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Photo: David Goehring (CC BY 2.0)

Politische Akteure haben zuweilen eine etwas ungesunde Tendenz, das Leben der Bürger zu verplanen. Ob „Dienstjahr“ oder Rentenalter – irgendwelche wohlklingenden Begründungen finden sich immer. Es ist verwunderlich, wie viel sich die Bürger da gefallen lassen.

Ab in die „Schule der Nation“!

Um das Sommerloch zu stopfen, brachte die CDU-Generalsekretärin Kramp-Karrenbauer Anfang des Monats das Thema Dienstpflicht wieder ins Gespräch. Zur Seite sprangen ihr Kollegen aus den verschiedensten Ecken: vom Vorsitzenden der Mittelstandsvereinigung der Union bis zur Staatsministerin im Auswärtigen Amt. Ja, laut einer Umfrage des ZDF stehen gar 68 Prozent der Bevölkerung auf ihrer Seite. Während Wehrdienst-Veteranen sich begeistert zeigen, dass sich die jungen Leute jetzt auch mal durch die „Schule der Nation“ durchquälen müssen, denkt sich der angehende Romanistik-Student, der gerade seinen Bundesfreiwilligendienst leistet, so ein Jahr könne seinem Klassenkameraden, der mit 17 das BWL-Studium aufgenommen hat, eigentlich auch nicht schaden.

Kaum beachtet werden in der Debatte die vielen Nebeneffekte. Das fängt bei der Tatsache an, dass (zum Glück) nicht jeder junge Mensch durch die Abiturmaschine in Richtung Hochschule durchgeschleust wird. Bundesweit haben vorletztes Jahr 41 Prozent einer Alterskohorte das Abitur gemacht und 11 Prozent die Fachhochschulreife erlangt. Ein sehr großer Teil der anderen 48 Prozent wird Handwerkerin, Buchhalter oder fängt im heimischen Betrieb an zu arbeiten. Viele dieser jungen Leute sind tüchtig und ambitioniert. Sie sind darauf angewiesen, rasch Geld zu verdienen und sich in ihrem Beruf und Betrieb zu bewähren. Eine allgemeine Dienstpflicht würde sie alle für (vermutlich) ein Jahr aus ihrem beruflichen Werdegang herausziehen. Das sollte man sich mal bei einem Studenten nach Abschluss seines Masters trauen …

Der Wert der Freiwilligkeit

Mit welchem Recht sollten politische Entscheidungsträger überhaupt eine solche Pflicht einführen können? Kann die reine Legitimation durch die Wahl rechtfertigen, dass darüber entschieden wird, jedem Bürger ein Jahr seiner Zeit zu mopsen? Im Kalten Krieg mochte das gerade noch angehen – heute wirkt dieser Vorschlag schlichtweg grotesk. Selbst wenn eine große Mehrheit der Bevölkerung das Vorhaben unterstützen sollte, gibt es keine Rechtfertigung dafür, die Minderheit unter ein solches Joch zu zwingen.

Vor allem aber widerspricht eine solche Maßnahme fundamental dem hehren Grundgedanken, der immer gerne angeführt wird, wenn eine solche Dienstpflicht diskutiert wird. Denn der Einsatz für die Gesellschaft bezieht seinen Wert aus der Freiwilligkeit. Und da sieht es in Deutschland übrigens hervorragend aus. Lag der Anteil der ehrenamtlich Engagierten im Jahr 1999 noch bei 34 %, so ist der Anteil im Jahr 2014 auf 43 % der Bürger gestiegen. Am stärksten ausgeprägt ist das Engagement übrigens bei der jungen Bevölkerung. 45.000 Menschen haben letztes Jahr den Bundesfreiwilligendienst absolviert, Tausende junger Menschen gehen jedes Jahr ins Ausland, um dort ihre Zeit und ihr Herzblut einzusetzen. Die freiwillige Entscheidung zum Engagement und die freie Wahl des Bereichs, in dem es stattfindet, machen diesen Einsatz so wertvoll und fruchtbar.

Relikte aus der Feudalzeit

Die Dienstpflicht-Idee ist freilich nur eine unter vielen Maßnahmen, bei denen Politiker das Leben ihrer Bürger planen anstatt ihnen selbst die Verantwortung zu überlassen. Dazu zählen auch viele Gebiete, auf denen wir uns schon längst daran gewöhnt haben, die es aber durchaus wert sind, hinterfragt zu werden. Etwa das ewige Hin und Her zwischen dem acht- und dem neunjährigen Abitur. Nur sechs Bundesländer ermöglichen derzeit Wahlfreiheit für Eltern und Schüler. In allen anderen wird es zentral entschieden. Und auch im höheren Alter wird munter mit dem Leben der Bürger geplanwirtschaftet, indem sich der Staat (auch dank des hiesigen Rentensystems) anmaßt, zu entscheiden, wer wie lange zu arbeiten habe bzw. arbeiten darf. Derzeit arbeiten in Deutschland 1,4 Millionen Rentner nebenbei – und bei weitem nicht alle, um ihre knappe Rente aufzubessern. Gerade Akademiker können ohne Probleme viele Jahre über das gesetzliche Rentenalter hinweg ihrer Arbeit nachgehen, die ihnen oft auch Freude und Zufriedenheit bereitet. Zugleich müssen Facharbeiterinnen, die in einem privaten Altersvorsorgesystem schon mit Mitte 50 genug angespart hätten, Abschläge auf ihre Rente hinnehmen, wenn sie früher die Arbeit niederlegen.

Letztlich sind das alles Relikte aus der alten Feudalzeit, in der ein Fürst seine Untertanen in den Frondienst nehmen konnte und Herr auch über deren privateste Lebensentscheidungen war. Der selbstverantwortliche Bürger in einer freiheitlichen Demokratie sollte so etwas nicht mit sich machen lassen. Unsere Vorfahren haben in einem mühsamen und zähen Kampf die Vorrechte des Landesväter immer weiter zurückdrängen können. Dass Sie heute im Gewand des wohlmeinenden Politikers wiederkehren, der uns erklärt, wo unser Leben hinzugehen habe, und wie wir es am besten und nutzbringendsten führen können, ist eine Farce, die man nicht mit sich machen lassen sollte.

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Von Matthias Still, Unternehmer und PR-Berater, Fackelträger bei Prometheus.

Vor zwei Millionen Jahren saß einer unserer Vorfahren in Afrika unter einem Baum und grübelte. Der Tag war heiß und das Leben beschwerlich: Essen sammeln, einen sicheren Schlafplatz finden, sich gegen wilde Tiere wehren – alles musste man selber machen und das auch noch mit bloßer Hand. Der Alltag bestand vor allem aus einem ganz zentralen Tagesordnungspunkt: dem Überleben. Und das war oftmals gar nicht so einfach. Also fummelte unser Urmensch an einem runden Stein herum. Dabei kam er auf die Idee, die obere Hälfte so lange zu bearbeiten, bis sie spitz war. Und so wurde aus dem eher nutzlosen Stein ein Werkzeug: Der Faustkeil. Die erste disruptive technologische Erfindung der Menschheit.

Was genau der Urmensch, der zu diesem Zeitpunkt noch ein Vorgänger der Gattung Homo sapiens war, mit dem Faustkeil machte, lässt sich nur erahnen: Für die Selbstverteidigung, für das Zerkleinerung von Nahrung oder als Werkzeug, um weitere Werkzeuge herzustellen, kann er gedient haben.

Und doch hat dieser primitiv behauene Stein etwas ganz Besonderes bewirkt: Er ließ in unseren urzeitlichen Vorfahren eine erste Ahnung erglimmen, dass sie nicht einfach wehrlos einer rauen und hochgradig lebensgefährlichen Natur ausgesetzt waren. Sie konnten sich aufmachen, um diese zumindest ein bisschen zu zähmen, sie für das eigene Überleben zu nutzen und sich bei Gefahren vor ihr zu schützen.

Menschen erfinden, um das Leben einfacher und besser zu machen

Auf bahnbrechende Erfindungen wie das Rad, die Schrift oder gar die Dampfmaschine musste man dann noch ein paar Hunderttausend Jahre warten. Innovation hatte in der frühen Geschichte des menschlichen Daseins nichts mit Geschwindigkeit zu tun. Doch der Gedanke, durch Erfindungsreichtum die eigene, Natur gegebene Begrenztheit zu überwinden, sollte zu einem der mächtigsten und wirkungsreichsten in der Menschheitsgeschichte werden.

Warum kommen Menschen überhaupt auf die Idee, Dinge zu erfinden? Es hat fast immer damit zu tun, das Leben einfacher und besser zu machen. Wir alle würden heute in der unwirtlichen Umgebung unserer Vorfahren kaum eine Woche überleben. Wie selbstverständlich nehmen wir Erfindungen wie elektrischen Strom  oder Heizsysteme hin, die uns zu jeder Zeit Licht spenden und vor Kälte schützen. Wie einfach ist es für uns, Lebensmittel im nächsten Supermarkt zu kaufen, anstatt sie sammeln oder jagen zu müssen.

Der technische Fortschritt hat unser Leben massiv verbessert. Und je schneller er sich vollzieht, umso schneller leben wir immer besser. Werkzeuge, Maschinen und Fertigungsverfahren ermöglichen erst das, was Ökonomen „Arbeitsteilung“ nennen – die womöglich wichtigste Grundlage unseres wirtschaftlichen Wohlstands. Ohne Technik müssten wir nämlich alle das Gleiche machen: Ums Überleben kämpfen, Tag für Tag.

Innovationen eröffnen Benachteiligten neue Optionen, ihr Leben zu gestalten

Doch das ist noch nicht alles: Der technologische Fortschritt sorgt nicht nur für wirtschaftlichen Wohlstand, sondern auch für so etwas wie „soziale Gerechtigkeit“ (lassen wir hier einmal außer Acht, dass unter diesem Begriff höchst unterschiedliche Dinge verstanden werden). Über Jahrtausende war das menschliche Zusammenleben vom Prinzip des „Survival of the fittest“ bestimmt. Der, der am schnellsten vor dem Säbelzahntiger wegrennen konnte, hatte Glück. Der, der schneller war als der Langsamste, auch noch. Aber der Langsamste hatte Pech. Kinder, Alte, Verletze, Behinderte hatten schlechte Überlebenschancen, wenn es eng wurde. Das ist heute anders: Technologische Innovationen eröffnen bislang Benachteiligten ganz neue Optionen, ihr Leben zu gestalten: Auf Seiten der politischen Linken spricht man hier oft von „gesellschaftlicher Teilhabe“. Erfindungsreichtum und Innovation sind die eigentlichen Treiber dieser Teilhabe: Und ganz im Gegenteil zum vermeintlich fürsorglichen Sozialstaat leisten sie dies ohne die Kosten der Teilhabe Dritten aufzulasten. Um nur ein paar Beispiele zu nennen: Der medizinische Fortschritt hat nahezu alle großen Volkskrankheiten und Epidemien hierzulande ausgerottet – und damit Millionen Menschen Leid und Elend erspart. Moderne Hilfsmittel ermöglichen es heute Menschen mit Handicap zu arbeiten und für den eigenen Broterwerb zu sorgen – anstatt auf Almosen angewiesen zu sein.

Und auch für die Zukunft sieht es rosig aus: Innovationen wie das autonome Auto werden dazu führen, dass sich Menschen selbständig fortbewegen können, die derzeit ausschließlich auf den öffentlichen Nahverkehr angewiesen sind: Blinde beispielsweise oder Personen, die durch fehlende Gliedmaße stark beeinträchtigt sind – aber auch Senioren, die sich im fortgeschrittenen Alter nicht mehr sicher als Fahrer betätigen können. Die Strategie automatisiertes und vernetztes Fahren der Bundesregierung geht davon aus, dass der Personenverkehr bis zum Jahr 2030 deutlich zunehmen wird – und autonome Fahrzeuge eine wichtige Rolle dabei spielen werden. Damit könnte das selbst fahrende Auto am Ende für mehr gesellschaftliche Teilhabe sorgen als alle ehrenwerten Absichten des Bundesteilhabegesetzes.

Auch wenn er schnell ist und uns manchmal überfordert: Der technologische Fortschritt hat Zustimmung verdient. Er ist der soziale Treibstoff unserer Zeit.

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Putin, Trump, Erdogan, Orban – aber auch Merkel, Macron, Trudeau … Überall blicken die Leute auf Männer und Frauen, von denen sie sich Rettung versprechen. Dabei kamen die wirklichen Fortschritte für die Freiheit nie von den Führern, sondern stets von den Bürgern.

Die Wiederkehr der Faszination Macht

Die Faszination, die von Macht ausgeht, steckt scheinbar in unseren Genen. Durch die vielen Epochen der Geschichte hindurch erstarrten die Menschen vor Ehrfurcht, wenn die Zarin Katharina in der Kutsche an ihnen vorbeifuhr oder wenn sie auf dem Forum Romanum einen Blick auf Caesar erheischen konnten. Sie versprachen sich Weltfrieden von Gorbatschow und Befreiung von Fidel Castro. Wenn nur der richtige Mann das Ruder des Staates übernähme, dann würden Sorgen und Nöte für immer vertrieben.  Heute richten die einen ihre hoffnungsvollen Blicke auf den russischen oder amerikanischen Präsidenten, während die anderen auf den französischen Newcomer oder die „Anführerin der freien Welt“ setzen.

Sorgenfreie Zeiten wie die 1990er Jahre brachten eher Pragmatiker an die Macht. Doch mit den Verwerfungen, die sich in den letzten Jahren seit der Finanz- und Staatsschuldenkrise ergeben haben, kam das Zeitalter der starken Männer zurück. Obama war einer der ersten, der auf dieser Welle reiten konnte. In China begann die Ära der Abkehr vom Pragmatismus mit dem Wechsel zum derzeitigen Präsidenten Xi Jinping. Putin wurde immer tollkühner bei seinen außenpolitischen Husarenstücken. Die Wähler Mittel- und Osteuropas suchten zunehmend ihr Heil in schillernden Charismatikern. Sebastian Kurz hat in Österreich eine traditionsreiche Partei genauso im Handstreich gekapert wie Jeremy Corbyn in Großbritannien. Und inzwischen werden sogar der Ober-Pragmatikerin Merkel messianische Wunderkräfte zugeschrieben.

Überbietungswettbewerb der Weltretter

Man könnte dieses Phänomen achselzuckend hinnehmen und einfach auf die lange Liste menschlicher Schwächen setzen. Allerdings sind die Folgen so gravierend, dass wir eigentlich alles daran setzen sollten, es zu eliminieren – in unseren Gewohnheiten wie in unseren Erzählungen. Die offensichtlichste Konsequenz ist, dass man mit dem Ruf nach dem starken Mann oder der starken Frau deren Herrschaft legitimiert. Damit bereitet man häufig nicht nur den Weg für den Ausbau von Machtstrukturen, sondern auch für deren eklatanten Missbrauch, wie man derzeit besonders anschaulich bei dem philippinischen Präsidenten Duterte beobachten kann. Manche starke Persönlichkeit ward gerufen und ersehnt, um dann mit Hilfe von Gewalt und Unterdrückung am Sessel der Macht festzukleben: Mugabe, Chavez, Erdogan …

Doch es kommen ja nicht nur Irre und Kriminelle in Amt und Würden aufgrund der Sehnsucht nach der starken Person. Kurz und Macron werden versuchen, das aus ihrer Sicht Beste zu tun für ihr Land. Und auch nur so lange, wie sie demokratisch legitimiert sind. Trotzdem sind sie ein Problem. Denn sie suggerieren durch ihr Auftreten und ihre Botschaften, dass sie in der Lage wären, grundlegende Probleme in den Griff zu bekommen. Der Blick in die Geschichte lehrt freilich, dass es ihnen niemals so gelingen wird, wie sie behaupten. Die Folge ist häufig, dass sich viele Menschen frustriert den noch simpleren Heilsbringern zuwenden, anstatt ihre Erwartungen an die Politik zurückzuschrauben. Es gibt dann eine Art Überbietungswettbewerb der Weltretter.

Macht korrumpiert auch die Untertanen

Ein weiteres Problem mit dem Konzept der starken Frauen und Männer ist, dass die Bürger immer mehr übersehen, vergessen und verdrängen, dass sie selber für die Lösung von Problemen zuständig sind. Das französische System wird sich nur reformieren, wenn sich bestimmte Mentalitäten ändern. Die USA werden erst dann „great again“, wenn sich der Unternehmergeist wieder breitmacht, der dieses Land zu seiner jetzigen Größe und Bedeutung geführt hat. Das Heil der Türkei liegt nicht in militärischer Stärke und der Unterdrückung von Minderheiten. Russlands Zukunft kann nicht auf Raketen bauen und Chinas nicht auf 4,3 Millionen Soldaten. Und Indiens Weg aus der Armut führt nicht über die Exklusion von Muslimen, sondern über gesicherte Eigentumsrechte. All die Lösungsvorschläge der Mächtigen führen dazu, dass Bürger ihre Verantwortung für das Gemeinwesen delegieren an die starken Männer. Und so korrumpiert Macht nicht nur diejenigen, die sie innehaben, sondern auch diejenigen, die sie anderen bereitwillig zugestehen. Die sich bequem zurücklehnen und ihr Schicksal in die Hand der Mächtigen legen.

Die wesentlichen Verbesserungen unseres Lebens sind nicht Ergebnis großer Taten großer Männer. Sie sind die Folge des Handelns vieler mutiger und optimistischer Individuen. Was Not tut in der Politik, sind nicht die „Retter des Abendlandes“ und „Anführerinnen der freien Welt“, sondern selbstbewusste Bürger, die sich Verantwortung weder abnehmen lassen noch sie abschieben. Marktwirtschaft, Rechtsstaat, Toleranz und Demokratie sind das Ergebnis des Engagements einzelner, die diese Werte und Prinzipien in ihrem Alltag leben. Wie der geniale schottische Philosoph Adam Ferguson einmal schrieb: sie sind „Ergebnis menschlichen Handelns, nicht menschlichen Planens“. Und darum kann die Lösung unserer Probleme auch nicht von den Mächtigen dieser Welt kommen. Wirklich verantwortungsbewusste Politiker werden keine umfassenden Heilsversprechen machen, sondern Bedingungen schaffen und Hürden beseitigen, damit die Bürger ihre Probleme selber lösen können.

Photo: Helena Lopes from Unsplash (CC 0)

Die sozialpolitische Diskussion in Deutschland verläuft etwas schief. Das zeigt die Diskussion um die Formulierung des neuen Gesundheitsministers Jens Spahn, der in einem Interview gesagt hat: „Die Tafeln tragen dafür Sorge, dass Lebensmittel nicht weggeworfen werden. Damit erfüllen sie eine wichtige Aufgabe und helfen Menschen, die auf jeden Euro achten müssen. Aber niemand müsste in Deutschland hungern, wenn es die Tafeln nicht gäbe. Wir haben eines der besten Sozialsysteme der Welt.“ Spahn hat durchaus recht damit. Zum einen ist es gut, dass Lebensmittel nicht weggeworfen werden, sondern Verwendung finden. Zum anderen ist es richtig, dass die Anzahl der Tafeln in Deutschland nichts über die Armut in Deutschland aussagt. Tatsächlich ist die soziale Grundsicherung, auch im Vergleich zu Nachbarstaaten, auf sehr hohem Niveau.

Doch befähigt unser Sozialsystem zur Selbsthilfe? Unser Sozialsystem erinnert ein Stück an die Geschichte von Sankt Martin, der seinen Mantel teilt, um ihn dem Bettler am Wegesrand zu schenken. Damit hat er erste Hilfe geleistet. Das ist wichtig und notwendig. Aber befähigt dies den Bettler ein selbstbestimmtes Leben zu führen? Wohl nicht. Ein liberales Gesellschaftsbild würde hier eher einen Unternehmer sehen, der den Bettler erstversorgt und ihm anschließend seinen Fähigkeiten entsprechend eine Arbeitsstelle im Unternehmen anbietet, die ihm erlaubt, eine Wohnung zu mieten und seine Familie zu ernähren. Hilfe zur Selbsthilfe ist dabei das Stichwort. Diesen Ansatz verstehen staatliche Institutionen zu wenig. Besser geeignet ist dafür eine aufgeweckte Bürgergesellschaft. Vielleicht erfährt diese Bürgergesellschaft bald wieder eine Renaissance. Anlass für diese Renaissance könnte der 130. Todestag von Friedrich Wilhelm Raiffeisen sein.

Die Not der Landbevölkerung veranlasste im 19. Jahrhundert Friedrich Wilhelm Raiffeisen zum Handeln. Als Bürgermeister von Weyerbusch (Westerwald) gründete er im Hungerwinter 1846/47 den „Verein für Selbstbeschaffung von Brod und Früchten“.

Mit Hilfe privater Spenden kaufte er u. a. Mehl. In einem selbsterrichteten Backhaus wurde Brot gebacken, das auf Vorschuss an die Bedürftigen verteilt wurde. Der „Brod-Verein“ und der „Heddesdorfer Wohltätigkeitsverein von 1864“ waren die ersten vorgenossenschaftlichen Zusammenschlüsse und der Beginn der weltweit erfolgreichen genossenschaftlichen Bewegung.

Ein anderes Jubiläum steht in diesem Jahr ebenfalls an. Vor 150 Jahren, am 04.07.1868, wurde das Genossenschaftsgesetz im Bundesgesetzblatt des Norddeutschen Bundes veröffentlicht. Es war das Ergebnis eines langen politischen Kampfes, den der Liberale Hermann Schulze-Delitzsch leidenschaftlich führte. Weil Arbeiter und Gewerbetreibende keine Kredite bekamen, um Investitionen zu tätigen, gründete Schulze-Delitzsch „Vorschussvereine“. Es waren die Vorläuferorganisationen der heutigen Volksbanken. Sie waren lokal verankert und kümmerten sich um die originären Themen, die ihre Mitglieder betrafen.

Der Sachse Schulze-Delitzsch wollte den „Vereinigungen der kleinen Leute“ die gleichen Rechte wie den „Vereinigungen der Wohlhabenden“ ermöglichen und diese von der „Willkür der Verwaltungsbehörden“ befreien. Diese Unabhängigkeit vom Staat setzte für ihn zwei wesentliche Dinge voraus: Zum einen die solidarische Hilfe der Genossenschaftsmitglieder für den gemeinsamen Zweck, aber gleichzeitig auch die solidarische Haftung aller Mitglieder (Genossen). Viel mehr an Regulierung brauchte es nicht und braucht es wohl auch künftig nicht. Das Genossenschaftswesen ist eine echte liberale Alternative zu den oftmals ineffizienten, unpersönlichen Gießkannenaktionen, die wir aus dem Bereich des Wohlfahrtsstaates nur allzu gut kennen. Sie ist eine dezentrale Antwort auf große und vielfältige sozialpolitische Herausforderungen. Der großartige Genossenschaftsgedanke verbindet zivilgesellschaftliches Engagement mit ökonomischer Tatkraft, wahrhaftige Solidarität mit Unternehmergeist. Anders als in einem anonymen Sozialstaatskonstrukt sind die Armen und Schwachen nicht bloß Bittsteller und Almosenempfänger, sondern eigenständige Individuen, die freiwillig kooperieren, um ihre Notlagen gemeinschaftlich zu lösen.

Kritisch hinterfragen muss man nicht nur die Ineffizienz der gegenwärtig bestehenden sozialstaatlichen Strukturen, sondern auch deren moralische Integrität. Ist Wachstum im Sozialstaat per se schon eine segensreiche Komponente? Wird unsere Gesellschaft durch einen immer schneller wachsenden Sozialstaat schon „sozialer“? Führt die etatistische Mentalität hierzulande, die sich durch die wachsende Anspruchshaltung gegenüber staatlichen Leistungen manifestiert, nicht letztendlich zu einem zu tiefst undemokratischen Verteilungskampf um die vorhandenen Ressourcen? Kann sozialer Frieden dadurch langfristig gewährleistet werden? Oder bedarf es hier nicht zivilgesellschaftlichen Engagements, das Probleme persönlicher und ehrlicher löst, als es der Staat jemals könnte?

Es zeigt sich, dass viele gesellschaftliche Probleme unserer Zeit auch privatwirtschaftlich zu lösen sind und nicht immer über klebrige und ineffiziente staatliche Umwege geleitet werden müssen. Vom staatlichen Umweg profitieren nämlich nicht die Bedürftigen selbst, sondern in erster Linie das bürokratische System. Denn wirklich sozial ist nicht der Staat, sondern der Einzelne durch sein selbstbestimmtes Handeln.

Erstmals veröffentlicht bei Tichys Einblick.

Medieninformation

Prometheus-Institut verleiht Negativ-Preis „Goldener Engel der Scheinheiligkeit“

Deutsche Umwelthilfe erhält Scheinheiligkeitspreis

Anspruch und Auftreten stehen in einem besonderen Missverhältnis zur Wirklichkeit

Berlin. Den Negativ-Preis „Goldener Engel der Scheinheiligkeit“ erhält in diesem Jahr die Deutsche Umwelthilfe e.V. Wie das auszeichnende Prometheus-Institut in Berlin mitteilt, erhält die Deutsche Umwelthilfe den erstmals verliehenen Preis dafür, dass bei ihr „Anspruch, Auftreten und Ansehen in einem besonderen Missverhältnis zur dahinterstehenden Wirklichkeit“ stehe.

So bezeichnet sich die Deutsche Umwelthilfe als „nichtstaatliche Umweltorganisation“, obwohl sie rund ein Fünftel ihres Budgets durch öffentliche Zuschüsse und Bußgelder finanziert. Darüber hinaus erzielt sie durch ihre Tätigkeit als „klageberechtigter Verbraucherschutzverein“ Einnahmen von fast 2,5 Mio. Euro (ca. 30 % des Jahresbudgets 2016), die ohne staatliche Unterstützung und Zertifizierung nicht möglich wären. Hierzu erklärt Frank Schäffler, Geschäftsführer von Prometheus: „Das ist die Scheinheiligkeit und Doppelmoral dieser angeblich nicht-staatlichen Organisation: Polemisch gegen den Staat und seine Vertreter wettern und gleichzeitig erheblich von staatlichen Zuwendungen und Privilegien profitieren.“

Ihre Kampagne gegen Diesel-Autos in Städten wird mit einer beißenden Rhetorik geführt. Wenn von „organisiertem Staatsversagen“ gesprochen wird, und behauptet wird, dass die Regierung „von Daimler, BMW und VW ferngesteuert“ sei, dann zeigt das eine Klassenkämpferrhetorik, die der gesellschaftlichen Spaltung Vorschub leistet.

Die Deutsche Umwelthilfe setzt in vielen Fällen nicht auf Kooperation und Überzeugungsarbeit, sondern nutzt staatliche Zwangsmittel zur Durchsetzung ihrer Ziele oder stellt sich sogar als Organisation dar, die hoheitliche Aufgaben übernimmt. In ihrem Jahresbericht 2017 beschreibt sie ihre Tätigkeit unter anderem folgendermaßen: „Die DUH überwacht inzwischen in vielen Bereichen gezwungenermaßen die Umsetzung der Umwelt- und Verbrauchergesetze und übernimmt damit die Aufgabe der staatlichen Überwachungsbehörden.“

Hier finden Sie den Brief mit der ausführlichen Begründung zur Preisverleihung: https://prometheusinstitut.de/goldener-engel-der-scheinheiligkeit-2018-deutsche-umwelthilfe/

Als PDF: https://prometheusinstitut.de/wp-content/uploads/2018/02/Begründung_Goldener-Engel-der-Scheinheiligkeit_2018_.pdf

Pressefoto des Goldenen Engels: https://prometheusinstitut.de/wp-content/uploads/2018/02/Prometheus_Engel-der-Scheinheiligkeit_Foto-1.jpg

Rückfragen gerne an info@prometheusinstitut.de oder telefonisch unter 030/23911073.