Photo: Nimesh Madhavan from Flickr

Wenn es um die Besteuerung des Erbes geht, prallen auch hierzulande grundsätzliche Positionen aufeinander. Selbst politische Grundströmungen lassen sich nicht konkret zuordnen. So können sich Liberale beispielsweise nicht auf ihre großen Denker berufen. Adam Smith, die personifizierte Inkarnation der Marktwirtschaft, war dafür, ebenso wie der liberale Denker John Stuart Mill. Jeder sollte seines Glückes Schmied sein, aber nicht durch das Werk des Erblassers. Was viele dieser Denker, aber auch heutige Befürworter einer Erbschaftsteuer verkennen, ist die Verhaltensänderung des Erblassers zu Lebzeiten bei einer Erbschaftsteuer. Diese verändert nicht nur das Verhalten einzelner, sondern schafft eine neue Unternehmenskultur. Dies kann sehr gut an der Wirtschaftsstruktur in den USA und in Deutschland verglichen werden. Beide haben sehr unterschiedliche Modelle zu Lebzeiten und im Erbfall. Während in den USA die Einkommensteuer zu Lebzeiten geringer ist als in Deutschland, liegt sie im Erbfall wesentlich höher. Der Spitzensteuersatz in der  Einkommensteuer beträgt auf der Ebene des Bundes in den USA weniger als 40 Prozent, in Deutschland inklusiv Soli und Kirchensteuer fast 50 Prozent. Die US-Erbschaftsteuer beträgt bei großen Vermögen mindestens 40 Prozent und kann auf der Ebene der Bundesstaaten sogar noch aufgestockt werden. In Deutschland führte die vom Bundesverfassungsgericht gekippte Verschonungsregel dazu, dass Betriebsvermögen ohne steuerliche Belastung auf die Erben übertragen werden konnte.

Zwei grundsätzlich unterschiedliche Konzepte mit unterschiedlichen Wirkungen. Während in den USA Bill Gates und Steve Jobs in wenigen Jahrzehnten  riesige Vermögen aufbauten, gelingt es ihnen nicht, diese Vermögen auf die nächste Generation zu übertragen. Apple und Microsoft werden wahrscheinlich nicht über Generationen von den Kindern und Kindeskindern Bills und Steves fortgeführt oder gesteuert. Versterben sie, findet durch die hohe Erbschaftsteuer ein Verkauf des Unternehmens und ein Übergang auf neue Eigentümer statt. Viele erfolgreiche Unternehmensgründer  in den USA wissen das und spenden bereits zu Lebzeiten einen großen Teil ihres Vermögens oder gründen Stiftungen. Wer ein großes Unternehmen aufbauen will, hat nicht mehrere Generationen Zeit, sondern „nur“ zwei oder drei Jahrzehnte.

Anders in Deutschland: 95 Prozent der Unternehmen sind Familienunternehmen, die oft über mehrere Generationen existieren. Der hohe Anteil sogenannter hidden champions, also mittelständische Marktführer in einer Nische, ist einmalig auf dieser Welt. Alleine 1300 Unternehmen im Maschinenbau und der Elektroindustrie werden dazugezählt. Zu 53 Prozent finanzieren sie ihre Investitionen aus eigenen Mitteln. Über 21 Prozent der Beschäftigten in der Industrie arbeiten bei diesen Familienunternehmen. Ihre Firmenzentralen sind nicht in Silicon Valley, London oder Frankfurt, sondern in Schwanau, Ennepetal oder Eppelheim.

Ist das amerikanische Modell schlecht, ist das deutsche Modell gut – oder umgekehrt? Sicher kann das nicht so einfach beantwortet werden. Es hat natürlich auch etwas mit der Unternehmenskultur im jeweiligen Land zu tun. Aber diese wird auch durch das steuerliche Umfeld entscheidend geprägt. Nicht ohne Grund haben viele Familienunternehmen schon vor Jahren aus Furcht vor einer existenzbedrohenden Erbschaftsteuer in Deutschland Ihre Firmenzentralen nach Österreich oder in die Schweiz verlagert. Große Familienunternehmen gehören dazu. Nicht alle sind damit glücklich. Denn die Unternehmenskultur verändert sich dadurch stillschweigend. Wenn die Unternehmenslenker nicht mehr vor Ort, in der Kleinstadt, sind, dann geht der Bezug zur Region verloren. Irgendwann unterscheiden sie  sich nicht mehr von Unternehmen, die aus London oder New York geführt werden.

Für die Diskussion um die Erbschaftsteuer in Deutschland gilt daher: die schlechten Dinge aus beiden Welten zu übernehmen, wäre hierzulande fatal. Eine hohe Besteuerung zu Lebzeiten und eine hohe Besteuerung für die Erben. Wenn Union und SPD die Erbschaftsteuerreform beschließen, dann wird sie die Unternehmensstruktur in Deutschland auf Dauer verändern. Wir werden amerikanische Verhältnisse bekommen.

Erstmals erschienen in der Fuldaer Zeitung am 26.03.2016.

 

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