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Photo: marvel.com

Von Dr. Kristian Niemietz, Senior Research Fellow am Institute of Economic Affairs (IEA), London.

Als der Actionfilm „Thor“ und dessen Fortsetzung im Kino aufgeführt wurden, wurde der Protagonist in den britischen Medien mehrfach als ein „Wikingergott“ oder ein „skandinvischer Gott“ bezeichnet. Wer will, kann mich gerne einen Erbsenzähler nennen, aber diese Einordnung ist falsch. Die Skandinavier haben keinen Alleinanspruch auf den Thor-Mythos. Thor war eine gesamtgermanische Gottheit, und ist somit das gemeinsame Erbe aller germanischen Länder. Dazu gehört selbstverständlich auch England, denn auch den Angeln und den Sachsen war Thor bestens bekannt – sie haben ihm sogar den vierten Tag der Woche gewidmet („Thursday“, von „Thor’s Day“). Es ist nicht direkt falsch, Thor als einen „skandinavischen Gott“ zu bezeichnen, aber es gibt auch keinen besonderen Grund für diese Einengung. Man könnte ihn mit der gleichen Berechtigung auch einen „englischen Gott“, einen „holländischen Gott“ oder einen „bayerischen Gott“ nennen.

Ganz ähnlich verhält es sich mit dem Konzept des „nordischen Wohlfahrtsstaates“: Auch hier wird den skandinavischen Ländern ein Alleinstellungsmerkmal zugeschrieben, welches keines ist, da sie es in Wahrheit mit vielen anderen Ländern teilen.

Es gibt zunächst einmal keine allgemeingültige Definition dieses Begriffs. Einige Autoren definieren den „nordischen Wohlfahrtsstaat“ nicht geografisch, sondern über die Merkmale seiner Ausgestaltung: Schwerpunkt auf universale (anstelle bedürftigkeitsorientierter) Leistungen, Steuerfinanzierung statt Beitragsfinanzierung usw. Diese Einteilung ist durchaus einigermaßen sinnvoll. In den Medien und in politischen Diskussionen aber wird der Begriff fast immer verwendet im Sinne von: „ein außergewöhnlich umfassender, großzügiger und progressiver Wohlfahrtsstaat“, und das ist irreführend.

Die folgende Grafik zeigt die Nettosozialausgaben in entwickelten Ländern in Prozent des Bruttosozialproduktes. Nettosozialausgaben sind für internationale Vergleiche besonders geeignet, da Unterschiede in der Besteuerung von Sozialtransfers automatisch korrigiert werden. Nehmen wir an, die ärmsten X % der Bevölkerung eines Landes erhalten monatlich steuerfreie Sozialleistungen in Höhe von 800 Euro. In einem ansonsten identischen Land erhalten die ärmsten X % Sozialleistungen in Höhe von 1000 Euro, die allerdings mit einem Durchschnittssteuersatz von 20 % besteuert werden, so, dass 200 Euro sofort wieder an den Staat zurück fließen. Vergleicht man die Bruttosozialausgaben, so scheint der Sozialstaat des zweiten Landes wesentlich großzügiger. Bei einem Vergleich der Nettosozialausgaben sind die beiden Länder dagegen identisch.

(Quelle: OECD)

In den meisten Ländern ist der Unterschied zwischen Brutto- und Nettosozialausgaben nicht sehr groß, weil Sozialleistungen in der Regel nicht hoch besteuert werden. Aber es gibt Ausnahmen, und zu diesen gehören die nordischen Länder. Sobald die Transfereinkommen um direkte Steuern auf diese bereinigt werden, erscheinen die skandinavischen Länder, was die Höhe der Sozialausgaben anbelangt, nicht mehr außergewöhnlich. Es ist nach wie vor nicht falsch, die nordischen Wohlfahrtsstaaten als sehr umfassend und ausgebaut zu bezeichnen, falsch aber ist die Vorstellung, der riesenhafte Wohlfahrtsstaat sei ein skandinavisches Alleinstellungsmerkmal. Es ist vielmehr ein Merkmal, das die Skandinavier mit vielen anderen Ländern gemeinsam haben. So betrachtet ist es nicht sonderlich sinnvoll, überhaupt von einem spezifisch „nordischen Wohlfahrtsstaat“ zu sprechen.

Wie die Grafik zeigt, sind der französische und der belgische Wohlfahrtsstaat die überdimensioniertesten. Die angelsächsischen Länder sind am anderen Ende des Spektrums überrepräsentiert, und die nordischen Länder bilden kein erkennbares Cluster. Ein ähnliches Bild ergibt sich, wenn Sozialstaaten in Bezug auf ihre Umverteilungswirkung (also die Verringerung des Gini-Koeffizienten durch Steuern und Sozialtransfers) verglichen werden. Auch in dieser Hinsicht sind die nordischen Wohlfahrtsstaaten nicht herausragend. Die Eigenschaften, die gerne einem imaginären „nordischen Wohlfahrtsmodell“ zugeschrieben werden, werden in Wahrheit von sehr vielen Ländern geteilt.

Warum hören wir aber an allen Ecken und Enden Lobreden auf den nordischen Wohlfahrtsstaat, wenn es diesen doch als solchen gar nicht gibt, zumindest nicht im Sinne eines irgendwie einzigartigen Modells? Vermutlich liegt es ganz einfach daran, dass diese Argumentation zum politisch gewünschten Ergebnis führt. Die nordischen Länder gelten als wirtschaftlich und sozial erfolgreich; es zahlt sich für die politische Linke daher aus, diese Länder mit den eigenen Ideen in Verbindung zu bringen: Neoliberale wollen amerikanische Verhältnisse, Linke wollen schwedische Verhältnisse. Auch dient es als rhetorische Allzweckwaffe. Wer mit den wachstumshemmenden Nebenwirkungen einer hohen Steuerlast, oder mit den sozialen Nebenwirkungen eines überbordenden Umverteilungsstaates konfrontiert wird, der muss nur „Schweden!“ rufen, und schon ist alles in den Wind geschlagen.

Gibt es aber tatsächlich nichts, was die nordischen Länder irgendwie außergewöhnlich macht? Doch: Diese Länder kombinieren eine Reihe von Faktoren, die sie außergewöhnlich resistent machen gegen die eben erwähnten Nebenwirkungen eines ausufernden Staatsapparates. Deswegen können sie sich eine Politik erlauben, an der viele andere Länder scheitern würden. Das aber ist ein Thema für einen anderen Blogbeitrag.

Dieser Artikel erschien zuerst unter dem Titel „Thor and the Nordic welfare state: Not so Nordic, after all“ auf dem IEA-Blog. Übersetzung des Autors.

Von Robert Nef, Stiftungsratsmitglied des Liberalen Instituts der Schweiz, Zürich, und Träger der Hayek-Medaille 2008.

In der Schweiz findet im Juni 2015 eine Volksabstimmung über eine Verfassungsinitiative statt, die auf Bundesebene Nachlässe von über 2 Millionen Franken mit einer nationalen Erbschaftsteuer belasten will. Die Erträge dieser Steuer sollen teilweise zur Sanierung der kollektiven Altersvorsorge (Alters- und Hinterlassenversicherung, AHV) verwendet werden. Betroffen von der Steuer wären 2 -3 Prozent der Bevölkerung.

Erbe, Eigentum, individuelles und gemeinsames Wohlergehen sind in vielfältigster Weise miteinander verbunden. Der Versuch diese komplexe Verknüpfung durch staatlichen Zwang, insbesondere durch Steuern entweder im Hinblick auf „mehr Gerechtigkeit“ und „mehr Zwangssolidarität“ zu beeinflussen, steht immer wieder zur Debatte. Oft steckt dahinter auch einfach der Wunsch nach erhöhten staatlichen Einnahmen durch zusätzliche Steuern, die deshalb politisch konsensfähig sind, weil sie eine Minderheit belasten und eine Mehrheit begünstigen. Allein schon dieser fatale Zusammenhang müsste diejenigen sensibilisieren, die vom Staat nicht vorrangig eine rücksichtslose Mittelbeschaffung im Hinblick auf populäre Umverteilung, sondern vielmehr den Respekt vor minimalen ethisch-moralischen Regeln erwarten – zu denen zählt auch der Schutz von Minderheiten vor der Gier von Mehrheiten und vor ungleichen Eingriffen ins Privateigentum gehört.Eine progressiv ausgestaltete Erbschaftsteuer ist in ihren Auswirkungen als populistischer „Fischzug“ auf das Vermögen der Reichen nichts anderes als eine asoziale Neidsteuer, die weder zur Verwirklichung der sozialpolitischen noch der finanzpolitischen Ziele einen nachhaltig positiven Beitrag leistet.

An erster Stelle ist bei normativen „wirtschaftlich“, „sozial“ oder „moralisch“ begründeten politischen Vorstössen der ideologische Hintergrund zu klären. Das hinter den Forderungen stehende Menschenbild und die zugrundegelegte Wirtschaftstheorie müssen transparent diskutiert werden können. Nicht alle Forderungen die „sozial“ genannt werden, sind es auch tatsächlich. Der auf zentral verwalteter Planwirtschaft abgestützte Staatssozialismus hat schliesslich zu einem wirtschaftlichen Zusammenbruch der Systeme geführt, der in seiner Auswirkung alles andere als sozial war. Er hat nicht nur im ökonomischen Bereich, sondern ganz allgemein eine soziale Wüste hinterlassen. Dies wird in der parteipolitischen Auseinandersetzung kaum mehr bestritten. Trotzdem steht viel sozialistisches Gedankengut immer wieder auf der politischen Traktandenliste und das mindestens teilweise Wegsteuern von Vermögen beim Ableben der Eigentümer durch Erbschaftsteuern ist eine weltweit populäre staatssozialistische Forderung. Erbschaften seien Einkommen ohne jede Gegenleistung, ein Zufall der Geburt, und damit grundsätzlich „unverdient“. Die Kategorie „verdient“ oder „unverdient“ ist keine ökonomische, sondern eine moralische, die, falls man daraus ein allgemeinverbindliches Verteilungskriterium machen würde, voraussetzt, dass es objektive Massstäbe für eine allgemeine Verteilungsgerechtigkeit gibt. Dies wird aber in einem Rechtsstaat, der Privateigentum und Privatautonomie garantiert, grundsätzlich in Frage gestellt. Eigentum gilt dann als „wohlerworben“, das heisst als rechtmässig, wenn es nicht durch Gewalt oder Betrug erlangt worden ist. Wieviel Leistung und welche Leistung, wieviel Glück und welche günstigen Konstellationen und selbst wieviel Spekulation dabei mit im Spiel war, ist letztlich nicht aufzuschlüsseln.

Die Frage der Gewaltsamkeit stellt sich im Fall der Erbschaftsteuer eher gegenüber dem Staat, der ja Vermögensbestandteile zwangsweise enteignet und dabei in private Vermögensverhältnisse eingreift. Dieser Zwang ist zwar in einem demokratischen Rechtsstaat durch Mehrheiten legitimiert. Die Tatsache, dass aber bei umverteilenden Steuern und speziell bei einer stark progressiv konzipierten Erbschaftsteuer stets eine potentielle Mehrheit von Empfängern eine Minderheit von Pflichtigen fremdbestimmen kann, stellt diese Legitimität grundsätzlich in ein schiefes Licht. Zudem wird eine ungerechte Steuer nicht dadurch gerechter, dass sie nur eine Minderheit trifft.

Das Argument, die Steuer betreffe ja nur eine kleine Minderheit, ist besonders zynisch und auch im Hinblick auf die Zukunft gefährlich. Bewilligt eine Mehrheit diesen Zugriff auf grosse Erbschaften, sind zwei Entwicklungen vorauszusehen: Einmal werden die Erträge im gleichen Ausmass schwinden, wie sich jene legalen Ausweichmöglichkeiten etablieren, die wir von andern Ländern mit hoher progressiver Erbschaftsteuer kennen.

Der deutsche Ökonom Lars P. Feld hält die Erbschaftsteuer vor allem wegen der legalen Vermeidungsmöglichkeiten für ungerecht. In einem Interview nennt er sie „die grösste Dummensteuer, die wir in Deutschland haben“, denn sie treffe denjenigen eher, der ein Vermögen von zwei Millionen Euro vererbt und seine Steuererklärung nicht gestalten könne, als jemanden, der ein Erbe von 100 Millionen übertragen wolle. Die Verhinderung der gezielten Weitergabe grosser Vermögen an die nächste Generation zu Lebzeiten ist weder möglich noch erwünscht. Solche Eingriffe verletzen die Eigentumsgarantie und sie sind auch gar nicht praktikabel. Was nicht funktioniert, kann auch nicht gerecht sein.

Der voraussehbare finanzielle Misserfolg nach einer Einführung der „Erbschaftsteuer für Superreiche“ muss dazu führen, dass man beim Ausbleiben der für die Sanierung der AHV erhofften Erträge sukzessive den Zugriff auch auf kleinere Erbschaften ins Auge fasst. Der Kreis der Betroffenen würde dann immer weiter gezogen. Das sollten sich vor allem jene gut überlegen, die eine Befürwortung der Vorlage erwägen, weil sie ja persönlich unterhalb der jetzigen Limite liegen. Wenn der Dammbruch zugunsten einer nationalen Erbschaftsteuer einmal erfolgt ist, wird es schwer sein, diese Entwicklung politisch zu bremsen. Einmal mehr muss hier an den politischen Grundsatz „Wehret den Anfängen“ erinnert werden.

Das Vererben von Vermögen ist eine Transaktion, die durch den Tod eines Menschen ausgelöst wird. Der Tod ist ein natürliches und letztlich nicht zu verheimlichendes Ereignis, das vom Staat als Steuerquelle schon früh entdeckt worden ist. Da die Erben ohne messbare Gegenleistung zu Vermögen kommen, wird die Erbschaftsteuer auch von vielen Liberalen mindestens als „relativ gerechtes“ Instrument der intergenerationellen Umverteilung empfunden.

Das ökonomische und soziale Grundproblem der Erbschaftsteuer besteht darin, dass sie gegenüber einem weltweit anthropologisch in der Familie tief verankerten Ziel, nämlich, dass es der nächsten Generation einmal gleich gut oder besser gehen soll, falsche Anreize setzt. Sie bestraft das generationenübergreifende Vorsorgen und Sparen und die Grundidee, dass das Erbe nicht zum Verbrauch sondern zur schrittweisen Wohlstandsvermehrung und zum sozialen Ausgleich von Glück und Unglück innerhalb einer langfristig ausgerichteten natürlichen Gemeinschaft dient. Das fürsorgliche private Sparen im Hinblick auf grössere Zeiträume und die treuhänderische Weitergabe innerhalb der jeweils „Nächsten“ soll durch die demotivierende, zwangsweise anonymisierende Umverteilung der Politik ersetzt werden. Die auf kollektivem Zwang beruhende Politik erhält so gegenüber der auf Tradition und Kultur beruhenden Familie den Vorrang. Der Staat macht aber erfahrungsgemäss nur zu oft das Gegenteil der vernünftigen Familie. Er lebt gerne auf Pump, er verschuldet sich zu Lasten der kommenden Generationen, um sich kurzfristig populär zu machen. Soll nun jene Organisation namens Familie, die sich in der Regel ökonomisch und sozial vernünftig und nachhaltig verhält, von jener Organisation namens Staat, die sich häufig verschwenderisch, sozial schädlich und ökonomisch demotivierend verhält, zwangsweise zur Kasse gebeten werden? Das ist ein zivilisatorischer, ökonomischer und sozialer Rückschritt.

Erstveröffentlichung in „Finanz und Wirtschaft“ am 8. April 2015.

Photo: U.S. Army Corps of Engineers Europe District

Zu den großen Schikanen, die der Bürger wieder und wieder über sich ergehen lassen muss, gesellen sich gerne auch mal kleine. Die erscheinen allerdings nur dann klein, wenn man sie als Einzelfälle wahrnimmt. Tatsächlich sind sie aber Teil eines großen Ganzen, das die Freiheit beständig bedroht und kontinuierlich einschränkt.

Fasten am Ostermontag

Ostermontag. Eine der beliebtesten Bäckereien und Bistros im Zentrum einer großen deutschen Stadt. Beim Herantreten an die Kuchentheke bekommt man Bescheid: „Wir müssen Ihnen leider sagen, dass wir nichts zum Mitnehmen verkaufen dürfen. Das Ordnungsamt war eben da. An gesetzlichen Feiertagen dürfen wir nur im Café verkaufen.“ Ja, doch: Ist ja auch irgendwie nachvollziehbar. In der Regel kauft man ja auch dienstags vormittags Kuchen und nicht an einem Feiertag. Am Feiertag sitzt der gute Bürger ja bei einem Müsli mit H-Milch zur ausgelassenen Feier mit seiner Familie beisammen, schmaust und schlemmt.

Dem 20jährigen war nur drei Tage vorher, am Karfreitag, verwehrt worden, den Abend in einem Club zu verbringen – natürlich mit Hinweis auf die christlichen Traditionen. Am Ostermontag wird die Familie, die eben noch die Messe besucht hatte, mit einer sehr ähnlichen Begründung daran gehindert, ihre Ostertafel mit frischen Kuchen zu bereichern. Das ist zumindest mal inkonsequent, tatsächlich aber in beiden Fällen unsinnig. Es gibt noch viele andere überflüssige Regelungen, die uns immer wieder aufs Neue Nerven und Lebensqualität kosten. Vom Baumfällverbot über Hundesteuer und Alkoholverkaufsverbote bis zur wuchernden Parkplatzbewirtschaftung von öffentlichem Grund. Gängelung allenthalben!

Freiheitseinschränkungen, nicht Kavaliersdelikte

Angesichts von wesentlich schlimmeren Maßnahmen wie etwa der Vorratsdatenspeicherung, der Mineralölsteuer, des Solidaritätszuschlags oder des andauernden Rentendesasters erscheinen diese Unannehmlichkeiten wie Lappalien. Man erträgt sie verärgert – aber eben auch Schulter zuckend. Viele lassen es sich gefallen, weil sie meinen, dass sich der Aufwand nicht lohnt, dagegen vorzugehen. In der Tat: für sich genommen ist ja auch jede der Maßnahmen zu ertragen. Aber die Menge und vor allem der Zusammenhang macht’s.

Man muss festhalten: Ordnungswidrigkeiten sind kein Kavaliersdelikt. Allerdings nicht im Blick auf den, der sie begeht, sondern im Blick auf den, der sie ersinnt. Viele der Gängelungen, die euphemistisch als Ordnungswidrigkeiten bezeichnet werden, sind nicht notwendig. Notwendig sind ordnende Eingriffe nur dort, wo sie tatsächlich die Freiheit eines anderen einschränken, nicht aber dort, wo sie Geschmacks- oder Wertpräferenzen widerspiegeln. Es gibt keinen vernünftigen Grund, Menschen am Karfreitag am Tanzen zu hindern, oder am Ostermontag am Kuchenverkauf. Genauso wie es keinen vernünftigen Grund gibt, jemandem zu verbieten, einen Baum zu fällen, der im eigenen Garten steht. Diese Eingriffe sind deshalb keine Kavaliersdelikte, sondern unbegründete Eingriffe in die Freiheit des Bürgers.

Der Obrigkeitsstaat lebt – gerade auch im Kleinen

Insbesondere sind sie deshalb keine Kavaliersdelikte, weil sie einer bestimmten Haltung entspringen. Diese Haltung ist ein Relikt obrigkeitsstaatlichen Denkens. Ein Denken, das leider in letzter Zeit wieder eine heftige Renaissance erlebt in einer neuen Verbotskultur, die die Bürger zu besseren Menschen erziehen möchte. Der Staat und seine Diener haben in diesem Denken eine Stellung, die sie aus anderen heraushebt. Sie haben nicht nur besseres Wissen, sondern entscheiden auch kompetent über moralische Fragen. Vor einigen Jahrzehnten gehörte dazu die Entscheidung, dass es nicht recht sein könne, am Karfreitag zu tanzen. Und heute droht uns von der Arbeitsministerin die verbindliche Feststellung, dass eine Toilette ohne Tageslicht uns in unserer Würde verletzt.

Es handelt sich bei all diesen Kleinigkeiten nicht um eine Lappalie, weil jede einzelne der Verordnungen, Gesetze, Abgaben ein sehr anschaulicher Hinweis auf die dahinter liegende Mentalität vieler Politiker und Bürokraten ist. Wie die Philosophenkönige, die sich Platon einst herbeisehnte, sind sie mit tieferer Einsicht und höherer moralischer Integrität ausgestattet. Das legitimiert sie dazu, andere Menschen zu führen und zu leiten. Notfalls mithilfe von Bußgeldern … Wir haben es hier mit institutionalisierter Arroganz und Anmaßung zu tun, die uns in vielen kleinen Schritten großer Stücke unserer persönlichen Freiheit beraubt.

Kreative Formen des zivilen Ungehorsams

Gerade weil es sich um so kleine Schritte handelt, ist es oft sehr schwierig, dagegen vorzugehen. Während sich schon Menschen finden, die mal eine Klage anstreben gegen die Euro-Rettung oder die Rundfunkbeiträge, wird kaum einer sich die Mühe machen, das im Falle der vielen kleinen Ordnungswidrigkeiten zu tun. Zumal viele Gerichte die Klagen wohl entweder sofort abweisen oder ihnen nicht stattgeben würden. Was vielleicht eigentlich gefragt wäre, wären kreative Formen des zivilen Ungehorsams. Das klingt pathetisch – ist aber angemessen. Denn es geht nicht um die vielen Einzelregelungen. Es geht vielmehr darum, gegen das Konzept Obrigkeitsstaat vorzugehen.

Mit Tupperware bewaffnet in das Bistro einfallen, den Kuchen mit an den Platz nehmen und ihn dort einpacken. Eine Tanzveranstaltung am Karfreitag, die von Ort zu Ort zieht. Die Hundesteuer in Kleinstbeträgen überweisen. Die Parkplatztickets, die noch länger gültig sind, an den Parkautomaten kleben zur Wiederverwendung. All das können Methoden sein, um es den Ordnungshütern wenigstens schwerer zu machen, die Gängelungen durchzusetzen. Mittelfristig aber brauchen wir dringend eine echte Bürokratiebremse. Über viele dieser Verordnungen könnte in kleinen Einheiten basisdemokratisch (und möglichst auch immer mal wieder) abgestimmt werden. Lasst wenigstens die Menschen vor Ort entscheiden, ob sie sich wirklich so beschränken lassen wollen!

Photo: Nicholas Boos from Flickr

Die Erbschaft- und Schenkungsteuer sind uralte Instrumente der Staatsfinanzierung. Dabei sind sie gleichzeitig ein ziemlich absurdes Mittel, um Fürsorge und Solidarität zu erschweren. Wenn es Menschen stets mehr interessiert, inwiefern es dem Mitbürger besser geht als einem selbst, ist klar, dass die Perspektive nicht hinausgeht über die Feststellung: „Ererbtes Vermögen ist nicht verdient“. Es lohnt sich allerdings, einmal die Perspektive des Erblassers oder Schenkenden einzunehmen.

Ist Schenken ungerecht?

Wenn im Kindergarten Sandra einen Schokoriegel geschenkt bekommt und Christian nicht, dann kann das Geheul schon mal groß sein. In der Regel lernen wir mit der Zeit, mit solchen Situationen umzugehen. Wir verstehen, dass es im Leben nicht immer gerecht zugeht. Und manchmal begreifen wir sogar noch, dass Gerechtigkeit ohnehin unerreichbar ist. Allein schon, weil einfach jeder Mensch eine andere Vorstellung von Gerechtigkeit hat. „Das Leben ist kein Ponyhof“, sagte einmal der unvergessliche Bernd Stromberg. Manche der Ponyhof-Instinkte aus dem Kindergarten kommen aber doch immer wieder in uns hoch.

Wenn jemand ein Vermögen, ein Haus, eine Bildersammlung erbt, dann ist das im Verständnis von vielen Menschen ungerecht. Schließlich hat er nichts dafür geleistet. Das widerspreche der Leistungsgerechtigkeit. Oder in den Worten der Kanzlerin: „Wer arbeitet, muss mehr in der Tasche haben, als wenn er nicht arbeitet”. Doch selbst wenn das Finanzamt das komplette Vermögen eines Verstorbenen einziehen und Schenken ganz und gar verbieten würde, gäbe es immer noch viele Ungerechtigkeiten: die eine erbt das gute Aussehen ihres Vaters, der andere die Intelligenz seiner Mutter und jemand anderes hat das Glück, in einem Elternhaus aufzuwachsen, in dem viel gelesen und diskutiert wird. Müsste man dann konsequenterweise nicht auch diese Bastionen der Ungerechtigkeit schleifen?

Die Bauers werden daran gehindert, den Müllers zu helfen

Versuchen wir, uns einmal in den Erblasser oder den Schenkenden hineinzuversetzen. In einer Zeit, da zum Glück der letzte Krieg siebzig Jahre zurückliegt, gibt es nicht wenig Menschen, die ein recht umfangreiches Vermögen haben. Nehmen wir das kinderlose Ehepaar Bauer, die als Lehrer gearbeitet haben. Sie haben stattliche 110.000 Euro angespart im Laufe ihres Lebens. Ihre Nachbarn sind das freundliche junge Ehepaar Müller mit ihren drei Kindern. Diese junge Familie hilft ihren alternden Nachbarn wo es nur geht. Darum beschließen Bauers, die Müllers zu ihren Erben einzusetzen: „Die sind für uns doch wie unsere eigenen Kinder!“

Nachdem beide Bauers gestorben sind, bekommen die Müllers aber nur noch 83.000 Euro. 27.000 Euro gehen an das Finanzamt. Ob das wohl im Sinne der Bauers war? Sie haben sich das Geld schließlich redlich verdient und auch schon einmal versteuert. Sie wollten es komplett den Müllers geben – nicht nahezu ein Viertel an den Staat abdrücken. Bauers wussten, dass die Familie Müller die gesamten 110.000 Euro gut und sinnvoll hätten gebrauchen können: nicht nur, um die Hypothek abzubezahlen, sondern auch, um ihren drei Kindern ein Auslandsjahr zu finanzieren. Die Auslandsjahre liegen aber jetzt im Finanzamt.

Unterm Strich kommt kaum etwas raus

Viele Menschen denken wie die Bauers. Sie verzichten darauf, drei Kreuzfahrten im Jahr zu machen oder ihr Vermögen anderweitig aus dem Fenster zu werfen. Sie verzichten darauf, weil sie anderen Menschen damit etwas Gutes tun wollen. Sie möchten es ihren Kindern und Enkeln geben. Oder eben ihren netten Nachbarn. Das ist einer der Gründe dafür, dass sie hart gearbeitet haben und nicht andauernd in Saus und Braus gelebt haben. Menschen sind nicht prinzipiell Egoisten – zum Glück denken die meisten auch an andere. Erblasser sind nicht immer feiste, alte, schwerreiche Unsympathen. Sie sind Menschen wie unsere Großeltern oder Nachbarn. Und Erben sind nicht nur faule Schnösel im Golfclub. Oft genug sind es junge Menschen, die das Geld gut gebrauchen können.

Das Steueraufkommen aus der Erbschaft- und Schenkungsteuer betrug im Jahr 2013 4,2 Milliarden Euro. Angesichts eines Gesamt-Steueraufkommens von fast 620 Milliarden ist das ein Wert, der kaum ins Gewicht fällt (genau genommen 0,68 %). Selbst für einen knausrigen Finanzminister sind das eher Peanuts. Keine Peanuts dagegen sind die Steuern für diejenigen jungen Familien, die gerade ihre Existenz gründen oder für Familienunternehmer, die Verantwortung für ihre Firma tragen. Denen wird substantiell etwas weggenommen, das ihnen jemand schenken wollte, der sie gern mochte, sie geliebt hat, für sie sorgen wollte. Am Ende laufen die Erbschaft- und Schenkungsteuer darauf hinaus, Fürsorge zu besteuern. Davon haben übrigens auch diejenigen kaum etwas, die nichts erben. Außer vielleicht dem Gefühl, dass der andere jetzt doch nicht so viel bekommen hat. Aber eigentlich ist Neid auch kein schönes Gefühl. Unterm Strich kommt also von diesen Steuern nur bei denen wirklich etwas an, die gerne missgünstig sind. Eine traurige Bilanz. Es ist höchste Zeit, diese aberwitzige Steuer abzuschaffen!

Photo: Alexander Lyubavin from Flickr

Wer zum Kern der Freiheitsidee vordringen will, kommt an der Frage nicht vorbei, wie er oder sie es mit dem Eigentum hält. Wie diese Frage beantwortet wird, daran lassen sich Freiheitsfreunde von deren Gegnern am besten unterscheiden.

Freiheit ist ein Zustand, in welchem die Eigentumsrechte jeder Person an ihrem eigenen Körper und an ihrem legitimen materiellen Eigentum nicht verletzt werden und in sie nicht interveniert wird. Dieser Idealzustand der Freiheit wird vielfach geschleift, missachtet und verletzt. Man muss nicht ins 19. Jahrhundert zu Karl Marx zurück, der Eigentum als Diebstahl betrachtet hat, um Verstöße gegen die Freiheit in der heutigen Zeit festzustellen. Man muss auch nicht Karl-Hermann Flach bemühen, der Anfang der 1970er Jahre noch meinte: „Die Auffassung, dass Liberalismus und Privateigentum an Produktionsmitteln in jedem Fall identisch seien, gehört zu den Grundirrtümern der jüngsten Geschichte, die in unserer Zeit fortleben.“

Es reicht schon, wenn EZB-Chef Mario Draghi das größte Schuldenaufkaufprogramm in der europäischen Nachkriegsgeschichte mit den Worten ankündigt: „Die EZB wird alles Notwendige tun, um den Euro zu erhalten. Und glauben Sie mir, es wird ausreichen.“ Alles drei meint zwar das gleiche, es ist nur dem jeweiligen Zeitgeist angepasst. Alles drei unterstreicht in unterschiedlicher Form das willkürliche Zerstören des Eigentums. Und alle drei waren und sind Wegbereiter des Vergessens und der Unfreiheit.

Denn wenn die Verfügungsgewalt des individuellen Eigentums fortwährend eingeschränkt, unterlaufen und ausgehöhlt wird, verschwindet das Wissen um den Wert der individuellen Freiheit. Ein gesellschaftlicher Gedächtnisschwund macht sich breit. Persönliches Eigentum wird zur Allmende, die von allen genutzt, abgeerntet und verbraucht werden kann. Doch es kümmert sich anschließend keiner mehr um das abgeerntete Feld der Freiheit. Es verkümmert, weil sich keiner mehr traut, neue Idee zu entwickeln, zu investieren und ein Risiko einzugehen. Alle warten nur darauf, dass der Staat die Ernte bereitstellt. Aber wenn es keinen mehr gibt, der das Feld bestellt, es hegt und pflegt, ja dann haben die gewonnen, die dem allmächtigen Staat permanent das Wort geredet haben.

Und natürlich kennt die individuelle Freiheit auch Grenzen. Derjenige, der in einem gefüllten Theater böswillig „Feuer!“ ruft, ist ein Verbrecher. Nicht deshalb weil seine sogenannte „Redefreiheit“ aus pragmatischen Gründen beschränkt werden müsste, sondern weil er klar und offensiv die Eigentumsrechte einer anderen Person verletzt hat.

Doch der Geist der Allmende scheint ein ungeschriebenes Gesetz zu sein, da diese Eingriffe ins Eigentum fortgesetzt stattfinden. Wenn Andrea Nahles in ihrer Arbeitsstättenverordnung vorschlägt, dass jedes Betriebsstätten-Klo ein Fenster haben muss, dann verschlägt es einem die Sprache oder man hält es bestenfalls für einen Witz. Wenn der gesetzliche Mindestlohn dazu führt, dass die Lohnfindung an den Staat delegiert wird und Unternehmer die Arbeitsleistung ihrer Minijobber minutiös dokumentieren müssen, damit der Zoll nicht mit seinen 1.600 neugeschaffenen Stellen aus dem Nichts anrückt, wird man schon nachdenklicher. Aber wenn die Deutsche Bundesbank laut über eine Vermögensabgabe zur Überwindung der Schuldenkrise in Europa nachdenkt, weiß man wohin der Zug der Zeit fährt – in die Unfreiheit durch Enteignung.

Dieser Trend zur Unfreiheit durch Enteignung ist international. Er wird gerade auf intellektueller Ebene vorbereitet und verbreitet. Jüngstes Beispiel: Der Bestseller des französischen Sozialisten Thomas Piketty „Das Kapital im 21. Jahrhundert“. Das Buch beeindruckt nicht wegen seines Umfangs von über 800 Seiten, sondern wegen seinen kaltschnäuzigen freiheitsfeindlichen Thesen. Seine Grundthese, dass die Marktwirtschaft zu wachsender Ungleichheit führt, ist perfide deshalb, weil es wissenschaftlich daherkommt, aber dennoch vom Ziel her denkt und die empirischen Zahlen daraufhin abgestellt sind. Er belegt seine These damit, dass es in der Zeit nach dem 2. Weltkrieg eine geringere Ungleichheit gab, die ihre Ursache in den hohen Spitzensteuersätzen (Deutschland 90 %, USA 90 %, GB 98 %) der untersuchten Länder hat. Doch darin erkennt man den Ideologen. Nur weil zwei Zahlenreihen gleich verlaufen, heißt es noch lange nicht, dass es einen Ursachen-/Wirkungszusammenhang gibt. So ist die These, dass mit dem Sinken der Grenzsteuersätze die Vermögensungleichheit zugenommen hat, genauso richtig wie die Aussage, der Rückgang der Geburtenrate hat etwas mit der Einführung des Farbfernsehers zu tun.

Doch gerade diese These nutzt Piketty, um seinen vorgeschlagenen Spitzensteuersatz von 82 Prozent zu begründen. Wahrscheinlich ist die Ursache einer geringeren Ungleichheit im Nachkriegseuropa eher in der Vernichtung von individuellem Eigentum durch Krieg und Vertreibung zu suchen und erst in zweiter Linie in der prohibitiven Besteuerung. Aber selbst wenn, was ist an Ungleichheit schlimm? Die geringste Ungleichheit gab es wohl in Maos und Stalins Willkürherrschaft. Und auch Nordkorea ist nicht bekannt für seine große gesellschaftliche Ungleichheit – mal von der Nomenklatura abgesehen. Freiheit erfordert Ungleichheit. Wer sie nivelliert, muss individuelle Freiheit zerstören, indem er persönliches Eigentum einzieht und verstaatlicht. Denn das ist die Lehre vom Sozialismus. Er will die Verstaatlichung der Produktionsmittel erreichen. Je höher die Besteuerung ist, desto eher gelingt dem Staat dies.

Der Aufstieg der Länder Osteuropas, Südostasiens und selbst China zeigt, dass dort wo Eigentumsrechte besser geschützt werden, die Ungleichheit wächst und dennoch Wohlstand und persönliche Freiheit zunehmen. Diese Entwicklung ist die Antithese zu allen Gleichmachern. Deshalb ist nicht die Gleichheit der Lebensverhältnisse das Ziel, weil dies der Intervention des Staates und der Enteignung der Bürger den Weg bereitet, sondern die Gleichheit vor dem Gesetz. Gleichheit vor dem Gesetz bedeutet, dass der Staat lediglich die Aufgabe hat abstrakte, allgemeine und gleiche Regeln für alle zu schaffen. Nur dies sichert die Gleichheit im ursprünglich freiheitlichen Sinne. Denn in einer freiheitlichen Gesellschaft gibt es unterschiedliche Talente, unterschiedliche Lebensentwürfe und auch Startbedingungen, die so gut oder so falsch sind wie das individuelle Leben selbst. Dies zu verändern, zu lenken oder zu beseitigen, hieße die Freiheit und das Eigentum zu zerstören.

Deshalb gilt das was der amerikanische Ökonom Murray N. Rothbard einmal so treffend formuliert hat: „Verlangt dein Staat laut nach ‚Opfern‘, lauf um dein Leben und achte auf deine Brieftasche.“

Erstveröffentlichung beim Deutschen Arbeitgeberverband.

Photo: John Drake from Flickr