Foto: Stefan Müller (climate stuff) from Flickr (CC BY 2.0)
Vor einem Jahr konnte man dem Begriff Nachhaltigkeit kaum entkommen. Die Corona-Pandemie hat das hehre Ziel von der Bildfläche gewischt. Dabei wäre es dringend nötig, die Antworten auf die Bedrohung genau auf diesen Aspekt hin in den Blick zu nehmen.
Das muntere Nachhaltigkeits-Treiben
Nachhaltigkeit ist in den letzten Jahrzehnten ein so populärer Begriff geworden, dass vom Parfüm über die Kita bis zu Finanzprodukten über alles in irgendeiner Weise behauptet wurde, nachhaltig zu sein. Blumige Formulierungen wie die, dass wir diese Erde nur von unseren Kindern geliehen hätten, schaffen ein wohliges Grundrauschen. Und darauf baut ein munteres Nachhaltigkeits-Treiben auf: Unternehmen bringen damit den Rubel ins Rollen. Lobbyisten treiben den Gesetzgeber vor sich her. Internetseiten steigern ihre Klickzahlen. Und Lehrstühle greifen Fördergelder ab. Es wird nur noch eine Frage von wenigen Jahren sein bis in irgendeinem Bundesland Nachhaltigkeit als Schulfach eingeführt wird. Und einen Nachhaltigkeitsbeauftragten wird der Gesetzgeber vermutlich bald auch für jeden Betrieb vorschreiben – bei über 50 Angestellten als volle Stelle …
Anders als Begriffe wie „Gerechtigkeit“ oder „soziale Marktwirtschaft“, die sich immer schon einer präzisen Definition entzogen haben, ist Nachhaltigkeit eigentlich ein Begriff, der auch tatsächlich etwas Konkretes bezeichnet. Er stammt aus der Forstwirtschaft: erstmals als Ziel definiert von Mönchen in der Toskana im 14. Jahrhundert; erstmals als Begriff verwendet in einer 1713 erschienenen Schrift eines erzgebirgischen Oberberghauptmannes. An die Begrenztheit bestimmter Ressourcen zu denken und umsichtig zu wirtschaften, so dass die eigene Zukunft und die der Kinder und Enkel einigermaßen gesichert ist, gehört zu den Grundpfeilern menschlicher Zivilisation. Und zumindest ein Teil der bundesrepublikanischen DNA ist von Anfang an mit dem Prinzip der Nachhaltigkeit verbunden gewesen: Vom „Juliusturm“ des Finanzministers Fritz Schäffer (1949-1957) über die Diskussion einer Schuldenbremse in den 2000er Jahren bis zu Merkels berühmtem Diktum: „Man hätte einfach nur eine schwäbische Hausfrau fragen sollen. Sie hätte uns eine ebenso kurze wie richtige Lebensweisheit gesagt, die da lautet: ‚Man kann nicht auf Dauer über seine Verhältnisse leben.‘“
Auch das gesellschaftliche Ökosystem braucht Nachhaltigkeit
Nachhaltigkeit ist ein Prinzip, das nicht nur zu Fragen des Umweltschutzes gehört. Es ist wichtig, eine dauerhafte Schädigung der Ozonschicht so weit wie möglich in den Griff zu bekommen. Aber es ist auch wichtig, dass Handelsketten – also der freiwillige Austausch zum gegenseitigen Nutzen – intakt und möglichst ungestört bleiben. Wir dürfen unsere natürlichen Ressourcen nicht so sehr ausbeuten, dass sie nachfolgenden Generationen nicht mehr ausreichende zur Verfügung stehen. Aber das gilt auch für unser Rentensystem, das wir derzeit zum Schaden unserer Nachkommen ausbeuten. Sauberes Wasser und intakte Wälder sind bedeutsam für das Überleben der Menschheit. Aber auch Rechtstaatlichkeit und Verfassungen haben viel mit Nachhaltigkeit zu tun, weil sie dem gesellschaftlichen Ökosystem Stabilität und Verlässlichkeit ermöglichen.
Ein zentraler Wert beim Nachdenken über Nachhaltigkeit ist Verantwortung. Das Bewusstsein dafür, dass man nicht alleine auf dieser Welt lebt, und dass wir nur deshalb in einer offenen und freien Gesellschaft leben, weil auch andere Menschen – im Zweifel unter Aufbringen großer Opfer – gemäß dem Prinzip gelebt haben: „Unsere Kinder sollen es einmal besser haben als wir!“ Derzeit erleben wir, dass in Deutschland und der EU Schulden in astronomischen Höhen aufgenommen werden sollen, ehe man überhaupt weiß, wofür das Geld denn eingesetzt werden soll. Dass die EU sich nun – unter Schützenhilfe des deutschen Finanzministers – langsam daran heranschleicht, selber Schulden aufnehmen zu können, kann einem zusätzlich kalte Schauer den Rücken herunterjagen. Wenn in Zukunft nachhaltig argumentierende Länder wie die Niederlande oder die skandinavischen Staaten von einer Mehrheit dauerhaft überstimmt werden, läuft die EU womöglich in eine ähnliche Schuldenfalle wie die USA – freilich ohne dass die Position der Welt-Leitwährung und eine demographisch positive Aussicht das abfedern würden.
Wo sind die Proteste gegen Überschuldung und Protektionismus?
Ein anderes durch Corona zutage gefördertes Nachhaltigkeits-Problem betrifft die Globalisierung. Die Ausweitung marktwirtschaftlicher Mechanismen auf große Teile der Welt, von Ghana bis Vietnam, hat dazu geführt, dass ein signifikanter Teil der Weltbevölkerung in nur drei Jahrzehnten aus der bittersten Armut, aus Hunger, Krankheit, Elend und dem Kampf ums Überleben befreit werden konnte. Die Globalisierung ist ein Projekt, das tief in der Idee der Nachhaltigkeit wurzelt: Die Geschäftsbeziehungen über Grenzen hinweg. Die Bereitschaft von Staaten, sich dauerhaft über Abkommen zum Abbau von Handelsbeschränkungen zu verpflichten. Die Verbreitung von Emanzipation und Selbstbestimmung auf dem Wege des ökonomischen Erfolgs. Auch dieser Leuchtturm der Nachhaltigkeit wird durch nationale und supranationale Alleingänge, Egoismen und Autarkie-Chimären in Gefahr gebracht. „Buy local“ und europäische Industriepolitik sind das Gegenteil von nachhaltig – sie sind panikhafte Spontan-Egoismen einer übersättigten Wohlfühlgesellschaft.
Wo sind die mahnenden Rufe? Wo die Proteste? Wo sind die Menschen abgeblieben, die gestern noch von „Enkelgerechtigkeit“ sprachen oder Palmöl boykottiert haben? Vorausschauende Planung der Staatsfinanzen und Eintreten für die Globalisierung sind zwei wesentliche Formen des nachhaltigen und verantwortlichen Umgangs mit unserer Welt, die im Gefolge des Virus gehörig ins Taumeln geraten sind. Aber anders als die Umwelt haben unsere Kinder und Enkel ebenso wie die Armen in der ganzen Welt noch keine lautstarke Vertretung. Hier liegt ein weites Feld, das die Freunde der Freiheit beackern könnten. Denn dieser oft selbstlose Einsatz für eine langfristige und anhaltende Verbesserung der Welt gehört zu ihrem Kerngeschäft, wie schon der Historiker Lord Acton vor 125 Jahren feststellte:
„Die durchschnittliche Lebenserwartung, dieser Schnelltest von Verbesserung, wird dadurch verlängert, dass die wichtigsten Akteure der Zivilisation zusammenarbeiten: moralische und materielle, religiöse und wissenschaftliche Kräfte. Dieser Fortschritt beruht darauf, dass man einen unbegrenzten Preis zu zahlen bereit ist, um die zu schützen, die grenzenloser Verlust sind: das verkrüppelte Kind und das Unfallopfer, die Zurückgebliebenen und Geisteskranken, die Armen und die Verbrecher, die Alten und Kranken, Heilbare und Unheilbare.“
Oder mit den Worten Friedrich August von Hayeks: „Freie Gesellschaften waren in der Neuzeit Ausgangspunkte aller großen humanitären Bewegungen mit dem Ziel aktiver Hilfe für die Schwachen, Kranken und Unterdrückten.“
„Anders als Begriffe wie „Gerechtigkeit“ oder „soziale Marktwirtschaft“, die sich immer schon einer präzisen Definition entzogen haben, ist Nachhaltigkeit eigentlich ein Begriff, der auch tatsächlich etwas Konkretes bezeichnet.“
Dem ist objektiv gesprochen nicht so!
Auch das was gemeinhin als „Nachhaltigkeit“ bezeichnet wird, lässt sich nicht ohne eine normative Entscheidung definieren. Die Definition von Carlowitz erspart einem nicht die Entscheidung, ob der Bestand der erneuerbaren Ressource wachsen, konstant bleiben oder schrumpfen soll. Und darüber kann man bisweilen mit guten Gründen unterschiedlicher Meinung sein.
Auch qualitative normative Entscheidungen sind dabei notwendig: Wendet man die die Carlowitz-Formel nur auf das Nutzholz an, resultiert das, was wir heute in Deutschland größtenteils haben: Eine Nutzholzplantage.
Bei komplexeren Problemen wird es noch schwieriger. Wie hoch soll etwa der Preis für eine Tonne CO2 sein? Versucht man die Frage mit einem wissenschaftlichen Verfahren zu beantworten, landet man zwangläufig bei einer Kosten-Nutzen-Analyse. Dabei muss man dann die Verteilung von Kosten und Nutzen über unterschiedliche Generationen von Menschen verteilen. Dazu muss man einen Diskontierungsfuß festlegen. Wie die Debatten über den „richtigen“ Diskontierungsfuß gezeigt haben, geht auch das nicht ohne normative Entscheidung. Dabei lassen sich viele gute Argumente für einen höheren oder niedrigeren Diskuntierungsfuß finden. Dies hat z.B. die Kontroverse zwischen William Nordhaus und Nicolas Stern gezeigt. Es gibt unendlich viele mögliche Diskontierungssätze, die in Frage kommen und die Auswirkung auf den CO2-Preis kann enorm sein.
Auch die Frage, wie viel Naturgebiete wird ungenutzt lassen sollten, ist nicht ohne normative Entscheidung zu beantworten. Auch zwischen anthro- und biozentrischen Definitionen von Nachhaltigkeit wäre noch zu unterscheiden u.s.w. …
Wie immer gibt es natürlich auch Gruppen, die wollen mit dem Übergang zu „der“ nachhaltigen Wirtschaftsform gleich alle Menschheitsprobleme auf einmal mit einem das irdische Paradies schaffenden utopischen Entwurf lösen. Dabei wird der ökologische Begriff der Nachhaltigkeit um eine sogenannte „soziale“ Komponente erweitert.
Nachhaltigkeit ist ein noch schlimmeres Wieselwort als „sozial“. Hayek hätte es gewusst!
Eher unwahrscheinlich, dass die deutliche Erhöhung der öffentlichen Verschuldung in den meisten europäischen Staaten ein Problem darstellt. Die Wachstumsaussichten sind stabil, die Zinsen niedrig und trotz QE die Inflation auch.
Die Kapitalmärkte, besonders große Pensionsfonds, sind auf der Suche nach sicheren Renditen – nicht die ganze Welt kann amerikanische Staatsanleihen kaufen und in puncto Stabilität kommen europäische gleich danach. Insofern scheint es nicht besonders kurzsichtig, jetzt in großem Stil Kredite aufzunehmen. Selbst wenn die Zinsen wieder etwas steigen, ist eine Erhöhung der öffentlichen Verschuldung sicherlich nicht ansatzweise so riskant wie ein ungebremster Klimawandel. Rhetorische Äquidistanz zu den „Versündigern“ an der fiskalischen Nachhaltigkeit einerseits und denen an der ökologischen Nachhaltigkeit andererseits aufzubauen scheint mir angesichts der jeweiligen Bedrohungslage nicht wirklich angemssen.