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Das Thema Tierwohl bereitet vielen Unbehagen. Dabei wären wir längst in der Lage, Tieren mit Respekt und Empathie zu begegnen. Und gerade der Liberalismus ist für solche Erwägen prädestiniert. Ein Plädoyer gegen das Verdrängen:
In Sachen Tierwohl hat unsere Gesellschaft eine krankhaft gespaltene Persönlichkeit
Tönnies, da war doch was. Es geht nicht nur um Arbeitsbedingungen in der Fleischindustrie und den FC Schalke, sondern auch um eine dieser ganz besonders schmerzhaften Fragen: Wie verantwortungsvoll ist eigentlich unser Fleischkonsum und können wir den oft grausamen Umgang mit Tieren in der Landwirtschaft überhaupt noch rechtfertigen? Beim Tierwohl kommt so einiges zusammen. Einerseits macht es uns unser Lebenswandel recht einfach, das „gute“ Hackfleisch für 55 Cent pro 100 Gramm in den Einkaufswagen zu werfen. Erinnert doch die in Plastik gepackte rote Burger-Masse allenthalben entfernt daran, dass hierfür ein Tier getötet wurde. Dieses irgendwie ungute Gefühl, das einen dabei manchmal beschleicht (man kennt ja schließlich die verstörenden Bilder aus der industriellen Massentierhaltung), ist aber spätestens nach einer ausgiebigen Kuscheleinheit mit dem geliebten und entsprechend verwöhnten Haustier passé. In Sachen Tierwohl hat unsere Gesellschaft eine krankhaft gespaltene Persönlichkeit und entzieht sich zumeist auf kindische Weise ihrer Verantwortung. Höchste Zeit, daran etwas zu ändern!
Das größte Problem des Tierschutzes ist dessen ideologische Unausgewogenheit
Das Thema Tierwohl und Fleischkonsum ist nicht nur aus praktischen Gründen so schmerzhaft. Anders als bei anderen Fragen der Politik und der Ethik gibt es hier keine klaren Leitlinien. Das ist gerade für besonders axiomatisch denkende Liberale verwirrend. Im Gegensatz zu Mindestlohn, Steuern oder anderen „Brot und Butter Themen“ (frei nach Rainer Brüderle) stehen beim Thema Tierwohl freiheitliche Grundprinzipien (scheinbar) im offenen Konflikt zu einander. Wie unübersichtlich das Feld tatsächlich ist, verdeutlicht der wunderbare Artikel über Tierrechte von Daniel Issing in unserem Freiheitslexikon. Doch sind nicht eigentlich gerade jene Debatten die spannendsten, die nicht von vornherein von jedem angemessen informierten Beobachter imitiert werden können? Simple Stammtischdiskussionen tun zwar der Seele gut, versichern sie einen doch der eigenen Überzeugung. Der Erkenntnisgewinn bleibt jedoch allenfalls marginal.
Das größte Problem des Tierschutzes ist, dass er einseitig ideologisch besetzt ist. Absurderweise ist der Tierschutz heute ein Projekt der Linken. Und das obwohl erst der Wohlstand der kapitalistisch organisierten und globalisierten Welt das Thema Tierwohl überhaupt aufs Tableau bringt. Denn Fleisch war und ist ein relativ günstiger Lieferant von Proteinen. Die alternative Proteinzufuhr (sei es entweder durch Nüsse oder vielleicht irgendwann einmal durch Laborfleisch) ist ungleich aufwändiger und teurer. Die ideologische Vereinnahmung geht bisweilen soweit, dass sich so mancher freiheitlich gesinnte Mensch aus purem Non-Konformismus dem Thema ganz grundsätzlich verweigert. Da wird dann schnell das Rösten von Industrie-Bacon auf einem Maschinengewehrlauf zum stark bedrohten Naturrecht verklärt.
Das Tierwohl sollte ein Projekt des Liberalismus sein
Dabei ist der methodologisch-individualistische Liberalismus die Gedankenwelt, in der Tierwohlerwägungen am ehesten einen Platz haben. So lange es dem Kollektiv dienlich ist, hatten stramme Linke noch nie ein Problem damit, so ziemlich jede Grausamkeit zu rechtfertigen. Der liberale Moralphilosoph Adam Smith (der eben nicht nur Ökonom war) lehrt den Liberalen im Gegensatz dazu, dass Empathie (er nennt es Sympathie) die Leitlinie menschlichen Handelns sein sollte. In „The Theory of Moral Sentiments“ führt Smith aus, dass wir bei der Überprüfung unseres Handelns zuerst immer die Gefühle und Motive der Beteiligten und Betroffenen unseres Handelns abwägen sollten. Nun ist es für die meisten klar, dass wir aus den unterschiedlichsten Erwägungen (praktischer, philosophischer, oder biologischer Natur) Tieren nicht die gleiche Form von Empathie entgegenbringen können wie Menschen. Doch mit Sicherheit würde Smith von uns verlangen, dass wir das unermessliche Leid von Fabriktieren auch nicht einfach ignorieren. Tiere sind zu Gefühlen und Empfindungen offensichtlich fähige Lebewesen wie wir Menschen und haben einen Anspruch darauf, dass wir zumindest darüber nachdenken und diskutieren, wie wir mit ihnen umgehen.
Scheindiskussionen schützen vor Verantwortung nicht
Bevor nun reflexartig die üblichen Erwiderungen kommen: Es geht beim Thema Tierwohl darum, erstens anzuerkennen, dass die industrielle Produktion von Fleisch vermeidbares Leid verursacht, und zweitens, dass wir als Konsumenten die Chance haben, etwas daran zu ändern. Man muss Tieren keine Menschenrechte geben, um dafür zu sorgen, dass Geflügel sich nicht mehr in überfüllten Legebatterien gegenseitig tot hackt oder arme Schweine in dunklen Ställen ohne Bewegungsraum gehalten werden. Vergessen wir für einen Moment den Reflex des „wo soll das bloß alles hinführen“. Bei jeder unangenehmen Frage lediglich das „slippery slope“ Argument zu bemühen, macht aus dem Liberalen aber einen argumentationsfaulen Konservativen. Die Debatte um unseren Umgang mit Tieren ist nämlich keine Frage von Rechten, sondern eine von Verantwortung, Empathie und Wertschätzung. Es ist die simple Frage, die sich jeder selbst stellen kann: Welche Wertschätzung bringe ich mit meinem Konsumverhalten tierischem Leben entgegen und entspricht dies meinen Wert-Vorstellungen?
Der Staat kann uns nicht von einer moralischen Auseinandersetzung mit uns selbst retten
Obwohl staatliche Regulierungen durchaus Einfluss auf Tierwohl-Fragen haben können (bspw. beim Verbot von besonders grausamen Praktikanten wie Hundekämpfen), ist dies hier kein Ruf nach mehr Staat. Wir als Konsumenten haben die einzigartige Möglichkeit, zu beweisen, dass der do it yourself-Ethos Dinge am schnellsten und nachhaltigsten ändern kann. Wo staatliche Verbote vermutlich nur zu Unverständnis und Schwarzmärkten führen würden, kann eine Änderung im Konsumverhalten ganze Märkte in kürzester Zeit auf den Kopf stellen.
Die schlechte Nachricht: Der Staat kann Sie nicht vor der schwierigen moralischen Abwägung von Tierwohl, Konsumverhalten und Budget retten. Die gute Nachricht: Der Markt bietet längt zahllose Auswege. Wer, wie der Autor, nicht gänzlich auf den Konsum von Fleisch verzichten möchte, aber mit den Bedingungen der Massentierhaltung und -tötung nicht einverstanden ist, findet heutzutage beinahe überall Alternativen zum Industriefleisch. Sei es beim Hof des Vertrauens, in Fleischersatzprodukten auf Pflanzenproteinbasis oder vielleicht in naher Zukunft einmal beim Steak aus dem Labor. Egal ob komplette Vermeidung, Reduktion oder verantwortungsbewusster Konsum, es gibt nicht den einzig wahren Weg. Doch klar ist: Unser sagenhafter Wohlstand und die Kreativität des Marktes haben uns in die Lage versetzt, Tieren mit Respekt zu begegnen. Nutzen wir diese Chance mit Verantwortung und Empathie und ignorieren nicht länger vermeidbares Leid!
„Wir als Konsumenten haben die einzigartige Möglichkeit, zu beweisen, dass der do it yourself-Ethos Dinge am schnellsten und nachhaltigsten ändern kann.“
Ja, das stimmt. Nur ist es m.E. naiv anzunehmen, dass sich durch Freiwilligkeit an den beklagten Zuständen irgendetwas ändern wird. Bio-Fleisch ist bereits seit Jahren in praktisch jedem Supermarkt zu haben. Trotzdem kaufen es nur wenige. Hier bewahrheitet sich der Satz „Zuerst das Fressen, dann die Moral.“
Deswegen plädiere ich in dieser Frage entschieden für ein Eingreifen des Staates im Sinne des Ordoliberalismus.