-Artikel von 1980. Doch am Ende gelingt es den Vereinigten Staaten, oder besser gesagt den Amerikanern, stets sich neu zu erfinden. Ford wird von Facebook abgelöst, der „rust belt“ mit seiner Schwerindustrie vom „Silicon Valley“ mit den Konzerngiganten Apple, Alphabet und Tesla. Diese Fähigkeit zur Selbsterneuerung hat auch etwas mit einem anderen Verständnis von Institutionenwettbewerb zu tun. Bundestaaten konkurrieren direkt miteinander um Standortfaktoren wie Universitäten, um Steuerzahler und um Unternehmen – und niemand findet das anstößig.

Im Schatten der Krisenjahre 2019 bahnt sich schon die nächste Revolution an. Lange Zeit belächelte Staaten wie Texas (nur Cowboys und Öl), Florida (nur Rentner und Strand) oder Utah (zu religiös, zu kalt) erleben derzeit Wirtschaftswunder. Scharenweise ziehen von Überregulierung und hohen Steuern frustrierte New Yorker, Bostoner und Kalifornier hier hin und bringen ihre Jobs und Unternehmen gleich mit. Das hat vor allem zwei Gründe:

(1) Staatliche Einkommenssteuern

In den USA können die Bundesstaaten zusätzlich zur föderalen Einkommenssteuer (Spitzensteuersatz 37% ab 162.718 USD) eine eigene Einkommenssteuer erheben. Und anders als New York (bis zu 11%) und Kalifornien (bis zu 13,3%!) gibt es in Texas und Florida überhaupt keine bundesstaatliche Einkommenssteuer. Seit 2017 ist es zudem kaum noch möglich, die staatliche Einkommenssteuer auf die föderale anzurechnen, etwas, was die regierenden Demokraten gerade unbedingt rückgängig machen wollen. Erst dadurch wurde die bundesstaatliche Einkommenssteuer überhaupt zu einem echten Faktor.

(2) Regulierung und gesellschaftliches Klima

Zusätzlich zu den hohen Steuern belasten Unternehmer an Ost- und Westküste überbordende Regulierung und auf höchster Ebene umgesetzte „idendity politics“. Etwas, zu dem die politischen Eliten in Texas und Florida ein ihrer Radikalität zugegeben ebenso fragwürdiges Gegenmodell bieten.

Aber warum passiert der große Umzug erst jetzt?

Die Pandemie hat den „Exit“ zur echten Option gemacht

Im Jahr 1970 schrieb der Politökonom Albert Hirschman in seiner Abhandlung „Exit, Voice, and Loyality“, dass Mitglieder einer Gesellschaft grundsätzlich zwei Optionen hätten, mit ihrer Unzufriedenheit umzugehen. Sie könnten entweder die Stimme erheben (Voice) und sich beispielsweise über den demokratischen Prozess in die politische Willensbildung einbringen. Oder aber sie könnten die Gemeinschaft einfach verlassen (Exit) und sich eine neue suchen, die ihren Präferenzen eher entspräche. Verfechter des Institutionenwettbewerbs berufen sich in ihrer Argumentation stets auf die Exit-Funktion. Nach diesem Prinzip würden beispielsweise im Wettbewerb stehende Staaten stets dazu tendieren (müssen), ihren Bürgern bessere Bedingungen (niedrige Steuerbelastung, hohe Sicherheit) zu bieten. Eine elegante Vorstellung, die bis dato aber kaum mit empirischer Evidenz unterlegt werden konnte.

Die Betonung liegt auf bis dato. Denn die Frage ist immer, ob die Kosten für einen Exit den zusätzlichen Nutzen durch den Umzug in eine andere Regelungsgemeinschaft aufwiegen. Neuer Job, neue Freunde, neue Schule – da bleibt man doch lieber in Kalifornien und zahlten eben die hohen Steuern.

Die Pandemiezeit hat diese Abwägung auf links gedreht. Denn viele Mitarbeiter sind nie aus dem Home-Office zurückgekehrt. Und Menschen haben gelernt, wie gut sich soziale Kontakte auch über die Distanz aufrechterhalten lassen. Die neue Flexibilität am digitalen Arbeitsplatz ist vielleicht der entscheidende Zündfunke, der letztendlich echten Institutionenwettbewerb zwischen offenen Regelungsgemeinschaften ermöglicht. Viele müssen heutzutage einfach nicht mehr ihren Job kündigen, um an einen besseren Ort zu ziehen.

Deutschland wäre wie gemacht für echten Institutionenwettbewerb

Wer von New York nach Miami fliegt, ist selbst im Flugzeug einige Stunden unterwegs. In Deutschland dagegen sind die Wege vergleichsweise kurz. Dicht besiedelt mit einer (aus amerikanischer Sicht) aberwitzig gut ausgebauten öffentlichen Verkehrsinfrastruktur, wäre Deutschland wie gemacht für Institutionenwettbewerb à la USA. Alles, was es dafür bräuchte, wäre ein Bundesgesetzgeber, der sich zurücknähme und eine zweigleisige Einkommensbesteuerung nach amerikanischem Vorbild einführt. Natürliche Anziehungspunkte wie Berlin würden davon profitieren, höhere Steuern erheben zu können. Und die scheinbar perspektivlosen Länder, die Berlin umgeben, können mit niedrigen Steuern zum Anziehungspunkt für flexible Young Professionals und Selbstständige werden.