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Von Prof. Dr. Christian Hoffmann, Professor für Kommunikationswissenschaft an der Universität Leipzig und Mitglied des Kuratoriums von Prometheus, und Clemens Schneider.

Zivilgesellschaftliche Akteure tragen wesentlich dazu bei, die freiheitliche Ordnung unseres Landes mit Leben zu füllen. Damit stehen sie aber auch in einer besonderen Verantwortung. Dies gilt besonders für jene, die sich mit Fragen aus dem unmittelbaren Wirkungsbereich des Staates beschäftigen, die Nichtregierungsorganisationen (NGO).

Viele dieser NGOs leisten wertvolle Arbeit: sie bieten eine Plattform für Engagement, ermöglichen effektive Hilfe vor Ort, schaffen Aufmerksamkeit für gemeinsamen Handlungsbedarf und stellen sicher, dass Unterstützung auch dort ankommt, wo die grobe Kelle des Staates nicht hinreicht. Entsprechend gut ist ihr öffentlicher Ruf. In einer jüngsten Befragung der Universität Leipzig rangierte das Vertrauen der deutschen Öffentlichkeit in internationale NGOs knapp hinter Polizei und Bundeswehr, noch vor Gewerkschaften oder mittelständischen Unternehmen.

Ihr Nimbus als selbstlose und konstruktive Helfer ist jedoch zugleich eine Art Kollektivgut. NGOs wird viel Grundvertrauen entgegengebracht, weil ihnen als nicht gewinnorientierten Organisationen eine durch Selbstlosigkeit bedingte Anständigkeit unterstellt wird. Dies kann fragwürdige Akteure dazu verleiten, sich am Reputationskapital des Sektors unschädlich zu halten. Und Bürger, Unternehmen, Politik und Medien können Gefahr laufen, allzu unkritisch gegenüber solchen NGOs zu agieren.

Denn klar ist auch: NGOs besitzen diskursive Macht, die sich in politische und materielle Macht übersetzen kann. Umso wichtiger ist, dass genau hinschaut wird, bei oder mit wem man sich engagiert. Nicht alle Praktiken aller NGOs können nämlich als unbedenklich bezeichnet werden. Drei wesentliche Merkmale von NGOs sollen hier in den Blick genommen werden, von denen einzelne Akteure abweichen:

– NGOs setzen auf freiwillige Kooperation und Überzeugungsarbeit statt auf Zwang, wie ihn staatliche Stellen ausüben.

– NGOs belasten nicht die Steuerzahler, sondern finanzieren sich durch freiwillige Zuwendungen.

– NGOs stärken das Sozialkapital einer Gesellschaft, indem sie Menschen zusammenführen und Brücken zwischen gesellschaftlichen Gruppen bauen.

In der Praxis finden sich NGOs, die wenig von Kooperation oder Überzeugungsarbeit halten. Seit einigen Jahren wird das Verbandsklagerecht zu einem immer häufiger genutzten Mittel, um politische Ziele durchzusetzen. Der Gesetzgeber beschreibt diese Tätigkeit, die ihm die Möglichkeit bietet, Aufsichtspflichten an NGOs „outzusourcen“, als „Mitwirkung“. Durch diese institutionelle Kooptation gerät freilich deren Status als „Nichtregierungsorganisation“ ins Wanken.

Ein bemerkenswertes Beispiel dafür ist der „Verband Sozialer Wettbewerb“. Im Jahr 2016 wurde er in 1.826 Fällen aktiv. Dessen Arbeit hat dazu geführt, dass einer Brauerei untersagt wurde, ihr Bier als „bekömmlich“ zu bewerben, oder dass rein pflanzliche Produkte wie Sojamilch oder Tofukäse nicht mehr als Käse oder Milch bezeichnet werden dürfen. Anders als Organisationen wie „Foodwatch“ begleitet der Verband diese Tätigkeit auch nicht mit Öffentlichkeitsarbeit, so dass ein aufklärerischer Charakter völlig fehlt.

Viele politische NGOs lehnen die Annahme von staatlichen Mitteln grundsätzlich ab, etwa „Campact“. Andere nutzen dagegen gerne die Möglichkeiten, die üppig gefüllte öffentliche Fördertöpfe bieten. Etwa die Organisation „WEED“, die „zu einer globalen Energiewende sowie gerechteren weltwirtschaftlichen Beziehungen beitragen“ möchte. Im Jahr 2017 verzeichnet sie Einnahmen von 373.964 €, davon kamen mindestens 220.113 € (58 %) aus öffentlicher Hand. Zwischen 2008 und 2012 erhielt WEED von der EU Fördergelder in Höhe von 1.487.919 € bei einem Etat von 2.476.837 € im selben Zeitraum (60%).

Die „Deutsche Umwelthilfe“ erzielt einen erheblichen Teil ihres jährlichen Budgets durch staatliche Förderung und durch Gelder, die unter staatlicher Mitwirkung eingesammelt wurden: Zwischen 2011 und 2015 kamen 35 bis 42 % ihres siebenstelligen Jahresbudgets aus Fördermitteln. Kontinuierlich steigt der Anteil der Einnahmen aus Verbandsklagen: 2011 machten sie 19 % aus, 2012 waren sie auf 24 % gestiegen, und seit 2014 betragen sie gut 30 % des Budgets.

Wenn NGOs so eng mit staatlichen Stellen zusammenarbeiten oder in erheblichem Maße von öffentlicher Finanzierung abhängen, stellt sich die Frage, wieviel „N“ eigentlich noch im NGO steckt. Besonders problematisch erscheinen jene Organisationen, die vom Nimbus des Gemeinwohls zehrend eine knallharte politische Agenda verfolgen, die auf demokratischem Wege schwer durchsetzbar wäre.

Dafür werden Mittel eingesetzt, die im zivilisierten Diskurs der freiheitlichen Demokratie nichts verloren haben: Populismus, Unterstellungen, Beleidigungen und Verdrehungen der Wahrheit. Behauptungen wie „Freihandel tötet“; die von „Campact“ vertretene Aussage, CETA sei ein „Angriff auf die Demokratie“; die Drohung mit einem „Al Qaida für die Tiere“, die ein führender PETA-Mitarbeiter aussprach; oder Aussagen aus dem Jahresbericht der „Deutschen Umwelthilfe“, wo von Staatsversagen, rechtsfreien Räumen und einer von der Industrie gesteuerten Regierung die Rede ist. Wer die Ursachen für Diskursverrohung, gesellschaftliche Spaltung und „kreativen“ Umgang mit Fakten sucht, wird auch bei einigen NGOs fündig. Brücken werden hier weniger gebaut als verbrannt.

Umso wichtiger ist die Erkenntnis, dass NGOs – wenngleich weder profitorientiert noch Teil des Staates – erhebliche Macht besitzen. Macht bedarf stets auch der Kontrolle – sei es durch gemeinsame Verhaltensregeln und Aufsichtsorgane, sei es durch eine kritische(re) mediale Berichterstattung, sei es durch eine differenzierte Wachsamkeit der Bürger: NGOs könnten beispielsweise Obergrenzen für öffentliche Finanzierung definieren. Eine „Oxfam“-Studie bedarf derselben skeptischen Prüfung wie eine des Deutschen Arbeitgeberverbandes. Und nicht nur Akteuren am rechten Rand des politischen Spektrums muss im Falle „alternativer Fakten“ und Sprachverrohung entgegentreten werden.

Veröffentlicht in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung am 8. November 2018.

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Von Dr. Alexander Fink, Universität Leipzig, Senior Fellow des IREF – Institute for Research in Economic and Fiscal Issues und Fabian Kurz, Student der Volkswirtschaftslehre.

Der Gesetzgeber hat mit der Übertragung des Versorgungsauftrags auf die etablierte Ärzteschaft den Bock zum Gärtner gemacht. Hätten die Ärzte freie Standortwahl und würde jede Leistung an gesetzlich Versicherten finanziell honoriert, wären vor allem gesetzlich Versicherte besser versorgt als heute.

Ärzte, die in Deutschland gesetzlich Versicherte behandeln wollen, müssen Mitglied in einer Kassenärztlichen Vereinigung sein. Die Mitglieder der Kassenärztlichen Vereinigungen sind dabei in einer ungewöhnlichen Situation. Sie können beeinflussen, wie viel Konkurrenz sie von anderen Ärzten bekommen. Die Rechnung der etablierten Ärzteschaft ist recht simpel: Je mehr neue Praxen es gibt, desto weniger Geld bekommen die bestehenden Praxen.

Bedarfsplanung

Es gibt 17 kassenärztliche Vereinigungen. Für jedes Bundesland ist eine Kassenärztliche Vereinigung zuständig, nur in Nordrhein-Westfalen gibt es zwei. Die Kassenärztlichen Vereinigungen sind für die Versorgung der gut 72,2 Millionen gesetzlichen Versicherten verantwortlich. Unter anderem planen die einzelnen Kassenärztlichen Vereinigungen, wie viele Arztpraxen eines bestimmten Fachgebiets es in einer Region geben soll.

Die Kassenärztlichen Vereinigungen sind nach dem fünften Sozialgesetzbuch dazu verpflichtet, die Versorgung der gesetzlich Versicherten sicher zu stellen. Seit 1992 gibt es für die ambulante Behandlung eine Bedarfsplanung der Kassenärztlichen Vereinigungen. Diese basiert auf der Annahme, dass die Versorgung gewährleistet ist, wenn in einer Region ein bestimmtes Arzt-Einwohner-Verhältnis sichergestellt ist. Für Hausärzte zum Beispiel gilt, dass ein Arzt im Idealfall 1.671 Einwohner versorgt.

Für andere Fachärzte gilt kein bundesweites Verhältnis, sondern regionalspezifische Verhältniszahlen. So gelten beispielsweise in „stark mitversorgenden“ Regionen, zu meist Städte, 2.405 Kinder pro Kinderarzt als angemessen. In „stark mitversorgten“ Regionen dagegen gilt ein Verhältnis von 4.372 Kinder pro Kinderarzt als ausreichend. Die Verhältniszahlen werden nicht auf Grundlage wissenschaftlicher Erkenntnisse ermittelt, sondern spiegeln die Versorgungsverhältnisse eines bestimmten Stichtages wieder. Das Arzt-Einwohner-Verhältnis des 31.12.1990 gilt daher als „optimal“.

Liegt der Arzt-Einwohner-Quotient über 110 Prozent des „optimalen“ Niveaus, gilt eine Region als überversorgt. Liegt der Quotient unter 50 Prozent, beziehungsweise bei Hausärzten unter 75 Prozent, gilt eine Region als unterversorgt. In Regionen, in denen derart definiert eine Überversorgung herrscht – zumeist in städtischen Regionen – dürfen grundsätzlich keine neuen Ärzte ihre Dienste gesetzlich Versicherten zur Verfügung stellen. Die Region gilt für den überversorgten Fachbereich als gesperrt. Nur durch die Übernahme einer bereits bestehenden Praxis oder per Antrag auf Sonderbedarf kann ein Arzt sich in einer gesperrten Region niederlassen.

Keine direkte Abrechnung mit Kassen

Kassenärzte rechnen Leistungen für gesetzlich Versicherte nicht direkt mit deren Krankenkassen ab. Jede Kassenärztliche Vereinigung verhandelt einen fixen Betrag mit den Krankenkassen, der von ihr auf ihre jeweiligen Mitglieder verteilt wird. Die Kassenärztlichen Vereinigungen zahlten im Jahr 2015 über 35 Milliarden Euro an ihre Mitglieder aus.

Die jeweiligen Kassenärztlichen Vereinigungen verteilen die fixe Summe mit Hilfe eines Punktesystems an ihre Mitglieder. Erbringt ein Arzt eine Leistung, erhält er dafür entsprechende Punkte. Jedes Quartal wird der Wert eines Punktes in Euro festgelegt. Die Punkte können allerdings nur bis zu einer gewissen Obergrenze abgerechnet werden. Diese Obergrenze wird als Regelleistungsvolumen bezeichnet und berechnet sich im Wesentlichen aus der Fallzahl des Arztes im Vorjahresquartal. Wird das Regelleistungsvolumen überschritten, erhalten die Ärzte nur noch einen Bruchteil des ursprünglichen Punktwerts.

Auch Ärzte freuen sich nicht über Konkurrenz. Die Verteilung eines fixen Budgets führt jedoch dazu, dass die Ärzte einer Kassenärztlichen Vereinigung neuen Niederlassungen in ihrer Region noch kritischer gegenüberstehen.

Bedarfsplanung und Privatpatienten

Doch Kassenpatienten sind für Ärzte nicht die einzige Einnahmequelle. Auch Privatpatienten werden behandelt. Zudem können Ärzte bei Privatpatienten für identische Leistungen höhere Beträge in Rechnung stellen. Privatpatienten sind also besonders attraktive Patienten – finanziell gesehen.

Wenig überraschend zeigt eine Untersuchung der Universität München, dass sich Kassenärzte bevorzugt in Regionen niedergelassen haben, in denen ein hoher Anteil privat Versicherter wohnt. Dies sind vor allem urbane Gegenden – Regionen die von den Kassenärztlichen Vereinigungen häufig als überversorgt eingestuft werden. Neue Arztpraxen, die sowohl Kassenpatienten als auch Privatpatienten versorgen, können in den als überversorgt ausgewiesenen Regionen nicht mehr eröffnet werden. Dabei mag der Bedarf für weitere Arztpraxen dort sehr wohl bestehen, denn bei der Bedarfsplanung der Kassenärztlichen Vereinigung bleiben die privat versicherten Einwohner der Region unberücksichtigt. Erfreuliche Nebenwirkung für die etablierten Ärzte: Sie sind unter dem Deckmantel der Bedarfsplanung vor weiterer lästiger Konkurrenz geschützt.

Das Kartell wehrt sich

Scheren Mitglieder aus der Monopollogik aus, etwa indem sie versuchen, sich in gesperrten Gebieten mit Hilfe eines Sonderbedarfsantrags niederzulassen, können diese von den Kassenärztlichen Vereinigungen mit einer besonders intensiven Honorarprüfung sanktioniert werden.

Auch Krankenhäuser können niedergelassenen Ärzten Konkurrenz machen. Bieten Krankenhäuser ambulante Behandlungen an, reduziert dies die Auslastung umliegender Praxen. So ging die Berliner Kassenärztliche Vereinigung juristisch gegen ambulante Angebote von Berliner Krankenhäusern vor, darunter auch gegen Angebote des Deutschen Roten Kreuz. Die Berliner Kassenärztliche Vereinigung zwang schließlich das Rote Kreuz drei medizinische Behandlungszentren zu schließen. Einer besseren Versorgung der Patienten ist damit sicher nicht geholfen.

Freie Standortwahl: Versorgungssicherheit nicht gefährdet

Das Verhalten der Kassenärztlichen Vereinigungen ist schwerlich mit Hinweis auf die Interessen der Patienten zu erklären. Doch angesichts der Anreize, denen die Kassenärztlichen Vereinigungen und ihre Mitglieder ausgesetzt sind, verwundert ihr Gebaren nicht. Die Bedarfsplanung der Kassenärztlichen Vereinigungen sollte daher abgeschafft werden: Ärzten sollte es freistehen, Praxen am Ort ihrer Wahl zu eröffnen.

Die Befürworter der Bedarfsplanung würden gegen die freie Standortwahl einwenden, dass es dann zu einer Unterversorgung in manchen Gebieten käme. Die Erfahrung mit Zahnärzten und Apotheken spricht gegen diese Befürchtung. Seit April 2007 können Zahnärzte ohne Beschränkungen auf Grund von Bedarfsplänen ihren Standort frei wählen. Auf eine noch längere Erfahrung können Apotheken zurückblicken. Auch wenn der Apothekenmarkt nach wie vor hoch reguliert ist, dürfen sich Apotheker seit einem Urteil des Bundesverfassungsgerichts im Jahr 1958 am Ort ihrer Wahl niederlassen. Auch die Grundversorgung mit lebensnotwendigen Nahrungsmitteln hängt nicht von einer zentralen Bedarfsplanung der etablierten Lebensmittelgeschäfte ab.

Finanzielle Anreize zum Wohl der Patienten

Die 17 Kassenärztlichen Vereinigungen sollten zudem von der Aufgabe befreit werden, eine zuvor von den gesetzlichen Krankenkassen erhaltene Verteilungsmasse als Honorare unter der Ärzteschaft zu verteilen.

Die Arzthonorare könnten zwischen den gesetzlichen Krankenkassen und der Kassenärztlichen Bundesvereinigung ausgehandelt und von den Ärzten direkt mit den Krankenkassen abgerechnet werden. Dies ist schon jetzt gängige Praxis bei den privaten Krankenkassen. So wären die Umsätze einer Praxis nicht direkt abhängig von Obergrenzen oder dem Behandlungsvolumen bzw. der Anzahl anderer Ärzte der gleichen Kassenärztlichen Vereinigung.

Die gesetzlichen Krankenkassen könnten in einem solchen Rahmen Verhandlungsergebnisse anstreben, die mittels finanzieller Anreize dafür sorgen, dass die gewünschte Versorgung in allen Regionen gewährleistet ist – zum Beispiel durch höhere Honorare in ausgewählten Regionen. Den privaten Krankenkassen scheint der Einsatz finanzieller Anreize seit Jahren erfolgreich zu gelingen. Ärzte lassen sich gerne in Regionen mit vielen Privatpatienten nieder.

Den Bock zum Gärtner gemacht

Der Gesetzgeber hat mit der Übertragung des Versorgungsauftrags auf die etablierte Ärzteschaft den Bock zum Gärtner gemacht. Die regionalen Kassenärztlichen Vereinigungen nutzen ihre Planungshoheit hinsichtlich der Anzahl der Arztpraxen, um ihre eigenen Interessen zu verfolgen. Hätten die Ärzte freie Standortwahl und würde jede Leistung an gesetzlich Versicherten finanziell honoriert, wären vor allem gesetzlich Versicherte besser versorgt als heute.

Erstmals erschienen bei IREF.

Photo: Wynand van Poortvliet from Unsplash (CC 0)

Von Dr. Alexander Fink, Universität Leipzig, Senior Fellow des IREF – Institute for Research in Economic and Fiscal Issues und Fabian Kurz, Student der Volkswirtschaftslehre.

Als „CSR“ oder auch Corporate Social Responsibility wird die unterstellte unternehmerische Verantwortung gegenüber der sie umgebenden Gesellschaft bezeichnet. Die Entscheidung eine solche Unternehmenspolitik einzuführen, sollte in den Händen der Unternehmensführung liegen, und nicht über staatlichen Zwang forciert werden.

„Tue Gutes und sprich darüber“ ist seit dem letzten Jahr mit der Umsetzung der europäischen CSR-Richtlinie für Unternehmen ab 500 Mitarbeitern verpflichtend. Das Stichwort ist Corporate Social Responsibility. Die Unternehmen sind verpflichtet, jährlich über ihr freiwilliges Engagement zu berichten. CSR-Regeln sollen dafür sorgen, dass sich Unternehmen freiwillig über gesetzliche Bestimmungen hinaus für Sozial- und Umweltbelange einsetzen. Der Staat sollte sich jedoch auf seine Hauptaufgabe beschränken, Regeln zu definieren und durchzusetzen, die ein friedliches Zusammenleben ermöglichen. Eine Rechenschaftspflicht über „freiwillige“ wohltätige Verhaltensweisen gehört nicht dazu.

Was ist CSR?

Als Corporate Social Responsibility (CSR) wird die Verantwortung von Unternehmen für die Auswirkungen ihrer Handlungen auf die Gesellschaft bezeichnet. Darunter werden sowohl soziale als auch ökologische und ökonomische Aspekte des unternehmerischen Handelns verstanden. Viele Unternehmen verwenden den Begriff CSR und Nachhaltigkeit synonym. Das Engagement der Unternehmen geht dabei über die gesetzlichen Vorschriften hinaus. Die Aktivitäten sind vielfältig und reichen von Mitarbeiterzufriedenheit, Energieeffizienz oder Mindeststandards in der Lieferkette bis hin zu Spendenaktionen für Bedürftige.

Doch um eine ausschließlich freiwillige Übernahme von Verantwortung handelt es sich nicht mehr. Unternehmen müssen nicht mehr nur über ihre freiwilligen nicht-finanziellen Tätigkeiten berichten. Seit der letzten Reform des Vergaberechts im Jahr 2016 können CSR-Kriterien zudem in Vergabeanforderungen öffentlicher Ausschreibungen aufgenommen werden.

CSR: Billige und motivierte Mitarbeiter

Mit CSR-Aktvitäten verfolgen Unternehmen andere Ziele als zusätzliche Gewinne – so die Idee. Allerdings können CRS-Aktivitäten Nebenwirkungen haben, die nicht im Sinne der CSR-Idee sind.

So haben drei amerikanische Ökonomen den Effekt von CSR auf das Verhalten von Angestellten untersucht. Zunächst gründeten sie eine Firma und schalteten auf einem Internetportal verschiedene Jobangebote mit unterschiedlichen Lohnangaben. Zudem versahen die Wissenschaftler manche Jobbeschreibungen mit dem Zusatz, dass die Einnahmen der Firma dafür verwendet werden, unterprivilegierten Kindern den Zugang zu Bildung zu ermöglichen. Dieses Statement führte zu gut 33 Prozent mehr Bewerbungen im Vergleich zu normalen Jobanzeigen. Die gleiche Anzahl an Bewerbern konnte mit einem 27 Prozent geringeren Lohn gefunden werden.

Außerdem waren Bewerber auf Stellen mit CSR-Beschreibung anschließend 10 bis 25 Prozent produktiver. Möglicherweise signalisieren CSR-Regeln, dass ein Unternehmen ein angenehmer Arbeitgeber ist und sie veranlassen motivierte Bewerber dazu, einen geringeren Lohn zu akzeptieren. Es ist jedoch fraglich, ob geringere Löhne für besonders engagierte Personen von den politischen Unterstützern der CSR-Regeln beabsichtigt sind.

CSR: Lizenz für unmoralisches Verhalten?

Lassen sich durch CSR die Lohnkosten senken, spricht aus Unternehmenssicht einiges für CSR-Regeln. Doch ein Experiment von zwei amerikanischen Wissenschaftlern zeigt anschaulich, dass die Einführung von CSR-Regeln in einem Unternehmen unerwünschte Effekte auf die Qualität der Arbeit von Mitarbeitern haben kann.

Die Wissenschaftler gründeten ebenfalls eigens für das Experiment ein Unternehmen und warben auf einer Onlineplattform 3.000 Arbeitnehmer an, die eine relativ einfache Aufgabe erledigen sollten. Die amerikanischen Forscher fotografierten Seiten aus deutschen Büchern, die die amerikanischen Angestellten abtippen sollten. Dabei bestand die Möglichkeit, den Arbeitgeber zu betrügen. Wenn die Mitarbeiter den Text für unleserlich hielten, konnten sie das betreffende Foto überspringen und wurden trotzdem bezahlt. Die Texte waren alle leserlich. Wenn die Angestellten also ein Bild nicht abtippen, betrogen sie ihren Arbeitgeber.

Der Anteil der Betrugsfälle lag um 20 Prozent höher in der Gruppe der Mitarbeiter, die dachte, sie würde für einen sozial verantwortlichen Arbeitgeber arbeiten.

Dieses Phänomen wird auch als „moral-licensing“ bezeichnet. Menschen die überzeugt sind, in einem Bereich etwas Gutes getan zu haben, fühlen sich bei anderen Aktivitäten weniger zu moralischem Verhalten verpflichtet.

Verdeckter Lobbyismus

Zudem ist zweifelhaft, ob Unternehmen mit ihren CSR-Aktivitäten tatsächlich wohltätige Ziele verfolgen. Einige Firmen scheinen unter dem Deckmantel sozialer Aktivitäten Lobbyismus zu betreiben. Dies zeigen vier amerikanische Ökonomen in einem aktuellen Papier. Unternehmen spenden vor allem an gemeinnützige Organisationen in Kongressbezirken in den USA, deren Vertreter in einem für das Unternehmen wichtigen Ausschuss sitzen.

Aufgabe von Unternehmen und Aufgaben des Staates

In einer Marktwirtschaft hält der Wettbewerb unter Anbietern sie dazu an, ihren Kunden ein möglichst attraktives Produkt zu einem niedrigen Preis anzubieten und Ressourcen möglichst effizient einzusetzen – also nicht zu verschwenden. Das ist ihre primäre Aufgabe.

Wie die Unternehmen, sollte sich auch der Staat auf Aufgaben konzentrieren, die er relativ gut wahrnehmen kann. Zu seinen Kernaufgaben gehört, einen Regelrahmen zu setzen und durchzusetzen, der ein friedliches Zusammenleben ermöglicht. Schadhaftes Verhalten einzelner soll er unterbinden. Es gehört nicht zu den Staatsaufgaben, erwünschtes Verhalten beispielsweise in Form von CSR-Aktivitäten einzufordern.

Verantwortliches Handeln: Viele Gesichter

Für manche Unternehmen gilt die alte Weisheit, dass sie Gutes tun und darüber sprechen sollten – etwa, wenn Kunden diese Aktivitäten honorieren. Andere Unternehmen können zu der Überzeugung kommen, dass „Tue Gutes und schweig“ die richtige Strategie ist. Schließlich mögen einige Unternehmen gänzlich auf CSR verzichten, da für sie die Nachteile die Vorteile überwiegen.

Diese vielfältigen Entscheidungen sollte der Gesetzgeber im Falle unternehmerischer Entscheidungen ebenso respektieren wie im Falle individueller privater Entscheidungen. Unterschiedliche Entscheidungen bedeuten nicht, dass die einen verantwortlich handeln und die anderen nicht.

Für und Wider CSR gibt es gute Gründe. Eine staatlich verordnete Hochglanzbroschüre ist für verantwortliches unternehmerisches Handeln gewiss nicht nötig.

 

Zuerst erschienen bei IREF.

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Die Bereitschaft zum Experiment ist einer der wesentlichen Gründe dafür, dass unser Leben besser wird. Deshalb sind die Vorschläge des diesjährigen Wirtschafts-Nobelpreisträgers Paul Romer so wichtig. Wenn man ihnen folgen würde, könnten Inkubatoren des Fortschritts entstehen, die das Gesicht der Welt verändern würden.

Städte: Motoren der Zivilisation

Die Entwicklung von offenen Gesellschaften, technologischer Fortschritt, die Herrschaft des Rechts und der Wohlstand für alle sind meist in den Städten entstanden. Die großen Stadtkulturen – vom alten Griechenland über die Hanse und die italienischen Stadtstaaten bis hin zu den modernen Metropolen – waren von jeher Ausgangspunkte menschlicher Zivilisation. Es waren, wie die Ökonomin Deirdre McCloskey in einer dreibändigen Buchreihe beschreibt, die „bürgerlichen“ Tugenden und Werte, die letztlich dazu geführt haben, dass wir heute in einer Welt mit Gesundheitsversorgung, allgemeiner Bildung und Internet leben. Denn diese Städte haben nicht nur dem aufstrebenden Bürgertum politische Freiheit geschenkt, sondern auch als Zentren des Handels dazu geführt, dass deren Bewohner dem zähen Überlebenskampf eines Landlebens entkommen konnten.

Paul Romer, dem Anfang der Woche der Alfred-Nobel-Gedächtnispreis für Wirtschaftswissenschaften zugesprochen wurde, hat dieses Phänomen in einem seiner Lieblingsprojekte aufgegriffen. Er schlägt vor, in Entwicklungsländern die Gründung sogenannter „Charter Cities“ zu ermöglichen. Die Regierung des Landes würde in diesem Projekt ein Stück des eigenen Staatsgebietes – möglicherweise gegen Zahlung einer Pacht – einem anderen Staat oder einer Staatengemeinschaft zur Nutzung überlassen. Ähnlich wie es bis 1997 bei Hongkong der Fall war. Die Stadt würde dann unter der Gesetzgebung und Rechtsprechung eines Landes wie Kanada oder auch der EU stehen, was zu einer sehr viel höheren Rechtssicherheit führen würde als dies in den Ländern der Fall ist.

Freiräume schaffen für die Entwicklung neuer Ideen

Diese Städte, so Romers durch historische Erfahrung auch gut begründete Hypothese, würden wie Fortschritts-Inkubatoren auf die entsprechenden Staaten wirken. Wer heute in Nigeria oder Nicaragua eine pfiffige Idee oder Unternehmergeist hat, wird oft durch Korruption, Behördenwillkür und ausbeuterische Steuern und verschwenderische Ausgaben in seinem Fortkommen gehemmt. Wenn sie oder er die Möglichkeit hätten, unkompliziert in eine Charter City zu ziehen, könnte sehr viel mehr Innovation auf fruchtbaren Boden fallen als dies heute der Fall ist. Gerade auch in einem Zeitalter, in dem mehr Menschen auf der Flucht sind als jemals, kann dieses Konzept leicht modifiziert, eine wirklich nachhaltige Lösung bieten. Was wäre alles möglich in von der EU verwalteten Charter Cities in Jordanien oder der Türkei – verglichen mit dem Elend und der Perspektivlosigkeit jetziger Flüchtlingslager!

Man könnte den Gedanken sogar noch etwas weiterspinnen: Während Entwicklungsländer oft das Problem mit mangelnder Rechtssicherheit haben, sind Länder wie Deutschland oder Staatenzusammenschlüsse wie die EU in der Gefahr, einer überbordenden Verrechtlichung. Ein Übermaß an Bürokratie und Regulierung verhindert, dass die Innovationsdynamik so effizient einsetzen kann, wie es die Mischung aus Unternehmergeist, Bildung und Ressourcen in unseren Breitengraden nahelegen würde. Warum kann man nicht auch innerhalb der EU Städte oder Ballungsgebiete ausweisen, in denen abweichende Regulierungen ausprobiert werden, wie es Frank Schäffler hier bereits vor zweieinhalb Jahren vorgeschlagen hat? Ist der Wettbewerb wirklich eine solche Bedrohung?

Am Ende profitieren alle

Die Herausforderungen für den Fortschritt sind derzeit viele: Während die einen Innovation verhindern wollen, um vermeintlich Arbeitsplätze zu retten, ersticken die anderen sie in Regulierungen, um vermeintlich Verbraucher zu schützen. Unternehmer und Erfinder müssen sich mühsam freischwimmen in einer wahrlich nicht gerade innovationsfreundlichen Welt. Eine geradezu groteske Entwicklung, denn noch nie in der Geschichte der Menschheit waren die Vorzüge von Innovation so offensichtlich wie heute. Noch nie konnten wir ihren segensreichen Beitrag so zeitnah mitverfolgen: Die Hälfte der Menschheit ist unter 30 Jahren alt; und zu ihren Lebzeiten wurde das Internet eingeführt und der „Goldene Reis“ entwickelt, wurden Smartphones erfunden und Medikamente gegen AIDS erforscht.

Wenn wir diesen Fortschritt nicht hemmen oder gar zurückdrehen wollen, müssen wir uns Gedanken darüber machen, in welchem politischen Kontext er am besten gedeiht. Und da scheinen die heutigen Groß-Demokratien, die häufig Opfer von Interessengruppen und Populisten werden, zunehmend ein ebenso ungesunder Kontext zu werden wie Entwicklungsländer. Hier wie dort wären die von Paul Romer und anderen Vordenkern wie Patri Friedman oder Titus Gebel ersonnenen Konzepte von „Charter Cities“, „Seasteading“ oder „Private Cities“ interessante und vor allem realistische Alternativen. Sollten diese freien Städte Erfolg haben, dürften davon – wie schon früher in der Geschichte – am Ende alle profitieren. Denn wie schon Ludwig von Mises 1927 schrieb: „Aller Fortschritt der Menschheit vollzog sich stets in der Weise, dass eine kleine Minderheit von den Ideen und Gebräuchen der Mehrheit abzuweichen begann, bis schließlich ihr Beispiel die anderen zur Übernahme der Neuerung bewog.“

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Als Reaktion auf Chemnitz fordert die Bundesregierung ein neues Demokratie-Gesetz. Das verkennt das wahre Problem und überfrachtet die Demokratie mit vollkommen falschen Erwartungen.

Mehr Demokratie, weniger Chemnitz?

Die Bilder von Chemnitz haben viele Menschen in Deutschland und im Ausland erschüttert. Nicht nur die rassistischen Ausfälle gegenüber anders aussehenden Menschen, sondern auch die ausufernde Wut von Menschen, denen man so etwas einfach nicht zutraut. Inmitten von Skinheads und Thor Steinar Pullovern liefen, skandierten und schimpften jene Mitbürger, die man bis vor Kurzem noch uneingeschränkt zur sogenannten „bürgerlichen Mitte“ zählen konnte. Wähler der großen Volksparteien, die zwar nie mit allem zufrieden waren, doch um jede NPD-Demonstration einen großen Bogen gemacht hätten. Es wird gefährlich, wenn die Grenzen zwischen rechts, konservativ und fremdenfeindlich verwischen.

Das alles ist eine Katastrophe und sollte nicht wie von Sachsens Ministerpräsident Kretschmer mit linguistischen Feinheiten vom Tisch gewischt werden. Es ist eine Katastrophe, weil menschenverachtende Ideen zunehmend auch außerhalb des rechtsextremen Milieus verfangen. Und wie bei jeder Katastrophe, führt auch diese zu Hochkonjunktur in der Politik. Neben den üblichen und abgenutzten Forderungen nach mehr Polizei und besserer Integration wird auch die Demokratie wieder ins Spiel gebracht. So fordert Bundesfamilienministerin Giffey ein „Gesetz zur Demokratieförderung“: „Es ist auch die Aufgabe des Staates, die demokratische Bildung junger Menschen auf allen Ebenen zu organisieren“, so Giffey. Was auf den ersten Blick vernünftig klingt, offenbart ein fatales Missverständnis.

Die Demokratie ist ein Verfahren, kein Wert

Es gibt einen fundamentalen Unterschied zwischen dem, was die Demokratie als Institution leisten kann, und dem was die meisten Menschen ihr zuschreiben. Allzu häufig wird Demokratie gleichgesetzt mit den Werten, die in westlichen Demokratien verankert sind. Werte wie Freiheit, Gleichheit, Respekt. Werte, die der offenen Gesellschaft zu Grunde liegen. Das ist nichts Neues. Schon 1971 schrieb der österreichische Wirtschaftsnobelpreisträger Friedrich August von Hayek in der „Verfassung der Freiheit“:

Obwohl das Wort „demokratisch“ heute oft gebraucht wird, um gewisse gerade populäre Ziele, besonders gewisse egalitäre, zu bezeichnen, besteht kein notwendiger Zusammenhang zwischen Demokratie und irgend einer Ansicht darüber, wie die Macht der Mehrheit gebraucht werden soll.

Giffeys Forderung nach einem Demokratie-Förderungs-Gesetz zeigt: Daran hat sich bis heute nichts geändert. Die Demokratie ist das beste bekannte Verfahren, um zustimmungsfähige politische Entscheidungen zu treffen und sie ermöglicht zumeist einen friedlichen Herrschaftswechsel. Die Demokratie ist eine Institution, die den geordneten Wettbewerb zwischen politischen Ideen und deren Verfechtern ermöglicht. In Chemnitz hat derweil weder die gewaltvolle Machtergreifung eines Diktators noch eine gefälschte Wahl stattgefunden. Was haben pöbelnde und aggressive Mitbürger in Chemnitz also mit einem Demokratiedefizit zu tun? Wenig.

Das Problem der überladenen Demokratie

Dass nun die Bundesfamilienministerin die Vorfälle von Chemnitz auf mangelnde Demokratieerziehung in den Schulen zurückführt, ist nicht nur grundfalsch sondern auch fatal in der Wirkung. Eine derart mit falschen Erwartungen überladene Demokratie kann nämlich nur scheitern. Schließlich führt die Einführung von formellen Institutionen wie Wahlen, Gewaltenteilung und Minderheitenschutz nicht automatisch dazu, dass auch die Werte der offenen Gesellschaft Einzug in die Köpfe halten. Die Liste der formellen Demokratien, die weit davon entfernt sind, offene Gesellschaften zu sein, wird derzeit leider länger: Man denke nur an Russland, die Türkei oder gar Venezuela.

Letztendlich wenden sich enttäuschte Bürger, die ihre Wertvorstellungen nicht umgesetzt sehen, von der Demokratie ab, weil sie nicht das Gefühl haben, das diese Staatsform ihre Wünsche respektiert. Oder aber die Demokratie wird zum allumfassenden Rechtfertigungsinstrument. Glaubt man daran, dass demokratische Prozesse per se gute politische Ergebnisse nach sich ziehen, ist de facto jede Mehrheitsentscheidung wünschenswert. Etwas ist dann gut, weil es demokratisch beschlossen wurde. Beides ist gleichermaßen unheilvoll und mündet zwangsläufig in einer Beschränkung der individuellen Freiheit.

Es fehlt an Selbstverantwortung, nicht an Besuchsfahrten in den Bundestag

Sicher, eine gute Schulbildung muss die Kenntnis der staatlich-demokratischen Institutionen beinhalten. Doch eine solche Kenntnis schützt schwerlich vor Vorkommnissen wie in Chemnitz. Stattdessen bietet der Verweis auf mangelnde Demokratieerziehung eine willkommene Möglichkeit, Verantwortung abzugeben an Schulen und staatliche Organisationen. Das sollte gerade jemandem wie Ministerin Giffey doch zu denken geben, die als ehemalige Bezirksbürgermeisterin von Neukölln die Probleme sehr viel besser kennt als beflissene ARD-Kommentatoren. Viel wichtiger als jede weitere Besuchsfahrt in den Bundestag wäre es, die Werte der offenen Gesellschaft zu leben und vorzuleben.

Seien es die Eltern, die ihren Kindern erklären, warum es keinen Unterschied macht, welche Hautfarbe der Klassenkamerad hat. Sei es der Kollege, der beim Feierabendbier darauf hinweist, dass „die Flüchtlinge“ „uns“ keine Jobs „wegnehmen“. Oder sei es der Politiker, der aus Überzeugung für Toleranz und Humanität eintritt, und dies auch rechtfertigt, wenn die getroffenen Entscheidungen einmal unpopulär werden sollten. Letztendlich führt die Demokratie nur zu einer freiheitlichen Gesellschaft, wenn genügend Menschen für deren Werte einstehen. Und diese Aufgabe kann weder der Schullehrer noch die Bundeszentrale für politische Bildung übernehmen, sie obliegt uns allen.