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Von Prof. Roland Vaubel, emeritierter Professor für Volkswirtschaftslehre und Politische Ökonomie an der Universität Mannheim.

Bundesfinanzminister Scholz schlägt vor, einen Fonds für die Arbeitslosenversicherungen der Euro-Staaten zu etablieren. Aus ihm sollen Euroländer, deren Arbeitslosenquote auf ein hohes Niveau steigt, subventionierte Kredite erhalten können. Gespeist würde der Fonds aus den Beiträgen aller Versicherten.

Wie begründet Olaf Scholz seinen Vorschlag? Es müsse vermieden werden, dass ein Land, in dem die Arbeitslosigkeit ansteigt, so wie zum Beispiel Deutschland in der Weltwirtschaftskrise, die Arbeitslosenunterstützung kürzt. Das kommt bei seinen Parteifreunden gut an, führt aber in die Irre. Wir befinden uns nicht in den dreißiger Jahren. Seit mindestens achtzig Jahren besteht unter den Ökonomen und Wirtschaftspolitikern Einigkeit, dass es falsch ist, in der Rezession die Arbeitslosenunterstützung zu kürzen. Denn die Arbeitslosenversicherung ist ein automatischer Stabilisator der Güternachfrage. Wenn heute in einem europäischen Land  die Arbeitslosigkeit konjunkturbedingt zunimmt und die Reserven der Arbeitslosenversicherung nicht ausreichen, erhöht der Staat seine Neuverschuldung, d.h., er geht an den Kapitalmarkt. Das hat zur Folge, dass der Realzins am inländischen Kapitalmarkt steigt und Kapital aus dem Ausland zufließt. Der konjunkturelle Schock wird damit vom gesamten Weltkapitalmarkt absorbiert. Das ist eindeutig effizienter als ein Kreditmechanismus, der auf die Arbeitslosenversicherungen der Euro-Staaten beschränkt ist.

Effizient ist auch, dass sich der Staat am Kapitalmarkt nur zu Marktkonditionen verschulden kann. Die Kredite zwischen den Arbeitslosenversicherungen würden dagegen subventioniert, um den Markt zu unterbieten und um “internationale Solidarität” zu beweisen. Damit würde jedoch die effizientere Marktfinanzierung verdrängt und der Anreiz, Arbeitslosigkeit zu vermeiden, geschwächt.

Wenn in einem einzelnen Land der Eurozone die Arbeitslosenquote auf ein hohes Niveau steigt, haben typischerweise die Wirtschaftspolitiker und/oder die Tarifparteien versagt. Sie haben entweder selbst einen negativen asymmetrischen Schock erzeugt oder auf einen symmetrischen, die ganze Eurozone treffenden Schock – wie zum Beispiel die Finanzmarktkrise von 2008 – schlechter als die anderen Euro-Staaten reagiert. In beiden Fällen gilt: Fehlverhalten sollte nicht mit Subventionen belohnt werden. Jeder sollte für seine eigenen Fehler haften.

Man mag einwenden, dass das Defizit-Limit des Stabilitäts- und Wachstumspakts, wenn es denn eingehalten wird, einer rezessionsbedingten Neuverschuldung enge Grenzen setzt. Das Drei-Prozent-Limit wurde jedoch 1995 anhand von Simulationen für die vorangegangenen Jahrzehnte explizit so bemessen, dass genug Spielraum für das Wirken der automatischen Stabilisatoren bleibt, wenn der konjunkturbereinigte Haushalt  ausgeglichen ist. Wenn die Kredite des Fonds nicht auf die staatliche Neuverschuldung angerechnet werden, was wahrscheinlich ist, entfällt sogar das Ziel eines ausgeglichenen konjunkturbereinigten Haushalts. Denn da der Fonds einspringt, braucht der Staat für den Fall einer Rezession weniger Verschuldungsspielraum am Markt. Die Regierung kann deshalb im konjunkturneutralen Zustand ein Haushaltsdefizit riskieren. Olaf Scholz will dieses Anreizproblem dadurch lösen, dass Länder, die ein konjunkturbereinigtes Haushaltsdefizit haben, von den Krediten des Fonds ausgeschlossen würden. Darüber, ob der Haushalt im konjunkturneutralen Zustand ausgeglichen wäre, gehen die Meinungen jedoch oft weit auseinander. Häufig besteht noch nicht einmal Einigkeit darüber, welcher Zustand konjunkturneutral ist. Es käme zu ständigem Streit, was dem Ziel der Völkerverständigung widerspricht, und im Zweifel würden Kommission und Gerichtshof beide Augen zudrücken und zugunsten großzügiger Euro-Fonds-Kredite entscheiden.

Eine Simulation des Scholz-Plans für den Zeitraum 2000 bis 2016 ergab in beiden untersuchten Varianten, dass Deutschland der Hauptkreditgeber und Spanien und Griechenland die Hauptkreditnehmer gewesen wären.

Zuerst veröffentlicht unter politik.der-privatinvestor.de

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Von Dr. Alexander Fink, Universität Leipzig, Senior Fellow des IREF – Institute for Research in Economic and Fiscal Issues

Aus der Perspektive der Verbraucher ist die Unterscheidung zwischen einer Umlage und einer Steuer jedoch nicht sonderlich relevant. Es handelt sich stets um Pflichtzahlungen an den Staat, denen im besten Fall Leistungen gegenüberstehen, die höher bewertet werden als die erbrachten Pflichtzahlungen. Bei der EEG-Umlage ist ein Anstieg von nominell 3,6 Milliarden Euro im Jahre 2004 auf 26 Milliarden in 2017 zu verzeichnen, die bei der Steuerquote unberücksichtigt bleiben.

Die Steuerquote hat in den letzten Jahren Rekordstände seit der Wiedervereinigung erreicht. 2017 betrug das Verhältnis von Steuereinnahmen zum Bruttoinlandsprodukt 22,4 Prozent. Vor knapp 30 Jahren, nämlich 1989, war sie das letzte Mal höher. Ihren Tiefpunkt erreichte die Steuerquote 2004. Damals galt Deutschland noch als der „kranke Mann Europas“. Seitdem wuchs das Bruttoinlandsprodukt nominell um 44 Prozent und die Steuereinnahmen um 66 Prozent. Absolut am höchsten fiel der nominelle Anstieg seit 2004 mit über 150 Milliarden Euro bei den Staatseinnahmen aus der Einkommensteuer aus. Relativ war der Anstieg bei den Einnahmen aus der Grunderwerbsteuer mit 180 Prozent am stärksten. Schon ein Rückgang der Steuerquote auf ihr Durschnittsniveau seit 1990 würde den Steuerzahlern direkte Kontrolle über zusätzliche 36 Milliarden Euro Kaufkraft pro Jahr geben.

Steuerquote: Mittelfristig angestiegen, langfristig konstant

Der Anteil der Steuereinnahmen des Staates am Wert der im Inland produzierten Güter und Dienstleistungen gemessen am Bruttoinlandsprodukt war in der langen Frist recht konstant – anders als die Sozialbeitragsquote, die seit den 1960er Jahren deutlich gestiegen ist. Seit 1960 schwankt die Steuerquote in dem Bereich zwischen 20 und 25 Prozent. Nur in den frühen 2000er Jahren lag sie knapp darunter.

Seit 2004 ging es mit durch die Finanzkrise verursachten Unterbrechungen in den Jahren 2009 und 2010 von 19,5 Prozent stets aufwärts. 2017 war die Steuerquote mit 22,4 Prozent so hoch wie seit dem Jahr des Mauerfalls nicht mehr.

Absoluter Anstieg: Treiber Einkommensteuer

Die gesamten jährlichen Steuereinnahmen sind nominell zwischen 2004 und 2017 um etwa 291 Milliarden Euro gestiegen. Etwas mehr als die Hälfte des nominellen Anstiegs entfiel auf Einnahmen aus der von Personen abzuführenden Einkommensteuer (Summe aus Lohnsteuer, veranlagter Einkommensteuer, Abgeltungsteuer, nicht veranlagter Steuer vom Ertrag und Solidaritätszuschlag).

Die Einnahmen aus der Umsatzsteuer stiegen nominell um knapp 90 Milliarden Euro. Die übrigen acht nach ihrem Aufkommen größten Steuern führten 2017 zu Einnahmen von 186 Milliarden Euro, ein Plus gegenüber 2004 von knapp 60 Milliarden Euro.

Relativer Anstieg: Grunderwerbsteuer Spitzenreiter

Im Durchschnitt sind die Steuereinnahmen von 2004 bis 2017 um 66 Prozent gestiegen. Von den zehn aufkommenstärksten Steuerarten liegen einige jedoch deutlich über dieser Wachstumsrate und einige deutlich darunter.

Die Einnahmen aus der Grunderwerbsteuer sind relativ am stärksten gestiegen, um 180 Prozent. Die Erhöhungen des Grunderwerbsteuersatzes durch die meisten Länder seit 2007, der Hauspreisanstieg der letzten Jahre und das höhere Transaktionsvolumen trugen dazu bei.

Der überdurchschnittliche Anstieg bei Körperschaftsteuer, Einkommensteuer und Gewerbesteuer lässt sich durch die derzeitige Hochkonjunktur erklären. Die Beschäftigungsquote ist hoch, die Unternehmen sind ausgelastet und so sind die zu versteuernden Einkommen der beiden Produktionsfaktoren Arbeit und Kapital entsprechend hoch.

Steuerquote: Niveau und jüngster Anstieg eher unterschätzt

Abgaben wie die Erneuerbare-Energien-Gesetz-Umlage sind juristisch keine Steuern. Denn die Einkünfte werden direkt an die Leistungserbringer weitergereicht und landen nicht in den allgemeinen Budgets von Bund, Ländern und Gemeinden. Sie fließen somit in die betrachtete Steuerquote nicht ein.

Aus der Perspektive der Verbraucher ist die Unterscheidung zwischen einer Umlage und einer Steuer jedoch nicht sonderlich relevant. Es handelt sich stets um Pflichtzahlungen an den Staat, denen im besten Fall Leistungen gegenüberstehen, die höher bewertet werden als die erbrachten Pflichtzahlungen. Bei der EEG-Umlage ist ein Anstieg von nominell 3,6 Milliarden Euro im Jahre 2004 auf 26 Milliarden in 2017 zu verzeichnen, die bei der Steuerquote unberücksichtigt bleiben.

Ausgabenpriorität, Effizienz und Steuersenkungen

Die realen Steuereinnahmen pro Person sind derzeit so hoch wie nie zuvor. Dennoch sind Klagen zu hören über die Qualität der erbrachten Leistungen in Bereichen, in denen der Staat federführend ist – etwa bezüglich der Bildung, der Verkehrsinfrastruktur oder der Kinderbetreuung.

Der Hinweis auf wahrgenommene derartige Missstände sollte nicht mit dem Ruf nach höheren Steuern verbunden werden. Stattdessen wäre es angebracht, zum einen die Ausgabenprioritäten der Regierung zu hinterfragen – Mütterente, Rente mit 63, Rentenpaket und Baukindergeld sind bezüglich Bildung, Infrastruktur und Kinderbetreuung nicht sonderlich hilfreich und gewiss keine Investitionen in die Zukunft. Der politische Wille scheint hinsichtlich zukunftsträchtiger Ausgaben die bindende Restriktion zu sein, nicht die Höhe der Steuereinnahmen.

Zum anderen sollte der Fokus nicht auf Inputs liegen. Es ist nicht entscheidend, wie viele Ressourcen der Staat zum Einsatz bringt, sondern was er mit den Ressourcen schafft. Läge heute die Steuerquote bei 21,3 Prozent – der Durchschnitt seit der Wiedervereinigung – könnten die Steuerzahler jährlich bereits über 36 Milliarden Euro mehr Kaufkraft unmittelbar nach ihren Vorstellungen einsetzen. Vielleicht würde dann auch der Staat mit den ihm verbleibenden Ressourcen weniger verschwenderisch – also effizienter – umgehen.

Erstmals erschienen bei IREF.

Photo: Franz Venhaus from Flickr (CC BY-ND 2.0)

Von Dr. Alexander Fink, Universität Leipzig, Senior Fellow des IREF – Institute for Research in Economic and Fiscal Issues, und Justus Lenz, Leiter Haushaltspolitik bei Die Familienunternehmer/Die Jungen Unternehmer.

Der Staat sollte ausschließlich die Umsetzung solcher Regeln in Betracht ziehen, die sich per se positiv auswirken, indem sie unerwünschtes Verhalten unterdrücken, wünschenswertes Verhalten befördern und zusätzliche Kooperationsmöglichkeiten schaffen.

Bürokratie: Notwendig, aber ein Übel

Die Bürokratie hat keinen guten Ruf – lange Warteschlangen beim Bürgeramt, komplizierte Formulare sowie langwierige Genehmigungsverfahren sind (un-)beliebte Themen für den Smalltalk. Auch fehlt in keiner politischen Sommerrede der Hinweis auf die Notwendigkeit, bürokratische Belastungen zu reduzieren. Unternehmer reihen sich ein und identifizieren „Bürokratie“ regelmäßig als großes Problem. Ohne Bürokratie geht es jedoch nicht. Das Zusammenleben in unserer komplexen Gesellschaft basiert auf Regeln – staatlichen und nicht-staatlichen – und wenn sie formeller Natur sind, müssen sie bürokratisch um- und durchgesetzt werden. Allerdings sind weder alle bestehenden Regeln noch alle Maßnahmen zur Um- und Durchsetzung derselben wünschenswert. Die in den Verantwortungsbereich des Staates fallenden Regeln gehören deshalb samt ihres bürokratischen Beiwerks immer wieder auf den Prüfstand.

Zu hoher und zunehmender bürokratischer Aufwand

Auf die Frage, mit welchen Projekten die Große Koalition am besten die Wettbewerbsfähigkeit deutscher Unternehmen steigern könnte, antworteten jüngst 57 Prozent der vom Verband DIE FAMILIENUNTERNEHMER befragten Unternehmer mit dem Vorschlag, Bürokratie abzubauen. Damit landete das Thema an der Spitze.

Das etwas dran ist an der Wahrnehmung der Unternehmer, zeigen die Ergebnisse des seit 2011 erhobenen Erfüllungsaufwandsmonitors des Normenkontrollrats. Der jährliche bürokratische Aufwand im Zusammenhang mit Gesetzesänderungen des Bundes nahm seit 2011 um über 8 Milliarden Euro zu.

Der bürokratische Aufwand trifft Bürger nicht nur indirekt durch höhere Verwaltungskosten beim Staat und bei privaten Organisationen, sondern teilweise auch direkt: Bei der Beantragung des Personalausweises über die Kfz-Anmeldung bis hin zum Steuerrecht.

Ohne Bürokratie geht es nicht

Für das Zusammenleben von Menschen bedarf es Regeln. Sie geben uns Planungssicherheit bezüglich des Handels anderer und fördern im besten Fall kooperatives Verhalten. Das gilt für kleinere Gruppen und erst Recht für große komplexe Gesellschaften. Staatliche Regeln strukturieren Lebensbereiche wie Wohnen, Leben und Arbeiten, aber formulieren auch Abwehrrechte gegenüber dem Staat selbst – das Wort Rechtsfrieden kommt nicht von ungefähr. Eine Welt ohne Regeln wäre schrecklich. Ordnungspolitisch: Kein gutes Spiel ohne Spielregeln.

Regeln und ihre bürokratische Umsetzung: Nutzen und Kosten

Auf Märkten können Regeln die Erwartungssicherheit für Unternehmen und das Vertrauen von Kunden erhöhen. So profitieren in Deutschland alle Marktteilnehmer von Regeln, die Eigentumsrechte ordnen und die Übertragung von Eigentumsrechten durch Kauf- und Verkauf strukturieren.

Der Staat sollte ausschließlich die Umsetzung solcher Regeln in Betracht ziehen, die sich per se positiv auswirken, indem sie unerwünschtes Verhalten unterdrücken, wünschenswertes Verhalten befördern und zusätzliche Kooperationsmöglichkeiten schaffen.

Um zu beurteilen, ob eine Regel erstrebenswert ist, müssen jedoch auch ihre Umsetzungs- und Durchsetzungskosten berücksichtigt werden – die notwendige Bürokratie beim Staat, privaten Organisationen und den Bürgern direkt. Übersteigen diese bei staatlichen Einheiten und privaten Akteuren anfallenden Transaktionskosten den Nutzen der Regel, sollte sie nicht angestrebt werden.

Ideale Regulierung?

Nutzen und Kosten von Regeln und ihrer Anwendung abzuschätzen, ist ein heikles Unterfangen. Wie resultierende Nutzen und Kosten gewichtet werden, entscheidet mit darüber, ob eine zur Diskussion stehende Regel für erstrebenswert erachtet wird. Verschiedene Gutachter werden regelmäßig zu unterschiedlichen Schlussfolgerungen kommen. Und dennoch lässt sich basierend auf der analytischen Trennung zwischen Regeln auf der einen Seite und ihrer Durchsetzung sowie Umsetzung auf der anderen Seite festhalten, dass Regeln gesetzt werden sollten, die nicht nur per se wünschenswert, sondern auch einfach um- und durchsetzbar sind.

Einige Beispiele: Bei Umweltregulierungen ist es besser, Ziele vorzugeben, als detaillierte Vorgaben zu machen, wie Ziele erreicht werden sollen. Im Bereich des Steuer- und Sozialrechts, sind häufig großzügige Pauschalen dem Versuch vorzuziehen, Einzelfallgerechtigkeit bis auf Centbeträge herzustellen.

Es versteht sich von selbst, dass es Aufgabe des Staates ist, die günstigste mögliche Alternative der Um- und Durchsetzung seiner Regeln zu gewährleisten, beziehungsweise zu ermöglichen. Leider verfehlt der deutsche Staat dieses Ideal regelmäßig. So kam der Normenkontrollrat in einem Gutachten 2015 zum Schluss, dass sich 30 Prozent der staatlichen Verwaltungskosten durch eine konsequente Umsetzung von E-Government-Lösungen einsparen ließen. Seitdem hat sich nicht viel getan. Die Einsparungen durch eine konsequentere Umsetzung von E-Government wären gewiss auch auf Seiten privater Akteure erheblich.

Tendenz zu übermäßiger Regulierung

In Demokratien werden nicht nur staatliche Regeln eingeführt, die auch ein unparteiischer Beobachter für eine große Mehrheit der Gesellschaft für wünschenswert erachtet. Politiker können sich durch die Einführung neuer Regeln profilieren und Interessengruppen mit eng abgegrenzten Partikularinteressen können Regeln zu ihrem Vorteil beeinflussen. In beiden Fällen kann der parlamentarische Prozess neue Regelungen mit negativem gesellschaftlichen Nettonutzen zutage fördern.

Zudem haben Mitarbeiter staatlicher Organisationen, die mit der Um- und Durchsetzung von Regeln betraut sind, ein Interesse an ihrer fortwährenden (ressourcenintensiven) Umsetzung, um ihre Existenz rechtfertigen zu können – auch wenn die Regeln aus gesellschaftlicher Perspektive nicht (mehr) angewandt werden sollten. Das trifft auf Bundes- und Landesverwaltungen ebenso wie auf Verwaltungen auf EU-Ebene zu.

Eine über die Zeit zunehmende Regelungsdichte und ein mit ihr steigender Erfüllungsaufwand überraschen also nicht. Sie sind aus politökonomischen Gründen zu erwarten. Vieles spricht dafür, dass die Vertragsfreiheit durch staatliche Regeln heute zu sehr eingeschränkt und der verursachte bürokratische Aufwand zu hoch ist.

Institutionelle Sklerose vermeiden

Umso mehr sollten nicht direkt am politischen Prozess Beteiligte darauf pochen, Regeln per se Prüfungen zu unterziehen und Kosteneinsparpotentiale bei ihrer Umsetzung beispielsweise durch den Einsatz von E-Government-Lösungen konsequent zu nutzen, um eine institutionelle Sklerose zu vermeiden.

Dass Aufmerksamkeit und öffentlicher Druck dazu beitragen können, das politökonomische Kalkül zu verändern, zeigt sich am Beispiel der EU-Kommission: Als Reaktion auf die Kritik, die EU würde zu viele und zu detailverliebte Regeln setzen, wurde in der aktuellen Kommission der erste Vizepräsident und Stellvertreter vom Kommissionspräsidenten, Frans Timmermanns, mit der Aufgabe betreut, die Regeldichte einzudämmen – ein kleiner Schritt, aber immerhin in die richtige Richtung.

Erstmals erschienen bei IREF

Photo: Bankenverband from Flickr (CC BY-ND 2.0)

Die Transparenz und Rechenschaftspflicht, die der Staat vom Bürger fordert, sollte er selber umso mehr vorleben. Eine Möglichkeit wäre, dass man deutlicher erkennen kann, wieviel Steuern man im täglichen Leben so zahlt.

Was das Preisschild verheimlicht

Wenn Sie ein Päckchen Butter für 2,19 € kaufen, zahlen Sie 15 Cent an Vater Staat. Und das ist nur die Mehrwertsteuer. Darüber hinaus haben der Produzent, die Zwischenhändler und der Supermarkt noch eine ganze Reihe anderer Steuern in diesen Preis hineingerechnet: Von der Gewerbesteuer, die der Milchbauer entrichtet, über die Stromsteuer, die der Zwischenhändler für den Betrieb seiner Kühlhäuser zahlt, bis zur Lohnsteuer, die der Supermarkt-Besitzer für seine Angestellten abführt.

Und wer ein Smart-TV für 399 € kauft, blecht gleich 75,81 € für die Mehrwertsteuer. Wenn man die Rechnung bei einer Flasche Bier oder Wein anstellen wollte, kommt man gleich ganz durcheinander: Die genaue Höhe der Alkoholsteuer ist nämlich für Normalsterbliche, die kein Doppelstudium Chemie und Jura absolviert haben, gleich gar nicht herauszufinden. Und dann gibt es auch noch bizarre Sondersteuern wie die Kaffeesteuer, die uns aus dem 17. Jahrhundert geblieben ist und anders als die Teesteuer noch nicht abgeschafft wurde. Übrigens: die Mehrwertsteuer zahlt jeder. Wer ALG II bezieht, wird am Ende des Tages also nicht monatlich Waren und Dienstleistungen im Wert von 409 € erwerben können, sondern im Grunde genommen nur von vielleicht 360 oder 370 €.

Der Finanzminister sitzt mit an der Supermarktkasse

Selbst wenn die meisten grundsätzlich wissen, wie hoch der Mehrwertsteuersatz ist, denkt wohl kaum einer beim Kauf darüber nach oder wirft noch einen Blick auf den Kassenzettel. Wir übersehen also in der Regel, dass 19 Cent jedes Euros, den wir dem Kassierer in die Hand drücken, weitergereicht werden ans Finanzamt. Im Grunde genommen fehlt es an Ehrlichkeit. Während der Staat Unternehmen dazu verpflichtet, alles Mögliche auszuweisen und offenzulegen, beschränkt er sich in seiner Transparenz auf den kleinen Hinweis am Ende des Rechnungsbelegs. Dadurch übersieht der Konsument rasch, dass er in jeder einzelnen Transaktion auf dem Markt immer einen erklecklichen Betrag an die Kassen des Finanzministers abführt. Seltsam, dass so etwas Verbraucherschützer nicht mehr auf die Barikaden bringt …

Der Ärger, den man beim Ausfüllen der Steuererklärung einmal im Jahr verspürt – oder vielleicht auch einmal im Monat, wenn die Gehaltsabrechnung ins Haus flattert, wo in der Regel Brutto und Netto recht ordentlich ausgewiesen sind … Diesen Ärger könnte man bei jeder einzelnen Transaktion im Kleinen spüren. Nun profitiert der einnahmenfreudige Finanzminister durchaus davon, dass wir Menschen uns gerne Ärger ersparen: Nicht lange darüber nachdenken, Augen zu und Mehrwertsteuer gezahlt. Das Problem ist nur: Je besser versteckt die Steuern sind, umso leichter lassen sie sich erhöhen oder gar neu einführen. Im Zweifel sucht der Verbraucher die Schuld für die hohen Preise bei den ausbeuterischen Unternehmern und nicht beim Staat.

Was wir jährlich an Mehrwertsteuer zahlen

Aufgrund des sehr komplexen Mehrwertsteuersystems in den USA hat man dort eine andere Lösung gefunden. Wenn Sie auf der anderen Seite des Atlantiks im Geschäft die gleiche Butter oder den gleichen Fernseher kaufen würden, würde auf dem Preisschild das Dollar-Äquivalent zu 2,04 € bzw. 323,19 € stehen. Erst an der Kasse würde dann die Mehrwertsteuer berechnet und sie müssten den Preis zahlen, der in Deutschland bereits im Geschäft an dem Produkt steht. Würde man in Deutschland auf dieses Prinzip umstellen, könnte man vielleicht mehr Leute dafür sensibilisieren, wie hoch die tatsächliche Steuerbelastung ist. Denn zu Lohnsteuer, Grunderwerbsteuer, Energiesteuer und Co. kommt ja noch die Mehrwertsteuer als zusätzliche Belastung hinzu. Für normale Haushalte in Deutschland gehen die Mehrwertsteuerausgaben schnell mal in die Tausende. (2017 betrug das – wie es ganz korrekt heißt – Umsatzsteueraufkommen 170,5 Milliarden Euro. Wenn man diskontiert, dass auch Nicht-Staatsbürger die Steuer zahlen, kommt man auf durchschnittlich etwa 1.800 € Mehrwertsteuer pro Person.) Das ist schon ein Betrag, den man häufiger spüren sollte als Steuerzahler … Eine Diskussion über einen Umstieg auf das US-System wäre es wert, geführt zu werden.

Wenn man dem Staat Aufgaben zuweist, sind Steuern natürlich notwendig. So schwer es einem auch fallen mag: man muss sogar zugestehen, dass sich der Anteil der Steuern am BIP seit der Gründung der Bundesrepublik kaum verändert hat und immer um die 22 Prozent lag. Dennoch dürfen Steuern nicht zu einem Automatismus werden oder zu einer Selbstverständlichkeit, die nicht mehr hinterfragt wird. Ob Kalte Progression, „Sündensteuern“ oder die Ewigkeitsgarantie für den Soli: es gibt immer gute Gründe, das Steuersystem zu hinterfragen. Mr. Bierdeckel-Steuererklärung hat es vorgemacht … Entscheidend ist vor allem die Haltung der Politik und des Staates. Steuerehrlichkeit ist nicht nur etwas, das vom Bürger gefordert werden sollte, sondern auch eine Verpflichtung, die für den Staat gilt. Er ist dem Bürger gegenüber Rechenschaft schuldig: darüber, was er ausgibt, aber ganz besonders auch darüber, was er ihm abnimmt. Denn die Steuereinnahmen sind nicht Eigentum der Regierung, sondern ihr nur treuhänderisch überlassen.


Hinweis: In einer vorherigen Version des Textes war fälschlicherweise für Butter die Mehrwertsteuer von 19 % berechnet worden. Richtig sind 7 %. Wir bitten, dieses Versehen zu entschuldigen!

Photo: Nicholas Green from Unsplash (CC 0)

Die Freude ist groß: 2024 wird erneut ein Sommermärchen in Deutschland stattfinden. Die Entscheidung der UEFA, die Fußball-EM nicht an die Türkei, sondern nach Deutschland zu vergeben, ist ein wirklicher Erfolg des Deutschen Fußballbundes. Positive Nachrichten waren für die DFB-Vorderen in letzter Zeit ja nicht gerade zuhauf vorhanden. Dazu kann man den Beteiligten nur gratulieren. Gratulieren kann man aber auch dem deutschen Steuerzahler.

Etwas unbemerkt ist dabei nämlich auch ein Paradigmenwechsel eingeleitet worden, der für künftige Großveranstaltungen in Deutschland und darüber hinaus weitreichende Folgen hat. Erstmalig hat die Bundesregierung keine umfassenden Garantien für die Steuerfreiheit des Veranstalters gewährt. Damit hat die Bewerbung – anders als die türkische – einen Nachteil für die UEFA, der nicht unerheblich ist. Denn die UEFA ist ein Fußballkonzern mit Milliarden Umsätzen.

2015/2016 setzte der europäische Fußballverband 4,6 Mrd. Euro um. Bei der EM 2016 in Frankreich nahm die UEFA 1,9 Milliarden Euro ein. 400 Millionen Euro erzielte der Verband über Werbeeinnahmen, weitere 500 Millionen Euro durch Kartenverkäufe. Die Gesamtausgaben der UEFA für die EM 2016 lagen bei 595,2 Millionen Euro. Satte 1,3 Milliarden Euro Gewinn konnte die UEFA 2016 verbuchen. Damals sicherte die französische Regierung umfassende Steuerfreiheit für den europäischen Fußballverband zu. Also insgesamt ein gutes Geschäft für die Fußballfunktionäre in schweizerischen Nyon.

Die deutsche Regierung hat im Prozess jedoch ihre Position fundamental verändert. Noch im Mai erklärte sie auf meine Anfrage, dass sie gegenüber dem DFB für dessen Bewerbung bei der UEFA Steuerfreiheit zugesichert habe. Die Bundesregierung akzeptiere in gewissem Umfang die Forderung der internationalen Sportverbände auf Steuerbefreiungen, so das Bundesfinanzministerium. Eine Harmonisierung der Vorgehensweise innerhalb der EU sieht sie jedoch als schwierig an. Das ist bemerkenswert. Denn es ist doch schon erstaunlich, dass man im Zuge der Finanzkrise Länder auf schwarze Listen gesetzt hat, die Steueroasen geschaffen haben, aber gleichzeitig alle paar Jahre die Voraussetzungen geschaffen wurden, dass UEFA, FIFA und andere Vereinigungen mitten in der EU Steueroasen errichten können. Der normale Steuerzahler reibt sich dabei die Augen und versteht die Welt nicht mehr.

Daher ist die heutige Entscheidung ein Paradigmenwechsel. Es kann künftig keine Regierung, kein Fußballverband und kein Nationales Olympisches Komitee mehr behaupten, dass eine Bewerbung für eine Europa- bzw. Weltmeisterschaft oder für Olympische Spiele ohne Steuerfreiheit für den Veranstalter nicht erfolgversprechend sei. Die heutige Entscheidung zeigt, dass es geht. Und das ist gut so! Freuen wir uns auf ein Sommermärchen, das fast ein Steuermärchen ist.

Erstmals erschienen bei Tichys Einblick.