Photo: Michał Parzuchowski from Unsplash (CC 0)
Unsere Kollegen Dilara Wiemann und Alexander Albrecht dürfen wir heute im Kreis unserer regelmäßigen Autoren willkommen heißen. Alle vier Wochen werden sich die beiden in unserem neuen Format „The Argument“ auf dem Boden freiheitlicher Überzeugungen, aber aus kontroversen Blickwinkeln mit unterschiedlichen Themen befassen. Im Englischen steht Argument sowohl für die Auseinandersetzung als auch für die rationale und logisch begründete Aussage – also letztlich für Erkenntnisgewinn. Und um den soll es in dieser Kolumne gehen!
Dilara Wiemann: Wenn Schulden korrumpieren
Alexander Albrecht: Schulden können Wachstum fördern!
Wenn Schulden korrumpieren
von Dilara Wiemann
Was früher verpönt war, scheint heute Mainstream: Die „Leben auf Pump“-Mentalität. Die öffentliche Schuldenlast steigt global in schwindelerregende Höhen. Regierungen weltweit haben zur Eindämmung der wirtschaftlichen Schäden der Pandemie Rekordschulden aufgenommen: Laut dem Internationalem Währungsfonds haben die globalen Staatsschulden sogar ihren bisherigen Höchststand nach dem Zweiten Weltkrieg weit übertroffen. Auch in Deutschland scheint die Rechnung für die Corona-Konjunkturprogramme erst nach der Wahl präsentiert zu werden. Hierzulande fordern alle Parteien mit realistischer Chance auf eine Regierungsbeteiligung neue staatliche Investitionsprogramme. Die künftige Einhaltung der im Grundgesetz verankerten Schuldenbremse rückt damit in weite Ferne. Selbst unter liberalen Ökonomen verstummt der Ruf nach fiskalischer Disziplin.
Schon von klein auf lernen wir Verantwortung für unser Handeln zu übernehmen. Unternehmer wissen, dass sie wohlüberlegt haushalten und für ihre Entscheidungen geradestehen müssen. Die dahinterstehende Einheit aus Haftung und Handlung ist das grundlegende Element einer freien Wettbewerbs- und Gesellschaftsordnung. Über kurz oder lang wird daher das rechtsstaatliche Fundament unglaubwürdig, da fiskalische Regeln unter dem permanenten Deckmantel der Krisenbewältigung aufgeweicht werden.
Dies sind keine neuen Ideen: So beschrieb Walter Eucken, einer der bedeutendsten Ideengeber des Ordoliberalismus, das Prinzip der Haftung als zentrales Element der Marktwirtschaft. Investitionen würden umso sorgfältiger und wohlüberlegter getätigt, je mehr der oder die Verantwortliche für diese Investitionen haftet. Auch Wilhelm Röpke, einer der Väter unserer Sozialen Marktwirtschaft, konstatierte, dass Verantwortung und Risiko untrennbar verbunden sind.
Das Haftungsprinzip gilt daher nicht nur für jeden Bürger, sondern wird durch unsere Rechtsordnung auch für den Staat zu obersten Maxime. Im europäischen Unionsrecht ist dieses Prinzip zum Beispiel in Form der Maastrichter Kriterien institutionalisiert. Diese sollen fiskalische Disziplin und Eigenverantwortung der Mitgliedsstaaten sicherstellen und so verhindern, dass einzelne Regierungen Anreize haben, sich über ein tragfähiges Maß hinaus zu verschulden.
Was passiert, wenn diese Prinzipien aufgeweicht werden, wurde uns in der Vergangenheit immer wieder aufgezeigt: Die Vielzahl von europäischen Rettungsschirmen sowie die andauernde ultralockere Geldpolitik der Europäischen Zentralbank wecken Zweifel an der Glaubwürdigkeit der bestehenden fiskalischen Regeln. Die Entscheidungsträger der verschuldeten Mitgliedsstaaten wissen spätestens seit der Schuldenkrise Griechenlands, dass sie im Falle einer Zahlungsunfähigkeit nichts zu befürchten habe. Denn wenn Schulden nicht mehr bedient werden können, hilft die Solidargemeinschaft mit Rettungspaketen aus. Zudem ist die EZB ist mit den Anleihekaufprogrammen längst zum Kreditgeber der letzten Instanz für die Euro-Mitgliedsstaaten mutiert. Inoffizielle Strategie scheint es zu sein, die Renditen auf Staatspapiere langfristig künstlich gering zu halten. Das Risiko wird so an den Kreditmärkten nicht mehr korrekt eingepreist. Es entstehen Fehlanreize – weg von einer nachhaltigen Haushaltspolitik hin zu einer hohen Verschuldung zu Lasten der Steuerzahler.
Oft wird argumentiert, die Verschuldung von heute sei der Wachstumsmotor von morgen. Das ergibt auf den ersten Blick Sinn. Denn sofern das Wirtschaftswachstum höher ist als der Zins, würden die Schuldenberge sogar relativ zur Gesamtproduktion schrumpfen. Dies ist aber nur graue Theorie: In den meisten europäischen Staaten ist dies seit der Finanzkrise nicht mehr der Fall. Dort wachsen die Schulden unaufhörlich in einem größeren Ausmaß als die Wirtschaftskraft.
Solange die großen Wirtschaftsnationen ihre Schulden weiter bedienen könnten, ist eine globale Schuldenkrise nicht zu erwarten. Die bedenkenlose Überschuldung untergräbt aber auf Dauer das Fundament unserer Marktwirtschaft und damit unserer Freiheit. Der Grundsatz der Selbstverantwortung verkommt zur leeren Worthülse, wenn die Verursacher nicht mehr für ihre Handlungen haften müssen. Politische Amtsträger verhalten sich risikoreicher und verschwenderischer, wenn der Markt seine disziplinierende Wirkung nicht mehr entfalten kann. Dies kann zu einer gesamtgesellschaftlichen Vertrauenskrise führen, wenn Regierungen spielend leicht die Verantwortung für ihr Handeln auf ihre Bürger abwälzen. Vertrauen und Haftung sind damit nicht nur in unser aller Alltag essenziell, sondern auch für den Fortbestand einer wehrhaften Demokratie überlebenswichtig.
Schulden können Wachstum fördern!
von Alexander Albrecht
Sag, wie hältst du es mit den Schulden? Die Gretchenfrage des Haushalts dominiert immer wieder die Wissenschaft, die öffentliche Debatte und nicht zuletzt auch den Wahlkampf. In ihrer kategorischen Ablehnung von Staatsschulden vergessen einige Liberale, dass Schulden wachstumsfördernd sein können. Der Staat ist eben keine schwäbische Hausfrau, die nur ausgeben kann, was sie auch einnimmt. Deshalb sollten sich Liberale viel eher für eine sinnvolle Verwendung von schuldenfinanzierten Staatsausgaben einsetzen – ohne diese zu verteufeln.
Wenn man die Komplexität einer modernen Volkswirtschaft ernst nimmt, kann es keine kategorische Bewertung einer Neuverschuldung geben. Vielmehr schließen sich weitere Fragen an: Wie groß sind die fiskalischen Multiplikatoren? Wie sehen Zins- und Schuldenquoten aus? Für welche Zwecke sollen Schulden aufgenommen werden? Aus der Beantwortung dieser und weiterer Fragen ergibt sich ein komplexes makroökonomisches Bild, in dem sowohl fiskalische Austerität als auch eine expansivere Fiskalpolitik unter bestimmten Umständen wachstumsfördernd sein können. Das gilt unter Ökonomen mittlerweile als Binsenweisheit.
Da Neuverschuldung des Staates nur ein zweckungebundener Weg ist, Staatsausgaben zu finanzieren, ist die Verwendung entscheidend. Für die meisten Ökonomen ist klar, dass Schulden kein Mittel sein dürfen, Klientelpolitik zu betreiben oder Rentengeschenke zu finanzieren. Der verantwortungsbewusste Umgang mit Staatsfinanzen ist schließlich auch oberstes Credo der Liberalen – insbesondere aus Respekt vor der Leistung des Einzelnen. Aber egal wie man es dreht: Klimaschutz, Infrastruktur und Bildung kosten Geld. Viel Geld. Der hohe zusätzliche Investitionsbedarf in den nächsten Jahren dürfte wohl kaum lediglich durch privates Kapital gedeckt werden. Vielmehr kommt es darauf an, den richtigen Mix aus öffentlichen und privaten Investitionen zu finden. Mittels kluger staatlicher Rahmenbedingungen, wie beispielsweise verbesserter, degressiver Abschreibungsregeln, können auch private Investitionen zusätzlich stimuliert werden. Ganz ohne staatliche Verschuldung und öffentliche Investitionen werden die großen Projekte der Zukunft nicht finanzierbar sein.
Was insbesondere Liberale freuen dürfte: Auch Steuersenkungen und Entlastungen sind über Schulden finanzierbar. Wie aktuelle empirische Studien zeigen, finanzieren sich Steuersenkungen nur in den seltensten Fällen zu 100% selbst. Eine großzügige Entlastung der Steuerzahler könnte somit auch, zumindest teilweise, über Schulden finanziert werden. Wer jedoch Steuersenkungen, Abbau des Investitionsstaus und gleichzeitig keine Neuverschuldung verspricht, der will eine eierlegende Wollmilchsau und veräppelt die Bürger.
Hinzu kommt, dass die aktuelle Zinsquote in Deutschland eine großzügigere Neuverschuldung erlaubt. Der Zins für 30-jährige Bundesanleihen schwankt seit 2015 mehr oder weniger um 0%. Das nominale BIP Wachstum in Deutschland betrug seit 2011 hingegen immer mehr als 2%. Das durch die Schulden generierte Wachstum war also mindestens seit 2015 größer als die zu zahlenden Zinsen, wodurch der Staat schnell „aus seinen Schulden hinauswachsen“ konnte. In manchen Fällen bewirken die positiven fiskalischen Multiplikatoren sogar, dass öffentliche Investitionen in Infrastruktur die Staatsschuldenquote senken. Wer Kitas baut und Ganztagsprogramme in Schulen finanziert, der erhöht die Arbeitsproduktivität der zukünftigen Erwerbsbevölkerung. Die aktuelle makroökonomische Situation erlaubt uns also, mehr Schulden aufzunehmen. Klar ist allerdings auch, dass die aktuelle Situation nicht für immer anhalten wird. Deshalb gilt es, die Gunst der Stunde zu nutzen, bevor sich die makroökonomischen Winde drehen.
Ob eine Neuverschuldung in Höhe von 0,35% des nominalen Bruttoinlandsprodukts, wie sie die Schuldenbremse vorsieht, ausreicht, um die nötigen öffentlichen Investitionen zu tätigen, steht auf einem anderen Blatt. Liberale täten jedoch gut daran, sich für eine sinnvolle Verwendung von schuldenfinanzierten Staatsausgaben einzusetzen, anstatt diese kategorisch abzulehnen. Denn wie es der ehemalige IMF-Präsident Olivier Blanchard bereits sagte „Public debt is bad, but not catastrophic. It can be used, but it should be used right “.
Es ist meiner Ansicht nach ganz einfach. Jeder Häuslebauer und (fast) jeder Autokäufer nimmt Kredite auf, um letztendlich für die Nutzung seiner Investition zu bezahlen. Das gilt für staatliche Investitionen genauso. Die erhöhte Schuldenaufnahme darf aber nie dazu führen, dass die Tilgung nach der Zinszahlung unter dem „Wertverlust“ liegt. Das heißt, Konsum darf nie schuldenfinanziert sein.
Die Schuld ist nur eine Schuld, also eine Verschiebung des Geldes von einem zu einem anderen. Es bringt keinen zusätzlichen Wert. Deswegn sind die abzulehnen.
Schuld ist eben nicht Schuld und es wird auch nicht einfach Geld verschoben, zB kann eine Zentralbank nur dann Schulden ankaufen, wenn diese durch ausreichende, werthaltige Sicherheiten gedeckt sind, das wird leider oft vergessen-
Gibt es für den Ankauf von Schulden gegen Zentralbankgeld keine werthaltigen Sicherheiten für die Zentralbank, dann handelt es sich um sog. Schuldgeld und das ist ein grober Zentralbankfehler, was, wenn dies in großem Maße passiert, in eine Währungsinflation münden kann
Theoretisch rechtfertigen Investitionen Neuverschuldung, aber nur NETTOinvestitionen. Die Investitionen zum Ausgleich der Abschreibung müssen aus den laufenden Einnahmen finanziert werden. Und die Abschreibungen bzw. Nettoinvestitionen sind sehr schwer und nur mit zeitlichem Nachlauf zu ermitteln. In Deutschland scheinen sie aber weiterhin negativ zu sein, jedenfalls niedriger als die zulässige Neuverschuldung iHv von 0,35 Prozent. Sie rechtfertigen also keine zusätzlichen Schulden. Investitionen sind eine Frage der Prioritäten ggü dem Konsum.
Insbesondere zum Beitrag von Herrn Albrecht: Ich glaube die führenden Liberalen in diesem Land haben klar gemacht, dass es aktuell zum einen nicht darum geht überhaupt keine Schulden zu machen und zum anderen nicht von heute auf morgen alle gewünschten Entlastungen umzusetzen sind. Beides sollte als Prozess verstanden werden, welcher sukzessive zu weniger Schulden / Entschuldung und gleichzeitiger sukzessiver Entlastung führt.
Unser gesamtes Geld basiert auf Schulden. Ohne die Schulden Dritter gibt es auch kein Geld.
Dabei ist es etwas komisch, dass wir deshalb Geld haben, weil Banken uns Kredite aus dem Nichts „verleihen“.
Wir Normalbürger müssen arbeiten, damit wir ein Einkommen erzielen können, aber die Banken investieren per Knopfdruck oder sie zocken mit ihren Robotradern.
Bei unserer vermeintlichen Marktwirtschaft sind es auf fehlerhafte Weise immer die öffentlichen Haushalte, die die Neuverschuldung viel zu oft als Konjunkturmotor verwenden.
Hier gibt es jedoch das Problem, dass die öffentlichen Haushalte ihre vielen Schulden später fast gar nicht wieder abbauen können, weil das Geld, das sie über den Umweg von immer mehr Schulden ins System pumpen, als solches eine Schuld ist.
Die reichen Geldbesitzer müssten ihr Geld später wieder ausgeben, damit die öffentlichen Haushalte sich irgendwann wieder, letztlich bei den Banken, „entschulden“ können.
Daher ist der Schuldenabbau der öffentlichen Haushalte dann nur noch mit Inflation möglich. Inflation ist jedoch die brutalste aller Steuern, weil sie ausgerechnet Geringverdiener trifft.
Wir haben zudem auf fehlerhafte Weise deshalb Wohlstand, weil die großen Akteure der Wirtschaft mit ihrer Marktmacht für viel zu günstige Preise sorgen.
Unser Finanzsystem kann zudem nur mit immer mehr Schulden bzw. zum Preis eines ständigen Anstiegs der Geldmenge und mit immer weiter ansteigenden leistungslosen Einkommen der großen Akteure der Wirtschaft nur funktionieren.
Dadurch wird es für alle anderen Personen mit der Zeit immer schwieriger mit normaler Arbeit ein Einkommen zu erzielen.
Wenn es aber immer mehr Geld in der Welt gibt, dann haben wir etwa auch immer weniger Zeitwohlstand.
Staaten werden viel zu oft zweifelhafte Rüstungsexporte genehmigen, weil der immer weiter ansteigende Schuldendruck des Geldes dies unausweichlich macht.
Beim Wettbewerb zwischen den Staaten gibt es ferner das Problem, dass der Krisenverursacher der Krisengewinner ist. Staaten, die sich auf internationaler Ebene gemeinschaftsschädlich verhalten, die gewinnen.
Beispiel: Italien hatte eine Steuerflat für Superreiche eingeführt
Wenn Staaten „überschuldet“ sind, dann ist dies durchaus nicht die ausschließliche Folge ihres fehlerhaften Wirtschaftens, sondern auch die Folge von gemeinschaftsschädlichen Verhaltensweisen von Nachbarländern.
Dann kann es auch insgesamt nicht funktionieren, dass bei unserem Geld jede Geldeinheit eine Schuld gegenüber einer Bank ist.
Bei unserem fehlerhaften Geld gibt es einfach nur immer weiter ansteigende Schulden der öffentlichen Haushalte, um die die großen Akteure der Wirtschaft im Wettbewerb stehen.
Die öffentlichen Haushalte machen also immer mehr Schulden, obwohl der spätere Schuldenabbau gar nicht vorgesehen ist. Dieser Umstand ist aber eigentlich nicht mit der eigentlichen Eigenschaft unseres Geldes, in Wirklichkeit eine Art Schuldschein zu sein, zu vereinbaren.