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Photo: metroplico.org from Flickr (CC BY-SA 2.0)

Deutschland ist auch ein bisschen Griechenland. Zumindest was die kollektive Verantwortungslosigkeit im deutschen Föderalismus angeht. So trägt jeder Bremer die Schuldenlast seines Landes in Höhe von 32.735 Euro. Das ist mehr als jeder Grieche für sein Land. Dort beträgt die Schuldenlast pro Einwohner 28.500 Euro. Jeder Vergleich hinkt, so auch dieser. Es ist sicherlich nicht vermessen, wenn man behauptet, dass in den aktuellen griechischen Zahlen nicht alle Verbindlichkeiten enthalten sind, aber dies gilt auch für Bremen. Die Schuldenlast des Bundes von 1.100 Milliarden Euro müsste in diesem Vergleich auch anteilig auf jeden Bremer verteilt werden.

Wie in Griechenland ist auch in Bremen die Schuldenlast erdrückend und nicht mehr durch reines Wirtschaftswachstum nennenswert zurückzuführen. Und wie in Griechenland durch die EU und die EU-Mitgliedsstaaten erhält Bremen regelmäßig Transferzahlungen vom Bund und von den übrigen Bundesländern. Vom Bund kamen 2015 563 Millionen Euro Sonderzuweisungen und im Rahmen des Länderfinanzausgleichs über 600 Millionen Euro von den Ländern. Mit letzterem ist jetzt bald Schluss. Der Länderfinanzausgleich wird abgeschafft. Darauf haben sich der Bund und die Länder geeinigt. Das ist gut und richtig so. Er war schon immer leistungsfeindlich, weil nur wenige Geberländer eine große Mehrheit von Nehmerländern gegenüberstanden. Aktuell zahlen nur noch Hamburg, Hessen, Baden-Württemberg und Bayern ein. In 2015 waren es 9,5 Milliarden Euro. Das hört sich viel an, am gesamten Steueraufkommen von 620 Milliarden Euro sind es aber lediglich 1,5 Prozent.

Daher ist die Einigung nur ein Reförmchen. Eigentlich müsste eine viel grundlegendere Veränderung des Föderalismus stattfinden. Der deutsche Föderalismus schafft falsche Anreize. Er bestraft gute Politik und belohnt schlechte. Kommen Bremen oder auch das Saarland mit ihren Ausgaben nicht zurecht und steigt daher die Verschuldung immer weiter an, dann hilft der Bund in unregelmäßigen Abständen mit Sonderzahlungen – jetzt wieder. Damit die beiden Länder der Neuordnung des Finanzausgleichs ab 2020 zustimmen, erhalten sie erneut Sanierungshilfen von 800 Millionen Euro.

Geändert hat sich in den letzten Jahrzehnten an der grundsätzlichen Finanzsituation der beiden Schuldenländer dennoch nichts. Dabei ist die Größe der Bundesländer nicht das Problem. Das sieht man schon daran, dass das kleine Hamburg in den Länderfinanzausgleich bislang eingezahlt und das große Nordrhein-Westfalen Leistungen daraus bezogen hat.

Das Problem ist, wie in Griechenland auch, das Auseinanderfallen von Risiko und Haftung. Werden falsche Strukturentscheidungen der Länder getroffen, zu viele Beamte eingestellt oder zu viele Prestigeprojekte errichtet, haften nicht das Land Bremen und seine Bürger dafür, sondern alle Bürger in Deutschland. Es gibt in Deutschland keine Insolvenz von Kommunen und Ländern. Im Zweifel muss der Bund einspringen.

Das muss nicht so sein. Ein funktionierender Wettbewerbsföderalismus lässt die Verantwortung für die Entscheidungen auf der jeweiligen politischen Ebene. Leben eine Kommune oder ein Land über ihre Verhältnisse, dann müssen sie sich selbst um eine Konsolidierung bemühen. Gelingt dies nicht, dann muss mit den Gläubigern über eine Lösung verhandelt werden. Das ist nicht ungewöhnlich. Kann der Bundesstaat Kalifornien seine Beamten nicht mehr bezahlen, dann schickt er sie in den Zwangsurlaub. Die Zentralregierung in Washington käme nicht auf die Idee einzuspringen.

Und auch in unserem Nachbarland Schweiz kennt man nicht die Kollektivhaftung für das Versagen auf kommunaler oder kantonaler Ebene. Als 1998 die Gemeinde Leukerbad im Kanton Wallis zahlungsunfähig wurde, wollten sich die Gläubiger anschließend beim Kanton und bei der Zentralregierung schadlos halten. Diese verweigerten die Zahlung. Am Ende verzichteten die Gläubiger auf 78 Prozent ihrer Forderungen. Seitdem differieren die Finanzierungskonditionen zwischen Gemeinden, Kantonen und dem Bund in der Schweiz je nach Solidität. Dieser Wettbewerbsföderalismus funktioniert in der Schweiz auch deshalb, weil die jeweilige Ebene nicht nur über die Ausgaben in einem viel größeren Ausmaß als hierzulande bestimmen kann, sondern auch über die Einnahmen. Kantone und Gemeinden haben eine umfangreiche Steuerautonomie, die 80 Prozent des Steueraufkommens bei ihnen belässt. In Deutschland sind es nur rund 50 Prozent und das eigene Steuererhebungsrecht ist, von einigen Bagatellsteuern abgesehen, nicht vorhanden. Mehr Wettbewerbsföderalismus wäre daher auch für Deutschland gut.

Erstmals erschienen am 22. Oktober 2016 in der Fuldaer Zeitung.

Photo: Bankenverband from Flickr (CC0 1.0)

Nicht jedes tote Pferd ist bereits in die ewigen Jagdgründe eingezogen, nur weil es länger nicht gesichtet wurde. Manchmal ist es nur scheintot. Die Finanztransaktionssteuer ist so ein Gaul. Der alte Klepper wurde lange, sehr lange geritten. Er war sogar einmal Gegenstand einer ernsten Koalitionskrise. Als am 7. Mai 2010 der Bundestag über die erste Griechenlandhilfe beriet, wollte die Koalition aus Union und FDP mit einem Entschließungsantrag auch die oppositionelle SPD mit ins Boot holen. Damals konnte man hautnah miterleben, wie der real existierende Politikbetrieb funktioniert. Die Bedingung der Sozialdemokraten für die Zustimmung zum griechischen Bail-Out war die Einführung einer Finanztransaktionssteuer in Deutschland. Die Union hatte Sympathien für diesen Vorschlag, da man damit den Koalitionspartner FDP ärgern konnte. Die FDP profilierte sich bekanntlich im Wahlkampf 2009 mit Steuersenkungen und erzielte damit ihr historisch bestes Bundestagswahlergebnis. Das geschah auch auf Kosten der Union, die zwar anschließend mit der FDP eine Koalition schloss, aber von Anbeginn an alles dafür tat, die FDP in dieser Frage zu schwächen. Der Einführung einer neuen Steuer, die auch noch die Altersvorsorge jedes Einzelnen belastet, konnte die FDP nicht zustimmen. Sie erklärte die Einbeziehung der Finanztransaktionssteuer daher zu einer Koalitionsfrage.

In der Folge einigte sich die Koalition auf einen eigenen Entschließungsantrag ohne die neue Steuer und ohne die SPD. Anschließend stimmten die Genossen gegen den Entschließungsantrag der Koalition und enthielten sich kraftvoll bei der ersten Griechenlandhilfe. Es geht halt im Parlamentsalltag immer um die Sache.

In dieser Woche haben zehn EU-Finanzminister (Deutschland, Österreich, Frankreich, Italien, Belgien, Griechenland, Portugal, Slowakei, Slowenien, Spanien) den alten Klepper wieder aus dem Stall geholt. Sie haben gemeinsam die EU-Kommission beauftragt, bis Ende des Jahres einen Gesetzentwurf vorzulegen, der nur für diese zehn Mitgliedsstaaten Verbindlichkeit erlangen soll.

Selbstzerstörung ist der europäischen Politik nicht völlig fremd, aber dass sich jetzt schon eine Gruppe innerhalb der 28 freiwillig im Verhältnis zu den anderen selbst schädigt, ist neu. Es wäre schon absurd, die Steuer weltweit einzuführen, da sie nicht administrierbar ist, erst recht nicht kontrollierbar und vor allem künftige Finanzkrisen eher befördert als verhindert. Es wäre auch irre, diese Steuer in der gesamten EU einzuführen, da die Verlagerung von Börsentransaktionen nach Tokio oder New York eine Sekundenentscheidung wäre.

Aber in Anbetracht des kommenden Brexits ist es wohl ein aktiver Beitrag zur Sicherung des Bankenplatzes in London, den die Festlandseuropäer hier an den Tag legen. Diese großzügige Geste von Schäuble und anderen ist verwunderlich, da sie sonst die EU und ihren Binnenmarkt eher als protektionistische Trutzburg gegen den Freihandel nach außen positionieren. Denn dem wichtigen Handelspartner Großbritannien droht man längst mit einem Abbruch der Handelsbeziehungen, sollten sie die Personenfreizügigkeit nicht ohne wenn und aber akzeptieren.

Hinter der Finanztransaktionssteuer steckt die falsche Annahme, dass Börsenturbulenzen etwas mit den Börsenumsätzen und der Umlaufgeschwindigkeit von Finanztransaktionen zu tun habe. Sie soll die Finanzaktivitäten belasten und damit beschränken. Hält man das Auf und Ab der Börsen für schlecht, dann sorgt eine Umsatzsteuer auf Finanzgeschäfte eher für eine Liquditätsaustrocknung, die dann zu einer wachsenden Volatilität führen kann. Und sehr wahrscheinlich gelingt es den Banken, Fondsgesellschaften und Versicherungen, die Steuer auf ihre Kunden zu übertragen. Sie werden diese dann mit ihrer Altersvorsorge bezahlen.

Deutschland hat 1991 die Börsenumsatzsteuer abgeschafft, weil sie der Aktienkultur in Deutschland geschadet hat. Heute geht es nicht mehr nur um die Aktienkultur, sondern um einen Schlag gegen die Sparkultur insgesamt in Deutschland. Wenn die Zinsvernichtungspolitik der EZB unter Mario Draghi die Sparer bereits um ihren Ertrag bringt, dann ist eine Finanztransaktionssteuer ein doppelter Schlag für diejenigen, die unabhängig von staatlichen Transferleistungen im Alter sein wollen. Das alles ist nicht unerheblich. Denn eine Gesellschaft freier Bürger setzt Eigentum voraus. Wenn der Staat über die Geldpolitik auf der einen Seite und über die Steuerpolitik auf der anderen Seite immer mehr in das Eigentum des einzelnen eingreift, erodiert die bürgerliche Gesellschaft. Der Bürger wird immer abhängiger und der Staat immer mächtiger. Das kann auch in der Entwicklung der Parteien abgelesen werden.

Das wirklich Erschreckende daran ist, dass sich hier die Union aus CDU und CSU mit der politischen Linken, von Attac, Grünen, Linken und SPD bis zu den Gewerkschaften, verbünden. Es gibt keinen breiten bürgerlichen Widerstand gegen die Eingriffe ins Eigentum, sondern nur noch Symbolpolitik.

Erstmals erschienen bei Tichys Einblick.

Foto: Traveller_40 from flickr (CC BY-NC-ND 2.0)

Was haben Mikronesien, die Seychellen, Antigua und Deutschland gemeinsam? Das Sommerwetter sicherlich nicht. Auch wenn wir gerade ein heißes Spätsommerwochenende erleben, ist der Sommer 2016 doch eher ins Wasser gefallen. Was diese Länder mit Deutschland eint, ist, dass sie ebenfalls einen Überschuss der Einnahmen über die Ausgaben des Staates erzielen. Es sind nicht viele Staaten auf dieser Welt, denen das aktuell gelingt, umso erfreulicher ist es für Deutschland. Deutschland erzielte im ersten halben Jahr 2016 einen Überschuss von 18,5 Milliarden Euro oder 1,2 Prozent im Verhältnis zur Wirtschaftsleistung. Schon wird die Frage gestellt: wohin damit? Drei Möglichkeiten bieten sich an: Erstens kann der Staat seine Ausgaben erhöhen und sie einfach verfrühstücken. Zweitens kann er seine Verschuldung abbauen und Kredite tilgen. Drittens könnte er seine Einnahmen kurzfristig dadurch reduzieren, dass er den Bürgern weniger an Steuern wegnimmt.

Die erste Möglichkeit ist das Konzept der siebziger Jahre. Während der damaligen Ölkrise schwächelte die heimische Wirtschaft, die Arbeitslosigkeit stieg und Helmut Schmidt begründete die höhere Neuverschuldung mit den Worten: „Lieber fünf Prozent Inflation als fünf Prozent Arbeitslosigkeit.“ Bekanntlich hatte er dann 1980 beide Marken übertroffen und wurde auch deshalb wenige Jahre später abgewählt. Die zweite Möglichkeit sieht den Schuldenabbau vor. Allein der Bund schiebt derzeit 1050 Milliarden Euro Schulden vor sich her. Finanzminister Schäuble will davon nichts tilgen, sondern setzt darauf, dass das Wirtschaftswachstum die Schuldenquote im Jahr 2020 unter die 60 Prozent-Norm des Maastricht-Vertrages drückt.

Dabei hat er es derzeit sehr einfach. Mario Draghis Zinsvernichtungspolitik hilft Schäuble enorm. Noch vor wenigen Jahren musste Schäuble trotz 117 Milliarden Euro höherer Schulden weniger Zinsen bezahlen. In der Hochzeit waren es über 40 Milliarden pro Jahr, im nächsten Jahr sind es nur noch 19 Milliarden Euro. Historische Vorbilder großer Volkswirtschaften für einen radikalen Schuldenabbau gibt es nicht viele. Die Schweiz ist eines. Hatte die Schweiz zum Ende des Zweiten Weltkrieges noch eine Verschuldung von 60 Prozent ihrer Wirtschaftsleistung, waren es in den 1970er Jahren nur noch unter 10 Prozent. Ein relativ konstanter Schuldenberg sank prozentual im Verhältnis zur Wirtschaftsleistung durch ein starkes ökonomisches Wachstum. Die Schweizer Wirtschaft wuchs in dieser Zeit um über 3 Prozent pro Jahr.

Die dritte Variante wäre es, die Einnahmen des Staates kurzfristig zu reduzieren und die Bürger steuerlich zu entlasten, damit dadurch eine neue wirtschaftliche Dynamik entsteht, die dann mittel- und langfristig die Einnahmen des Staates wieder steigen lässt. Es wäre die Variante, die Ronald Reagan in den 1980er Jahren gewählt hat und die den wirtschaftlichen Aufstieg Amerikas in dieser Zeit begründete.

Historische Betrachtungen hinken meist, auch hier.

Schmidt konnte zu Beginn der 1970er Jahre nicht auf Überschüsse zurückgreifen. Der Staat gab damals schon mehr aus, als er einnahm. Deutschland ist nicht die Schweiz. Wir sind Mitglied des Euro-Währungsraumes, der inzwischen leider die Schulden des einen Landes zu Schulden des anderen Landes gemacht hat. Die Nichtbeistandsklausel in den Europäischen Verträgen gilt nur noch auf dem Papier. Das bankrotte Griechenland demonstriert uns jeden Tag diesen Umstand. Und auch die dritte Variante hinkt ein wenig. Die Steuereinnahmen steigen in dieser Legislaturperiode um über 100 Milliarden Euro vor allem deshalb, weil die Wirtschaft wächst. Deutschland hat im Vergleich zu vielen anderen EU-Ländern sehr solide Wachstumsraten.

Deutschland sollte daher lieber einen Dreiklang der Maßnahmen favorisieren. Erstens müssen die Ausgaben viel stärker in den Ausbau der Infrastruktur, sei es in die Bildung, den Straßenverkehr oder die digitale Infrastruktur umgeschichtet werden. Zweitens sollten die Ausgaben geringer steigen als die Einnahmen, um so den Schuldenstand im Verhältnis zur Wirtschaftsleistung zu reduzieren. Und drittens muss ein kluger Finanzminister die Bürger berechenbar entlasten. Das heißt: Mindestens die Hälfte der Steuermehreinnahmen müssen künftig an die arbeitenden Bürger zurück.

Photo: Abhijay Achatz from flickr (CC BY-SA 2.0)

Es läuft gut für den Staat. Der Finanzbericht des Bundesfinanzministers rechnet alleine im nächsten Jahr mit Steuereinnahmen von 723,9 Milliarden Euro. Für die gesamte Legislaturperiode (2013 bis 2017) betrachtet, werden Bund, Länder und Gemeinden über 104 Milliarden Euro zusätzlich an Steuern einnehmen. Die Finanzminister und Kämmerer schwimmen im Geld wie noch nie in der Geschichte dieses Landes. Trotz Geldschwemme, oder vielleicht gerade deshalb, findet eine schleichende Hellenisierung der öffentlichen Haushalte in Deutschland statt. Das hat eine gewisse Logik. Griechenland ist in erster Linie auch deshalb in seine aussichtslose Situation geraten, weil seit dem Eintritt in die Europäische Gemeinschaft 1982 Subventionen von über 100 Milliarden Euro in das Land geflossen sind. Mit der Einführung des Euro kam dann noch zusätzlich die Verbilligung des Zinses hinzu, der eine größere Verschuldung ermöglichte. Beides ließ den Staatsapparat aufblähen, bis es nicht mehr ging. Seitdem hängt Griechenland am Tropf der Euro-Staaten und wird es bis zum Sankt-Nimmerleins-Tag auch bleiben.

In Deutschland findet die Hellenisierung der öffentlichen Haushalte ebenfalls statt. Der billige Zins und der relativ schwache Euro sind Subventionen, die der Exportindustrie helfen und damit in der Folge die Steuereinnahmen enorm ansteigen lassen. Gleichzeitig wendet der Bundesfinanzminister immer weniger für seine Schulden auf. Zahlte Schäuble 2008 noch über 40 Milliarden Euro an Zinsen, so werden es im nächsten Jahr gerade mal noch 19 Milliarden sein, obwohl die Schulden des Bundes im gleichen Zeitraum um 117 Milliarden Euro gestiegen sind.

Eigentlich müssten die öffentlichen Haushalte in Deutschland die komfortable Situation für eine Rückführung der Verschuldung nutzen. Relativ zur Wirtschaftsleistung geschieht dies zwar, jedoch nicht in absoluten Zahlen. Die Finanzminister in Deutschland stecken in einem Dilemma. Sparen sie, dann machen sie sich in vermeintlich guten Zeiten nicht nur bei ihren Ministerkollegen unbeliebt, weil diese immer mehr Geld für immer neue Aufgaben ausgeben wollen, sie verschärfen auch die Euro-Krise und müssen am Ende doch für die Schulden der anderen bezahlen. Denn im Euro-Raum sind inzwischen die Schulden des einen Landes auch die Schulden des anderen Landes.

Wenn also die öffentlichen Haushalte in Deutschland sparen und ihre Verschuldung zurückführen, aber in Spanien, Italien, Griechenland, Portugal und Frankreich immer neue Schulden gemacht werden, ist nichts gewonnen. Denn am bitteren Ende zahlt Deutschland die Schulden der Anderen. Schon schlägt die SPD vor, die Schuldenbremse im Grundgesetz wieder aufzuweichen, um verstärkt Investitionen in Infrastruktur, Bildung und mehr soziale Gerechtigkeit zu ermöglichen. So sinnvoll das im Einzelfall auch sein mag, so falsch ist es in der Wirkung. Nur weil sich einige Länder in Europa unmoralisch verhalten und sich zu Lasten anderer schadlos halten, heißt das umgekehrt nicht, dass man es diesen Ländern nachmachen muss.

Moralisch richtig wäre es, wenn der Staat und seine Regierung den Bürgern diese zu viel gezahlten Steuern zurückerstattet. Denn es sind in erster Linie die arbeitenden Bürger, die die Steuern bezahlt haben. Es wäre doch sinnvoller, wenn jeder Einzelne seine Wünsche und Pläne besser und schneller verwirklichen könnte, anstatt die Staatsausgaben immer weiter auszuweiten. Vielleicht schafft man es nicht auf Anhieb, die Steuermehreinnahmen zu 100 Prozent an die arbeitenden Bürger zurückzugeben, aber vielleicht zu 50 Prozent. Es wäre so eine Art Fifty-fifty-Regelung. Von jedem Euro, den der Staat mehr bekommt, werden die arbeitenden Bürger automatisch um 50 Cent entlastet. Als Beispiel sollten wir uns an Benjamin Constant orientieren, der über die Zermürbung der Moral durch zu hohe Steuereinnahmen des Staates einmal sagte: „Ein Übermaß an Steuern führt zur Unterminierung der Gerechtigkeit, zur Verschlechterung der Moral und zur Zerstörung der persönlichen Freiheit.“

Erstmals erschienen bei Tichys Einblick.

Photo: Hermann Auinger from flickr (CC BY-NC-ND 2.0)

Der legendäre britische Premier Winston Churchill galt als Genussmensch. Er rauchte dicke Zigarren und war dem Whisky nicht abgeneigt. Auch sein Körpermaß entsprach nicht einem ausgewogenen Body-Maß-Index. Dennoch wurde er 90 Jahre alt. Seine Gesundheitsphilosophie soll er mit den Worten „no sports“ umschrieben haben. Heute ist mangelnde Bewegung von Kindern wahrscheinlich die Hauptursache für Übergewicht. Jetzt hat die neue britische Regierung dieser Entwicklung den Kampf angesagt. Dabei hat sie nicht die Stundenzahl des Sportunterrichts verdoppelt, sondern sie will ab 2018 eine Strafsteuer auf zuckerhaltige Getränke einführen. Wahrscheinlich wird es nicht lange dauern, bis auch in Deutschland ähnliche Initiativen ergriffen werden. Es wäre eine typische Reaktion einer Regierung. Es wird ein Problem erkannt und durch eine Lenkungssteuer, starke Regulierung oder sanftes Nudging bekämpft. So ist es schon bei Zigaretten, Alkohol und anderen Genussmitteln. Die Regierung spielt den Oberlehrer. Sehr häufig spielen dabei Sachargumente gar keine Rolle. Es geht nur um das Unterstreichen von Handlungsfähigkeit. Beim Zucker gibt die Faktenlage eine Diskriminierung ohnehin nicht her.

Zwar steigt der Zuckerverbrauch weltweit, dies hat jedoch eher mit dem wirtschaftlichen Aufholen der Entwicklungsländer und ihrem steigenden Konsum zu tun. So schätzt die OECD einen Pro-Kopf-Anstieg des Zuckerkonsums von 24,3 Kilogramm auf 26,7 Kilogramm im Jahr 2024. In der EU und in den USA geht der Pro-Kopf-Verbrauch an Zucker jedoch zurück. Wahrscheinlich ist die Kalorienaufnahme für steigendes Übergewicht verantwortlich. Das hat nicht zwingend etwas mit Zucker zu tun. Doch selbst die Kalorienaufnahme ist seit vielen Jahren konstant und daher liegt die steigende Fettleibigkeit von Kindern eher am Bewegungsmangel als an zu viel Zucker.

Doch wer ist dafür verantwortlich? Die Regierung, die Krankenkassen, die Süßwarenindustrie, die Zuckerrübenanbauer? Und welches objektive Gremium stellt die Verantwortlichen fest? Etwa eine Regierungsmehrheit im Parlament? Werden die Strafsteuern dann christdemokratisch, sozialdemokratisch, ökologisch oder liberal festgelegt?

Nein, Lenkungssteuern sind falsch, sie wollen den Bürger erziehen und sein individuelles Verhalten verändern. Das steht keiner Regierung, keinem Parlament und keiner politischen Mehrheit zu. Denn wo soll diese Bevormundung enden, etwa bei der wöchentlichen Zuteilung von Genussmitteln wie bei George Orwells „1984“? Gegen dieses moderne Jakobinertum sollten wir uns schon in den Anfängen wehren. Freiheit setzt Verantwortung voraus, auch beim Konsum. Es ist aber eine individuelle Verantwortung, sie kann nicht kollektiviert werden, sonst stirbt die Freiheit.