Beiträge

 Photo: Yohanes Sanjaya from Flickr (CC BY 2.0)

Die Förderung von Forschung und Entwicklung gilt als ein wichtiger Beitrag, um Innovationen und damit Wirtschaftswachstum zu fördern. Schon die Lissabon-Strategie der EU sah im Jahr 2000 vor, die Ausgaben für Forschung und Entwicklung bis 2010 auf drei Prozent der Wirtschaftskraft zu erhöhen. Am Ende waren es nur 1,82 Prozent. Und immer dann, wenn in der Planwirtschaft ein Gesamtplan nicht funktioniert, wird ein neuer Plan gemacht. So auch in der EU. Der Lissabon-Strategie folgte eine Nachfolge-Strategie „Europa 2020“. Jetzt endlich sollten die drei Prozent erreicht werden. Ob dies gelingt, wird man 2020 sehen. Wenn nicht, dann macht man wieder einen neuen Plan. Auch die Bundesregierung ist bemüht, die EU-Ziele zu erreichen. Der Etat des Bundesministeriums für Bildung und Forschung wurde deshalb in diesem Jahr um 1,1 Milliarden Euro auf 16,4 Milliarden Euro erhöht. Insgesamt 5,5 Milliarden Euro werden inzwischen für die institutionelle Forschungsförderung ausgegeben. Der Eindruck herrscht, hier geht es ab, hier entstehen sinnvolle Dinge, die uns alle weiterbringen.

Doch was geschieht eigentlich mit diesen Steuergeldern? Ein Blick auf ein Projekt des Bundesforschungsministeriums schürt ein wenig Zweifel, ob der Sinnhaftigkeit. Im Rahmen der Fördermaßnahme „Nachhaltiges Wirtschaften“ unterstützt die Regierung mit 643.218 Euro ein Projekt „nachhaltige Produktion und Verwendung von Zierpflanzen“. Wörtlich heißt es dazu: „Durch suboptimale Bedingungen und Behandlungen zeigen viele Zierpflanzen Stresssymptome, die einen Verlust des Zierwertes zur Folge haben. In ethnografischen Studien sollen detailliert die späteren Verwendungskontexte und Umweltbedingungen bei den Verbraucherinnen und Verbrauchern ergründet und darauf aufbauend in Anbauversuchen neue Produktionsverfahren für stressadaptierte Zierpflanzen getestet werden.“

Und an anderer Stelle will das Forschungsministerium unser Outfit verändern. Das mit 1.167.587 Euro geförderte Projekt „Slow Fashion“ will „gestalterische, technische und ökonomische Innovationen für massenmarkttaugliche nachhaltige Angebote im Bedarfsfeld ‚Bekleidung‘ erreichen“. Es wird analysiert, „wie der Diffusionsprozess innovativer Angebote für nachhaltige Bekleidung über die avantgardistischen und ökologisch orientierten Milieus in die (bürgerlichen) Mainstream-Milieus gelingen und gefördert werden kann.“

Soll jeder das erforschen und entwickeln, was er oder sie für sinnvoll erachten, aber doch bitte nicht mit Steuergeld. Ein aktuelles Beispiel, was ebenfalls Fragezeichen aufwirft, ist die Förderung der Elektromobilität. Hier hat das Forschungsministerium in den vergangenen Jahren mehr als zwei Milliarden Euro ausgegeben. Und jetzt hat die Bundesregierung auch noch beschlossen, dass der Kauf von Elektroautos mit 4.000 Euro subventioniert werden soll. Immer mehr macht sich die Regierung zum Oberlehrer der Nation und maßt sich an, zu wissen, was innovativ und fortschrittlich ist.

Doch woher soll die Regierung das wissen? Woher wollen die Kanzlerin oder ihre Forschungsministerin wissen, wie demnächst Wachstum und Wohlstand entsteht. Dieses Wissen hat niemand. Ob sich Elektroautos, Autos mit Wasserstoffantrieb oder leichtere Fahrzeuge aus Karbon durchsetzen, entscheidet der Verbraucher – sonst niemand. Im Übrigen, ob die Elektroautos nun einen Mix aus Kohle und Gas benötigen oder die derzeitigen Autos Benzin oder Diesel, ist für die Umweltbilanz völlig egal.

Deshalb ist dieses Anmaßen von Wissen nicht nur Geldverschwendung, sondern macht den Staat immer fetter und größer und die Bürger immer abhängiger von den Entscheidungen der Regierung. Gute Regierungspolitik greift nicht in die Entscheidungsfreiheit des Verbrauchers ein, stupst ihn nicht in die vermeintlich richtige Richtung, sondern setzt abstrakte, allgemeine und für alle gleiche Regeln, die nicht den Einzelfall oder bestimmte Industrien fördern.

Das einzige was die Regierung tun kann, ist die Kapitalbildung zu fördern. Denn wirtschaftlicher Fortschritt verlang in erster Linie eine reichliche Ausstattung mit Kapitalgütern, die durch den einzelnen Unternehmer dann einer zweckmäßigen Verwendung zugeführt wird. Subventionen, seien es für Forschung und Entwicklung oder für den Kauf von Elektroautos, schaden da nur.

Erstmals erschienen in der Fuldaer Zeitung am 21. Mai 2016.

Photo: angela n. from Flickr (CC BY 2.0)

Von Prof. Dr. Jan Schnellenbach, Professor für Volkswirtschaftslehre, insbesondere Mikroökonomik, an der Brandenburgischen Technischen Universität Cottbus-Senftenberg, Verfasser der Studie „Respektiert eine Politik des ‚weichen‘ Paternalismus die Autonomie individueller Konsumenten?“ über Prometheus.

Seit einigen Jahren wird sowohl in der wissenschaftlichen als auch in der politischen Debatte über das Konzept einer verhaltensökonomisch motivierten Politik diskutiert, die mal als „weicher” und mal als „libertärer” Paternalismus bezeichnet wird. Dieser Begriff geht ursprünglich auf den Verhaltensökonomen Richard Thaler und den Rechtswissenschaftler Cass Sunstein zurück, aber inzwischen finden sich in der Literatur so zahlreiche Varianten und so unterschiedliche Anwendungsfälle, dass man wohl besser den Sammelbegriff eines neuen Paternalismus verwendet.

Es geht dabei um einen Paternalismus, der, anknüpfend an die empirische Forschung in der Psychologie und der Verhaltensökonomie, im typischen Entscheidungsverhalten von Menschen Ansatzpunkte findet, um deren Entscheidungen in die eine oder die andere Richtung beeinflussen zu können. Aus dem Können folgt für die Vertreter dieses Konzeptes unmittelbar das Sollen. Denn das Handeln von Menschen, die für sich selbst entscheiden, erscheint ihnen oft fehlerhaft, unbeherrscht, disziplinlos und dumm, oder kurz: verbesserungsbedürftig.

Wieso sollte man also nicht sogenannte Entscheidungsarchitekturen bewusst gestalten, welche die Schwächen und Inkonsistenzen im Entscheidungsverhalten der Menschen gezielt ausnutzen, um sie zu einem besseren Verhalten zu bewegen? Wollen nicht eigentlich alle Bürger mehr Sport treiben, sich gesünder ernähren, weniger Heizenergie verbrauchen, Carsharing betreiben, mehr fürs Alter zurücklegen und ihr Auto besonders benzinsparend fahren? Und wenn sie es nicht wollen, sollten sie es nicht wollen?

So lesen sich dann manche Vorschläge für Anwendungsfälle des neuen Paternalismus tatsächlich wie verhaltensökonomisch unterlegte Bußpredigten. Der neue Paternalismus ist keineswegs ein zielneutrales Instrument, das es den Bürgern selbst überlässt, unbehelligt ihren eigenen Lebensstil zu genießen und ihre eigenen Präferenzen zu verfolgen. Die normative Vorstellung dessen, was das für alle verbindliche gute Leben ist, das wir alle eigentlich leben sollten, wären wir in unseren Entscheidungen nur nicht so fehleranfällig, wird vielmehr stets gleich mitgeliefert.

Kritischen Einwänden gegen den neuen Paternalismus wird oft mit der Behauptung begegnet, dass dieser schon deshalb unproblematisch sei, weil er keinen unmittelbaren Zwang ausübe. Und tatsächlich geht es im Gegensatz zum klassischen Paternalismus nicht darum, den Konsum einiger Güter zu verbieten. Wer sich anders verhalten will als vom paternalistischen Planer gewünscht, soll das prinzipiell dürfen. Die gezielt gestaltete Entscheidungsarchitektur soll es nur wahrscheinlicher – möglichst sehr viel wahrscheinlicher – machen, dass die Konsumenten stets die Wahl treffen, die der paternalistische Planer für vernünftig hält.

Doch wie zuverlässig kann der betroffene Bürger eine autonome, hiervon abweichende Wahl treffen, wenn die paternalistische Einflussnahme für ihn nicht im Moment seiner Entscheidung vollständig transparent ist? Wenn sich in den Daten entsprechender Studien zeigt, dass paternalistisch beeinflusste Konsumenten sich so verhalten wie vom Studiendesigner beabsichtigt, dann ist dies lediglich ein Ausdruck der Möglichkeiten, Entscheidungen erfolgreich zu steuern. Es drückt aber kein Einverständnis der betroffenen Konsumenten aus, gezielt in ihren Entscheidungen beeinflusst zu werden.

Im Hinblick auf die diskutierten Transparenzkriterien sind die Befürworter des neuen Paternalismus meist sehr genügsam. So wird etwa ein Publizitätskritierium vorgeschlagen, nach dem es ausreicht, paternalistische Interventionen mit nachvollziehbaren Argumenten verteidigen zu können, falls sie (ungewollt?) einmal in den Fokus der Öffentlichkeit geraten. Oder es wird postuliert, dass es genüge, ein Ziel (etwa die Energiewende) demokratisch zu legitimieren, womit der Einsatz von paternalistischen Methoden als Mittel dann ebenfalls gleich abgesegnet sei. Den Bürger im Moment des Einsatzes einer Entscheidungsarchitektur stets transparent darüber aufzuklären, dass er gerade in eine bestimmte Richtung gedrängt werden soll, ist aus dieser Perspektive dagegen weder nötig noch wünschenswert.

Wir haben es beim neuen Paternalismus also mit einem Konzept zu tun, das weder auf der Ziel- noch auf der Handlungsebene die Souveränität und Autonomie der Menschen respektiert. Das gilt unmittelbar in ihrer Rolle als Konsumenten. Hier erhält der neue Paternalismus neuerdings Flankenschutz aus der verbraucherpolitischen Diskussion, in der verhaltensökonomische Literatur oft grotesk einseitig interpretiert wird. Dies führt dort zu der Behauptung, nach der empirischen Kritik am alten, theoretischen Konzept vollständiger Rationalität sei nun auch die Vorstellung obsolet, dass es so etwas wie souveräne oder autonome Konsumenten überhaupt geben könne. Wenn man aber diesen leichtfertigen und unbegründeten Schluss einmal gezogen hat, dann ist es natürlich nur folgerichtig, über die Probleme und Folgen individueller Autonomieverluste gar nicht erst nachzudenken.

Steht man dem neuen Paternalismus dagegen kritisch gegenüber, so ergibt sich angesichts der Geringschätzung für individuelle Entscheidungskompetenz noch eine etwas spekulative Frage: Wieso soll man Bürgern, denen man in ihrer Rolle als Konsumenten nicht zutraut, brauchbare Entscheidungen zu treffen, eigentlich eine kompetente Entscheidung als Wähler zutrauen?

Als Ökonom versteht man das Verhältnis zwischen Bürger und Politik gemeinhin vor allem als Prinzipal-Agenten-Verhältnis. Der politische Wettbewerb und zusätzliche checks and balances sollten idealerweise dazu führen, dass die Politik im Sinne der Bürger kontrolliert und diszipliniert wird. Die Souveränität der Bürger steht also im Mittelpunkt. Wird aber, wer schon die Existenz autonomer und souveräner Konsumenten bestreitet, nicht konsequenterweise auch die Bürgersouveränität für ein unmögliches, irreales und irrelevantes Konzept halten müssen? Und welcher neueste Paternalismus könnte daraus dann folgen?

Photo: Vladimir Pustovit from Flickr (CC BY 2.0)

Von Frank Schäffler und Clemens Schneider.

Der Ökonom Prof. Jan Schnellenbach hat im Auftrag von „Prometheus – Das Freiheitsinstitut“ eine Studie erstellt zu der Frage „Respektiert eine Politik des ‚weichen‘ Paternalismus die Autonomie individueller Konsumenten?“ Zeitgleich mit der Veröffentlichung startet Prometheus die Kampagne „Ich brauch kein Kindermädchen“, die sich kritisch mit Nudging und Paternalismus auseinandersetzt.

Gerne berufen sich Politiker auf die Legitimation, die sie in regelmäßigen Abständen durch den Bürger erhalten. Im freiheitlich-demokratischen Rechtsstaat wurden sie vom Wähler mit dem Auftrag ausgestattet, seine Interessen zu vertreten. Selbstverständlich haben sie eine sehr hohe Meinung von ihren Wählern – schließlich waren die klug genug, ihnen ihre Stimme zu geben. Der Respekt vor dem Wähler und Bürger hört auf anderen Gebieten jedoch schnell wieder auf. Als Verbraucher kann derselbe Wähler nämlich aus ihrer Sicht oft keine so klugen Entscheidungen mehr treffen. Wie kann man noch von einem mündigen Wähler ausgehen, wenn man den mündigen Verbraucher abschafft?

„Freiheit ist immer die Freiheit der Andersdenkenden“, heißt es. Dieses Zitat sollten sich die Politiker und Bürokraten an die Wand hängen, die versuchen, mit Hilfe des Nudging und einer „sanften“ Verbrauchersteuerung den besseren Menschen zu erschaffen. Aus deren Perspektive sollte der Bürger seine Freiheit nämlich nur nutzen, wenn er sie auch richtig nutzt. Was richtig ist, bestimmt aber nicht jeder für sich selbst. Was richtig ist, bestimmen Fachleute.

Wer sich Risiken aussetzt, macht in diesem Weltbild etwas falsch, auch wenn er selbst die möglichen negativen Konsequenzen zu tragen bereit wäre. Wer raucht und trinkt oder Aktiengeschäfte macht statt sichere Staatsanleihen zu kaufen, wer riskante Sportarten betreibt oder zu viel Schokolade isst, tut in diesem Verständnis etwas, das er gar nicht tun will. Er ist Opfer seiner eigenen Schwäche, Faulheit oder gar Dummheit. Kein vernünftiger Mensch kann doch so etwas wollen.

In einer Welt, in der alles vorherbestimmt ist, gibt es keine Autonomie mehr. Wenn die Schicksalsgötter bereits alles entschieden haben, kann der Mensch sich nur noch fügen. Zwar sind die Zeiten größtenteils vorbei, in denen Menschen eine solche Vorstellung der Welt hatten. Die Aufklärung hat aufgeräumt mit der Vorstellung des Menschen als Spielball von göttlichen Mächten. Doch diese Religion kehrt in neuer Gestalt mit Macht wieder. Die neuen Götter sind die Fachleute und Experten. Die neuen Hohepriester die Verbraucherschützer und Politiker. Sie sind Herren über das Schicksal, weil sie den richtigen Weg kennen. Sie sind im Besitz eines höheren Wissens und einer tieferen Einsicht.

Der freie Mensch glaubt nicht an solche Götter und folgt nicht solchen Hohepriestern. Er kann als freier Mensch selber entscheiden, was er konsumiert, wie er investiert und was seine persönlichen Ziele sind. Doch auch diese Freiheit und die damit untrennbar verbundene Verantwortung will erlernt sein. Jeder, der Kinder hat oder selbst einmal Kind war, weiß: Freiheit und Verantwortung lernt man nur, indem man Freiheit und Verantwortung übernimmt.

Je mehr staatliche Fürsorge es gibt, je mehr der Verbraucher geschützt wird, umso weniger Möglichkeiten gibt es für ihn, Freiheit und Verantwortung zu lernen. Wenn nun dieser Schutz im sanften und subtilen Gewand des Nudging daherkommt, wird es noch gefährlicher: Während der Bürger sich gegen eine gesetzliche Gängelung wehren kann, arbeitet diese Methode des unterbewussten Schubsens ja gerade dadurch, dass sie gar nicht auffällt. Es bleibt also nicht einmal mehr die Möglichkeit der Rebellion und des Ungehorsams, um Freiheit und Verantwortung zu lernen.

Nur wer die Freiheit hat, Dummes zu tun, wird mit der Zeit lernen können, was klug ist. Die Freiheit zum Irrtum ist die wichtigste Quelle menschlicher Erkenntnis und Entwicklung – im persönlichen Leben jedes einzelnen wie im großen Ganzen menschlicher Zivilisation. Wenn der „sanfte“ Paternalismus des Nudging die Freiheit vom Irrtum verheißt, droht er genau diese Quelle auszutrocknen.

Den perfekten Menschen und mithin das Paradies auf Erden zu schaffen, ist noch keinem Menschen gelungen. Es hat ganz im Gegenteil oft fatale Folgen gezeitigt. Wir müssen akzeptieren, dass Menschen ein Recht haben, Fehler zu machen. Es mag Entscheidungen geben, die uns unvernünftig erscheinen. Mit Worten und Argumenten können wir versuchen, jemanden davon abzuhalten. Aber der Vorrang der Freiheit verbietet es uns, in sein Leben einzugreifen. Nicht mit Gesetzen und Vorschriften. Und erst recht nicht mit subtiler Manipulation. Zumal keiner von uns wissen und nachvollziehen kann, welche Präferenzen jemand hat. Selbstverständlich kann man den genüsslichen Zug an der Zigarette oder das Freestyle Klettern den möglichen negativen Folgen vorziehen. „Carpe Diem“ – „Genieße den Tag“ ist eine legitime und gar nicht so seltene Einstellung.

Freiheit ist nicht nur die Freiheit der Andersdenkenden, sondern immer auch die Freiheit der Andershandelnden. Die Politik in einem freiheitlich-demokratischen Rechtsstaat muss Respekt haben vor den Bürgern. Dazu gehört ganz wesentlich, zu akzeptieren, dass sie Entscheidungen treffen, die einem selbst nicht passen. Der Versuch, sie davon abzuhalten, ist nicht legitim – ganz besonders dann nicht, wenn er so geschieht, dass es die Bürger möglichst gar nicht bemerken.

Prof. Jan Schnellenbach warnt vor manipulativen paternalistischen Interventionen der Regierung und Einschränkung der Autonomie

Der Ökonom Prof. Dr. Jan Schnellenbach (Universität Cottbus-Senftenberg) hat im Auftrag der Berliner Denkfabrik „Prometheus – Das Freiheitsinstitut“ eine Studie erstellt zu der Frage „Respektiert eine Politik des ‚weichen‘ Paternalismus die Autonomie individueller Konsumenten?“ (Studie zum Download) Zeitgleich mit der Veröffentlichung startet Prometheus die Kampagne „Ich brauch kein Kindermädchen“ (www.dontnudge.me), die sich kritisch mit Nudging und Paternalismus auseinandersetzt.

Der „weiche Paternalismus“, auch unter dem Begriff „Nudging“ bekannt, geht auf ein Konzept des Harvard-Professors Cass Sunstein zurück. An Stelle „harter“ Gesetze, Regulierungen und Verbote sollen mit Hilfe von Psychologie und Verhaltensökonomie erstellte „Anstubser“ den Bürger zum „richtigen“ Verhalten bewegen. Die Regierungen der USA und Großbritanniens nutzen dieses Instrument bereits seit über fünf Jahren. In Deutschland gibt es seit etwa einem Jahr im Bundeskanzleramt drei Experten für „wirksames Regieren“, deren Aufgabe die „Entwicklung alternativer Designs von politischen Vorhaben“ ist. Im deutschsprachigen Raum wird für dieses Konzept vor allem von Prof. Lucia Reisch geworben, der Vorsitzenden des Sachverständigenrats für Verbraucherfragen beim Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz.

Bereits seit längerem haben sich viele politische Akteure vom Bild des mündigen Verbrauchers verabschiedet. (Heiko Maas am 10.03.2014 in der Süddeutschen Zeitung: „Der ‚mündige Verbraucher‘ ist dabei ein schönes Ideal, aber mit der Realität hat es wenig zu tun.“) Das im Februar bekanntgegebene „Nationale Programm für nachhaltigen Konsum“ ist im Geiste dieses Paradigmenwechsels in der Verbraucherpolitik konzipiert – ebenso wie die vor kurzem vom Landwirtschaftsministerium angekündigte Gründung eines „Bundeszentrums für Ernährung“ und die gestern lancierte „Offensive zur Steigerung der Energieeffizienz“ des Wirtschaftsministeriums.

Prof. Dr. Jan Schnellenbach ist Professor für Volkswirtschaftslehre, insbesondere Mikroökonomik, an der Brandenburgischen Technischen Universität Cottbus-Senftenberg. Davor hatte er Lehraufträge an den Universitäten Freiburg, Heidelberg, Hamburg und Marburg und war Geschäftsführer des Walter-Eucken-Instituts. Er hat zahlreiche Publikationen auf dem Gebiet der Verhaltensökonomie veröffentlicht.

Prometheus – Das Freiheitsinstitut ist eine Denkfabrik, die sich der Verbreitung freiheitlichen Denkens widmet. Sie ist im Jahr 2015 von dem ehemaligen FDP-Bundestagsabgeordneten Frank Schäffler und von Clemens Schneider gegründet worden. Ihre ersten großen Kampagnen beschäftigten sich mit dem Rundfunkbeitrag („Zwangsbeitrag? Nein Danke“) und der Zukunft der Europäischen Union („Europa der Bürger“).

Zitate aus der Studie:

„In dieser Hinsicht ist es als sehr problematisch zu beurteilen, wenn … die Exekutive sich parlamentarisch eine generelle Ermächtigung zur Förderung oder Bekämpfung eines bestimmten Konsumverhaltens erteilen lässt, die Details einer wenig sichtbaren paternalistischen Politik dann aber rein administrativ ausgearbeitet werden.“

„Framing-Effekte können Autonomie einschränken, indem ihr gezielter Einsatz die Individuen so manipuliert, dass sie nicht auf der Grundlage ihrer eigenen Interessen und Motive handeln.“

„Die Behauptung, ‚weiche‘ paternalistische Entscheidungsarchitekturen erhielten die Entscheidungsfreiheit des Individuums, [ist] nicht allgemein zutreffend. Hierzu sind sowohl strenge Transparenzkriterien zu erfüllen, als auch der Appell an Gefühle und Instinkte der Betroffenen zu vermeiden und Informationen ausgewogen darzustellen. Nur sehr wenige der paternalistischen Mechanismen, die aktuell diskutiert werden, erfüllen all diese Kriterien.“

„Manipulative paternalistische Interventionen [sind] nicht nur auf der unmittelbaren Entscheidungsebene problematisch, sondern können darüber hinaus auch tiefergehende Auswirkungen auf die Veränderung individueller Präferenzen haben und auch auf diesem Wege die Autonomie der Individuen beeinträchtigen.“

Rückfragen gerne an info@prometheusinstitut.de oder telefonisch unter 030/23911073. Sollten Sie uns nicht erreichen, schreiben Sie uns bitte eine Email. Wir rufen Sie dann umgehend zurück.

Photo: Bankenverband from Flickr (CC BY-ND 2.0)

Der Überwachungsstaat ist präsenter denn je: Videokameras allenthalben, Vorratsdaten-Speicherung, Email- und Telefonüberwachung. Wen da schon ein ungutes Gefühl beschleicht, der möge sich warm anziehen: Die neue Stufe besteht nämlich in der Verbindung aus Big Data und Paternalismus …

Betreutes Wohnen für alle

Den Nachtwächterstaat kennt man nur noch aus den Schauermärchen längst vergangener Tage. Der Homo Oeconomicus ist ohnehin schon vor Jahrzehnten mit dem Bannfluch belegt worden. Und selbst der mündige Verbraucher ist inzwischen im Deutschen Historischen Museum eingemottet worden – irgendwo zwischen Wirtschaftswunder und Sexueller Revolution. Als wahrhaft aufgeklärte Menschen wissen wir, dass wir so sehr durch Umstände getrieben, durch Herkunft geprägt und durch fremde Mächte manipuliert sind, dass Freiheit und Selbstbestimmung doch eigentlich nur Illusionen sind. Fragen Sie mal Ihren Hirnforscher oder Neurologen!

Ein adäquates Mittel, um unsere defizitäre Vernunft auf die rechte Bahn zu bringen, will uns das Konzept des Nudging an die Hand geben. Mittels kleiner Stupser werden wir angeregt, das zu tun, wonach uns ja eigentlich der Sinn steht – oder stehen sollte. Wenn da nur nicht die Umstände, die Faulheit, die Ignoranz im Wege stünden. Nudging ist so ein bisschen wie betreutes Wohnen. Das gewohnte Umfeld bleibt erhalten, man fühlt sich wie zuhause. Aber irgendjemand passt immer auf, dass man keine Dummheiten anstellt. Diese mit mehr Kompetenz und Weitsicht ausgestatteten Betreuer sind die Politiker und Bürokraten.

Personalisiertes Nudging

Das Nudging steckt allerdings noch ein wenig in den Kinderschuhen. Es berücksichtigt zum Beispiel nicht, dass nicht alle Menschen gleich sind. Das neue Verbraucherleitbild des Verbraucherschutzministeriums geht auf diese Problematik ein, nachdem es den mündigen Verbraucher in die ewigen Jagdgründe verbannt hat. Drei Verbrauchertypen tauchen da auf: Der verletzliche Verbraucher: im Prinzip Cindy aus Marzahn. Der vertrauende Verbraucher: das sind Sie und ich. Normale Menschen, die wissen, dass zu viel Cola ungesund ist, aber dann doch alles glauben, was auf der Packung steht. Und schließlich der verantwortliche Verbraucher: also die Leute, die den ganzen Tag nichts anderes machen, als sich über Zusatzstoffe, Vertragsklauseln und die neuesten Skandale zu informieren.

So weit, so gut: Immerhin haben wir schon einmal ein wenig Differenzierung in die Verbraucherschutzpolitik hineingebracht. Aber da ist noch sehr viel Raum nach oben! Was wäre das doch für eine schöne neue Welt, in der Sie Ihre persönlichen, maßgeschneiderten Nudges hätten! Schließlich machen Sie ja andere Fehler und haben andere Schwächen als Ihr Nachbar oder Ihre Vorgesetzte. Wäre es nicht hilfreich, wenn wir an Stelle eines anonymen und kalten Verbraucherschutzes einen ganz persönlichen Monika-Schutz, Christoph-Schutz und Cindy-Schutz hätten? Soll keiner sagen, hier würden alle Menschen pauschal gleichgemacht. Nein, Nudging kann auch ganz nah am Menschen stattfinden.

Eine Dystopie auf dem Weg zur Realisierung

Der Instrumentenkasten für dieses neue Nudging liegt in Big Data. Was Facebook, Google und Amazon mit der personalisierten Werbung schon heute machen, kann morgen auch Mutter Staat zu Ihrem Wohl tun. Natürlich mit dem wesentlichen Unterschied, dass Politiker, Büro- und Technokraten nicht an ihrem persönlichen Profit interessiert sind, sondern am Wohl aller Bürger, ja an Ihrem persönlichen Wohl! Mit Hilfe der Auswertung Ihrer Daten können Nudges für Sie persönlich entwickelt werden. Ihr Drang zum riskanten Investieren oder zur falschen Ernährung kann so ganz individuell bekämpft werden. Der Staat ist dann kein abgehobener und kalter Vater Staat mehr, er ist ein zugewandter, an Ihnen persönlich interessierter Mutter Staat, der Sie an der Hand nimmt und auf den Weg der Tugend zurückführt.

Diese Dystopie ist leider schon näher an Ihrer Verwirklichung als man meinen könnte. Was klingt wie aus einer aktualisierten Neuauflage von Orwell oder Huxley, spielt in der akademischen Welt tatsächlich schon eine gewichtige Rolle. So forscht etwa der IT-Wissenschaftler Alex Pentland schon seit Jahren am renommierten Massachusetts Institute of Technology an derlei Techniken, ebenso wie die Professoren Barry Nalebuff und Ian Ayres aus Yale und Oren Bar-Gill aus Harvard. Es kann erfahrungsgemäß nicht mehr lange dauern bis diese „guten Ideen“ auch in Politik umgesetzt werden. Zur Disposition steht dann nicht mehr nur der mündige Bürger. In einem solchen Nanny-Staat 2.0 sind auch die Gleichheit vor dem Gesetz, die Privatsphäre und die individuelle Freiheit und Verantwortung in ernsthafter Gefahr.