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Welche Erwartungen richten wir an Politiker? Das ist eine Gretchenfrage liberaler Weltanschauung. Karl Popper bemerkte in seinem Werk „Die offene Gesellschaft und ihre Feinde“, dass „Platon dadurch, dass er das Problem der Politik in Form der Frage stellte ‚wer soll herrschen?‘ oder ‚wessen Wille soll der höchste sein?‘, die politische Philosophie gründlich verwirrt hat.“ Denn so hat der Urvater der politischen Theorien den Blick auf Personen statt auf Institutionen gelenkt. Diese Perspektive ist im 19. Jahrhundert von einem britischen Historiker aufgegriffen und massiv verstärkt worden: Thomas Carlyle (1795-1881) hat wie nur wenige das Verständnis von Geschichte in der westlichen Welt geprägt.

Sein wahrscheinlich einflussreichstes Werk „On Heroes, Hero-Worship, & the Heroic in History“ erschien 1841 und stellte an beispielhaften „Großen Männern“ dar, wie Geschichte gestaltet wird: durch Götter wie Odin, Propheten wie Mohamed, Dichter wie Shakespeare, religiöse Führer wie Luther, Gelehrte wie Rousseau und Könige wie Napoleon. Aus dieser kleinen Schrift entstand die außerordentlich wirkmächtige „Great man theory of history“, die natürlich Staatsmännern sehr zupass kam und von ihnen dankbar wiederholt wurde, kam es in dieser Sichtweise ja viel mehr auf sie an als auf Regeln oder Institutionen, von den Bürgern ganz zu schweigen. Bedeutende liberale Stimmen wie Herbert Spencer, Jacob Burckhardt und Ernst Cassirer wandten sich gegen diese Geschichtsdarstellung, die eine gigantische Steilvorlage für Autokraten aller Couleur darstellt. Durchsetzen konnte sich freilich Carlyle, der mit seinem Entwurf auf der Seite der Mächtigen stand. Noch immer lebt unsere politische Kommunikation davon, dass man die Hoffnung auf große Männer (inzwischen auch Frauen) setzt, von denen man sich Erlösung erwartet – von Lindner bis Wagenknecht, von Pistorius bis Merz. Noch immer sollten Liberale dagegen rebellieren. Sollten.