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Als Deutschland im vergangenen November den 25. Jahrestag des Mauerfalls beging, war auch ein Team des US-amerikanischen Kanals ReasonTV vor Ort. Sie haben Clemens Schneider dazu befragt, wie heute in der deutschen Gesellschaft mit der DDR-Vergangenheit umgegangen wird.

„Leute vergessen einfach den Terror dieses Regimes. Sie vergessen, dass vor 25 Jahren Menschen tatsächlich auf die Straßen gingen und ihre Leben riskierten, weil sie es nicht mehr aushielten, 24 Stunden am Tag überwacht zu werden; in der Gefahr zu leben, ins Gefägnis zu kommen, gefoltert zu werden oder sogar erschossen zu werden, wenn sie das Land verlassen wollten“, so Schneider.

„Dieses Versprechen vom Paradies auf Erden kann tatsächlich nur um den Preis von Terror und Unterdrückung erkauft werden und um den Preis eines Regimes, das Leute nicht ihr eigenes Leben leben läßt, sondern vorschreibt, wie ein gutes Leben aussieht.“

Schneider resümiert: „Das wohl Wichtigste, was wir von den Ereignissen vor 25 Jahren lernen können, von den Demonstrationen hier in Berlin, ist: Dass Freiheit sich durchsetzt, hängt immer an den Menschen, die für Freiheit kämpfen. Eine Offene Gesellschaft lebt nur von denen, die sich für sie einsetzen.“

„Wir müssen ein neues liberales Programm anbieten, das sich an die Vorstellungskraft wendet. Wir müssen den Aufbau einer freien Gesellschaft wieder zu einem intellektuellen Abenteuer machen, zu einem Akt des Mutes. Was uns fehlt, ist eine liberale Utopie, ein Programm, das weder eine bloße Verteidigung bestehender Verhältnisse ist noch ein verwässerter Sozialismus, sondern ein wirklich liberaler Radikalismus, der die Mächtigen nicht schont, der nicht allzu pragmatisch ist, und der sich nicht auf das beschränkt, was heute politisch durchsetzbar erscheint. Wir brauchen intellektuelle Führungspersönlichkeiten, die bereit sind, sich für ein Ideal einzusetzen, mögen die Aussichten auf ihre baldige Umsetzung auch noch so gering sein. Es müssen Menschen sein, die bereit sind, an ihren Prinzipien festzuhalten und für deren volle Verwirklichung zu kämpfen, mag der Weg auch noch so lang erscheinen.
Die Aussichten für die Freiheit sind in der Tat dunkel, wenn es uns nicht gelingt, die philosophischen Begründungen einer freien Gesellschaft wieder in den intellektuellen Diskurs einzubringen; wenn es uns nicht gelingt, die Einrichtung einer freien Gesellschaft zu einer Aufgabe zu machen, die die Genialität und Vorstellungskraft unserer fähigsten Köpfe herausfordert. Wenn es uns aber gelingt, jenen Glauben an die Kraft der Ideen wiederzuerlangen, der das Kennzeichen des Liberalismus zu seinen Glanzzeiten war, dann ist der Kampf nicht verloren.“

Friedrich A. von Hayek, The Intellectuals and Socialism

„Was uns fehlt, ist eine liberale Utopie“

Uns treibt eine Vision an und um. Die Vision einer freien Gesellschaft. Wir verfolgen, wie Hayek es so wunderbar beschreibt, eine „liberale Utopie“. In seinen oben zitierten Worten ist genau das beschrieben, was wir mit „Prometheus“ sein und machen wollen: Vordenker sein; einen liberalen Radikalismus vertreten; uns für ein Ideal einsetzen; und Mut und Geduld aufbringen, die dafür erforderlich sein werden.

Eine Utopie ist eine Vorstellung von etwas, das noch nicht existiert. Nicht, wie manche meinen, von etwas, das nicht existieren kann. Menschen wie William Wilberforce, Richard Cobden oder Louise Otto-Peters haben maßgeblich dazu beigetragen, dass ihre Utopien zur Realität wurden. Es ist durchaus sinnvoll, sich Utopien zu verschreiben, die realistischer Weise auch verwirklicht werden können. Eine Gesellschaft, in der Selbstverantwortung und Freiheit einen höheren Stellenwert einnehmen, ist derzeit eine Utopie – aber eben eine, die man verwirklichen kann.

„Weder eine bloße Verteidigung bestehender Verhältnisse noch ein verwässerter Sozialismus“

Die Gegner und Feinde einer offenen Gesellschaft sitzen an beiden Enden des politischen Spektrums. Es sind die Sozialingenieure jeder Couleur. Es sind diejenigen, die am Reißbrett eine schöne neue Welt erschaffen wollen, die sich natürlich komplett nach ihren Idealen ausrichtet. Und genauso sind es diejenigen, die der Entwicklungsfähigkeit des Menschen zutiefst misstrauen und einen vergangenen Zustand mit Macht erhalten oder wiederherstellen wollen.

Wir hingegen wollen nicht einstimmen in den ängstlichen Chor derer, die befürchten, die Dinge und vor allem die Menschen nicht mehr unter Kontrolle zu haben. Wir wollen uns aufmachen zu dem „intellektuellen Abenteuer“, von dem Hayek schreibt. Wir sind bereit, wie Karl Popper es so treffend formulierte, „ins Unbekannte, ins Ungewisse und ins Unsichere weiterzuschreiten.“ Diese Bereitschaft war schon immer der Nährboden der Freiheit.

„Die Einrichtung einer freien Gesellschaft zu einer Aufgabe zu machen“

Marktwirtschaft ist zweifellos eine wesentliche Säule des freiheitlichen Denkens. Ganz besonders deshalb, weil sie Ausdruck eines Prinzips menschlicher Interaktion ist, das weit über den Handel hinausgeht. Dennoch ist der Liberalismus meistens schlecht gefahren, wenn er sich als „crony liberalism“ ausschließlich zum Interessenvertreter derjenigen gemacht hat, die von Linken gemeinhin als Kapitalisten bezeichnet werden. Das Universum der Freiheit hat noch so viel mehr zu bieten!

Es gilt, den Rechtsstaat gegen diejenigen zu verteidigen, die Staat und Politik über das Prinzip des Rechts stellen wollen. Wir müssen werben für das eigentliche Wesen der Demokratie, das – so Lord Acton – darin besteht, dass jeder Bürger Wächter seiner eigenen Interessen sein kann. Wir sollten uns einsetzen für eine Gesellschaft, in der Menschen ihren eigenen Wertvorstellungen entsprechend leben können – nicht unter der Fuchtel der linken und rechten Sozialingenieure. Wir setzen uns nicht nur für die Freiheit des Marktes ein, sondern für eine freie Gesellschaft.

„Jenen Glauben an die Kraft der Ideen wiedererlangen“

Wir dürfen freilich nicht den Fehler machen, von vornherein die Fragen zu verwerfen, die unsere linken und rechten Gegner stellen, nur weil uns ihre Lösungsvorschläge nicht gefallen. Stattdessen müssen wir nach freiheitlichen Antworten suchen auf die Fragen, die oft genug sehr legitim sind. Der Schutz unserer Umwelt, die faire Behandlung von allen Menschen, ein friedliches Zusammenleben in unserem Land und darüber hinaus, Wohlstand für alle – das sind alles Ziele, die wir auch mit unseren politischen Gegnern teilen. Und es sind richtige Ziele. Arbeiten wir daran, Lösungen zu finden, die uns tatsächlich diesen Zielen näher bringen und nicht auf Kosten der Freiheit gehen!

Wir möchten uns auch dafür einsetzen, die Kraft der Freiheit erlebbar zu machen. Nur zu verkünden, dass Staat und Politik sich zu Unrecht Aufgaben anmaßen, reicht nicht aus. Es muss anschauliche Gegenkonzepte geben – „Freiheitsinseln“, wie sie Frank Schäffler so schön nennt. Ziel ist es nicht, den Staat zu zerstören – Ziel ist es, den Staat überflüssig zu machen.

„Ein neues liberales Programm anbieten, das sich an die Vorstellungskraft wendet“

Schon Ludwig von Mises hat in seiner Schrift „Liberalismus“ vor einer lethargischen und letztlich denkfaulen Nostalgie gewarnt: „Ebenso wenig kann es heute genügen, den Liberalismus aus den Schiften seiner großen Begründer zu studieren. Der Liberalismus ist keine abgeschlossene Lehre, er ist kein starres Dogma; er ist das Gegenteil von all dem.“ Die Arbeit von Prometheus wird auch ein Lernprozess sein. Wir werden nicht von Anfang an alles richtig machen. Der Markt ist ein Entdeckungsverfahren und wir lassen uns im Wettbewerb der Ideen auf diesen Markt ein, in der Hoffnung uns zu verbessern.

Ganz wesentlich gehört dazu, die richtige Sprache zu finden. Wir dürfen nicht stehenbleiben bei Adam Smith und John Locke oder bei Mises oder Hayek – so wichtig diese alle für unser Denken sind. Ihre Gedanken müssen in einer Sprache und in Bildern formuliert werden, die heute Menschen ansprechen. Und natürlich müssen wir sie auch weiterdenken, so wie sie selber weitergedacht haben. Die Macht von Bildern kann kaum überschätzt werden. Und es gibt sehr viele Bilder, die uns unsere Gegner entrissen haben. Wir sollten sie zurückholen: Der Kampf der Kleinen gegen die Großen und der Schwachen gegen die Mächtigen; der Wert menschlicher Solidarität; die Vision einer besseren Zukunft – das sind alles Bilder, die wir nutzen können und sollten!

„… dann ist der Kampf nicht verloren“

Die Lage des Liberalismus krankt auch daran, dass es eine gewisse Tendenz zur Lethargie gibt. Viele Freunde der Freiheit glauben, dass sie ohnehin nichts ausrichten können. Geradezu schädlich wird es, wenn man sich nur noch ständig selbst bestätigt, wie sehr man doch Recht hat und sich in der Folge zum Richter über andere aufschwingt – über Gegner wie über Mitstreiter. Veränderung ereignet sich nur, wenn Menschen handeln. Die Freiheit braucht Zupacker, nicht Nörgler. Wir wollen mit Prometheus unseren Beitrag dazu leisten, dass sich wirklich etwas tut in unserer Gesellschaft. Wir müssen aufhören, uns nur um uns selbst zu drehen und müssen unsere Ideale auf die Straßen und Plätze tragen, damit auch andere Menschen sie kennenlernen und sich dafür begeistern können.

Die freiheitliche Bewegung muss wieder zur Avantgarde werden. Sie muss neue Ideen liefern, die an Hirn und Herz der Menschen appellieren. Wie die großen Helden der Freiheit müssen wir die Herzen der Menschen gewinnen, indem wir attraktive Alternativen im Denken und Handeln anbieten. Schon 1927 stellte Ludwig von Mises fest: „Aller Fortschritt der Menschheit vollzog sich stets in der Weise, dass eine kleine Minderheit von den Ideen und Gebräuchen der Mehrheit abzuweichen begann, bis schließlich ihr Beispiel die anderen zur Übernahme der Neuerung bewog.“

All das schaffen wir nicht alleine – selbst dann nicht, wenn Prometheus größer geworden sein wird. Wir setzen auf alle, denen die Freiheit ein Herzensanliegen ist. Wir setzen auf Euch! Zusammen lässt sich ein gesellschaftlicher Wandel durchsetzen und das Tor der Freiheit aufstoßen. Was Hayek schon im Jahr 1949 schrieb, gilt auch heute noch: Wenn wir Mut, Geduld und Idealismus aufbringen, dann ist der Kampf nicht verloren!

Der Sage nach brachte der Titan Prometheus den Menschen das Feuer, das ihnen der Göttervater Zeus als letzte Gabe zu einem guten Leben versagen wollte. Ab heute wollen wir mit „Prometheus – Das Freiheitsinstitut“ bei Ihnen das Feuer der Freiheit entfachen, um den vergötterten Vater Staat in seine Schranken zu weisen.

Wir leben in einer Zeit der geistigen Monokultur, wo der Wert der individuellen Freiheit vergessen scheint. Die Saat der staatlichen Willkür hat überall ihre Wurzeln geschlagen. Heraus kommt immer das gleiche Gestrüpp: Paragraphen und Vorschriften. Doch wenn immer das gleiche Saatgut in den Köpfen der Menschen gepflanzt wird, verkümmert die Bereitschaft, neue, andere Wege zu gehen. Freiheit schwindet und wird vergessen.

Prometheus – Das Freiheitsinstitut“ will Freiheitskeime pflanzen. Diese Freiheitskeime sollen sprießen und sich entwickeln – überall. Wir wollen sie gießen, düngen, hegen und pflegen, so dass sie irgendwann zu großen und starken Pflanzen der Freiheit werden. Diese Pflanzen heißen individuelle Freiheit, Recht und Marktwirtschaft. Sie gedeihen besonders gut auf dem Feld der offenen Gesellschaft. Wir wollen die geistige Monokultur durch eine vielfältige Fruchtfolge bekämpfen. Die verschieden Früchte heißen Freihandel, Non-Zentrismus, Selbstverantwortung, Bürgergesellschaft und offene Grenzen.

Unseren ersten Freiheitskeim pflanzt Dr. Thomas Mayer, der Gründungsdirektor des Flossbach von Storch Research Institute und Kuratoriumsvorsitzender von „Prometheus – Das Freiheitsinstitut“.

Wir freuen uns auf den Austausch mit Ihnen über unsere neue Homepage, auf Facebook, Twitter oder bei einer persönlichen Begegnung.

Helfen Sie uns, Freiheitskeime in Deutschland zu pflanzen. Nur wer pflanzt, kann auch die Früchte der Freiheit ernten.

Photo: Gene Selkov from Flickr

Als ich gestern Abend das Haus verließ, wühlte ein Schwarzer in einer Mülltonne vor meinem Haus. Da ging ein junges Paar mit beherzten Schritten auf ihn zu. Ich erkannte die Tüte, die sie mit sich trugen, weil ich mir selbst ab und zu bei dem Italiener um die Ecke Nudeln hole. Als wäre es das Selbstverständlichste in der Welt boten sie dem Mann die Nudeln an.

Das ist Deutschland. Nicht die lärmenden Pegida-Demonstranten in Dresden. Die Berichterstattung der Medien könnte bisweilen einen ziemlich anderen Eindruck entstehen lassen. Dem muss man entgegentreten.

Die meisten sind hilfsbereit, nicht ängstlich

Zehntausende von Menschen haben in den letzten Wochen Zeit, Geld und viel Herz aufgewendet, um den Flüchtlingen zu helfen, die in unser Land kommen. Aber nicht diese viel größere Menge schafft es auf die Titelblätter der Zeitungen und in die Nachrichtensendungen.

Sowohl die vielgeschmähte „Lügenpresse“ als auch die verhasste „Politikerkaste“ verhilft einer lärmenden Minderheit zu einer völlig überproportionalen Präsenz im öffentlichen Diskurs. Dabei übersteigt allein schon bei den Demonstrationen jenseits von Dresden die Zahl der Gegner die der Anhänger von Pegida oft um ein Vielfaches.

Und da sind noch nicht einmal diejenigen berücksichtigt, die nicht auf die Straße gehen, sondern Hand anlegen: Die Flüchtlingen bei Behördengängen unterstützen, die bei der Kinderbetreuung helfen, die Kleidersammlungen organisieren oder für eine Grundausstattung in Flüchtlingsheimen sorgen. Das Land ist voll von hilfsbereiten Menschen – im Kleinen wie im Großen. Und doch richtet sich viel mehr Aufmerksamkeit auf eine lärmende Minderheit. Das verzerrt unsere Wahrnehmung.

Weder Pegida noch Islamisten sind repräsentativ

Verzerrte Wahrnehmung ist aber auch das Problem, das viele Menschen überhaupt erst zu den Pegida-Demonstrationen treibt. Jedes Kind weiß inzwischen, dass gerade in Sachsen der Ausländeranteil mit unter 3 Prozent signifikant niedrig ist – und auch nur eine Minderheit dieser Ausländer Muslime sind. Dass der Anteil der muslimischen Bevölkerung im eigenen Land notorisch überschätzt wird, ist aber durchaus ein Phänomen, das in der gesamten westlichen Welt zu beobachten ist.

Eine große Rolle spielen bei dieser verzerrten Wahrnehmung Ereignisse wie der furchtbare Anschlag auf „Charlie Hebdo“ am Mittwoch in Paris. Unter dem Banner des Islams werden immer wieder Anschläge geplant und leider auch verübt. Dabei sind diese Terroristen im Vergleich zur muslimischen Gesamtbevölkerung wiederum eine verschwindend kleine Minderheit.

Eine überwältigende Mehrheit der Muslime in westlichen Ländern sind ebenso friedliche und auch hilfsbereite Menschen wie die überwältigende Mehrheit ihrer atheistischen oder christlichen Mitbürger. Allerdings sind die Terroristen eben auch eine lärmende Minderheit – viel kleiner noch als die Pegida-Demonstranten, aber im Gegensatz zu diesen brutal, grausam und barbarisch.

Richten wir unsere Aufmerksamkeit mehr auf Liebe als auf Hass!

Pegida und Islamisten sind nicht repräsentativ für Deutsche und Muslime. Aber sie tragen dazu bei, dass eine Spirale der Aggression entsteht. Es liegen Welten zwischen dem verängstigten Rentner aus Dresden und dem hasszerfressenen Attentäter von Paris.

Dennoch geht von beiden eine Bedrohung unserer freien und offenen Gesellschaft aus, auf die wir reagieren müssen. Beide stellen die Idee einer weltoffenen und toleranten Gemeinschaft in Frage – die einen aufgewühlt von Angst, die anderen besessen von Hass. Zum Glück ist diese offene Gesellschaft trotz aller Gefährdung Realität. Sie ist eine Realität, die in Worten und Taten von unzähligen Menschen geschaffen und verteidigt wird.

Es wäre eine vornehme Aufgabe derjenigen, die den öffentlichen Diskurs maßgeblich bestimmen – also der Medien, der Intellektuellen, der Politiker -, dieser Mehrheit in unserem Land eine lautere Stimme zu geben, die unaufgeregt und still unsere Werte lebt und damit verteidigt.

Sprechen wir mehr über die Menschen, die Flüchtlingen helfen. Sprechen wir mehr über die Muslime in unserem Land, die als unsere Nachbarn und Freunde, als unsere Zahnärztin, unser Straßenkehrer oder unsere Kioskbetreiberin unser Leben bereichern. Überlassen wir nicht denjenigen das Feld, die am lautesten schreien.

Natürlich muss man die Gefahren ernst nehmen, die von den Feinden der offenen Gesellschaft ausgehen. Dennoch: die helfende Hand, die Bereitschaft des einzelnen zu Toleranz und Frieden sind wohl ungleich wirksamere Mittel gegen diese Feinde als alle öffentlichen Beteuerungen, Verurteilungen oder Distanzierungen.

Im November 2011 titelte „Charlie Hebdo“ mit dem Bild eines Muslims und eines Karikaturisten bei einem leidenschaftlichen Zungenkuss. Darüber steht: „Die Liebe ist stärker als der Hass“. Diese Botschaft ist das Erfolgsrezept unserer offenen Gesellschaft. Treten wir mit allen uns zur Verfügung stehenden Mitteln dafür ein!

Photo: ID Number THX 1139 from Flickr

Für eine neue Freiheitsagenda!

Der Beginn des 21. Jahrhunderts scheint als paternalistisches Jahrhundert in die Geschichte einzugehen. Die Marktwirtschaft wird für die Exzesse in der Finanzwelt verantwortlich gemacht und das Eigentum unter staatliche Kuratel gestellt. Kein noch so kleines Sparbuch kann heute eröffnet werden, ohne vorher bibeldicke Verbraucherinformationen zur Kenntnis zu nehmen. Kein Normalverdiener kann heute ausreichend Vorsorge für sein Alter betreiben, weil die Notenbanken den Zins marginalisieren. Jedes private Problem wird vom fürsorgenden Wohlfahrtsstaat „abgeholt“, der Nachwuchs von morgens bis abends betreut, der Erziehungsauftrag verstaatlicht. Das Gesundheitsamt überwacht die Kindervorsorgeuntersuchung, das Schulamt sorgt für ein ökologisch vollwertiges Mittagessen in der verpflichtenden Ganztagsschule und das Jugendamt bespaßt in den Schulferien die daheimgebliebenen Kinder. Mit der „Klimareligion“ gewinnt eine neue okkulte Ersatzreligion die Oberhand. Kein Haus, kein Auto und keine Urlaubsreise kann heute erworben oder angetreten werden, ohne mit einem oktroyierten schlechten Gewissen den eigenen Beitrag zur Rettung des Weltklimas zu leisten und damit dem menschgemachten Fegefeuer zu entgehen.

Es sind aktuell drei Grundlinien, die die Politik in Deutschland bestimmen: Es ist erstens die Furcht vor Veränderung gegenüber der Zuversicht auf Neues und Unbekanntes.

Es ist zweitens der Vorrang der „richtigen“ Autoritäten gegenüber klaren Ordnungsprinzipien. Dabei unterscheiden sich die konservativen Vorstellungen von Union bis AfD nur insofern von der Linken, als dass die Konservativen eine andere Art der Bevormundung des Einzelnen anstreben.

Und es ist drittens der  starke und mächtige Staat, den Linke – heißen sie Gabriel, Gysi oder Hofreiter – und Konservative –  heißen sie Schäuble oder Lucke – gemeinsam anstreben. Dies auch um den Preis, dass der Zweck die Mittel heiligt. Sie wollen das Gleiche – den fürsorgenden Sozialstaat. Nur die Handelnden sind andere.

Die Freiheitsidee des 19. Jahrhunderts war eine andere. Die klassischen Liberalen wollten die Macht vom König auf das Parlament und den Einzelnen übertragen. Sie waren für Freihandel und gegen den Schutz der Industrie und Landwirtschaft durch Zölle und Subventionen. Sie waren gegen den aufkommenden Wohlfahrtsstaat und für Hilfe zur Selbsthilfe. Das von ihnen mitbegründete Genossenschaftswesen hat seither alle Staatsformen, Regierungen und selbst Weltkriege überstanden und ist heute noch als Idee im Bankwesen, im Mittelstand und in der Landwirtschaft aktuell. Diese damals als Linksliberale bezeichneten Vorreiter waren gegen die Kolonialpolitik mit ihrem Militarismus – und für ein Selbstbestimmungsrecht aller Völker.

Auf die heutige Zeit übertragen müsste sich eine neue freiheitliche Agenda an festen und unerschütterlichen Grundsätzen orientieren.

Erstens: Machtteilung durch Gegenmacht in Parlament und Gesellschaft. Zweitens: Ein Primat von Recht und Freiheit statt eines Primats der Politik. Drittens: Marktwirtschaft und Freihandel statt einer Willkür und Abschottung durch den Staat.

Und Viertens: Einen Non-Zentralismus als Wettbewerb der Ideen.

Im Deutschland des 19. Jahrhunderts war das Ideal der Fortschrittspartei und später der Freisinnigenpartei, dessen wortgewaltiger Kopf Eugen Richter war,  die Gleichheit vor dem Recht. Später verwässerten Liberale diesen Grundsatz, indem sie Gerechtigkeit nicht mehr als „Gleichheit vor dem Recht“ interpretierten, sondern in „Chancengerechtigkeit“ umdeuteten und damit den Weg in den Wohlfahrtsstaat, dessen Allzuständigkeit und Verschuldung bereiteten. Es sollte zur Versöhnung des Liberalismus mit dem Sozialismus führen, der „Chancengerechtigkeit“ stets als Chance zur Umverteilung verstanden hat, um damit „bessere Ergebnisse“ zu erzielen. Dieser Liberalismus wird in Deutschland, aber auch darüber hinaus nicht mehr gebraucht und ist für die aktuelle „Schwächephase“ der FDP verantwortlich. Was es braucht, ist eine neue liberale Agenda im Eugen Richterschen Sinne: Eine Rückbesinnung auf die große Tradition der Fortschrittspartei und des Freisinns in Deutschland.

Aus den oben genannten Grundsätzen ließe sich eine Freiheitsagenda formulieren, die für Freihandel, offene Grenzen und ein Sezessionsrecht steht. Dabei entscheidet der Einzelne selbst, wo und wie er lebt, arbeitet, konsumiert oder investiert – und nicht der Staat.

Die Vielheit ist das Ziel, nicht deren Abschaffung. Im modernen Staat geht es um eine Begrenzung von Macht durch Teilung derselben. „Dezentral vor zentral“, „klein statt groß“, „Vielfalt statt Einfalt“ und „Privat kommt vor Staat“ sind die Maximen der Machtbegrenzung. Und es ist die direkte Demokratie als Gegenmacht zur Machtkonzentration bei Wenigen im Parlament und Regierung.

Dies gilt auch für die Bildungsfreiheit. Der Einzelne oder seine ihm Nächsten entscheiden über Bildungsinhalt, -zeitpunkt, -ort und –finanzierung – nicht der Staat.

Sie ist auch die Grundlage für eine wirklich Religionsfreiheit. Denn dort entscheidet der Einzelne, ob und wie er seinen Glauben lebt und wie er seine Kirchen, Moscheen oder Tempel  finanziert und unterstützt. Das Eigentum, die Versammlungsfreiheit und die Religionsausübung sind geschützt. Die Finanzierung der Religionsgemeinschaften erfolgt ohne den Staat und seine Mithilfe.

Und dieser konsequente Individualismus muss auch in der digitalen Welt durchgesetzt werden. Der Staat sammelt keine Daten seiner Bürger und es geht ihn auch nichts an, wer über die Autobahnen der digitalen Welt fährt.

Die Liberalen müssen an die Wurzel der immer wiederkehrenden Finanzkrisen heran und dürfen sich nicht mit einer mangelnden oder falschen Regulierung der Finanzmärkte zufrieden geben. Die Verwerfungen sind eine Krise des staatlichen Geldmonopols, das dem Staat über die Banken erlaubt, beliebig billiges Geld in Umlauf zu bringen. Die Folge dieser Alchemie des Geldes sind die immer größeren und schneller wiederkehrenden Blasen an den Immobilien- und Aktienmärkten. Das Platzen dieser Blasen nutzen die Banken, um den Staat und die Steuerzahler fortwährend zu erpressen. Die Antwort darauf muss das Zulassen von Insolvenzen von Staaten und Banken sein, verbunden mit einem Wettbewerb um gutes Geld, das die EZB überflüssig macht und private Geldemittenten nicht diskriminiert.

Und was für das Geld gilt, muss auch in der übrigen Wirtschaft durchgesetzt werden. Eine Marktwirtschaft beruht auf Freiwilligkeit und verträgt sich nicht mit Kammerzwang in Industrie, Handwerk und freien Berufen. Und eine freiheitliche Gesellschaft verträgt sich erst recht nicht mit Zwangsbeiträgen für öffentliche Rundfunkanstalten.

Ebenso muss eine Freiheitsagenda Schluss machen mit einer auf der Klimareligion basierenden Energiewende. Sie ist reine Ideologie, führt zur Zwangsbeglückung der Bürger und zerstört Natur, Umwelt und die Arbeitsgrundlage von Millionen Menschen. Alle diese Eingriffe sind letztlich Verstöße gegen das Recht und den Schutz des Eigentums. Es wird in den Einzelfall eingegriffen und damit das Eigentum beschränkt anstatt allgemeine, abstrakte und für alle gleiche Regeln zu schaffen.

Diese wenigen Leitsätze wären eine Freiheitsagenda für eine neue liberale Partei, die unverwechselbar wäre. Sie wäre eine wirkliche Gegenmacht zu den Sozialisten in allen Parteien – die Herz-Jesu-Sozialisten, die Ökosozialisten, sozialen Zentralisten, die nationalen Sozialisten, die andauernden Steuererhöher, die Subventionsgrabscher, die Ober-Planer, die konservativen Beckenrandschwimmer, die ewigen Geldausgeber und die nimmersatten Umverteiler. Der Kampf für diese Ideen fängt jetzt erst richtig an.

Dieses Essay erschien zuerst in der Samstagsausgabe der Zeitung “Die Welt” am 11.10.2014

Photo: Archana Jarajapu from Flickr