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Vor fünf Monaten galt sie noch als die mächtigste Frau der Welt: Angela Merkel. Damals kürte das US-Magazin „Forbes“ die dienstälteste Regierungschefin in Europa bereits zum fünften Mal in Folge auf Platz eins dieses Rankings. Das Blatt hob die Kontinuität der Kanzlerschaft, die ökonomischen Erfolge Deutschlands und die dominierende Rolle der Kanzlerin in der Griechenland-Krise besonders hervor. Doch nichts ist von Dauer, erst recht nicht in der Politik. Die „Götterdämmerung“ Angela Merkels hat längst eingesetzt. Denn ihr Politikmodell zeigt zunehmend Schwächen.

Weit anders als ihre Vorgänger verbindet man mit Merkel keine Vision, keine langfristige Agenda. Adenauers Westbindung, Erhards ökonomischer Kompass, Brands Ostpolitik, Kohls Wille zur Deutschen Einheit oder Gerhard Schröders Entschlossenheit bei der Agenda 2010 waren wichtige Wegmarken. Diese wurden teilweise gegen viel Widerstand eingeschlagen, aber am Ende haben sie dem Einzelnen und der Gesellschaft insgesamt mehr Chance ermöglicht. Doch an was wird man sich in 20 oder 30 Jahren im Rückblick an Merkels Regierungszeit erinnern? Merkel steht für eine Politik ohne genaue Orientierung. Sie entscheidet von Fall zu Fall – pragmatisch, aber ohne Pathos. Das ist – oder besser war – durchaus beliebt. Ihre Bescheidenheit im Privaten, frei von Skandalen und Affären, wollen die Bürger in diesem Land.

Doch wer ohne inneren Kompass entscheidet, seine Politik an aktuellen Umfragen orientiert oder die Stimmung durch vorsichtiges Anstupsen (Nudging) lenkt, wird den eigentlichen Herausforderungen der Zukunft nicht gerecht. Es führt nämlich aus tagespolitischer Opportunität zu langfristig fatalen Fehlentwicklungen, die Recht und Freiheit gefährden. Die Herrschaft des Rechts wird durch eine Herrschaft der Willkür ersetzt. Das ist gefährlich. Drei Beispiele:

Erstens: Die Energiewende 2011 führte über Nacht zur Enteignung privater Unternehmen als die Stimmung im eigenen Land durch die Tsunami-Katastrophe in Japan kippte. Individuelle Eigentumsrechte, die Verlässlichkeit der Investitionsentscheidungen von Energieunternehmen und die langfristigen ökonomischen Folgen für das Land wurden einem Meinungsklima einer Mehrheit untergeordnet. Grundrechte Einzelner wurden über Nacht einfach beiseite gewischt. Was gestern und heute die Energieunternehmen sind, ist morgen vielleicht der private Hausbesitzer.

Zweitens: Die Euro-Krise, beginnend mit den ersten Griechenland-Hilfen 2010, vollzog sich nach dem gleichen Muster bis zum heutigen Tag. Die pragmatische Entscheidung mit Milliarden-Geldern den griechischen Staat vor dem Bankrott zu schützen, folgte dem Glauben, dass dies nur ein vorübergehendes Phänomen sei und dass man die Haftung der Eigentümer und Gläubiger nicht zu eng sehen müsse. Die Nichtbeistandsklausel, die Schuldentragfähigkeit, die Gefährdung des Euro-Raumes als Ganzes, spielten in der Not keine Rolle. Der Augenblick zählte, nicht die europäische Rechtsgemeinschaft.

Und drittens: Die jüngste einsame Entscheidung der Kanzlerin, Flüchtlinge an der ungarischen Grenze nach Deutschland einzuladen, ohne deren Asylverfahren im sicheren Drittstaat abzuwarten, war zunächst populär, sprengte jedoch letztlich das Dubliner Abkommen in den Europäischen Verträgen und schleift das Asylrecht in Deutschland endgültig. Da hilft es auch nicht, den anderen Mitgliedstaaten mangelnde Rechtstreue vorzuwerfen, weil sie nicht in der Lage sind, Flüchtlinge zu registrieren und rechtsstaatlichen Asylverfahren durchzuführen. Der Rechtsbruch wird nicht durch einen weiteren Rechtsbruch geheilt. Die Personenfreizügigkeit in Europa ist ein hohes Gut, das nur dann als Wert erhalten werden kann, wenn sich die Teilnehmer an die vereinbarten Regeln halten. Und genau darin liegt Europas Chance für die Zukunft. Das erfordert aber eine Änderung des Politikmodells. Es muss prinzipienbasiert sein, wo derzeit noch Willkür herrscht.

Vielleicht sollte sich die Kanzlerin an Ludwig Erhard orientieren, der diese Art der Politik bereits zu seiner Zeit scharf kritisierte: „Was sind das für Reformen, die uns Wände voll neuer Gesetze, Novellen und Durchführungsverordnungen bringen? Liberale Reformen sind es jedenfalls nicht. Es sind Reformen, die in immer ausgeklügelterer Form Bürger in neue Abhängigkeiten von staatlichen Organen bringen, wenn nicht sogar zwingen.“

Erstmals erschienen in der Fuldaer Zeitung am 26.09.2015.

4 Kommentare
  1. Ralf Becker
    Ralf Becker sagte:

    Bei den Politikern hat kaum jemand eine Vision und man hat den Eindruck, dass das allenfalls nur korrupte Seilschaften von Parteigenossen sind. Der Bürger hat aber ebenfalls Schuld, weil er sich nicht hinreichend beteiligt.

    Energiewende:
    Es gab in der Vergangenheit bereits zwei Reaktorkatastrophen. Tschernobyl und Fukushima. Darüber hinaus gab es die Atombombenabwürfe über Hieroshima und Nagasaki.
    Da frage ich mich, ob der Mensch mit der Kernspaltung etwas entdeckt hat, was er besser nie hätte entdecken sollen.
    Zum Thema Energiewende habe ich zum blog-Beitrag „Mit dem Kopf durch die Wand – Deutsche Energiewende riskiert Wohlstand, Jobs und Umwelt“ einen ergänzenden Kommentar geschrieben.

    Eurokrise:
    Hier ist es ein Problem, dass unsere Politiker uns wider besseres Wissen ins Verhängnis hineinlenken. Sie sind damit bereits sehr in der Nähe von Selbstmordpiloten.

    Es besteht die irrige Annahme, dass es uns allen gut ginge, wenn es doch nur der Wirtschaft gutginge und wenn wir etwas mehr Wachstum hätten.

    Der Euro kann deshalb nicht funktionieren, weil es bei den Wirtschaftssystemen der westlichen Welt eine ständige Zunahme der Ungleichheit gibt. Diese wiederum führt zu Konsumausfällen, die wir durch eine ständige staatliche Neuverschuldung kompensieren.

    Auch ist das System der Banken reformbedürftig, weil der Geldverdienst der Banken in Form von Spekulationen in Wirklichkeit kein Vorteil, sondern oft nur ein Schaden für die (anderen) Bürger ist.

    Antworten
  2. Thomas Schönfelder
    Thomas Schönfelder sagte:

    Die verordnete Sparpolitik in der Grichenlandhilfe ist das eigentliche Verbrechen. Wie soll sich ein vom Bankrott bedrohtes Land erholen, wenn bei den Jobs gespart wird? Wo sollen die konsumierten Güter her kommen, wenn ein fast bankrottes Land nichts erarbeiten darf? Ganz wie 1990 als die Treuhnad uns als Rückzahlung des Begrüßungsgeldes Almosens unsere Fabriken tot gemacht und uns in die Arbeitslosigkeit gebracht hat. Solche Rückzahlungen lassen sich für beide Seiten wesentlich gewinnbringender durch Anerkennung der Arbeitsleistung und durch anständige, menschenwürdig bezahlte Jobs, die all die von uns verbrauchten Güter schaffen, bewerkstelligen.

    Jegliche Sparauflagen auf Kosten der Arbeitenden sind kontraproduktiv.

    Antworten
    • Ralf Becker
      Ralf Becker sagte:

      Die Austerität gegenüber Griechenland ist bei flüchtiger Betrachtung ein Verbrechen.

      In Wirklichkeit ist es aber nicht das Sparen, sondern das fehlerhafte „Schuldgeldsystem“ der westlichen Länder, womit Griechenland geschädigt wird.

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  3. Ralf Becker
    Ralf Becker sagte:

    Endlich:
    TNS Emnid: CDU am 26.10.2015 – nur noch 36 %

    Bei den Politikern hat kaum jemand eine Vision und man hat den Eindruck, dass das allenfalls nur korrupte Seilschaften von Parteigenossen sind. Der Bürger hat aber ebenfalls Schuld, weil er sich nicht hinreichend beteiligt. Es wird also mit dem Finger auf irgendwelche Parteien gezeigt und keiner beteiligt sich selbst. Gleichzeitig frage ich mich, ob die politischen Parteien überhaupt eine Bürgerbeteiligung ermöglichen? Beispielsweise finde ich bei den meisten politischen Parteien kein Diskussions-Forum im Internet. Eine Ausnahme ist da beispielsweise die (ebenfalls) liberale Piratenpartei.

    Das System Octogon – Die CDU wurde nach 1945 mit Nazi-Vermögen und CIA-Hilfe aufgebaut.
    http://lupocattivoblog.com/2012/04/30/das-system-octogon-die-cdu-wurde-nach-1945-mit-nazi-vermogen-und-cia-hilfe-aufgebaut/

    arte-Doku zum Thema:
    https://www.youtube.com/watch?feature=player_embedded&v=gzTSe9xUJoU

    Der Euro kann deshalb nicht funktionieren, weil es bei den Wirtschaftssystemen der westlichen Welt eine ständige Zunahme der Ungleichheit gibt. Diese wiederum führt zu Konsumausfällen, die wir durch eine ständige staatliche Neuverschuldung kompensieren müssen.

    Auch ist das System der Banken reformbedürftig, weil der Geldverdienst der Banken in Form von Spekulationen in Wirklichkeit kein Vorteil, sondern oft nur ein Schaden für die (anderen) Bürger ist.

    Flüchtlinge:
    Gerade jetzt bemerken wir es, dass sich ein Sozialstaat nicht eignet, um einen langfristigen Wohlstand herzustellen, weil beispielsweise den Leistungsempfängern ein Hinzuverdienst verwehrt ist und die Staatsschulden gleichzeitig immer mehr zunehmen.
    Die vermeintlichen Wählergeschenke (Kündigungsschutz; Tarifverträge; gesicherter Anwaltsverdienst) sind zudem in Wirklichkeit eine Diskriminierung derjenigen, die dadurch nur noch unzureichend Chancen haben, jemals einen Arbeitsplatz zu finden.
    Unser Sozialstaat wird dadurch möglich, weil wir selbst ebenfalls die Finanzkrise verursachen.

    Ich lese u.a.:
    Die Geheimarmeen der NATO – Operation Gladio
    Der schweizer Historiker Dr. Daniele Ganser schrieb seine Doktorarbeit über das brisante Thema der NATO Geheimarmeen.

    Mit ständigem Zubetonieren geht es uns immer besser:
    In Bad Oeynhausen wurde jedenfalls durch die sog. Nordumgehung sehr viel Natur zerstört. Jetzt will man am Wiehengebirge sogar noch ein Gewerbegebiet.
    http://www.dielinke-mindenluebbecke.de/fileadmin/kvmindenluebbecke/fraktion_bd_Oeynhausen/presse_bd_oeynhausen/Flyer-Gewerbe-aktuell.pdf

    Google hat viel Geld und eine Vision – Die Kanzlerin will stattdessen mit immer mehr Beton ihre Schulden abbauen.
    https://www.youtube.com/watch?feature=player_embedded&v=ToHtpaEuZHw

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