Photo: Sol Octobris from Wikimedia Commons (CC BY-SA 4.0)

Von Dr. Alexander Fink, Universität Leipzig, Senior Fellow des IREF – Institute for Research in Economic and Fiscal Issues, Fabian Kurz, Doktorand der Volkswirtschaftslehre, und Felix Gillmair.

Der Traum von einem funktionierenden Sozialismus spukt noch heute in so manchen Köpfen herum. Das gilt auch für einige Personen in Deutschland, obwohl das ungewollte „deutsche Teilungsexperiment“ eindrücklich gezeigt hat, dass bei ähnlichen wirtschaftlichen Startbedingungen, ähnlicher Kultur, gleicher Sprache etc. ein System zu Wohlstand und Freiheit geführt hat und das andere zu politischer Verfolgung und geringem Wohlstand.

Die DDR-Führung präsentierte stets gute Wirtschaftszahlen und wähnte sich unter den TOP 10 der weltweiten Wirtschaftsmächte. Die tatsächliche Leistungsfähigkeit der DDR-Wirtschaft wurde spätestens mit der Wende offenbar: Sie lag deutlich unter der propagierten. Auch im Westen wurde die DDR-Wirtschaft lange überschätzt. Inzwischen gibt es zahlreiche Untersuchungen, die das Bruttoinlandsprodukt der DDR schätzen. Selbst die optimistischsten unter ihnen sehen die DDR weit hinter der BRD. Die gute Nachricht: Nach der Wiedervereinigung hat sich die Situation auf dem ehemaligen Gebiet der DDR deutlich verbessert.

DDR vs. BRD

Gemäß einer Studie aus dem Jahr 2009 lag das BIP pro Kopf in der DDR im Jahr 1989 gut 56 Prozent unter dem westdeutschen. Gemäß dieser Schätzung konnte die DDR im Vergleich zu 1950 den relativen Abstand verringern. Diese Studie gehört allerdings zu den optimistischsten Berechnungen des BIPs der DDR.

Sehr unterschiedliche Schätzungen für die DDR

Die Schätzung des Bruttoinlandsprodukts der DDR, also dem Marktwert aller innerhalb eines Jahres hergestellten Produkte und Dienstleistungen, ist schwierig. In der DDR gab es keine Marktpreise, nur politisch festgelegte Preise. Daher nutzen viele Studien Preise aus Westdeutschland, um den Marktwert der Güter in der DDR zu ermitteln. Dies ist natürlich nicht unproblematisch. Zum einen spiegeln westdeutsche Preise nicht unbedingt die Knappheitsverhältnisse der Güter in der DDR wider. Zum anderen ist es schwierig Qualitätsunterschiede zu berücksichtigen. So hatte ein durchschnittliches Auto in der DDR gewiss eine andere Qualität als ein Auto aus Westdeutschland.

Die Bandbreite der Schätzungen ist hoch. Die oben erwähnte optimistische Studie aus dem Jahr 2009 geht davon aus, dass sich das BIP der DDR seit 1950 real um über 450 Prozent erhöht hat. Die pessimistischste Studie geht von einem realen Wachstum von nur gut 78 Prozent aus. Weitere Ergebnisse anderer Studien liegen zwischen diesen beiden Werten. Trotz der großen Variation ist die Wohlstandslücke zum Westen zur Wende unbestritten.

Ostblock macht auf „dicke Hose“ und der Westen glaubt(e) es

Die DDR zeigt bei den offiziellen Wirtschaftszahlen ein typisches Bild von Diktaturen. Staaten mit nicht-demokratisch gewählten Regierungen neigen dazu, bei der wirtschaftlichen Leistung des eigenen Landes zu übertreiben. Durchschnittlich geben autokratisch regierte Länder ihr wirtschaftliches Wachstum mit 15 bis 30 Prozent zu hoch an. Auch die DDR fälschte im Zuge der staatlichen Propaganda ihre Statistik massiv. So wuchs gemäß den amtlichen Zahlen des Regimes das BIP pro Kopf in den Jahren 1979 bis 1989 durchschnittlich mit beeindruckenden 4,1 Prozent pro Jahr. Tatsächlich sind allerdings jährliche Wachstumsraten von 2,7 Prozent für diesen Zeitraum realistisch. Wird die versteckte Inflation durch Qualitätsminderung mit in Betracht gezogen, belief sich das Wachstum auf gerade einmal 0,5 statt der propagierten 4,1 Prozent.

Die Propaganda hat zumindest in Teilen auch im Westen gewirkt, wo das Wirtschaftswachstum der sozialistischen Länder tendenziell überschätzt und die Ineffizienz planwirtschaftlicher Strukturen somit unterschätzt wurde.

Unterschiedliche Startbedingungen?

Einige Autoren wie Heske (2009) führen den wirtschaftlichen Abstand zur Wende vor allem auf unterschiedliche Startbedingungen nach dem Krieg zurück und weniger auf die Ineffizienz der Planwirtschaft. Unterschiedliche Startbedingungen nach dem Krieg gab es unbestritten in Ost und West. Wie entscheidend diese Unterschiede waren und in welchem Umfang sie den Rückstand der DDR-Wirtschaft erklären können, ist allerdings umstritten. So argumentiert Ritschl (1995), dass die DDR gute Bedingungen für ihre Planwirtschaft vorgefunden hat, da sie auf die auf Autarkie ausgerichtete NS-Kriegswirtschaft aufbauen konnte.

Regelmäßig wird darauf hingewiesen, dass die DDR in einem größeren Umfang als die BRD Reparationsleistungen insbesondere in Form von Demontage leisten musste. Diese geringere Kapitalausstattung habe dazu geführt, dass die DDR-Wirtschaft nicht so leistungsfähig werden konnte wie die Westwirtschaft. Für sich genommen ist die Argumentation schlüssig. Doch entscheidend ist nicht die absolute Ausstattung mit Produktionsmitteln, sondern wie viel Kapital pro Kopf zur Verfügung steht. Die massive Bevölkerungsabwanderung in den Westen hat hinsichtlich der Pro-Kopf-Ausstattung mit Produktionskapital der Demontage entgegengewirkt. Pro Kopf stand deshalb der DDR-Wirtschaft anfangs nicht weniger Kapital zur Verfügung als Westdeutschland.

Schwächen der real existierenden Planwirtschaft

Der große Wohlstandsunterschied zwischen der sozialistischen DDR und der marktwirtschaftlich ausgerichteten BRD kann durch den Verweis auf die unterschiedliche Ausgangssituation nicht überzeugend erklärt werden. Vielmehr war der Systemunterschied entscheidend.

In der DDR wurde die Produktion von Gütern und die Bereitstellung von Dienstleistungen in Plänen von staatlichen Organen wie dem Ministerrat, der staatlichen Plankommission oder den Ministerien festgelegt. Die Erfüllung der Pläne lag im Zuständigkeitsbereich staatlicher Betriebe. Nach der 1972 durchgeführten Verstaatlichungskampagne blieben nur noch vereinzelt Betriebe in privater Hand. Staatliche Betriebe waren für 99,9 Prozent der industriellen Produktion verantwortlich und mussten die ihnen vorgelegten Produktionsziele erreichen, ohne Einfluss auf diese nehmen zu können.

In Abwesenheit privaten Eigentums an Produktionsmitteln konnten keine Marktpreise entstehen, welche die relative Knappheit der Produktionsmittel hätten verlässlich anzeigen können. Die staatlichen Betriebe waren bezüglich der relativen Knappheit ihrer Inputfaktoren gewissermaßen „blind“. Zudem gab es keine individuellen Eigentümer, die unter den durch einen ineffizienten Einsatz von Ressourcen entstehenden Verlusten litten. Es überrascht deshalb nicht, dass Ressourcen in der DDR deutlich weniger effizient eingesetzt wurden als in der BRD.

In einer Marktwirtschaft signalisieren Gewinne und Verluste fortlaufend, wie erfolgreich die individuellen Pläne eines Unternehmens sind. Marktpreise, die durch den Tausch von privaten Eigentumsrechten zustande kommen, spiegeln Informationen über die Knappheit von Produktionsmitteln und Gütern wider. In Reaktion auf Veränderungen der relativen Preise von Verbrauchsgütern und Produktionsmitteln werden Ressourcen tendenziell stets einer wertvolleren Verwendung zugeführt. So kann mit dem gleichen Ressourceneinsatz fortschreitend mehr produziert werden. Anders ausgedrückt: Ressourcen werden weniger stark verschwendet.

Die (wirtschaftliche) Wende

Die neuen marktwirtschaftlichen Regeln, die mit der Wende in den östlichen Bundesländern Einzug hielten, entfalteten zügig ihre Wirkung. Das BIP ist Osten holte auf. Für das Jahr 1991 lag das BIP pro Kopf im Osten bei 42,7 Prozent des Westniveaus. In den darauffolgenden Jahren kam es zu einem deutlichen Anstieg. So erreichte Ostdeutschland im Jahr 1996 bereits 67,5 Prozent des Westniveaus. Heute liegt das BIP pro Kopf in Ostdeutschland bei 74,7 Prozent des Westwerts. Seit der Wende ist das westdeutsche BIP pro Kopf real um über 30 Prozent gestiegen. Das BIP pro Kopf ist in Ostdeutschland im gleichen Zeitraum um über 100 Prozent gestiegen.

Das Ende der Geschichte?

Die DDR-Wirtschaft war, wie die der anderen Länder des Ostblocks, in einer deutlich schlechteren Verfassung als viele Fachleute aus dem Westen glaubten. Das Rennen „Marktwirtschaft gegen Planwirtschaft“ war mit dem Zusammenbruch des Ostblocks jedoch entschieden – so dachte man. Der amerikanische Politikwissenschaftler Francis Fukuyama sprach im Jahr 1992 vom „Ende der Geschichte“. Doch der Traum von einem funktionierenden Sozialismus spukt noch heute in so manchen Köpfen herum. Das gilt auch für einige Personen in Deutschland, obwohl das ungewollte „deutsche Teilungsexperiment“ eindrücklich gezeigt hat, dass bei ähnlichen wirtschaftlichen Startbedingungen, ähnlicher Kultur, gleicher Sprache etc. ein System zu Wohlstand und Freiheit geführt hat und das andere zu politischer Verfolgung und geringem Wohlstand.

Erstmals erschienen bei IREF.

3 Kommentare
  1. Brigitte Kashofer
    Brigitte Kashofer sagte:

    Das große Problem ist der eklatante Bildungsnotstand in Österreich und Deutschland. Die Schüler werden über Jahre ausschließlich sozialistisch indoktriniert, weil die Lehrer selber von Wirtschaft keine Ahnung haben. Sie kennen nur den Schulbetrieb. Verpflichtende Schulungen in Finanz- und Wirtschaftswissenschaften auch schon für Grundschullehrer wären dringend notwendig.

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  2. Karl Gritsch
    Karl Gritsch sagte:

    Wollte vor etwa dreißig Jahren als Vortragender vor Englischlehrern von Wirtschaftsschulen Grundlagen der Wirtschaft erläutern. Es dauerte nicht lange, dass man mir zu verstehen gab, dass man für so etwas nicht zum Seminar gekommen sei.
    Es gab dann passiven Widerstand und es wurde über triviale Erlebnisse der Lehrer im Unterricht gesprochen.
    Ich habe danach meine Arbeitsgemeinschaftsleitung zurückgelegt. Mir folgte ein anderer, der wußte, was die Lehrer wollten und noch jahrelang blieb. Die Leitung wurde recht gut entlohnt.
    Ich frage mich noch immer, wer von uns der Gescheitere war. Ich denke er war es.

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  3. Ralf Becker
    Ralf Becker sagte:

    Bei der heutigen „Marktwirtschaft“ gibt es keine „unsichtbare Hand des Marktes“ gemäß Adam Smith. Auch ist der Preis allenfalls teilweise ein Knappheitsindikator.
    In erster Linie geht es bei den niedrigen Preisen um Marktmacht.
    Kleinere Unternehmen haben bereits verloren.
    Die Marktmacht der großen Unternehmen hat jedoch den Nebeneffekt, dass es im System auch immer mehr später nicht mehr abbaubare Schulden geben muss, weil unser Geld doch als solches eine Schuld ist, zumal es auch nur so entstehen kann. Dadurch weitet sich auch die Geldmenge immer mehr aus und Geld wird immer mehr zum Zwang und zur Illusion.

    Wir müssen es verstanden haben, dass wir bei unserer Marktwirtschaft nicht mit Geldwerten tauschen.
    Vielmehr pumpen Politik und Banken derzeit über den Umweg von sozialisierten Schulden und sonstigem Gelddrucken ständig Geld ins System, aber die Möglichkeit zum späteren Schuldenabbau haben doch immer nur vergleichsweise wenige Ultrareiche.

    Dass Marktpreise zurzeit für eine gerechte und sinnvolle Allokation sorgen, halte ich für ein Gerücht.

    Dann gab es die Besonderheit, dass Ikea wissentlich DDR-Häftlinge beschäftigt hatte.

    Jedenfalls hatten sich in der ehemaligen DDR Staats- und Parteibürokratie über das Volk erhoben.
    Die Planwirtschaft wurde gegen den Willen der Bevölkerung errichtet.

    Erst 1987 wurde die Todesstrafe in der ehemaligen DDR abgeschafft und nicht sehr viel später war die DDR am Ende.
    Wer etwa den Stasi-Geheimknast, das frühere MfS-Gefängnis Hohenschönhausen besucht, erfährt dort Haarsträubendes.

    Aber auch das System des Westens hat nicht besonders viel mit einer Demokratie zu tun. Der Bundestag regiert an den Bürgern vorbei. Wahlen werden mit einem hohen Wahlkampfbudget und einer entsprechenden Medienberichterstattung, etwa durch den Medienkonzern der SPD bzw. durch den „Zwangsrundfunk“, und nicht so sehr mit Inhalten gewonnen.

    Jedenfalls konnte die Marktwirtschaft im Westen nur durch eine Deregulierung des Finanzsektors wachsen.
    Die „Marktwirtschaft“ funktioniert dergestalt, dass der Krisenverursacher gleichzeitig auch der Krisengewinner ist. Daher darf man bei der Betrachtung des wirtschaftlichen Erfolgs der ehemaligen DDR die Rolle des Westens nicht ausklammern.

    Der Kommunismus hat jedenfalls eine klassenlose Gesellschaft als Ziel, was so erstmal nicht zu beanstanden ist.
    Die Marktwirtschaft hingegen hat nach dem Krieg wenige Jahrzehnte lang noch funktioniert, weil die Ungleichheit durch den Weltkrieg stark zurückgegangen war, aber danach ist sie immer mehr aus dem Gleichgewicht gekommen.

    Jedenfalls erhält die EZB mit der Geldexpansion ein System bis auf weiteres noch künstlich am Leben, das inzwischen sehr viel schlimmer und folgenreicher als die Planwirtschaft funktioniert.

    Sowohl die Planwirtschaft als auch die Marktwirtschaft nützen nur einen geringen Teil der Bevölkerung.

    Jedenfalls sind wir wegen der Digitalisierung in der glücklichen Situation, dass wir jetzt wegen der deutlich besseren IT anders als vor einigen Jahrzehnten völlig andere Möglichkeiten haben ein anderes Wirtschaftssystem einzuführen.

    Wir benötigen ein System, das irgendwo in der Mitte zwischen Marktwirtschaft und Kommunismus liegt.

    Bei diesem wird es nicht mehr durch die „Kräfte des Marktes“ entschieden, was produziert werden soll.
    Es könnte etwa der Konkurrenzsozialismus oder etwas Ähnliches wie Osbeee/ Info-Money infrage kommen.

    Was den „Segen des Egoismus“ gemäß Adam Smith betrifft, müssen wir etwas anderes als das heutige Geld erfinden, um einen solchen hinzubekommen.
    Schließlich gibt es mit Geld immer mehr Profite für wenige Ultrareiche, die aber leider nur mit immer mehr später nicht mehr abbaubaren Schulden aller anderen Personen möglich sind, weil das ständig von den Banken in Umlauf gebrachte Geld doch als solches eine Schuld ist.

    Was das fließende Geld nach Silvio Gesell betrifft, bin ich inzwischen der Meinung, dass dieses nicht als Alleinlösung funktioniert, weil es bei diesem anders als bei der jetzigen „Marktwirtschaft“ nicht das Druckmittel mit immer mehr später nicht mehr abbaubaren Schulden gibt.

    Die Arbeit von David Graeber ist für das bessere Verständnis der Wirkungsweise unserer vielen Schulden vermutlich gar nicht so schlecht. Er hat etwa das Buch „Schulden: Die ersten 5000 Jahre“ geschrieben.

    Olaf Scholz will ähnlich wie die Linkspartei die Schuldenbremse lockern. Aber auf diese Weise würden wir das fehlerhafte Prinzip „Gewinne privatisieren – Verluste sozialisieren“ noch weiter überspannen.
    Die vielen Schulden, insbesondere infolge der fehlerhaften Geldentstehung als Schuld, führen derzeit immer mehr zur Zwangs- und Illusionswirtschaft, weil sie den Reichtum mit der Zeit auch immer mehr einer kleinen Bevölkerungsminderheit zuspielen.

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