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Welche Rolle auch immer Wladimir Putin im Fall des ermordeten Oppositionellen Boris Nemzow gespielt hat, eines steht zweifellos fest: Seine Politik in den vergangenen 15 Jahren hat wesentlich dazu beigetragen, dass in Russland ein Klima der Gewalt und Brutalität entstehen konnte. Dahinter steckt ein eiskalter Machtwille des Präsidenten. Die Interessen Russlands oder des russischen Volkes verfolgen er und seine Gefährten jedenfalls nicht.

Die Saat des Hasses …

Putins Auftreten auf der großen Bühne der Politik begann mit einer gewaltigen Strafaktion gegen Tschetschenien, die fast zehn Jahre dauern sollte. Kurz nach seiner Ernennung zum Ministerpräsidenten im August 1999 gab er den Befehl zum Zweiten Tschetschenienkrieg. Das kleine nordkaukasische Land, das – wie angeblich die Krim oder die Ost-Ukraine – die Unabhängigkeit anstrebte, wurde von regulären russischen Truppen und marodierenden Freischärlern über Jahre hinweg mit Krieg überzogen. Entführungen, Folter, Vergewaltigungen und Massenmorde, die dort über Jahre hinweg den Alltag beherrschten, haben den Terrorismus, der bekämpft werden sollte, sicherlich nicht eingedämmt, sondern wohl eher noch verschärft. Nachweislich unterstützte die russische Regierung in Putins Zeit als Präsident und Ministerpräsident außerdem bewaffnete Konflikte und Kriege in den georgischen Teilrepubliken Süd-Ossetien und Abchasien sowie in dem zu Moldawien gehörenden Transnistrien.

Innenpolitisch war und ist die Regierungszeit Putins seit 1999 geprägt von vielerlei Repressalien. Kritische, unabhängige Medien und Journalisten sind immer wieder Schikanen ausgesetzt, die ihre ohnehin schon marginale Stellung gegenüber staatsfinanzierten Medien zusätzlich gefährden. Ein besonders drastisches Beispiel für die Bedrohung der Pressefreiheit sind die zahlreichen Morde an Journalisten, unter denen der Mord an Anna Politkowskaja besonders hervorsticht. Auch wenn keine direkte Verbindung zu staatlichen Stellen gezogen werden kann, ist doch offensichtlich, dass der Staat darin versagt, für die Sicherheit von Journalisten zu sorgen. Viele zivilgesellschaftliche Organisationen, die sich um die Förderung der Menschenrechte sorgen, sind seit 2012 verpflichtet, sich als „ausländische Agenten“ registrieren zu lassen, wenn sie Gelder aus dem Ausland annehmen. Beängstigend sind auch die zum Teil aberwitzigen Prozesse und Urteile gegen Michail Chodorkowski, Pussy Riot, Alexei Navalny und seinen Bruder Oleg sowie die vielen anderen gegen Oppositionelle im ganzen Land, von denen kaum berichtet wird.

… auf dem Nährboden der Angst

Putin und seine Helfer arbeiten zunehmend mit Feindbildern. Das ist eine bewährte Methode von Herrschern, um die eigene Bevölkerung hinter sich zu bringen. Waren es zu Beginn seiner Herrschaft noch die realen islamistischen Terroristen im Nordkaukasus, so wurden die Feinde im Laufe der Zeit immer virtueller. So konnte man im Laufe der letzten Jahre ein massives Anwachsen der Ausländerfeindlichkeit gegenüber den Gastarbeitern aus dem Kaukasus und den zentralasiatischen Staaten beobachten. Seit Juni 2013 gibt es ein Gesetz zum Verbot „homosexueller Propaganda“, das sich nahtlos einfügt in Putins Selbstdarstellung als Bewahrer traditioneller Werte. „Der Westen“ wird nicht nur als militärische oder ökonomische Bedrohung dargestellt. Es werden auch Ängste geschürt, dass Russland infizieren werden könnte durch die moralische Korruption der sogenannten „Liberasten“ (eine Wortneuschöpfung aus Liberalen und Päderasten).

Die wenig zielführenden Sanktionen der EU und der USA gegenüber Russland seit dem Beginn des Krieges in der Ukraine sind für Putin ein höchst willkommenes Mittel, um Angst zu verbreiten. Die real zu fühlende rapide Verschlechterung der wirtschaftlichen Lage in den vergangenen Monaten kann als Teil der wachsenden Bedrohung durch den Westen dargestellt werden, obwohl die Ursachen für die ökonomische Misere wesentlich vielfältiger sind. Von innen und von außen erscheint Russland immer mehr Bedrohungen ausgesetzt, gegen die nur ein starker Mann wie Putin Land und Leute wirkungsvoll verteidigen kann. Die gelungene Inszenierung trägt maßgeblich dazu bei, dass selbst im Ausland viele Putins Politik als legitime Reaktion auf eine reale Bedrohung ansehen.

Die Saat geht blutig auf

In Nemzows letzten Interview, das er wenige Stunden vor seiner Ermordung gab, stellte dieser die Situation ganz anders dar. Der Krieg in der Ukraine ist für ihn ein Bürgerkrieg. Die Konfrontation mit dem Westen sinnlos. Die Wirtschaftspolitik selbstmörderisch. Und überhaupt: die gesamte russische Politik verrückt. Putin hat, so Nemzow, „die Russen mit dem Virus eines Minderwertigkeitskomplexes gegen den Westen infiziert; mit dem Glauben, dass wir einzig durch Gewalt, Terror und Aggression die Welt beeindrucken können. Er hat meine Mitbürger darauf konditioniert, Fremde zu hassen. Er hat ihnen eingeredet, dass wir die alte sowjetische Ordnung wiederherstellen müssen, und dass Russlands Stellung in der Welt komplett davon abhängt, wie sehr die Welt uns fürchtet.“

Es ist dieses Klima der Bedrohung und Angst, das dazu geführt hat, dass gewaltlose Oppositionelle wie Nemzow auf offener Straße erschossen werden – von wem auch immer. Die Saat, die Putin und seine Ideologen über Jahre gesät haben, ist am Abend des 27. Februar 2015 auf der Großen Moskwa-Brücke einmal wieder aufgegangen. Nemzow hat dort sein Eintreten für Recht und Freiheit mit dem Leben bezahlt. Selbst wenn Putin nichts von den Absichten des Mörders gewusst haben sollte, trägt er die Hauptverantwortung dafür, dass es zu solchen Taten kommen kann, weil er den Nährboden gelegt hat, auf dem diese blutige Saat aufgehen konnte.

Ein anderer Weg ist möglich

Der Weg, den Putin und seinen Verbündeten seit über 15 Jahren in Russland gehen, ist nicht der einzig mögliche. Auch der Weg demokratischer, rechtsstaatlicher und marktwirtschaftlicher Reformen wäre immer eine Option gewesen. Das zeigen deutlich die Beispiele von Politikern wie Boris Nemzow, der diesen Weg in den 90er Jahren einschlagen wollte. Bis in die Regierungszeit Putins hinein gab es in der russischen Politik Menschen, die für diesen Weg plädiert haben. Dafür stehen Namen wie Jegor Gaidar, Anatolij Tschubais oder Michail Kasjanow. Diese Menschen haben den Westen nicht als Bedrohung empfunden, sondern als Partner beim Aufbau einer friedlichen und wohlhabenden Welt. Putin hat sich gegen diesen Weg entschieden, weil ihm nur ein autoritäres Russland seine Macht zu sichern scheint.

Die Wirkung breiter Wirtschaftssanktionen ist zweifelhaft. Eine finanzielle oder auch nur logistische Unterstützung der russischen Opposition bringt diese im Zweifel in mehr Schwierigkeiten als sie nutzt. Was also kann getan werden, um das andere Russland zu unterstützen in seinem Kampf gegen Angst und Unterdrückung?

Drei praktische Vorschläge

1. Nicht von Russland sprechen, wenn man Putin meint: Die russische Bevölkerung mag im Augenblick stark hinter ihrem Präsidenten stehen. Viele von ihnen sind aber seit 15 Jahren einer massiven Propaganda-Maschine ausgesetzt und können sich in dieser Informationsasymetrie nur schwer eine fundierte Meinung bilden. Wer pauschal „Russland“ verantwortlich macht für den Krieg in der Ukraine oder die Verfolgung von Oppositionellen, Ausländern und Homosexuellen, der bereitet nur weiteren Ressentiments auf Seite der russischen Bevölkerung den Boden. Nennen wir die Schuldigen beim Namen: Putin und seine Helfershelfer.

2. Dem anderen Russland eine Stimme geben: Menschen wie die „Soldatenmutter“ Ella Poljakowa oder der junge Oppositionsführer Ilja Jaschin sind hierzulande kaum bekannt. Sie verdienen aber unsere Aufmerksamkeit. Sie haben uns etwas zu erzählen über das andere Russland. Im eigenen Land fällt es ihnen enorm schwer, sich eine Stimme zu verschaffen. Das kann leicht zu großer Frustration führen, weil man sich vollkommen einsam vorkommt. Wenn es gelingt, ihrer Stimme in den demokratischen und freien Ländern dieser Welt Gehör zu verschaffen, können sie erkennen, dass sie nicht allein sind, sondern dass überall Menschen ihre Werte teilen und mit ihnen fühlen. Zeigen wir ihnen, dass sie nicht alleine sind.

3. Alternativen entwerfen: Solange wir uns nur mit dem Status Quo beschäftigen, können Putins Sprachrohre ohne Probleme ihre Geschichte weiterstricken, dass der Westen eine Bedrohung für Russland darstelle. Wenn von Russland stets nur gesprochen wird im Zusammenhang mit der Unterstützung der Separatisten in der Ukraine oder mit Überlegungen zu weiteren Sanktionen, ist nicht unbedingt plausibel, dass allein Putin ein Interesse an dem Konflikt hat und nicht auch westliche Regierungen. Deutschland, Europa, „der Westen“ sollten konkrete Alternativen aufzeigen: Wir würde eine Welt aussehen, in der Russland und der „Westen“ Partner sind? Mit ganz konkreten Ideen müssen wir aufzeigen, wie ein friedliches und gedeihliches Miteinander möglich sein kann: mit Freihandelsabkommen, Visa-Freiheit für russische Bürger, dem Angebot der Kooperation in Fragen der globalen Sicherheit, des Umweltschutzes und der weltweiten Bekämpfung von Krankheiten. Es muss sich herumsprechen, dass wir Frieden wollen – mit einem Russland, in dem die Bürger in Freiheit und unter dem Schutz des Rechts leben können.

Am Ende seines letzten Interviews wurde genau diese Vision von Boris Nemzow gezeichnet: „Wir brauchen eine alternative Vision, eine andere Idee von Russland. Unsere Idee ist die eines demokratischen und offenen Russland. Eines Landes, das sich gegenüber seinen eigenen Bürgern und seinen Nachbarn nicht wie ein Bandit verhält.“

Photo: Игорь Титаренко from Flickr

Beim Thema „Political Correctness“ neigen Gegner wie Befürworter dazu, das Kind mit dem Bade auszuschütten. Um zu vermeiden, dass überall nasse Kinder herumliegen, sollte man ein wenig Begriffsklärung betreiben und die Hysterie aus der Debatte nehmen. Denn eigentlich geht es um eine Kultur des Anstands und des Respekts.

Der Vorgarten-Gandhi

Es ist wohl eine unvermeidbare Folge unserer Geschichte, dass viele Deutsche in ihren Tagträumen mit Sophie Scholl zusammen schon so manches Flugblatt in der Münchener Uni verteilt haben. Dieser historische Kontext verschärft noch einmal die menschliche Neigung zur Selbstgerechtigkeit. Die besonders gerne von manchen Grünen gepflegte Empörungskultur hat schon manchen Sturm der Entrüstung über die Republik fegen lassen. Dabei ist diese „Kultur“ oft gefährlich oberflächlich: Anstatt sich mit konträren Meinungen und Argumenten auseinander zu setzen, entfesseln die Empörer sofort die Rachegöttinnen und brüllen im Zweifel die andere Meinung auch einfach nieder.

Das ist aber keine heroische Tat des zivilen Ungehorsams, sondern schlicht und einfach schlechtes und unzivilisiertes Benehmen. Es ist schon genug gewaltsamen Ideologien gelungen, Menschen zu einem solchen Niederbrüllen anzustacheln, um diese Methode ein für alle Mal zu diskreditieren – könnte man meinen … Nur leider ist das Gefühl zu schön, auf der richtigen Seite zu stehen, anderen moralisch und menschlich überlegen zu sein. Viele Matadore der Political Correctness sind alles andere als mutig; sie schwimmen nur mit der Mehrheit und sind letztlich nichts anderes als Vorgarten-Gandhis. Von echter Courage keine Spur.

Die hochpubertäre Reaktion

Die getroffenen Hunde auf der anderen Seite bellen allerdings nicht weniger dümmlich zurück. So beschwert sich etwa ein Thilo Sarrazin in einem ganzen Buch („Der neue Tugendterror“) „über die Grenzen der Meinungsfreiheit in Deutschland“. Was der Autor verschweigt ist, dass es gerade diese vermeintlichen Grenzen sind, die seinen eigenen Erfolg sichern. Die von ihm vorgebrachten selbstdefinierten „Wahrheiten“ sind ja vor allem deswegen „unbequem“, weil sich sofort die politisch korrekten Furien auf sie stürzen. „Das wird man doch wohl noch mal sagen dürfen“ ist einfach auch ein sehr erfolgreiches Geschäftsmodell.

Gleichsam die reaktionäre Reaktion auf Claudia Roth hingegen ist Akif Pirincci, der mit seinem Buch „Deutschland von Sinnen – der irre Kult um Frauen, Homosexuelle und Zuwanderer“ zu einem Rundumschlag ausholt, der inhaltlich wie sprachlich an Ausraster von hochpubertären Jugendlichen erinnert. Die Ritter wider die Political Correctness sind eigentlich gerade nicht daran interessiert, ein Klima der echten Meinungsfreiheit herzustellen, sondern daran, es zu verhindern. Denn ihre Hysterie nährt sich von der Hysterie der Gegenseite. Nur dank der Berufs-Empörten können sie sich fortwährend zum Opfer stilisieren.

Empörte und beleidigte Leberwürste

Beide Seiten schütten in ihren Kreuzzügen die jeweiligen Kinder mit dem Bade aus. Beide Seiten haben wertvolle Anliegen, deren Verwirklichung sie aber oft verhindern, weil sie zu weit gehen. Das Grundanliegen der Political Correctness ist es, dagegen anzugehen, dass Menschen mittels der Sprache pauschal verunglimpft oder schlechter behandelt werden. Die Feder ist mächtiger als das Schwert, zumal in einer Zeit, in der physische Gewalt verpönt ist. Dass Worte tief verletzen können und die Macht haben, Menschen psychisch zu zerstören, weiß jedes Kindergartenkind aus Erfahrung. Darauf aufmerksam zu machen, dass wir diese Macht der Worte nicht missbrauchen sollten, ist ein ehrenwertes Anliegen. Nur darf man eben nicht Kreuzzüge führen, sondern muss versuchen, für Verständnis und Einsicht zu werben.

Kreuzzüge provozieren unweigerlich Überreaktionen von Seiten derer, die einen anderen Standpunkt vertreten. Nicht jeder, der beispielsweise zu den Themen „Frauen, Homosexuelle und Zuwanderer“ eine Ansicht vertritt, die von der derzeitigen Mehrheitsmeinung abweicht, ist ein Sexist, Homophober oder Rassist. Wer den Eindruck bekommt, in diese Ecke gedrängt zu werden, reagiert dann womöglich entsprechend über. Ein gern vorgebrachtes Argument lautet auch, dass übertriebene Reaktionen auf die Political Correctness nun mal nötig seien, um deren Übertreibung zu konterkarieren. Die Erfahrung zeigt: das Gegenteil ist der Fall. Korrekte und Inkorrekte schaukeln einander gegenseitig hoch, anstatt ihre legitimen Anliegen – Respekt und Meinungsfreiheit – zu befördern. Das führt unvermeidlich in einen Teufelskreis von empörten und beleidigten Leberwürsten.

Tugend, meine Damen und Herren!

Es gehört zu den bemerkenswertesten Errungenschaften der Menschheit, dass wir immer mehr lernen, einander nicht einen über die Mütze zu ziehen, wenn wir nicht übereinstimmen. Wir haben gelernt, gewaltsame Auseinandersetzungen immer mehr zu vermeiden und Konflikte auf diskursivem Wege zu lösen. Eine der Grundvoraussetzungen dafür war die Entwicklung der Idee von Toleranz. Doch genau daran mangelt es oft den Vorgarten-Gandhis genauso wie den pubertären Reaktionären. Die einen wollen nicht akzeptieren, dass andere Menschen abweichende Meinungen vertreten. Und die anderen halten es für ihr gutes Recht, sich herablassend über andere Menschen äußern zu dürfen.

Political Correctness ist keine neumodische Erfindung. Als „Gerechtigkeit“ war sie schon in der Antike eine der Kardinaltugenden. Konkreter noch finden wir sie paradoxerweise unter den sogenannten „Sekundärtugenden“, mit denen man laut Oskar Lafontaine auch ein KZ betreiben kann. Political Correctness bedeutet schlicht „Anstand“. Man ist freundlich zu Menschen, man behandelt sie nicht herablassend, man begegnet ihnen auf Augenhöhe. Das sind Selbstverständlichkeiten. Wenn man Political Correctness etwas niedriger hängt, als es ihre fanatischen Vertreter zu tun pflegen, kommt eine große zivilisatorische Errungenschaft zum Vorschein: Nennen wir es „Respekt“.

Respekt kann man nicht verordnen, man muss dafür werben

Es ist eine Frage des Respekts, dass wir Menschen nicht als „Neger“ und „Kanaken“ bezeichnen. Es ist eine Frage des Respekts, dass wir Frauen ordentlich und gleichwertig behandeln. Es ist eine Frage des Respekts, dass wir einem homosexuellen Paar auf der Straße keine dummen Sprüche hinterherrufen. Und, ja, es ist auch eine Frage des Respekts, dass wir keine Hexenjagd auf jemanden veranstalten, der unsere gesellschaftlichen Vorstellungen nicht teilt.

Zweifellos: es gibt viele ungute Auswüchse der Political Correctness. Heikel wird es, sobald ihre Vertreter anfangen, ihre Überzeugungen in Gesetze gießen zu wollen. Damit sind sie dann kein Deut besser als diejenigen, die auf Teufel komm raus eine heile Welt erhalten wollen, die gesetzliche Privilegierung der heterosexuellen Ehe verteidigen oder zur Begrenzung von Zuwanderung aufrufen. Formal ist das auch nichts anderes als die „politisch korrekte“ Forderung nach einer Frauenquote. Political Correctness ist aber dann sinnvoll, wenn ihre Vertreter darauf verzichten, den Staat für sich zu instrumentalisieren. Sie ist dann sinnvoll, wenn wir mit ihr aktiv in unserer Gesellschaft für Anstand und Respekt werben – wenn wir versuchen zu überzeugen statt zu zwingen. Denn nur dann ist sie wirklich vereinbar mit der Offenen Gesellschaft, in der Menschen gut und gerecht behandelt werden – unabhängig von ihrem Geschlecht, ihrer Herkunft oder anderen Merkmalen.

Photo: Harshit Sekhon from Flickr

Bildungsrepublik Deutschland – das war das Ziel, das die Bundeskanzlerin vor sieben Jahren bei einer Festveranstaltung zu „60 Jahre Soziale Marktwirtschaft“ ausgab. Wenn über Haushaltskonsolidierung gesprochen wird, sind Ausgaben für Bildung stets von Kürzungen ausgenommen. Und als sich kürzlich eine 17jährige Schülerin über das Schulsystem beklagte, waren sofort Politiker aller Couleur vor den Mikrofonen, um Lösungen zu präsentieren. Das Problem an diesem enormen Ansehen, das Bildung im öffentlichen Diskurs genießt: Politiker nehmen sich sehr gern des Themas an. Und wenn sich Politiker eines Themas annehmen, ist die Gefahr immer sehr groß, dass das Ergebnis zu Lasten der Freiheit der Bürger ausfällt. Besser wäre es, wenn die Politik mehr Bildungsfreiheit gewähren würde, anstatt noch mehr zu regulieren und zu „gestalten“.

Im Dezember vergangenen Jahres erschien ein schöner Sammelband zu dem Thema: „Bildung für alle – Bildungsvielfalt im Ideenwettbewerb“. Mehrere Stipendiaten der Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit und einige weitere Autoren haben die Ergebnisse einer Konferenz zusammengetragen. Es ist erfreulich zu sehen – und zu lesen –, wie engagiert, klug und kreativ sich nachwachsende Freunde der Freiheit dieses zentralen Themas annehmen. Zumal sie in ihren Überlegungen und Vorschlägen tatsächlich innovativ in die Zukunft denken und sich nicht mit kleinen Korrekturvorschlägen zufrieden geben. Die Lektüre lohnt sich!

Mehr Freiraum wird dem Individuum gerecht

Unter der Überschrift „Das freiheitliche Bildungsideal“ skizziert Kristina Kämpfer einige Grundzüge dessen, wie freiheitliche Bildung aussehen sollte. Zentral ist dabei das Ideal der Vielfalt. Je mehr Optionen den Kindern und deren Eltern zur Verfügung stehen, umso eher kann man dem jeweiligen Individuum gerecht werden. Eng verbunden ist damit das Ideal von größtmöglicher Autonomie der Bildungseinrichtungen wie der Bildungsempfänger. Bildung, so Kämpfer, „soll zur Mündigkeit befähigen und stellt das Individuum sowie seine Förderung in den Mittelpunkt.“

Der nächste Artikel von Björn Urbansky ist überschrieben „Der Ideenwettbewerb als Entdeckungsverfahren und Lösung gesellschaftlicher Konflikte“ und nimmt sich vor, Bildungsfragen aus dem Blick der Wissenstheorie des Sozialphilosophen Friedrich August von Hayek zu untersuchen. Urbansky plädiert für Wettbewerb im Bildungswesen, weil Wettbewerb zwischen Bildungsträgern Innovation hervorbringen kann. Neue und kreative Ansätze können sich so viel besser gegen sklerotische und festgefahrene Bildungskonzepte durchsetzen. Eltern und Schüler erlangen durch ihre Entscheidung an einem Markt wieder die Entscheidungshoheit darüber, welche Art der Bildung und Erziehung sie am meisten überzeugt. Nur so kann ein Bildungssystem entstehen, „das der Vielfalt der Gesellschaft gerecht wird.“

Dr. Dagmar Schulze Heuling beschäftigt sich in ihrem Aufsatz „Die Bildunsgpflicht – ein Kompromiss zwischen Schulpflicht und Bildungspflicht?“ mit einer Alternative zu Schulpflicht. Auch von freiheitlich gesinnten Menschen wird die Schulpflicht oft als unverzichtbar dargestellt, gerade wenn es darum geht, allen Kindern und Jugendlichen gleiche Chancen zu ermöglichen – unabhängig von ihrer Herkunft. Erst in der Schule, so die etwas blauäugige Argumentation, könne ein junger Mensch aktives und informiertes Mitglied der Gesellschaft werden. Dagegen befürwortet Schulze Heuling die Idee, als Kompromiss die Schulpflicht durch eine liberalere Bildungspflicht zu ersetzen, wie sie heute schon in vielen Ländern in Kraft ist: „Bei der Bildungspflicht ist nicht der Besuch einer Schule verpflichtend, sondern das Erreichen bestimmter, allgemein festgelegter Bildungsziele.“ Auch auf diesem Weg würde Raum für mehr Alternativen und mithin für mehr Selbstbestimmung von Eltern und Schülern geschaffen.

Individuelle statt pauschaler Gerechtigkeit

Aus Sicht der Psychologie beschäftigt sich Mareike König mit dem Fragenbereich „Individualisiertes Lehren und individuelles Lernen“. Den Rahmen steckt sie gleich zu Beginn des Aufsatzes fest mit der Feststellung: „Jedem erscheint es intuitiv einleuchtend, dass ein Kind seine Fähigkeiten am besten entfalten könnte, würde es gemäß seiner eigenen Begabung und seines individuellen Leistungsniveaus gefördert.“ Eingehend kritisiert sie standardisierte Tests, die sich darauf beschränken, die Fähigkeit abzuprüfen, genau diesen konkreten Test zu bestehen, der aber oft nur sehr eingeschränkt Informationen transportieren kann. Sie wagt sich auch auf das verminte Feld der Chancengleichheit. Wer wollte diese nicht? König warnt aber davor, dass diese Idee der Chancengleichheit häufig zu einer Nivellierung führen kann, die letztlich keinem Kind gerecht wird – dies gilt insbesondere für die ohnehin schon Benachteiligten. Lehren und Lernen, die auf die Individualität der jungen Menschen Rücksicht nehmen, sind der richtige Weg, um ihnen tatsächlich gerecht zu werden.

Der nächste Aufsatz in dem Band stammt aus der Feder des Verfassers und widmet sich der These „Eingangsprüfungen statt Abschlussprüfungen – Plädoyer für ein individuell gerechtes Bildungskonzept“. Wie König kritisiert auch Schneider die Vorstellung, man könne im Bildungswesen mit Hilfe von Vergleichen zu einem Ergebnis kommen. Ähnlich wie in der Planwirtschaft können auch bei einem zentralistischen Bildungssystem niemals Informationen im ausreichenden Umfang und Ausmaß erhoben werden, um sinnvoll vergleichen zu können. Schneider kritisiert das bestehende System, das auf Abschlussprüfungen beruht und plädiert stattdessen für ein System, bei dem die aufnehmenden Bildungseinrichtungen mittels Eignungstests über die Aufnahme der jungen Menschen entscheiden. In diesem System könnten die für die weitere Ausbildung nötigen Fähigkeiten und Begabungen wesentlich zielgenauer erfasst werden.

Martin Thoma widmet sich der „Akademisierung von Fachkräften im Gesundheitswesen“. An einem ganz konkreten Beispiel verdeutlicht Thoma anschaulich, welche Auswirkungen die durch die OECD stark geförderte zunehmende Akademisierung in Deutschland zeitigt. Dabei bewertet er die Möglichkeit einer akademischen Ausbildung für Pflegekräfte positiv und als wichtigen Schritt hin zu mehr Freiheit. Die Zahl der Studierenden soll sich freilich nicht an einer Quote orientieren, sondern soll durch die Erfordernisse der Pflegewirtschaft und der Ausbildungsinstitutionen bestimmt werden. Ein Fortschritt ist auf jeden Fall die größere Durchlässigkeit innerhalb des Bildungssystems, die an diesem Beispiel konkret manifest wird, weil die Zugangschancen signifikant erhöht wurden.

Bildung: besser kostbar als kostenlos

Der Hochschulbildung wenden sich im nächsten Aufsatz Bernhard Kuske und Florian Hartjen zu, der wesentlich zum Zustandekommen des Bandes beigetragen hat. Unter dem Titel „Bildungsrendite in Eigenverantwortung – ein Plädoyer für eine private Hochschulbildung“ beschäftigen sie sich mit Modellen der Hochschulfinanzierung. Ein Hochschulstudium kostet ziemlich viel Geld und darum ertönt oft der Ruf nach einem „kostenlosen Studium“, das durch BaföG-Kredite und/oder die Sozialisierung der Studiengebühren ermöglicht wird. Indem das Studium aber für Studenten keine unmittelbaren Kosten verursacht, entstehen Fehlinformationen. Das führt zu einer hohen Quote an Studienabbrechern. Gleichzeitig werden nur Hochschul-Bildungsinvestitionen in einem so großen Ausmaß gefördert, während demgegenüber Investitionen wie zum Beispiel Unternehmensgründungen oder auch eine nicht-akademische Ausbildung benachteiligt sind. Ihr Gegenvorschlag zu staatlicher Hochschulfinanzierung lautet deshalb: „Stipendienprogramme und studienbezogene Finanzprodukte beherbergen großes Potenzial, da durch die strukturelle Diversität auch gerade auf benachteiligte Studenten eingegangen werden kann.“

Der letzte Aufsatz stammt von Mihael Duran und stellt das Konzept „Bildungsgutscheine“ vor. In diesem Modell wird pauschale Finanzierung von (vornehmlich staatlichen) Bildungseinrichtungen ersetzt durch die Ausgabe von Gutscheinen, durch den Staat, die Eltern und Schüler zu der Bildungseinrichtung ihrer Wahl mitnehmen können. Dadurch kann echter Wettbewerb zwischen den Einrichtungen hergestellt werden, der für hochwertigere Bildung sorgt, und auch für eine, die besser auf die individuelle Situation des Lernenden angepasst ist. Duran geht auch auf die substantiellen Unterschiede dieses Systems in Bezug auf unterschiedliche Bildungsphasen (Kindergarten, Schulen, Hochschulen) ein und adressiert ausführlich mögliche Lösungen. Anhand ausgewählter Beispiele zeigt er auf, wie die Idee der Bildungsgutscheine praktisch umgesetzt werden kann.

Eingeleitet wird der Band mit einem Vorwort der FDP-Generalsekretärin Nicola Beer und abgeschlossen mit einem Nachwort des Vorsitzenden der Friedrich-Naumann-Stiftung, Dr. Wolfgang Gerhardt, zum Thema „Lernen als Ethos der Solidarität“. Von Seiten der Friedrich-Naumann-Stiftung erfolgte die Betreuung des Buchprojekts durch Dr. Peter Altmiks und Dr. Kathleen Klotchkov, die auch als Herausgeber firmieren.

Photo: Navy Hale Keiki School from Flickr

Im Rahmen der Regional Conference der European Students for Liberty in Köln am 25. Oktober 2014 hat Frank Schäffler das erste Mal ausführlich einer breiteren Öffentlichkeit das Projekt „Prometheus“ vorgestellt. Der freiheitsliebende Nachwuchs, der sich bei den Students for Liberty sammelt und bildet, ist die große Hoffnung für unser Land und weit darüber hinaus. Auf diese jungen Menschen bauen auch wir mit „Prometheus“ nachdrücklich. Deswegen war es nur passend, bei dieser Veranstaltung das Projekt erstmals zu präsentieren und die Grundlinien unserer Arbeit zu skizzieren.

Schäffler erklärt in dem Vortrag das Konzept des „gesellschaftlichen Wandels„, das weit über tagespolitisches Klein-Klein hinausgeht. Er stellt dar, wie sich „Prometheus“ von vielen anderen Initiativen fundamental unterscheidet, die auf den ersten Blick ähnliche Ziele verfolgen mögen: „Prometheus“ will eben nicht nur einen Ausschnitt aus dem freiheitlichen Meinungsspektrum abbilden, sondern verschreibt sich einem ganzheitlichen Freiheitsverständnis. „Wir wollen natürlich auch ökonomische Fragen beantworten“, so Schäffler. „Aber eben nicht nur. Was in Deutschland fehlt: Think Tanks, die die Vielfalt darstellen.“ Themen wie Drogenlegalisierung, Rundfunkbeiträge oder offene Grenzen hängen eng mit dem freiheitlichen Welt- und Menschenbild zusammen und müssen mit einer freiheitlichen Sitimme im öffentlichen Diskurs angesprochen werden.

Auch bezüglich der Kommunikationsmethoden gilt es, neue Wege zu begehen: Viel lernen können wir von den Erfolgen anderer Organisationen, die inhaltlich sehr weit entfernt sind von „Prometheus“, wie zum Beispiel „Campact“. Unsere Arbeit darf sich nicht darin erschöpfen oder darauf konzentrieren, umfangreiche Studien zu erstellen, möglichst viele Erwähnungen in Zeitungen zu bekommen und nur immer die eigene Klientel zu bedienen. Vielmehr muss man als Graswurzelbewegung eine breitere Wirkung in der Gesellschaft entfalten, auf die Straßen hinausgehen und unterschiedliche Gruppen adressieren: „Wir wollen das nach außen tragen; auch dahin gehen, wo es weh tut“, fordert Schäffler.

Die beängstigenden Bilder der vermummten Attentäter von Paris sind uns noch ebenso präsent wie die Demonstrationen in Ferguson nach der Erschießung Michael Browns. Mit Grauen hören wir die Berichte über Gruppenvergewaltigungen in Indien, die Folterberichte aus den USA, die Hinrichtungszahlen in China oder die Schicksale der Kriegsopfer von der Ukraine bis Nigeria. In den USA ist die Zahl der Menschen, die durch Schusswaffen ums Leben kommen, inzwischen fast genauso hoch wie die Zahl der Verkehrstoten.

Wie kommt es dazu, dass Menschen einander solche Dinge antun?

Nicht Waffen töten, sondern Menschen

Vor allem wenn es um die Gewalt in den USA geht, taucht wie ein Mantra immer wieder das Argument auf, dass die dortige lockere Waffengesetzgebung eine der Hauptursachen dafür wäre. Diese Argumentation ist einfach, weil sie sofort einen Schuldigen ausmacht. Außerdem passt sie gut in das Bild, das viele Menschen hierzulande von den Vereinigten Staaten haben. Allerdings bröckelt diese Argumentation ganz schnell, wenn man sich ansieht, welche Länder ähnlich lockere Waffengesetzgebungen haben: die Schweiz und Kanada etwa sind nicht bekannt für übermäßigen Waffengebrauch.

Eine Waffe tötet nicht, solange keiner der Abzug drückt. Auf diesen Zusammenhang kann man gar nicht oft genug hinweisen in einer Zeit, in der Menschen immer mehr Verantwortung abgesprochen und abgenommen wird. Zigaretten verursachen keinen Lungenkrebs, wenn sie keiner raucht. Zucker macht nicht fett, wenn er maßvoll eingesetzt wird. Und am Alkoholismus ist nicht der Schnaps Schuld, sondern derjenige, der zu viel von ihm konsumiert. Darum werden Waffengesetze auch kaum eine signifikante Rolle spielen im Blick auf die Gewaltbereitschaft in einer Gesellschaft. Entscheidend ist zunächst das Verhalten des einzelnen Menschen. Und darüber hinaus gesellschaftliche Traditionen, Entwicklungen und Umstände.

Das Problem der Gewalt hängt zusammen mit dem Menschen, der sie ausübt. Und da zeigt der Blick in die Welt durchaus signifikante Unterschiede. Es gibt ganz offensichtlich Gegenden, die gewaltsamer sind als andere. Während Skandinavien oder Neuseeland am unteren Ende der Skala stehen, stechen der Nahe und Mittlere Osten, Afrika, die USA oder einige Länder Lateinamerikas besonders hervor. Sehen wir uns zwei besonders gewalttätige Regionen etwas näher an: die USA und den Nahen Osten.

USA: Gewalt als Mittel der Politik

In den USA treffen wir allenthalben auf Gewalt: ob in den Ghettos, bei Polizisten oder in den ordentlichen Vorstädten. Ein Grund für die niedrige Hemmschwelle ist sicher die Tradition der Einzelkämpfer, die wir unter dem Begriff „Wilder Westen“ zusammenfassen. Doch spielt auch die starke soziale Spaltung der Gesellschaft eine Rolle, die ganz wesentlich mit dem System der Rassentrennung zusammenhängt. Wenn man über Jahrhunderte Rassen gegeneinander in Stellung gebracht hat, braucht es sehr lange, um diese Wunden zu heilen. Auch die hohe Zahl an Amokläufen lässt sich wohl wesentlich darauf zurückführen, dass Gewalt als etwas Alltägliches angesehen wird. Die Hemmschwelle zur Gewalt sinkt, wenn sie zum Alltag gehört.

Dass aber nicht nur vom Straßenkriminellen oder Mafiaboss Gewalt als Lösung angesehen wird, zeigen viele politische Entscheidungen in den USA. Seit Jahrzehnten wird ein sinnloser und aberwitziger „Krieg gegen die Drogen“ geführt. Die Polizei in den Vereinigten Staaten ist bis an die Zähne bewaffnet und hat im Jahr 2013 mehr als vierzehn Mal so viele Menschen getötet wie die deutsche Polizei. Länder wie Afghanistan oder der Irak sollten mit Gewalt zu Demokratien umgewandelt werden. Dass in den USA eine Kultur der Gewalt herrscht, liegt ganz wesentlich auch an politischen Entscheidungsträgern und deren Vordenkern in Medien und Wissenschaft.

Gewaltspiralen im Nahen Osten

Der Islam sei eine besonders gewaltanfällige Religion – so hört man häufig. Dabei werden allerdings selten Länder wie Marokko oder Indonesien, das Land mit der größten muslimischen Bevölkerung der Welt, angeführt. Vielleicht liegt es doch weniger an der Religion selbst als am Kontext, in dem sie interpretiert und gelebt wird. Die meisten Länder des Nahen Ostens waren über Jahrhunderte hinweg durch das Osmanische Reich besetzt. Dieser Zentralstaat konnte sich nur mit Hilfe eines gewaltsamen Militärapparats und mit hohen Steuerlasten erhalten und seine Kriege führen. Gewalt und der Kampf um das Überleben prägten die Untertanen dieses Imperiums weit mehr als etwa die Bewohner der Niederlande, Polens oder – eben – Indonesiens in derselben Zeit.

Zudem ist in dieser Gegend, auch aufgrund der Jahrtausende alten Nomadentradition, nie ein breites sesshaftes Bürgertum entstanden, das Wohlstand im großen Maßstab hätte hervorbringen können. Eine solche Gesellschaftsstruktur kann eine enorm befriedigende Wirkung erzielen. In Abwandlung eines alten Sinnspruchs könnte man sagen: „Wenn Güter Grenzen überqueren, werden das keine Soldaten tun.“ Zaghafte Ansätze, ein solches Bürgertum zu entwickeln, fielen in den letzten Jahrzehnten immer wieder politischen Ränkespielen zum Opfer. Sie wurden zerstört von Hamas und Hisbollah, von den USA im Irak und von Assad in Syrien, sie werden gar nicht erst zugelassen von den Herrschern auf der Arabischen Halbinsel. Armut und Entbehrungen in dieser Gegend unserer Welt produzieren auch dort eine Kultur der Gewalt, die sich wie eine abwärts führende Spirale immer tiefer eingräbt. So werden immer wieder neue Generationen an Gewalttätern produziert.

Die gute Nachricht: Menschen lernen

Der amerikanische Psychologe Steven Pinker hat in einem umfassenden Forschungsprojekt herausgearbeitet, dass der Eindruck täuscht, Gewalt nehme weltweit zu. In seinem Buch „Gewalt: Eine neues Geschichte der Menschheit“ („The Better Angels of Our Nature: Why Violence Has Declined“) legt er ausführlich dar, dass genau das Gegenteil der Fall ist. In einer Zeit als es um die Verteilung des Mammuts ging, war Gewalt noch ein relativ leicht einsetzbares Mittel. In einer Zeit hingegen, die zunehmend von Handel, dem Entstehen von Städten und der fortschreitenden Globalisierung bestimmt ist, wird Gewaltbereitschaft immer mehr zu einem Nachteil. Friedfertigkeit und Verlässlichkeit machen das Leben in dieser Welt der Zivilisation einfacher.

Wir Menschen sind lernfähige Lebewesen, sonst hätten wir es nie so weit gebracht als Gattung. Und mit dem Fortschritt von Zivilisation verbessern wir nicht nur unsere Fähigkeit zu lernen, sondern auch die Möglichkeiten, das Gelernte aufzubewahren, damit nicht jede Generation aufs Neue lernen muss. Zu diesen Möglichkeiten zählen Gesetze, Verfassungen und überstaatliche Konventionen. Aber zuvorderst zählen dazu unsere Moralvorstellungen, die sich durchaus auch wandeln – und zwar hin zu mehr Friedfertigkeit.

An der Kultur des Friedens mitbauen

Dass Gewalt keine Lösung von Problemen ist und dass Frieden ein unschätzbar hohes Gut ist – das sind die Überzeugungen, die das Leben für Menschen besser macht. Es gilt, die Kultur der Gewalt zu durchbrechen und einer Kultur des friedlichen Miteinanders Raum zu geben. Das erreicht man nicht durch das Verbot von Waffen. Und das erreicht man auch nicht durch die Stigmatisierung einzelner Religionen oder Bevölkerungsgruppen. Das erreicht man durch den Abbau von Ressentiments, durch den Rückbau von staatlichen Interventionen (in der Außen- wie in der Innenpolitik) und das erreicht man, indem man Möglichkeit zum Wohlstand für alle schafft.

Und schließlich erreicht man das auch, indem man klare Signale sendet, dass Gewalt nicht hingenommen wird: Wer Menschen unterdrückt, foltert und tötet, das befiehlt oder zulässt, hat nicht das geringste Verständnis verdient, ob er nun islamischer Terrorist ist oder russischer, ägyptischer oder amerikanischer Präsident. Frieden entsteht da, wo eine Kultur des Friedens herrscht. Und dass diese Kultur herrscht, liegt vor allem an uns.

Einen aktuellen Artikel von Steven Pinker finden Sie hier.

Und das lesenswerte Buch „Peace, Love, & Liberty“ der Students for Liberty zu demselben Thema finden Sie hier.

Photo: Jayel Aheram from Flickr