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Initiativen privater Solidarität sind in den meisten Fällen erheblich wirksamer als Maßnahmen des Sozialstaates oder der Entwicklungshilfe. Über Spenden und Freiwilligenarbeit hinaus gibt es noch eine Möglichkeit privater Solidarität: Das soziale Unternehmertum.

Rendite für die Ärmsten

Am Mittwoch hat die Meldung Furore gemacht, dass Facebook-Gründer Mark Zuckerberg rund 45 Milliarden Dollar spenden möchte. Die Stiftung, die er anlässlich der Geburt seiner Tochter einzurichten ankündigte, soll weltweit Gesundheitsversorgung, Bildung, eine nachhaltige Entwicklung und ähnliche Zwecke fördern. Damit setzt er eine Tradition der Philanthropie fort, die in den Vereinigten Staaten von Andrew Carnegie bis Bill Gates natürlicher Bestandteil des Selbstverständnisses von Unternehmern ist. Aber auch in Europa und bei uns in Deutschland stellen sehr viele Unternehmer erhebliche Geldsummen zur Verfügung, deren Rendite nicht auf ihrem Konto landet, sondern der Gesellschaft zugutekommt – oft ihren ärmsten und schwächsten Gliedern.

Die Motive für solche Großzügigkeit sind sehr vielfältig: Die einen wollen „der Gesellschaft etwas zurückgeben“, andere handeln aus bestimmten philosophischen oder religiösen Überzeugungen heraus, wieder andere werden angestachelt durch ihren Fortschrittsoptimismus, den sie mit dem unbedingten Willen verbinden, die Welt zu einem besseren Ort zu machen. Eines haben sie freilich alle gemeinsam: Obwohl sie alle Jahr für Jahr einen erheblichen Beitrag in den Steuersäckel werfen müssen, rufen sie nicht nach dem Staat, um soziale Probleme zu lösen. Vielleicht auch, weil sie sehr genau wissen, dass Politik und Bürokratie generell keine Experten für Problemlösung sind …

Jeder nach seinen Möglichkeiten

„Zuckerberg kann problemlos so viel abgeben. Der wird ja auch danach noch zu den reichsten Menschen der Welt gehören.“ Aus der Perspektive einer Familie mit drei Kindern, die Miete zu bezahlen hat und fünf Leute mit Nahrung, Essen, Kleidung und vielleicht auch noch einem Flugticket für den Kanada-Austausch der Ältesten ausstatten muss, ist ein solcher Einwand nachvollziehbar. Der indischen Familie, die sich mit diesen Geldern endlich eine Toilette bauen kann, wird das herzlich egal sein. Ebenso den Bauern im bolivianischen Hochland, die jetzt eine Schule im eigenen Dorf haben. Und um diese Menschen soll es ja auch primär gehen!

Gleichwohl muss nicht jeder ein Zuckerberg oder Buffett sein, um etwas gegen Armut und Not, Krankheit, Elend und Tod zu tun. In den vergangenen zwölf Monaten haben das Hunderttausende unserer Mitbürger sehr eindrucksvoll bewiesen, indem sie sich eingebracht haben bei der Unterstützung von Flüchtlingen – in Kleiderkammern und Volkshochschulen, bei Behörden und in ihren eigenen Wohnungen. Auch jenseits solch aktueller Ereignisse wie den Kriegsflüchtlingen gehen junge Menschen nach dem Abitur für ein Jahr in ein Kinderheim in Ostafrika, verbringen Ärzte ihren Jahresurlaub mit Operationen in Bangladesch und organisieren Kegelvereine den Transport von Krankenhausbetten nach Moldawien. Wichtig ist nicht, wieviel man gibt. Und erst recht nicht, wie viel einem danach noch übrig bleibt. Wichtig ist, dass Menschen geholfen wird.

Wir brauchen soziale Unternehmer

Spenden und Freiwilligenarbeit sind jedoch nicht die einzigen Optionen, wie man seinen Mitmenschen helfen kann. Vor einer Woche war ich in Lviv in der Ukraine und habe dort eine weitere Option kennengelernt, die mich auf Anhieb begeistert hat. Ich durfte zu Gast sein bei Yuriy, einem Freund aus meinen Studiumstagen. Yuriys Sorge gilt obdachlosen Frauen, die auf den Straßen der westukrainischen Stadt leben. Darum hat er ein Frauenhaus ins Leben gerufen, um den Frauen Schutz und Zugang zu Nahrung und Hygiene zu geben. Aber auch, um ihnen Arbeit zu geben. Denn diese Arbeit gibt ihnen die Möglichkeit, einen neuen Sinn im Leben zu finden und Fertigkeiten einzuüben, die für die Teilhabe an der Gesellschaft wichtig sind. Das Frauenhaus lebt aber nicht primär von staatlichen Zuwendungen, Spenden oder Freiwilligenarbeit. Es ist ein unternehmerisches Projekt. Yuriy versteht sich als Unternehmer. Er will den Frauen helfen. Und darum packt er an.

Zuerst hat er das Frauenhaus mit Hilfe einer Kerzenwerkstatt finanziert. Seit einiger Zeit ist es vor allem eine Bäckerei, die den Geldfluss gewährleistet und gleichzeitig den Frauen die Möglichkeit gibt, sich mit ihren Fähigkeiten einzubringen. In der derzeit sehr lebhaften IT-Branche in Lviv sind die Kekse von Yuriys Bäckerei inzwischen ein so fester Bestandteil der Mitarbeitermotivation wie die Sitzsäcke und die Playstation. Derzeit planen Yuriy und seine Freunde, ins Nuss-Geschäft einzusteigen, um das Frauenhaus weiter ausbauen zu können.

Zuckerbergs gigantische Spende ist sehr ehrenvoll und wird auf jeden Fall für eine große Zahl an Menschen, auch weit in die Zukunft hinein, enormes bedeuten. Mindestens genauso wichtig aber ist es, dass es Menschen wie Yuriy gibt. Die ihr Anliegen, anderen in Not zu helfen, nicht dazu bringt, dass sie erst einmal nach dem nächsten Staatstopf Ausschau halten. Die das Anliegen als ihr eigenes verstehen, nicht als eines, das man outsourced oder vergemeinschaftet. Wenn man sich ein schönes Auto kaufen will, muss man hart arbeiten. Genauso muss man hart arbeiten, wenn man ein Frauenhaus gründen und unterhalten will. Einen solchen Ansatz sozialen Unternehmertums könnten wir auch hierzulande gut gebrauchen: Wenn ich eine andere Welt will, muss ich selber anpacken!

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Von Dr. Titus Gebel, Unternehmer, Mitgründer der Deutsche Rohstoff AG.

Europas große Stärke war immer seine Vielfalt. Alle Versuche in der Geschichte, den Kontinent unter eine einheitliche Herrschaft zu bringen, sind letztlich gescheitert. Derzeit versucht es die EU und das Ergebnis wird dasselbe sein. Denn ab einem gewissen Umfang ist eine weitere Vereinheitlichung schlichtweg eine totalitäre Gleichschaltung, die Widerstand hervorruft. Den Vorteilen, die Einheitslösungen haben, stehen mannigfaltige Nachteile gegenüber. Der größte ist die Ausschaltung von Wettbewerb und von Alternativlösungen. Auch das angeblich so wichtige Subsidiaritätsprinzip ist mit einer größtmöglichen Vereinheitlichung, wie sie die EU unter dem Schlagwort „Harmonisierung“ betreibt, nicht vereinbar. Vereinheitlichung erfordert immer Zentralisierung.

Wir haben während der letzten 200 Jahre die bisher größte Steigerung von Lebensqualität und Wohlstand in der Menschheitsgeschichte erlebt. Gleichzeitig wurde vor allem in den letzten Jahrzehnten der Hunger in fast allen Weltgegenden besiegt, und das bei starkem Bevölkerungswachstum. Das gelang aufgrund von technologischem Fortschritt. Dieser wiederum konnte sich nur vor dem Hintergrund funktionierender Märkte und damit von funktionierendem Wettbewerb entfalten. Der Druck, mit anderen Produkten oder Unternehmen konkurrieren zu müssen, hat dazu geführt, stetig besser und innovativer zu werden. Diese Dynamik ist ungebrochen. Kaum jemand kennt heute noch die großen Namen aus der Anfangszeit des Internets, wie etwa den Netscape Navigator oder AOL. Und das ist gerade einmal 20 Jahre her! Innovationen gehen zunehmend schneller und ermöglichen heute selbst armen Menschen Dinge, die noch vor wenigen Jahrzehnten nicht einmal Staatsoberhäuptern oder Milliardären zugänglich waren.

Wettbewerb der Systeme erneuern

Im Hinblick auf die Modelle unseres Zusammenlebens sieht es leider anders aus. Praktisch alle Staaten funktionieren nach demgleichen System, das aus vergangenen Jahrhunderten stammt: eine (durch Erbfolge, Putsch oder Wahl) an die Macht gelangte Gruppe von Auserwählten bestimmt die Geschicke aller. Der Wettbewerb als Entdeckungsverfahren findet zwischen staatlichen Modellen kaum statt. Das gilt vor allem, seit vornehmlich das westliche Staatenkartell Druck auf kleinere Staaten ausübt und internationale Vereinbarungen forciert, um einen Steuer- oder Systemwettbewerb möglichst auszuschließen. Das kommunistische Modell ist zwar seit dem Zerfall der Sowjetunion im „Staatsmarkt“ praktisch nicht mehr vertreten, aber auch dieser Prozess hat über 70 Jahre gedauert. Und genau hier liegt das Problem: es besteht in diesem Markt nur die Möglichkeit, über Revolution oder Sezession ein neues „Produkt“ einzuführen. Damit ist es nicht nur extrem schwierig, in den Markt überhaupt einzudringen. Erkenntnisgewinne über die Eignung von Staatsformen bzw. von gesellschaftlichen Grundentscheidungen dauern Generationen, sie sind zu Lebzeiten der Betroffenen oft überhaupt nicht feststellbar. Auch in demokratischen Staaten fehlt durchgehend ein Ventil für Minderheiten, Gegenmodelle zu installieren, welche sich später möglicherweise als überlegen herausstellen.

Anders im Produkt- und Dienstleistungsmarkt. Hier können Startup-Unternehmen etablierte Wettbewerber mit neuen Produkten herausfordern. Das gilt auch und gerade dann, wenn die Mehrheits- und Expertenmeinung solchen Produkten zunächst keinerlei Erfolgsaussichten einräumt. Diesen etablierten und gut funktionierenden Mechanismus kann man nun folgendermaßen auf den „Staatsmarkt“ übertragen: Innerhalb bestehender Staatsgebiete werden Gebiete geschaffen, in denen wirtschaftlich und politisch abweichende Regeln gelten dürfen. Dies geht über die Schaffung von klassischen Sonderwirtschaftszonen mit Freihandel und Steuererleichterungen hinaus, daher erscheint der Name „Sonderzone“ hierfür angebracht. Es liegt auf der Hand, dass ein einziger großer europäischer Einheitsstaat, der alle Regeln „harmonisch“(= einheitlich) handhabt, sich immer für einen bestimmten Weg entscheiden muss, der erst nach Jahren oder Jahrzehnten ggf. korrigiert werden kann. Eine mögliche Weiterentwicklung wird dadurch gelähmt, wenn nicht verhindert. Anders sieht es aus, wenn versuchsweise Sonderzonen eingerichtet werden, in denen gleichzeitig abweichende Modelle ausprobiert werden können. Diese stehen im Wettbewerb sowohl untereinander als auch mit den EU-Staaten, welche ihr altes Regelungsregime beibehalten.

Ein Vorbild kann dabei China sein. Dessen Führung unter Deng Xiaoping hatte seinerzeit Schlüsse aus der Erkenntnis gezogen, dass Hongkong dem rotchinesischen Modell offensichtlich überlegen war. Das betraf insbesondere das Bestehen freier Märkte und das Recht, Privateigentum zu erwerben, auch an Produktionsmitteln. Hongkong-ähnliche Systeme wurden zunächst in einzelnen Sonderwirtschaftszonen ausprobiert, etwa in Shenzhen seit 1980. Diese waren ersichtlich erfolgreich: Shenzhens Einwohnerzahl wuchs von ursprünglich dreißigtausend binnen zwanzig Jahren auf sieben Millionen. Schließlich wurde das System freier Märkte auf das ganze Land ausgedehnt. Heute muss niemand mehr hungern in China. Vorher schon. Dubai ist ein weiteres instruktives Beispiel. Dubai hat – mit großem Erfolg – innerhalb seins Territoriums spezielle Zonen geschaffen, in denen nicht das lokale, sondern englisches Recht gilt. Das hat viele Unternehmen angelockt, die vor allem an Stabilität und Berechenbarkeit der Rahmenbedingungen interessiert sind.

Die EU hat das Ziel, der wettbewerbsstärkste Wirtschaftsraum der Welt zu werden. Bisher ist dieses ehrgeizige Vorhaben auf ganzer Linie gescheitert. Die Wachstumsraten der meisten EU-Staaten liegen zwischen null und einem Prozent (wenn überhaupt), begleitet von überbordender Staatsverschuldung und Massenarbeitslosigkeit. Auch von daher wäre es an der Zeit, einfach mal etwas Neues auszuprobieren, ohne dadurch die Gesamtordnung zu destabilisieren. Es könnte doch z.B. sein, dass die stetig wachsende Regulierungslawine der EU ein Grund, wenn nicht sogar der Grund für die schwache wirtschaftliche Verfassung der Union ist. Auch der klügste Professor wird das weder zwingend widerlegen noch belegen können. Wir müssen es daher ausprobieren, und das geht nur mittels Versuch und Irrtum.

Teilnahme strikt freiwillig

Um niemanden etwas aufzuzwingen, das er nicht will, sollten diese Zonen möglichst in schwach oder gar nicht bevölkerten Gebieten eingerichtet werden, wie es sie in Deutschland z.B. in Mecklenburg-Vorpommern gibt. Sie werden ausschließlich von Freiwilligen besiedelt, die sich mit den dort geltenden Regeln identifizieren können. Wem die dortigen Ideen nicht gefallen, der bleibt einfach weg bzw. geht in eine Sonderzone, die ihm besser zusagt. So kann jeder –auch außerhalb der Zonen- beobachten, welche Modelle funktionieren und welche nicht. Möglicherweise funktionieren auch alle auf ihre eigene Art und Weise. Auch dadurch würde etwas gewonnen, nämlich die Erkenntnis, dass die Menschen verschieden sind und daher auch verschiedenartiger Gemeinwesen bedürfen.

So könnten in einer Sozialversicherungs-Sonderzone neue Modelle der sozialen Sicherung erprobt werden, etwa eine rein kapitalgedeckte Rentenversicherung mit Anbieterwahlrecht nach chilenisch-australischem Vorbild. Die Krankenversicherung könnte daneben nach dem Muster von Singapur organisiert sein, nämlich lediglich mit einer Basispflichtversicherung entsprechend der Kfz-Haftpflicht. Für darüber hinausgehenden Leistungen entscheidet jeder selbst, ob er eine Versicherung abschließen will oder nicht.

Weiter wäre denkbar, dass in einer Innovations-Sonderzone neue Produkte grundsätzlich ohne Genehmigungsverfahren zugelassen sind. Selbstfahrende oder gar fliegende Autos wären Teil des täglichen Lebens, neuartige Dienstleister wie Uber oder Airbnb nicht verboten sondern eine Selbstverständlichkeit. Neue Medikamente und Behandlungsmethoden wären jedem zugänglich, der diese in Kenntnis des möglichen Risikos testen will. Gesundheitsgrenzwerte gälten nur für wirkliche Toxizität und auf wissenschaftlicher Grundlage, anders als in der EU, wo (z.T. absurde) Grenzwerte willkürlich von Politikern festgelegt werden, die sich davon Beifall versprechen.

In einer Freiheits-Sonderzone könnte das Ideal des mündigen Bürgers wieder aufleben, der ohne staatliche Aufsicht über seine Angelegenheiten entscheidet. Dort würde volle Meinungs- und Vertragsfreiheit herrschen. Man dürfte z.B. eine negative Meinung über eine bestimmte Religion offen kundtun, ohne dafür wegen „Rassismus“ oder „Volksverhetzung“ angeklagt zu werden. Es gäbe gar keinen Volksverhetzungsparagraphen. Auch keine Antidiskriminierungsgesetze. Zigaretten würden wieder ohne hässliche Warnhinweise gehandelt und beworben. Man könnte leistungsstarke Staubsauger und Duschköpfe erwerben. Glühbirnen sowieso.

In Einwanderungs-Sonderzonen könnte die aktuelle Flüchtlingsproblematik angegangen werden. Wer schlecht ausgebildet ist und die Sprache des Aufnahmelandes nicht oder nur schwach beherrscht, ist zur Sicherung seines Lebensunterhalts auf den Niedriglohnsektor angewiesen. Wo staatlich festgesetzte Mindestlöhne die Schaffung solcher Jobs verhindern, ist keine Integration möglich. Nicht einmal Billigunterkünfte können derzeit für die Unterbringung der zahlreichen Flüchtlinge in Deutschland errichtet werden, weil die strengen Dämm- und sonstigen Vorschriften entgegenstehen bzw. den Bau exorbitant verteuern. All das wäre in diesen Sonderzonen nicht der Fall, weil der uferlose Regulierungsmehltau der EU weitgehend außer Kraft gesetzt wäre. Arbeits- und integrationswillige Menschen, welche sich verpflichten, die Regeln der Sonderzone zu beachten, sind willkommen (um gewisse Obergrenzen wird man freilich schon aus Platzgründen nicht herumkommen). Auch für Ungelernte gibt es dort – mangels Mindestlohnvorschriften – Verwendung. Günstige Produkte können aus der ganzen Welt eingeführt werden, weil Freihandel herrscht und es keine Zölle gibt. Die Sonderzone macht ihre Einwanderungsregeln selbst. Sie kann jeden, der kriminell wird oder z.B. den Vorrang der Scharia vor den Regeln der Sonderzone propagiert, ohne viel Federlesens wieder hinauswerfen. Allein dies würde eine Positivauslese bewirken.

Die Sonderzonen verwalten sich idealerweise selbst, direktdemokratisch oder durch eine gewählte Vertretung oder auf ganz andere, bisher nicht bekannte Art und Weise. Man könnte sogar soweit gehen, die Verwaltung dieser Zonen, wie in manchen Freihäfen, privaten Unternehmen zu übertragen. Diese Unternehmen stellen Regeln auf, die in der Zone gelten. Wem das nicht gefällt, der geht nicht hin, die anderen können sich auf dieser Basis in der Zone ansiedeln und erhalten z.B. eine vertraglich gesicherte Rechtsposition. Bei Streitigkeiten mit dem Betreiberunternehmen entscheidet ein unabhängiges Schiedsgericht.

Recht auf ein selbstbestimmtes Leben

In welchen Bereichen und in welchem Ausmaß die Sonderzonen unabhängig sind, ist letztlich Verhandlungssache. Es hängt wesentlich von der Bereitschaft der Machthaber in den Nationalstaaten und der EU ab, alternative Modelle zuzulassen. Die Sonderzonen müssen aber über innere Autonomie verfügen, also ihre eigenen Angelegenheiten selbst regeln dürfen, sonst macht der Ansatz keinen Sinn. Kontraproduktiv wäre, die Einräumung solcher Sonderzonen von langen Forderungskatalogen abhängig zu machen, welche vermeintlich unabdingbaren europäischen Standards oder Regeln auf jeden Fall eingehalten werden müssen usw. Es geht hier ja gerade darum, abweichende Modelle auszuprobieren. Da die Teilnahme in jedem Fall freiwillig ist, müssen die Sonderzonen lediglich ein jederzeitiges Austrittsrecht für jeden Siedler zwingend einräumen (unbedingte Exit-Befugnis). Wer von der Sonderzone enttäuscht ist, kann diese wieder verlassen. Sei es, weil sie nicht hält was sich der Betreffende davon versprochen hat oder weil er spätere Entscheidungen der Verwaltung oder der gewählten Vertretung ablehnt. Allein der Wettbewerb wird dafür sorgen, dass die besten Sonderzonen Erfolg haben und die anderen wieder verschwinden. Und: die bisherigen Bewohner der EU müssen ihr Leben nicht ändern, alles bleibt dort beim Alten. Die Geschichte zeigt, dass die Mehrheit am status quo hängt und dessen Beibehaltung Veränderungen vorzieht. Diesem Bedürfnis würde Rechnung getragen. Um an die europäische Tradition der Systemvielfalt anzuknüpfen, aber auch um innerhalb der EU gesellschaftlichen Frieden zu schaffen, empfiehlt sich eine möglichst große Bandbreite zulässiger Regeln. So sollten durchaus auch libertäre, dezidiert linke und rechte Zonen möglich sein. Die Linke z.B. könnte in einer entsprechenden Sonderzone endlich sich und der Welt beweisen, dass Kommunismus/Sozialismus –richtig gemacht – doch funktioniert. Und zwar ohne dass alle anderen darunter zu leiden haben! Aus einer ehemals totalitären Ideologie würde so ein Produktangebot unter vielen.

Wer die Einrichtung solcher Zonen ablehnt, und hier sind vor allem die Mächtigen und Meinungsmacher angesprochen, muss sich fragen lassen, ob es ihm wirklich um das vermeintliche Gemeinwohl geht. Oder hat er nicht einfach nur Angst, dass seine Ideen vom „richtigen“ Zusammenleben der Menschen von anderen nicht geteilt werden? Oder schlimmer noch, dass sich die Ideen der anderen letztlich gar als überlegen herausstellen? Es lässt Rückschlüsse zu, wenn man erwachsenen und geschäftsfähigen Menschen untersagt, freiwillig solche Versuche zu unternehmen. Man glaubt, besser als die Betroffenen zu wissen, was gut für diese sei. Das ist die Denkweise vergangener Jahrhunderte. Wer aber den Menschen das Recht auf ein selbstbestimmtes Leben abspricht, der ist schlicht autoritär, auch wenn er sich selbst „liberal“ oder „demokratisch“ nennt.

Lasst uns damit anfangen, die Einrichtung von Sonderzonen zu fordern.

Photo: thanos tsimekas from Flickr. (CC BY 2.0)

Es gibt eine Renaissance liberalen Denkens in Deutschland. Das mag auf den ersten Blick verwundern. Eine große Koalition regiert dieses Land, eine liberale Partei fehlt im Parlament und auch sonst treibt der alltägliche Paternalismus überall seine Blüten. Überall reicht uns der Staat und die Regierung ihre klebrigen Hände, die man, sobald man zugegriffen hat, nie mehr los wird.

Dennoch ist dies nur das oberflächliche Bild. Wenn man etwas tiefer blickt, dann wird sehr schnell deutlich, dass es in Deutschland inzwischen eine breite Szene meist junger Menschen gibt, die sich liberalen, klassisch-liberalen und libertären Zielen verpflichtet fühlen. Das wird auch am kommenden Samstag wieder deutlich. Dann treffen sich in der Heidelberger Universität wahrscheinlich über 400 junge Menschen aus ganz Deutschland zur Regionalkonferenz der European Students for Liberty .

Diese weltweit tätige Studentenorganisation ist den Idealen einer offenen Gesellschaft verpflichtet. Die jungen Menschen halten die individuelle Freiheit hoch, schätzen die Marktwirtschaft, das private Eigentum und die Gleichheit vor dem Recht. Sie lesen Werke von Friedrich August von Hayek und Ludwig von Mises, weil sie zum Beispiel Antworten auf die Verwerfungen an den Finanzmärkten suchen, die sie im etablierten Lehrplan ihrer Hochschule nicht finden. Beide, Hayek und Mises, sind Freiheitsdenker der Österreichischen Schule der Nationalökonomie, einer ökonomisch und philosophischen Denkrichtung des Liberalismus. Ihre heutigen Stars heißen Guido Hülsmann, Philipp Bagus, Thorsten Polleit und Stefan Kooths die jeder auf ihre Art, die Ideen der „Austrians“ weiterentwickeln, publizieren oder lehren.

Prof. Hülsmann lehrt in Frankreich, Prof. Bagus in Madrid, Prof. Polleit in Frankfurt und Prof. Kooths in Berlin. Letzterer, Stefan Kooths, ist neben seiner Tätigkeit als Leiter des Prognosezentrums des Instituts für Weltwirtschaft an der Universität Kiel nicht nur Kurator beim Prometheus-Institut, sondern auch Initiator des neuen Studiengangs „Entrepeneurial Economics and Management“ an der privaten Business and Information Technology School (BITS) in Berlin. Erstmalig wird damit ein Masterstudiengang an einer deutschen Hochschule angeboten, der eine grundlegende Ausbildung im Bereich der „Austrian Economics“ ermöglicht. Eine wunderbare Entwicklung!

Thorsten Polleit ist Präsident des Ludwig von Mises-Instituts in Deutschland und Autor zahlreicher Bücher zu den Grundlagen der Geldpolitik und der Österreichischen Schule. Ebenso Philipp Bagus, der Prof. am Lehrstuhl von Jesús Huerta de Soto in Madrid ist. Und Guido Hülsmann ist einer der entscheidenden Wegbereiter der libertären Bewegung im deutschsprachigen Raum. Sein Buch „Die Ethik der Geldproduktion“ aus 2007 hat die grundlegende Probleme des heute vorherrschenden staatlichen Geldsystems vom Fundament her aufgearbeitet.

Daneben sind Vereinigungen wie die Hayek-Gesellschaft , Think Tanks wie Open Europe Berlin, IREF und Prometheus Teil dieses liberalen Blumenstraußes. Jeder trägt auf seine Art zur Blüte bei. Was alle vereint, ist ihre nichtstaatliche, also private Finanzierung. Es sind meist Unternehmerpersönlichkeiten, die die notwendigen Mittel bereitstellen. Diese vorausschauenden Unternehmer haben erkannt, wie wichtig die Veränderung des Denkens in einer Gesellschaft ist. Es geht um den Kampf der Ideen in einer Gesellschaft. Es ist eben kein Zufall, dass der Staat sich immer mehr in die Entscheidungsprozesse jedes Einzelnen einmischt. In den 1950er und 1960er Jahren haben die Linken mit der Forderung nach der Demokratisierung in allen Lebensbereichen den Marsch durch die Institutionen angetreten. Heute sind sie angekommen und bestimmen die Grundlage für das vorherrschende Denken in Deutschland. Seitdem ist die Kindererziehung, die Unternehmensführung, die Ernährung und vieles andere mehr, einer Mehrheitsentscheidung unterworfen. Diese freiheitszerstörende Entwicklung gilt es aufzuhalten und dauerhaft zu verändern. Dafür braucht es noch mehr Unterstützung – auch finanziell.

Das besondere an der liberalen Gegenbewegung  ist, dass sie von jungen Menschen getragen wird. Sie vergraben sich  nicht im akademischen Elfenbeinturm, sondern sie lesen wieder die Bücher von Hayek („Die Verfassung der Freiheit“, „Der Weg zur Knechtschaft“ oder „Die Entnationalisierung des Geldes“) oder von Ludwig von Mises („Human Action“, „Liberalismus“ „Vom Wert der besseren Ideen“ oder „Nationalökonomie“). Diese haben nichts an Aktualität und Attraktivität verloren, sondern werden sogar erneut aufgelegt. Mancher mag das zuweilen als Dogmatismus abtun und zugleich dem  prinzipienbasierten Handeln abschwören. Doch der deutsche Liberalismus ist bislang nie an seiner Standfestigkeit und Prinzipientreue gescheitert, sondern an den Zugeständnissen an die Sozialisten in allen Parteien. Die Prinzipien werden nur bei schönem Wetter hochgehalten. Sobald der Gegenwind kommt, es stürmt und hagelt, schwenkt man in den pragmatischen Weg ein. Doch das war und ist der Untergang des Liberalismus. Wer dies ändern will, muss ein breiteres Fundament in der Gesellschaft legen, das auch bei Sturm und Regen nicht aus den Angeln gerissen werden kann. Darum geht es – auch am Wochenende bei den Students for Liberty.

 

Photo: Tonya Ammon from Flickr (CC BY 2.0)

Von Dr. Titus Gebel, Unternehmer, Mitgründer der Deutschen Rohstoff AG

Langsam aber sicher gewinnt die Erkenntnis Raum, dass die Probleme Deutschlands nicht nur an den handelnden Personen liegen, sondern möglicherweise der Konstruktion des deutschen demokratischen Systems geschuldet sind. Früher oder später wird daher die Diskussion über eine Systemreform an Fahrt gewinnen[1]. Erwähnt man in diesem Zusammenhang Gesprächspartnern gegenüber, dass die politische Ordnung Liechtensteins möglicherweise als Vorbild für Deutschland dienen könnte, erntet man in der Regel Verwunderung oder Spott. Bohrt man etwas tiefer, um die Kenntnisse der Betreffenden über Liechtenstein abzufragen, ergibt sich in der Regel: wenig bis gar keine[2].

Das Fürstentum Liechtenstein hat keine gemeinsame Grenze mit Deutschland, es ist zwischen der Schweiz und Österreich als Binnenstaat „eingeklemmt“. Das Staatsgebiet umfasst nur 160 Quadratkilometer, damit ist Liechtenstein der sechstkleinste Staat der Welt. Das Land hat 37.000 Einwohner, davon 34% (meist deutschsprachige) Ausländer. Hauptstadt ist Vaduz, die alleinige Amtssprache ist Deutsch. Ein souveräner Staat ist Liechtenstein seit der Auflösung des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation im Jahre 1806. Das Fürstentum hat keine eigene Währung, sondern benutzt den Schweizer Franken und bildet mit der Schweiz auch eine Zollunion. Liechtenstein ist aber, anders als die Schweiz, nach entsprechender Volksabstimmung Mitglied im Europäischen Wirtschaftsraum geworden, d.h. es gilt Waren-, Dienstleistungs-, Kapital- und Personenfreizügigkeit unter den Mitgliedsstaaten (alle EU-Staaten, Norwegen, Island und Liechtenstein), wobei letztere von Liechtenstein auf 64 neue Aufenthaltsgenehmigungen pro Jahr eingeschränkt ist. Das Fürstentum ist kein Mitglied der EU, aber seit 2011 dem Schengen-Raum angehörig.

Vorbild Liechtenstein?

Entgegen landläufiger Meinung ist das Fürstentum kein Operettenstaat, der vom Briefmarkenverkauf und windigen Finanzgeschäften lebt. Es handelt sich vielmehr um ein hochindustrialisiertes Land mit stark diversifizierter Wirtschaft, dessen Hauptwertschöpfungszweig die verarbeitende Industrie darstellt, insbesondere der Maschinenbau[3]. In Liechtenstein arbeiten etwa genauso viele Menschen wie das Land Einwohner hat! Zahlreiche Schweizer, Österreicher und Deutsche pendeln ins Fürstentum zum Broterwerb. Trotz seiner Kleinheit kann Liechtenstein mit Weltmarktführern aufwarten, bekannt sind etwa HILTI (Bohrmaschinen) oder IVOCLAR (Medizintechnik). Etwa 40% der Beschäftigten arbeiten im Industriesektor, damit gehört Liechtenstein zu den am stärksten industrialisierten Ländern der Welt[4]. Zum Vergleich: in der Finanzindustrie arbeiten weniger als 10% der Beschäftigten. Mit einem Unternehmen pro neun Einwohner weist Liechtenstein vermutlich die höchste Unternehmerdichte der Welt auf. Das Bruttoinlandsprodukt pro Erwerbstätigen beträgt sagenhafte 132.000 EUR[5] und liegt damit in der absoluten Weltspitze, nahezu doppelt so hoch wie Deutschland mit 68.000 EUR[6]. Liechtenstein hat kaum Kriminalität und ist weltweit eines der wenigen Länder ohne Staatsverschuldung. Es muss also irgendetwas richtig machen. Allein daher lohnt ein Blick auf das politische System des Landes.

Liechtenstein ist keine konstitutionelle Monarchie im herkömmlichen Sinne. Vielmehr handelt es sich um ein weltweit einmaliges Mischsystem zwischen direkter Demokratie und parlamentarisch-konstitutioneller Erbmonarchie, wobei das direktdemokratische Element soweit geht, dass die Monarchie insgesamt abgewählt werden kann. Staatsoberhaupt ist das männliche Oberhaupt der Familie von Liechtenstein, aktuell Fürst Hans-Adam II. Er hat im Jahre 2004, einer Familientradition folgend, im Alter von 60 Jahren die Regierungsgeschäfte an seinen ältesten Sohn, den Erbprinzen Alois von Liechtenstein abgegeben, bleibt aber formell Staatsoberhaupt. Daneben gibt es eine Regierung, ein Parlament (genannt Landtag), elf Gemeinden und eine unabhängige Justiz. Schließlich sind die Bürger seit Anfang des 20. Jahrhunderts mit direktdemokratischen Mitbestimmungsrechten nach Schweizer Vorbild ausgestattet.

Souveränität neu gedacht

Im Jahre 2003 wurde per Volksabstimmung nach zehnjähriger Diskussionen eine bedeutende Verfassungsreform angenommen, welche die Rechte der Bürger, der Gemeinden und des Monarchen –jeweils zulasten von Parlament und Regierung – gestärkt haben. Die Gründe für diese Änderungen sind instruktiv, da sie grundlegende Probleme von Parlamentarismus und Demokratie beleuchten.

In den 1990er Jahre hatte sich in Liechtenstein eine Verfassungswirklichkeit ausgebildet, in der die Politiker und Parteien, welche die Landtagsmehrheit und die Regierung stellten, zunehmend Befugnisse an sich zogen, die in der Verfassung entweder klar dem Fürsten zugewiesen oder deren Zuweisung unklar war. Teilweise wurden sogar Gesetze ohne die verfassungsmäßig notwendige Unterschrift des Fürsten veröffentlicht. Hans-Adam II. war damit nicht einverstanden. Er argumentierte, dass seine verfassungsmäßigen Kompetenzen mit den realen übereinstimmen müssten. Solange eine Mehrheit der Liechtensteiner die existierende monarchische Staatsform befürworte, sei es die Pflicht des Fürsten, seine verfassungsmäßigen Rechte wahrzunehmen. Der Landtag könne sich nicht einfach an die Stelle des Ko-Souveräns Volk setzen, nur weil er von diesem gewählt worden ist. Andererseits solle das Volk auch ihn legitimieren und notfalls die Befugnis haben, die Monarchie abzuschaffen. In den Folgejahren gab es diverse Auseinandersetzungen über die Neugestaltung der Verfassung einschließlich Demonstrationen. Schließlich einigten sich die beteiligten Organe darauf, Vorschläge zu einer Verfassungsreform zu machen[7]. Hochinteressant ist die Begründung, die Hans-Adam II. für seinen letztlich erfolgreichen Änderungsvorschlag machte:

Er führte aus, dass beide Souveräne, das Volk und der Fürst, aus praktischen Gründen die Staatsaufgaben an kleinere Gruppen delegieren müssten (Politiker, Parteien, Verwaltung), die in der Praxis dann eine überproportionale Bedeutung bekämen, sich in „Oligarchien“ verwandelten. Diese aber versuchten, ihre eigenen Interessen auf Kosten der Interessen aller anderen zu vergrößern. Aufgrund innerer Interessenkonflikte wären sie zunehmend weniger in der Lage wichtige, aber unpopuläre Entscheidungen treffen.

Es sei Aufgabe des Monarchen, darüber zu wachen, dass die demokratischen und rechtsstaatlichen Institutionen durch die Oligarchie nicht geschwächt und Staatsinteresse vor Partieinteresse gestellt werde. Langfristig werde der Monarch diese Aufgabe nur wahrnehmen können, wenn er wisse, dass die Mehrheit des Volkes ihn dabei unterstütze. Volk und Monarchie als die schwächeren Elemente seien die natürlichen Verbündeten gegenüber dem stärksten Element im Staat, der Oligarchie.[8]

Demokratie ist keine Mehrheitsherrschaft

Er wies gleichzeitig darauf hin, dass er gegebenenfalls auch gegen eine Volksmehrheit sein Veto einlegen müsse. Zu berücksichtigen sei, dass die Mehrheit nicht immer Recht habe und es Aufgabe des Fürsten sei, die Rechte der Minderheiten und der Schwachen zu schützen sowie das langfristige Wohl von Volk und Land zu verteidigen. Sollte dies aber vom Volk nicht gewollt sein, dann solle gemäß dem Prinzip des Selbstbestimmungsrechts das Volk das letzte Wort haben, ohne Rücksicht auf die Wünsche des Fürsten und in der Lage sein, diesem sein Misstrauen auszusprechen oder die Monarchie ganz abzuschaffen[9].

Kurz gesagt, die jeder Demokratie innewohnende Tendenz zur Parteienherrschaft und Selbstbedienung der politischen Klasse muss durch Organe (hier: Monarch, Bürger) eingeschränkt werden, die über relevante eigene Kontroll- und Mitgestaltungsrechte verfügen. Der Gefahr einer schrankenlosen Mehrheitsherrschaft in der direkten Demokratie muss aber entsprechend begegnet werden. In seinem Werk „Der Staat im dritten Jahrtausend“ weist Hans Adam II. darauf hin, dass für eine derartige Konstruktion keine Monarchie erforderlich ist. Ein direkt vom Volk gewählter Präsident könnte dieselbe Aufgabe wie der Fürst in Liechtenstein übernehmen[10].

Es gibt im liechtensteinischen System – neben einer unabhängigen Justiz – seither eine Vielzahl von Checks and Balances, welche machtbegrenzend wirken:

  • Gleich drei Organe haben das Recht, Gesetzesinitiativen einzubringen (Fürst, Landtag, Volk).
  • Regierungsmitglieder dürfen nicht gleichzeitig Parlamentsabgeordnete sein.
  • Jedes Gesetz unterliegt der Volksabstimmung, sofern der Landtag oder drei Gemeinden oder mindestens 1.000 Bürger dies verlangen.
  • Jeder Staatsvertrag (etwa Beitritt zu supranationalen Organisationen) unterliegt der Volksabstimmung, sofern der Landtag oder vier Gemeinden oder mindesten 1.500 Bürger dies verlangen.
  • Der Fürst kann gegen Gesetze durch Nichtausfertigung sein Veto einlegen, auch wenn diese aufgrund von Volksabstimmungen zustande gekommen sind.
  • Der Fürst kann einzelne Regierungsmitglieder oder die Regierung insgesamt ohne Angabe von Gründen entlassen.
  • Das Volk kann das Parlament auflösen.
  • Das Volk kann dem Monarchen das Misstrauen aussprechen oder die Monarchie insgesamt abwählen.
  • Die Richter werden von einem Gremium aus Fürstlichen Mitgliedern und Landtagsabgeordneten dem Landtag zur Wahl vorgeschlagen. Lehnt dieser ab, entscheidet eine Volksabstimmung.
  • Jede Gemeinde kann jederzeit aus dem Staatsverband austreten, wenn die Mehrheit der Gemeindeeinwohner dies beschließt.

Vergleichen wir das mit der Bundesrepublik Deutschland (Gemeinde = Länder, Fürst = Bundespräsident):

  • Nur Bundestag und die Ländervertretung Bundesrat haben das Recht zu Gesetzesinitiativen auf Bundesebene.
  • Regierungsmitglieder dürfen gleichzeitig Bundestagsmitglieder sein.
  • Weder Bürger noch Länder haben auf Bundesebene das Recht, Volksabstimmungen über Gesetze zu verlangen. Lediglich der Bundesrat kann seine Zustimmung zu bestimmten Gesetzen verweigern.
  • Dasselbe gilt für Staatsverträge, selbst wenn dadurch Souveränität abgegeben wird. Bürgermitwirkung ist nicht möglich.
  • Der Bundespräsident hat theoretisch ein Vetorecht durch Nichtausfertigung von Gesetzen.
  • Nur der Bundestag selbst kann die Regierung abwählen.
  • Der Bundestag kann nur dann vom Bundespräsidenten aufgelöst werden, wenn keine Kanzlermehrheit zustande kommt.
  • Der Bundespräsident kann unter bestimmten Voraussetzungen des Amtes enthoben werden, aber nur auf Veranlassung von Bundestag und Bundesrat.
  • Alle Richter werden von der Exekutive ausgewählt und ernannt. Lediglich für die höchsten Gerichte erfolgt eine Wahl durch Gremien von Bundestag und Ländern.
  • Weder Länder noch Gemeinden haben ein Sezessionsrecht. Lediglich bei der Neugestaltung der Ländergrenzen innerhalb Deutschlands dürfen die Bürger mitbestimmen.

Schon aus diesem Vergleich wird deutlich, dass im Grunde nur die Länder über den Bundesrat eine gewisse Gegenmacht gegen die Bundestagsmehrheit bilden können, wobei auch Bundesrat und Länderregierungen fest in der Hand der Parteien sind. Die Bürger haben keinerlei Mitgestaltungs- oder Kontrollbefugnisse. Der nicht vom Volk gewählte Bundespräsident übt sein Vetorecht in der Praxis nicht aus.

Mündige Bürger statt Parteienklüngel

Daher ist es nicht verwunderlich, dass sich Deutschland, wie viele andere westliche Demokratien auch, in eine Parteienherrschaft verwandelt hat. Regierung und Bundestagsmehrheit sind praktisch ein und dasselbe Organ, die Mehrheitsparteien entscheiden, wer Bundespräsident wird. Abgeordnete, die der Parteilinie bei Abstimmungen nicht folgen, werden über kurz oder lang aussortiert. Wer in der Verwaltung Karriere machen möchte, sollte ein Parteibuch der etablierten Parteien haben. Selbst das Bundesverfassungsgericht ist mittlerweile mit Parteipolitikern durchsetzt, deren einzige fachliche Qualifikation das Zweite Juristische Staatsexamen ist. Stoppen die Gerichte tatsächlich einmal eine Maßnahme der Politik, ändert die Politik eben das Gesetz. Salopp gesagt: Die Bürger müssen alles zahlen, haben aber nichts zu melden, obwohl sie angeblich der Souverän sind. Einmal alle vier Jahre dürfen Sie ein Kreuzchen machen, wobei die obsiegende Partei sich leider nicht an ihr Parteiprogramm halten kann, weil sie in Koalitionsverhandlungen Kompromisse machen muss oder bestimmte Sachverhalte vermeintlich alternativlose Entscheidungen erzwingen.

Der große Vorteil der direkten Demokratie liegt demgegenüber darin, dass die Bürger zu Sachfragen entscheiden und auch Entscheidungen der Politik revidieren können. Sie müssen –anders als die Parteien- dabei auf keine mächtigen Interessegruppen Rücksicht nehmen. Erfahrung der Schweiz und Liechtensteins zeigen, dass die Bürger durchaus in der Lage sind, sich über Sachverhalte angemessen zu informieren, bevor sie ihre Entscheidung treffen. Direkte Demokratie schwächt definitiv die Macht der Politiker und Parteien und ist daher bei diesen so unbeliebt. Aber wer den Bürgern die Kompetenz zur Entscheidung in Sachfragen abspricht, darf sie eigentlich auch nicht wählen lassen. Denn es ist einfacher, eine Sachentscheidung zu fällen als eine Entscheidung über einen Politiker, den man kaum kennt oder über ein langes Parteiprogramm, dessen Umsetzung ungewiss ist[11].

Nun hat die direkte Demokratie auch Nachteile. Es besteht immer die Gefahr, dass die Mehrheit die Minderheit zu eigenen Gunsten enteignet oder bevormundet. Auch die Schweiz ist insofern theoretisch nur eine Volksabstimmung von der Enteignung Ihrer Leistungsträger entfernt. Gesetz und Verfassung bieten keinen wirklichen Schutz, weil diese ebenfalls geändert oder einfach nur anders ausgelegt werden können. Hier hat das liechtensteinische System zwei wirksame Sicherheitsventile eingebaut: zum einen das Vetorecht des Fürsten, zum anderen das Sezessionsrecht der Gemeinden. Ein Missbrauch des Vetorechts durch das Staatsoberhaupt wiederum wird durch die Möglichkeit der Bürger zum Misstrauensvotum oder zur Abschaffung der Monarchie verhindert.

Friedlicher Wettbewerb der Staaten

Liechtenstein ist das einzige Land der Welt, das seinen Gemeinden kraft Verfassung die Sezession und damit die Selbstbestimmung erlaubt. Eigentlich ist dies ein urdemokratischer Vorgang. Die Mehrheit eines Gebietes entscheidet per Volksabstimmung, unabhängig zu werden oder einem anderen Gemeinwesen anzugehören. Dieses Selbstbestimmungsrecht der Völker ist zwar in der UN-Charta verankert. Allerdings wäre das ein enormer Machtbegrenzungsfaktor für die Politik, daher hat sich diese das Dogma der „Unverletzlichkeit der Grenzen“ (natürlich „zur Friedenssicherung“) zurecht gelegt und missachtet das Selbstbestimmungsrecht der Völker einfach. Es ist aber nicht wirklich einsehbar, welche Friedensgefährdung es darstellen soll, wenn sich etwa Gebiete wie Venetien oder Katalonien von ihrem Mutterland lösen (und noch dazu Mitglied von EU und NATO bleiben wollen). In beiden Fällen ist eine große Mehrheit der Bevölkerung für die Abspaltung. Beweggrund ist jeweils, dass man seine Angelegenheiten lieber selber wahrnehmen möchte, schlecht geführte Regionen und den administrativen Wasserkopf der Zentralregierung nicht länger subventionieren will und den Parteien auch nicht zutraut, im Interesse der eigenen Region zu handeln. Das weiß natürlich die Regierung und hat daher in beiden Fällen die Abspaltung verboten. Ob diese undemokratische und autoritäre Haltung auf Dauer gegen den Willen der Bevölkerung durchsetzbar ist, steht freilich auf einem anderen Blatt.

Wäre die Abspaltung zulässig, wie das in Liechtenstein der Fall ist, hätte die Regierung einen Anreiz, die Interessen der Regionen von vornherein stärker zu beachten. Fürst Hans-Adam II. hat erkannt, dass die Gewährung von Selbstbestimmungs- und damit Sezessionsrecht die Qualität staatlichen Handelns kraft Wettbewerb genauso erhöhen kann, wie dies im Produkt- und Dienstleistungsmarkt der Fall ist. Die Staaten müssen dann friedlich miteinander in Wettbewerb treten, um Ihren Kunden den bestmöglichsten Service zum niedrigsten Preis anzubieten[12]. Hans-Adam II. wörtlich: „Der Umwandlungsprozess des Staates vom Halbgott in ein Dienstleistungsunternehmen wird nur möglich sein, wenn man von der indirekten auf die direkte Demokratie übergeht und mit dem Selbstbestimmungsrecht auf Gemeindeebene das Monopol des Staates aufbricht.“[13] In Deutschland hätten sich bei gleicher Rechtslage vermutlich nicht nur die Exklave Büsingen[14], sondern diverse süddeutsche Gemeinden längst der Schweiz angeschlossen. Das hätte wiederum die Politik erheblich vorsichtiger bei ihren Maßnahmen gemacht, denn andernfalls drohte ja ein weiterer Verlust von Staatsgebiet und Staatsbürgern (=Macht).

Die Mehrheit der Entscheidungen auf Gemeindeebene treffen

Ein weiterer Vorteil Liechtensteins ist schlicht seine Kleinheit. Je größer und anonymer eine Gesellschaft ist, desto eher wird sich ein Wasserkopf von Politikern, Beamten und Lobbyisten um die Zentrale bilden und desto eher besteht ein Anreiz, persönlich nicht bekannte Mitmenschen auszubeuten und weltfremde Entscheidung zu treffen. Echte Subsidiarität bedeutet, dass die Mehrheit der Entscheidungen auf Gemeindeebene getroffen werden. Man kennt sich und, kann die Auswirkung seines Tuns direkt beobachten. Ein Sozialkontrolle findet statt[15].

Verglichen mit Deutschland ist Liechtenstein zudem ein Musterbeispiel für Systemrobustheit oder Antifragilität. Ein antifragiles System ist eines, das weniger Ausschläge (auch nach oben) aufweist, dafür über ein weit längeren Zeitraum stabil und letztlich erfolgreicher ist[16]. Den Gegensatz dazu bilden fragile Systeme, die eine Zeit lang gut aussehen, dann aber in regelmäßigen Abständen katastrophal zusammenbrechen. Bis zum Jahr 1866 waren Liechtenstein und das heutige Deutschland im Deutschen Bund vereint. Der Deutsche Bund war ein Staatenbund souveräner deutschsprachiger Staaten, der im wesentlichen eine gemeinsame Verteidigung zum Gegenstand hatte. Ähnlich wie heute der intellektuelle Mainstream und die politische Klasse einen europäischen Bundesstaat anstrebt, war seinerzeit die Schaffung eines einheitlichen deutschen Staates das Maß der Dinge. Als nach der Schlacht von Königgrätz klar wurde, dass Preußen, welches den Fortbestand des Deutschen Bundes ablehnte, das Zentrum dieses neuen Staates sein würde, wurde von den Mitgliedsstaaten seine Aufhebung beschlossen. Ein einziges Land stimmte damals übrigens dagegen: Liechtenstein.

Was in der Folge mit Deutschland geschah ist bekannt: Einigungskriege, Kolonialismus, Erster Weltkrieg, zwei Millionen eigene Kriegstote, Verlust von einem Viertel des Staatsgebietes, Revolution, Hyperinflation, Währungsreform mit Verlust nahezu alle Ersparnisse, nationalsozialistische Diktatur, Zweiter Weltkrieg, Holocaust mit Auslöschung der jüdischen Mitbürger und ihrer Kultur, sechseinhalb Millionen eigene Kriegstote, Verlust eines weiteren Drittels des Staatsgebietes, fast alle Städte zerbombt, Vertreibung von zwölf Millionen Deutschen, Teilung des Landes in Besatzungszonen, erneute Währungsreform mit Verlust nahezu aller Ersparnisse, sozialistische Diktatur im Ostteil, dort Revolution und erneute Währungsreform. Insgesamt gab es sage und schreibe vier Systemzusammenbrüche seit 1870. Demgegenüber in Liechtenstein: null.

Eine der innovativsten Verfassungen der Welt

Heute verfügt Liechtenstein über ein weit höheres Pro-Kopf-Einkommen als Deutschland, ist ein stabiles Land mit wenig Kriminalität und ohne Staatsschulden. All dies wurde erreicht ohne einen einzigen Krieg, ohne eine einzige Revolution und ohne einen einzigen Anschluss an ein großes und mächtiges Gemeinwesen. Wenn dieser Erfolg nicht am politischen System und an der Kleinheit des Landes liegt, woran dann?

Wir sollten daher auch darüber nachdenken, ob ein Europa aus 100-200 Liechtensteins nicht das bessere Europa wäre. Die meisten Entscheidungen würden auf lokaler Ebene und dezentral getroffen, die Bürger dürften in Sachfragen mitentscheiden und aufgrund der Vielzahl von Gemeinwesen und des Sezessionsrechts herrschte ein fruchtbarer Wettbewerb um die Bürger anstelle eines Staatenkartells, dass die Bürger einerseits möglichst weitgehend melken und andererseits von allen Entscheidungen ausschließen will. Europas Stärke war immer die Vielfalt und der damit verbundene Wettbewerb. Die Schaffung gemeinsamer Institutionen wie einer gemeinsamen Freihandels- oder Wirtschaftszone oder einer gemeinsamen Verteidigung steht dem nicht entgegen. Je kleiner die Staaten sind, desto weniger droht zudem ein einzelner oder eine Gruppe von Staaten zu dominant zu werden. Nur Großmächte können große Katastrophen anrichten. Leopold Kohr, der „Philosoph der Kleinheit“, stellte bereits 1941 fest, was heute unverändert gilt: „Die politische Theoretiker unserer Zeit, die nur das Große im Auge haben und sich an Sammelbegriffen wie „Menschheit“ begeistern (niemand weiß, was das eigentlich ist und warum man für sie Leben opfern soll) halten den bloßen Gedanken, mehr anstatt weniger Staaten zu schaffen, für einen Rückschritt ins Mittelalter. Sie alle sind für Einigung und Gigantismus, obwohl Einigung über gewisse Grenzen hinaus nichts darstellt als totalitäre Gleichschaltung… Es ist …unsere eigene Erfahrung, die uns gelehrt hat, dass die Demokratie in Europa oder sonstwo nur in kleinen Staaten blühen kann. Nur dort kann der Einzelmensch seinen Platz und seine Würde behaupten“[17].

Natürlich ist auch in Liechtenstein nicht alles Gold was glänzt. Auch dort wachsen die Verwaltung und die Staatsausgaben beständig. Im Jahre 1956 verfügte Liechtenstein gerade einmal über zwölf Polizisten und man konnte den Regierungschef anrufen, worauf dieser persönlich das Telefon abnahm und sich mit „Regierung“ meldete[18]. Heute hat allein die Liechtensteiner Polizei 120 Mitarbeiter und das Land eine „professionelle“ Regierung und Verwaltung mit 19 Ämtern, 27 Dienststellen und weiteren Einrichtungen. Die Steuern sind entsprechend gestiegen. Jede Verwaltung tendiert dazu, sich zu erweitern und jedes Parlament tendiert dazu, seine Aufgabenbereiche auszuweiten, jeweils um die eigene Bedeutung zu vergrößern. Vernünftig klingende Gründe finden sich dafür immer. Eine echte Dienstleistungsgesellschaft beruht aber auf Freiwilligkeit. Jeder bezahlt nur für die Dienstleistung, die er auch haben will. Ansonsten besteht eben die Gefahr, immer neue staatliche „Dienstleistungen“ und Mitgliedschaften in „wichtigen internationalen Organisationen“ aufgedrängt zu bekommen, weil Staatsoberhaupt/ Parlament/ Regierung / Mehrheit des Volkes der Meinung sind, das sei gut für einen. Dem wäre dadurch zu begegnen, dass jeder einzelne Bürger sozusagen als Souverän seiner selbst einfach ein Vertrag mit dem „Dienstleistungsunternehmen Staat“ schließt, in dem festgehalten ist, was seine Rechte und Pflichten (einschl. Kosten) sind, so dass ein Parlament oder die Mehrheit nicht einseitig diesen Vertrag ändern kann. Darin kann durchaus eine nicht verhandelbare Basisleistung wie Polizei /Justiz / Grundsicherung enthalten sein. Aber wer weiß, vielleicht wird Liechtenstein auch in dieser Hinsicht einmal eine Vorreiterrolle einnehmen.

Die aktuelle Landesverfassung ist jedenfalls eine der innovativsten der Welt, was die Machtbegrenzung angeht, und das ist in jedem System der alles entscheidende Punkt.

Dieser Artikel erschien erstmals beim Deutschen Arbeitgeber Verband.


[1] Eine Änderung des bundesdeutschen Systems ist einfacher als viele denken. Tatsächlich müssten die erwachsenen Staatsbürger nur mit einfacher Mehrheit eine neue Verfassung verabschieden. Damit wäre das Grundgesetz gegenstandslos.

[2] Einer altmodischen Auffassung zufolge sollte man keine laute und lärmende Meinung zu Sachverhalten vertreten, über die man erkennbar nicht ausreichend informiert ist.

[3] http://www.llv.li/files/as/Jahrbuch%202014%20internet_gesamt.pdf, 167

[4] https://de.wikipedia.org/wiki/Wirtschaft_Liechtensteins

[5] http://www.liechtenstein.li/wirtschaft/zahlen-und-fakten/ – Gesamt-BIP geteilt durch die Zahl der Arbeitsplätze

[6] http://de.statista.com/statistik/daten/studie/254144/umfrage/bruttoinlandsprodukt-je-erwerbstaetigen-in-deutschland-nach-bundeslaendern/

[7] David Beattie, Liechtenstein. Geschichte und Gegenwart, Triesen 2005, 219ff.

[8] Beattie, 228f.

[9] Beattie, 227

[10] Hans-Adam II. von Liechtenstein, Der Staat im dritten Jahrtausend, Bern 2010, 169

[11] Hans-Adam, 177

[12] Hans-Adam, 166

[13] Hans-Adam, 196

[14] https://de.wikipedia.org/wiki/Büsingen_am_Hochrhein: „Im Jahre 1918 wurde eine Volksabstimmung durchgeführt, in der 96 % der Büsinger Bürger für eine Angliederung ihres Dorfes an die Schweiz stimmten. Dazu kam es aber nicht, weil die Schweiz kein geeignetes Austauschgebiet anbieten konnte. So blieb Büsingen beim Deutschen Reich. Die bisher letzte Chance der Büsinger, der Schweiz angegliedert zu werden, bot sich 1956. Damalige Verhandlungen waren zunächst vielversprechend, jedoch bestand der Landkreis Konstanz auf dem Verbleib von Büsingen bei Deutschland.“ Was die Bürger von Büsingen selbst wollen, spielt für den deutschen Staat offenbar keine entscheidende Rolle.

[15] Vgl. dazu auch Hans-Adam II., 11-23.

[16] Nassim Nicholas Taleb, Antifragilität – Anleitung für eine Welt, die wir nicht verstehen, München 2013.

[17] Leopold Kohr, Die Lehre vom rechten Maß, Salzburg 2006, 26f.

[18] Kohr, 147f.

Photo: Massachusetts Historical Society by WikiCommons

Gelegentlich wünschte man sich mehr revolutionären Geist in diesem Land statt dieser Mehltau-Lethargie. Man stelle sich einmal vor, der Beschluss des Parlaments, eine Steuer auf Milch und Honig (Mehrwertsteuer), auf die Rente (Finanztransaktionsteuer), auf das Eigentum (Erbschaftsteuer) oder eine Abgabe auf Brot und Spiele (Rundfunkbeitrag) einzuführen, würde eine Revolution auslösen? Die Bürger würden sich zentral versammeln, die Steuereintreiber in die Wüste schicken und es würde sich daraus eine Volksbewegung im ganzen Land entwickeln, die am Ende sogar zur Sezession und Unabhängigkeit führt.

Steuern? Revolution!

Doch es gab Zeiten, da wurde eine Revolution begonnen, als die Regierung eine Stempelsteuer beschlossen hatte. Das war damals so eine Art Mehrwertsteuer oder Finanztransaktionsteuer. Die Bürger versammelten sich an zentralen Plätzen und hängten symbolisch die Strohpuppen des Ministerpräsidenten und des örtlichen Steuereintreibers auf. Okay, das war sicherlich nicht die feine englische Art. Es ist ja auch schon lange her – 250 Jahre.

1765 versammelten sich junge Männer unter einer Ulme in Boston, in der damaligen britischen Kolonie in Massachusetts, um gegen die vom englischen Parlament beschlossene Stempelsteuer zu protestieren. Der Aufstand dieser „Sons of Liberty“ richtete sich nicht nur gegen eine Steuer, sondern gegen die damit einhergehende Zensur. Sie wollten nicht alle Dokumente, Verträge und Waren der Zentralgewalt vorlegen. Sie wollten frei handeln, ohne staatliche Willkür und sie wollten selbst über die Steuern und ihre Höhe abstimmen. Daraus entstand der Grundsatz „no taxation without representation“, der heute mehr denn je Richtigkeit hat.

Bäume als Freiheitssymbol

Das Symbol der Proteste war der Baum, die Ulme, die fortan überall in Amerika als „Tree of Liberty“ gepflanzt wurde und unter denen sich die „Söhne der Freiheit“ überall im Lande versammelten.

Schon ein Jahr nach ihrer Einführung hatten die Proteste Erfolg und die Stempelsteuer wurde vom englischen Parlament wieder aufgehoben. Wenn man heute das Schicksal des Solis, die Entwicklung des Rundfunkbeitrages oder die Regelungsmissgriffe bei der Mehrwertsteuer betrachtet, kommt einem charakterfesten Menschen mindestens die Zornesröte ins Gesicht – anderen die Tränen. Wo ist die Abschaffung des Solis, der Erbschaftsteuer, wo die des Zwangsbeitrages und wo ist die niedrige Mehrwertsteuer ohne Ausnahmen?

Lasst uns die Saat für mehr Freiheit aussäen!

Wenn ich die Augen zumache, stelle ich mir manchmal vor, dass wir Freiheitsfreunde eine dieser Ulmen pflanzen, uns dort versammeln und daraus eine Bewegung vieler Freiheitsliebenden wird. Alle pflanzen plötzlich einen Freiheitsbaum, schmücken ihn und versammeln sich dort, um gegen Fremdbestimmung, Eigentumsverletzung und willkürliches Recht zu protestieren.

Doch wenn ich die Augen wieder öffne, kommt mir in den Sinn, dass die Ulme eine gefährdete Baumart ist. Sie kommt zwar in 40 bis 50 Arten weltweit vor und ist wegen ihres wertvollen Holzes begehrt. Doch insbesondere die europäischen und amerikanischen Ulmenarten sind von einer tödlichen Krankheit bedroht, die inzwischen mehrere hundert Millionen Bäume zum Absterben gebracht hat. Erst welkt die Krone. Die Blätter werden braun und vertrocknen. Dann stirbt der Baum.

Doch es gibt unempfindliche Ulmenarten, die widerstandsfähig sind, wachsen und gedeihen. Diese Bäume sollten wir pflanzen – immer und überall. Wenn viele dies tun, dann wird aus vielen einzelnen Ulmen bald ein großer Wald. Ein Wald voller Freiheitsbäume. Nach 250 Jahren ist jetzt die richtige Pflanzzeit.

Erstmals erschienen auf Tichys Einblick