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Von Dr. Thomas Mayer, Kuratoriumsvorsitzender von „Prometheus“, Gründungsdirektor des „Flossbach von Storch Research Institute“ und Autor des Buches „Die neue Ordnung des Gelds„.

J.W. Goethe, Faust II, Erster Akt, Lustgarten

Marschalk: Durchlauchtigster, ich dacht‘ in meinem Leben
Vom schönsten Glück Verkündung nicht zu geben
Als diese, die mich hoch beglückt,
In deiner Gegenwart entzückt:
Rechnung für Rechnung ist berichtigt,
Die Wucherklauen sind beschwichtigt,
Los bin ich solcher Höllenpein;
Im Himmel kann’s nicht heitrer sein.

Heermeister: Abschläglich ist der Sold entrichtet,
Das ganze Heer aufs neu‘ verpflichtet,
Der Landsknecht fühlt sich frisches Blut,
Und Wirt und Dirnen haben’s gut.

Kaiser: Wie atmet eure Brust erweitert!
Das faltige Gesicht erheitert!
Wie eilig tretet ihr heran!

Schatzmeister: Befrage diese, die das Werk getan.

Faust: Dem Kanzler ziemt’s, die Sache vorzutragen.

Kanzler: Beglückt genug in meinen alten Tagen.
So hört und schaut das schicksalschwere Blatt,
Das alles Weh in Wohl verwandelt hat.
Er liest: „Zu wissen sei es jedem, der’s begehrt:
Der Zettel hier ist tausend Kronen wert.
Ihm liegt gesichert, als gewisses Pfand,
Unzahl vergrabnen Guts im Kaiserland.
Nun ist gesorgt, damit der reiche Schatz,
Sogleich gehoben diene zum Ersatz.“

Kaiser: Ich ahne Frevel, ungeheuren Trug!
Wer fälschte hier des Kaisers Namenszug?
Ist solch Verbrechen ungestraft geblieben?

Schatzmeister: Erinnre dich! Hast selbst es unterschrieben;
Erst heute nacht. Da standst als großer Pan,
Der Kanzler sprach mit uns zu dir heran:
„Gewähre dir das hohe Festvergnügen,
Des Volkes Heil, mit wenig Federzügen.“
Du zogst sie rein, dann ward’s in dieser Nacht
Durch Tausendkünstler schnell vertausendfacht:
Damit die Wohltat allen gleich gedeihe,
So stempelten wir gleich die ganze Reihe,
Zehn, Dreißig, Fünfzig, Hundert sind parat.
Ihr denkt euch nicht, wie wohl’s dem Volke tat.
Seht eure Stadt, sonst halb im Tod verschimmelt,
Wie alles lebt und lustgenießend wimmelt!
Obschon dein Name längst die Welt beglückt,
Man hat ihn nie so freundlich angeblickt.
Das Alphabet ist nun erst überzählig,
In diesem Zeichen wird nun jeder selig.

Kaiser: Und meinen Leuten gilt’s für gutes Gold?
Dem Heer, dem Hofe genügt’s zu vollem Sold?
So sehr mich’s wundert, muss ich’s gelten lassen.

Marschalk: Unmöglich wär’s, die Flüchtigen einzufassen;
Mit Blitzeswink zerstreute sich’s im Lauf.
Die Wechslerbänke stehen sperrig auf:
Man honoriert daselbst ein jedes Blatt
Durch Gold und Silber, freilich mit Rabatt.
Nun geht’s von da zum Fleischer, Bäcker, Schenken;
Die halbe Welt scheint nur an Schmaus zu denken,
Wenn sich die andre neu in Kleidern bläht.
Der Krämer schneidet aus, der Schneider näht.
Bei „Hoch dem Kaiser!“ sprudelt’s in den Kellern,
Dort kocht’s und brät’s und klappert mit den Tellern.

Man sagt, die Deutschen verstünden nichts von moderner Geldpolitik und seien vom Sparen besessen. Martin Wolf schreibt dazu in der Financial Times vom 21. Januar diesen Jahres: „Die Betonung der Schlechtigkeit von Schuld, unabhängig davon, was sie kostet, ist – man kann es nicht anders nennen – pathologisch. Es hängt nun alles an der EZB. Sie mag scheitern, aber nicht, weil sie zu unabhängig ist, sondern weil sie nicht unabhängig genug ist. Gleichermaßen mag die Eurozone scheitern, nicht wegen unverantwortlicher Verschwendung, sondern wegen pathologischer Konsumverweigerung. Letztlich muss die EZB ihre Arbeit machen. Wenn Deutschland damit ein Problem hat, muss es überlegen, dem ‚Schweizer Austritt‘ aus der EWU zu folgen.“

Kann es sein, dass man in Deutschland, dem Land Goethes und der Hyperinflation, nur zu gut über die vermeintlichen Segnungen der Geld- und Schuldenvermehrung Bescheid weiß? Kann es sein, dass dies weniger an den deutschen Genen als an einem anderen Verständnis des Geldes liegt, das auch anderswo anzutreffen ist? Kann es sein, dass dieses Verständnis nur deshalb als „pathologisch“ bezeichnet wird, weil es der von John Law über John Keynes bis zu den heutigen Zentralbankern vertretenen Geldlehre widerspricht?

Der Schotte John Law, der von 1671 bis 1729 lebte, war nicht nur ein Abenteurer und Glücksspieler, sondern auch ein höchst origineller Geldtheoretiker. Er verstand Geld als Anspruch auf Waren, der vom Staat geschaffen werden konnte, um die Warenproduktion und Zirkulation anzuregen. Gedeckt werden sollte dieses Geld durch das Vermögen des Staates, das nicht nur aus Gold und Silber, sondern auch aus Land und künftigen Steuereinnahmen bestand. Laws Geld sollte atmen: Wenn das Staatsvermögen stieg, dann sollte damit auch der Geldbestand wachsen.

Im frühen 18. Jahrhundert konnte Law seine geldtheoretischen Überlegungen als Generalkontrolleur der Finanzen des französischen Staats in die Praxis umsetzen. Er bündelte die amerikanischen und asiatischen Besitzungen des französischen Staates in eine Aktiengesellschaft, die auch das Recht zur Einnahme der indirekten Steuern in Frankreich erhielt. Gegen die Aktien dieser Firma gab er Banknoten aus. Mit dem zunächst schnell steigenden Aktienvermögen der Firma stieg auch der Geldumlauf. Als sich jedoch Zweifel am wirtschaftlichen Erfolg der überseeischen Besitzungen des Unternehmens einstellte, stürzte der Aktienpreis ab und das dagegen ausgegeben Geld verlor an Wert. In der kurzen Zeit von 1716 bis 1720 durchlief Laws atmendes Geldsystem den Glanz und das Elend eines künstlichen geschaffenen Geldes.

Dies hielt seinen geistigen Nachfahren John Maynard Keynes in den zwanziger und dreißiger Jahren des letzten Jahrhunderts nicht davon ab, Gold als „barbarisches Relikt“ zu bezeichnen und ebenfalls einem atmenden Geldsystem das Wort zu reden. Keynes sah dabei noch ein weiteres Problem: Erwartete das Publikum insgesamt sinkende Preise, so würde es Geld zurückhalten, um damit in der Zukunft billiger einkaufen zu können. Auch eine noch so große Geldvermehrung könne die Geldhortung nicht überwinden. Folglich müsse der Staat durch „deficit spending“ die Nachfragelücke füllen und die Wirtschaft aus der Schrumpfung reißen. „Deficit spending“ wurde denn auch nach der Abkoppelung des globalen Geldsystems vom Gold in den siebziger Jahren eine beliebte Staatstätigkeit. Geldmangel war nicht das Problem, man konnte ja drucken, so viel man brauchte: „Damit die Wohltat allen gleich gedeihe, so stempelten wir gleich die ganze Reihe, Zehn, Dreißig, Fünfzig, Hundert sind parat. Ihr denkt euch nicht, wie wohl’s dem Volke tat.“

Doch die Blüte entpuppte sich als Scheinblüte. Am Ende der siebziger Jahre blieben wie bei John Law nur erdrückende Schulden und Geldentwertung. Man hätte meinen können, dass damit die Frage nach dem Nutzen des atmenden Geldsystems ein für alle Mal beantwortet gewesen sei. Schön wär’s gewesen. Schon in den neunziger Jahren fand die Welt an der Geldvermehrung wieder Gefallen und trieb es bis zum Platzen der großen Kreditblase im Jahr 2007 besonders bunt.

Und auch seither sehen die meisten die Lösung der durch die Geldvermehrung verursachten Probleme in einer weiteren Geldvermehrung. Allenfalls haben sich die Quellen der Geldschöpfung geändert: Waren es vor der Finanzkrise die privaten Banken, die über die Vergabe von Krediten Geld produziert haben, so nehmen heute die Zentralbanken wegen der Schwäche der Geschäftsbanken die Sache selbst in die Hand. Noch ist es zu früh, zu sagen, wohin die Reise diesmal gehen und auf welche Art sie enden wird. Aber dass es ein Happy End werden wird, ist nicht sehr wahrscheinlich.

Das Problem des Systems des atmenden Geldes ist, dass Geld darin ein Finanzierungsinstrument darstellt. Wird es über die Kreditvergabe der Geschäftsbanken geschaffen, dann ist es privates Schuldgeld, wird es von der Zentralbank im Auftrag des Staates herausgegeben, dann hat es Ähnlichkeit mit dem Eigenkapital einer Unternehmung. Immer findet die Geldproduktion im Spannungsverhältnis zwischen der Notwendigkeit eines knappen Angebots zum Erhalt des in das Geld gesetzten Vertrauens und der Versuchung der Ausweitung des Angebots zur Stimulierung von Wirtschaftsaktivitäten und Finanzierung von Staatsausgaben statt.

Meist kommt es dabei zu Zyklen in der Geldproduktion. Weil Vertrauen auf Vorschuss erhältlich ist, kann das Geldangebot lange Zeit scheinbar ohne Schaden und zum Nutzen aller ausgeweitet werden: „Seht eure Stadt, sonst halb im Tod verschimmelt, wie alles lebt und lustgenießend wimmelt! Obschon dein Name längst die Welt beglückt, man hat ihn nie so freundlich angeblickt. Das Alphabet ist nun erst überzählig, in diesem Zeichen wird nun jeder selig“ – bis der Vorschuss an Vertrauen aufgebraucht ist und schließlich eingefordert wird.

Dem Geldkonzept John Laws steht diametral das Geldverständnis des Liberalen John Locke gegenüber (1632-1704). Für ihn ist Geld kein Finanzierungsinstrument sondern ein Instrument zur Verwahrung von Eigentum. Folglich kann es auch nicht vom Staat oder von im Staatsauftrag handelnden Geschäftsbanken geschaffen werden, ohne in die Eigentumsrechte des Einzelnen einzugreifen. Für Locke war Gold Geld, weil es aufgrund gesellschaftlicher Übereinkunft zum Instrument für die Aufbewahrung von Eigentum wurde. Papiergeld war nur dann rechtmäßig, wenn es einen Verwahrschein für hinterlegtes Gold (oder je nach gesellschaftlicher Übereinkunft andere zu Geld gewordene Waren) darstellte. Bei Locke setzt die Fähigkeit, geborgtes Geld wie eine geborgte Ware mit Leihgebühr wieder zurückgeben zu können, der Verschuldung enge Grenzen. Ebenso ist die Vermehrung von Geld durch nicht manipulierbare, äußere Gegebenheiten begrenzt. Oder der Vermehrung von Geld können Grenzen durch den Wettbewerb gesetzt werden: Wenn mehrere Währungen um die Gunst der Nutzer konkurrieren, dann gewinnen diejenigen, die den Nutzern als Mittel zum Tausch und zur Wertaufbewahrung am besten dienen.

Heute prallen diese beiden Geldkonzepte in der Währungsunion aufeinander. Die Mehrheit der Mitglieder und die Europäische Zentralbank hängen dem Law’schen Geldkonzept an. Mehr durch Verschuldung geschaffenes künstliches Geld schafft den die Mehrheit stellenden Schuldnern direkten Nutzen: Sie erhalten Waren und Dienstleistungen gegen die über ihre aufgenommenen Kredite geschaffene Ansprüche. Die Minderheit der Gläubiger hält nominale Ansprüche, die in realen Werten gerechnet, mit der Zeit verfallen. Die Beschimpfung der Gegner des Law’schen Geldsystems ist nur folgerichtig. Denn Law verspricht: „Los bin ich solcher Höllenpein; im Himmel kann’s nicht heitrer sein.“

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